Links.

Das Selbst „hat kein Wesen, sondern ist eine Abfolge von Werden, ein weiterführendes Projekt der Selbstgestaltung ohne klares Ende oder Ziel („telos“). Aus dieser Perspektive sollte Autonomie nicht als Status gesehen werden, den jemand erreicht, sondern vielmehr als Reihe agonistischer [= „kämpferischer“] Praktiken, hervorgebracht im Kontext von Zwängen und Begrenzungen, sowohl äußeren, als auch inneren“: Ungehorsam bedeutet demnach heute nicht nur bestimmte Gesetze zu übertreten sondern verlangt andere Lebensformen und Selbstwahrnehmungen.
Saul Newman

 

Graswurzelrevolution (Zeitschrift und Verlag)
http://www.graswurzel.net/

 

Direkte Aktion - anarchosyndikalistische Zeitung

 

Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen
https://fda-ifa.org/


 

FAU (Frei Arbeiter:innen Union – Anarchosyndikalistische Gewerkschaftsföderation)
https://fau.org/
die verschiedenen Ortsgruppen haben meist einen eigenen Webauftritt

 

Alles Verändern, ein anarchistischer aufruf / …

https://www.crimethinc.com/tce/deutsch

 

War Resisters' International

 

Postanarchismus

www.postanarchismus.net/

No Power For No One! Postanarchismus setzt sich mit poststrukturalistischen und postmodernen Theorien aus anarchistischer Perspektive auseinander.

 

espero

 

www.projektwerkstatt.de - die Enzyklopädie politischer Theorie...

Herzlich willkommen auf der wilden www.projektwerkstatt.de, einer schier unendlichen Quelle von Aktionstipps und -berichten, politischen Analysen und Debatten.

 


STERNECK.NET - Kultur und Veränderung - Culture and ...

http://www.sterneck.net
STERNECK.NET Cybertribe-Archiv Utopia

Anarchistische Bibliothek

Bildergebnis für anarchistischebibliothek.org

Paradox-A - Anarchistische Theorie & Perspektiven


medico international - Gesundheit, Soziales, Menschenrechte

https://www.medico.de
Eine andere Welt braucht eine andere Hilfe. medico international kämpft gemeinsam mit Partnern für gesellschaftliche Veränderung.

Elf Jahre Rojava - Revolution der Hoffnung

linksnet.de

 

Gai Dao

 

 

Untergrund-Blättle | Online Magazin

 
www.untergrund-blättle.ch

Artikel, Reportagen und Analysen aus dem politischen und kulturellen Untergrund. Rezensionen, Essays und linke ...

Gai Dao

 

 

 

p.m.

Bolo'bolo

 

endgültige Ausgabe

verlag pranoia city 1990

 

 

„bolo'bolo von p.m. Ist in folgenden Sprachen erschienen: Englisch, Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Russisch“

 

Paranoia city verlag

anwandstrasse 28

8004 zürich

ISBN 3-907522-01-X

 

Sechs Jahre bolo'bolo

 

Vorwort zur 5.Auflage

 

Peinlich, aber wahr: gemäss bolo-Fahrplan von 1983 müssten wir schon längst alle in bolos leben. 40-Stundenwoche, Staatsgrenzen, Luftverschmutzung und AKWs sollten nur noch unangenehme Erinnerungen sein. Ich habe meine Wette gegen den Lauf der Dinge verloren und als Prophet jämmerlich versagt.

Die Idee bolo'bolo hat sich nicht nur als unwirksam erwiesen, es ist alles noch schlimmer gekommen. Die Planetare Arbeits­maschine hat sich in den letzten fünf Jahren weiterentwickelt. Sie läuft auf Hochtouren und ihre Bestandteile - wir selbst - spielen noch reibungsloser zusammen. Die Autoimporte haben einen Höchststand erreicht. Wir haben gelernt, mit den Katastrophen, Unfällen und Ereignissen der Maschine zu leben. Waldsterben, Tschernobyl und Ozonkrisen kommen und gehen. Wir haben Katalysatoren eingebaut, essen keine Pilze mehr und behalten unsere Kinder an Sommernachmittagen in der Wohnung. Das Leben ist komplizierter geworden, aber im grossen und ganzen geht es weiter wie bisher. Auch die 90er Jahre werden nur kleine Umstellungen bringen und bis zu unserer Pensionierung zwischen 2010 und 2020 sind keine grösseren Veränderungen abzusehen. Mit jedem Franken, den wir für AHV und Pensionskasse bezahlen, bestätigen wir diese Perspektive. Die Zukunft hat uns fest im Griff.

Ernüchtert müssen wir uns fragen: sind die Verhältnisse gegen grundsätzliche Veränderungen immun geworden? Haben Utopien ihre praktische Wirkung endgültig verloren? Sind wir selbst so reduziert, glücklich und apathisch, dass wir eine andere Lebensweisen nicht mehr anstreben können? Sind also Utopien lediglich Lebenslügen? Sind sie bloss der eine Pol im Spektrum der zynischen Vernunft, die uns sagt, dass wir Utopien nötig haben, um den Alltag besser ertragen zu können? Der Mensch lebt ja nicht vom Brot allein. Gewisse Ideale und Visionen sind daher durchaus überlebenswichtig. Der "Sinn" ist längst zum Komplizen des Systems geworden.

Über Utopien nur schon vernünftig zu reden, scheint ungeheuer schwierig zu sein. Vielleicht liegt es am Wort "Utopie", das auf den Hund gekommen ist: "Meine Utopie ist ein heisses Bad und ein gutes Buch." Zudem wird bei Utopien die Vorstellung eines phantastischen Schlaraffenlandes überstrapaziert. So steht einer kaum korrigierbaren Realität eine utopische Traum- und Märchenwelt gegenüber, wo die Vernunft nichts mehr zu suchen hat. Kopf und Bauch, Verstand und Gefühl werden in verschiedene Welten verbannt. Solche Utopien sind natürlich harmlos, blosse Fluchtwelten, Trostphantasien. bolo'bolo wollte etwas anderes sein: ein Inventar realer technischer, biologischer und sozialer Möglichkeiten. Phantasie und solide Dokumentation, Erfindungslust und praktischer Verstand sollten zusammenkommen und sich vermengen. Dieser Anspruch ist unbequem, denn es tut weh zu sehen, dass viele unserer Träume eigentlich möglich sind. Viel lieber würden wir sie "rein" behalten und als Utopien eben verdrängen. Für viele war bolo'bolo eine herbe Enttäuschung: was als sektiererisches Brevier mit Geheimsprache und scheinbar geschlossenem "System" daher­kommt, ist eigentlich nur eine lockere Liste möglicher Vorschläge zur Lebensverbesserung. Vieles fehlt, manches ist unvollständig und ungesichert, je nach erhältlichen Daten, dem Stand der Forschung und der Erfahrungen. Ja, gerade die wesentlichsten Fragen sind ausgeklammert, weil sie eben nur durch die Praxis beantwortet werden können und verschiedene Lösungen zulassen: das Verhältnis zwischen Mann und Frau, die Kindererziehung, die internen Entscheidungsstrukturen, das Verhältnis von Arbeit zu Freizeit usw. bolo'bolo liefert weder eine Philosophie, noch eine Lebenshaltung. Auch als universaler Ratgeber ist es nicht zu gebrauchen. Es sieht nur so aus.

Viele stört an bolo'bolo sein "dogmatischer" Charakter, der Mangel an Offenheit: kein Weg führt am bolo vorbei. bolo or bust. Nun ist Offenheit im privaten Leben eine höchst nützliche Haltung. Ohne Offenheit verkümmern wir gefühlsmässig und erstarren geistig. Als politische Forderung kann Offenheit aber ganz gut mit Ratlosigkeit, Pragmatismus oder mit Opportunismus gleichgesetzt werden. Man kann auch ganz leicht für jede neue Scheisse und jede Neueinstellung der Maschine "offen" sein wie etwa die Sozialdemokraten, die diese Haltung oft betonen. Das Schwein zeigt sich "offen" angesichts seiner Verwurstung . Es blickt den neuen Ideen der Fleischindustrie beweglich, liberal und unorthodox entgegen. Alten ideologischen Ballast wirft es leicht über Bord. Wir lieben das Schwein, es ist uns sympathisch. Das sture Wildschwein hingegen hat eine notorisch schlechte Presse. Seine Vorurteile gegen Gehege, seine dogmatischen Ernährungsgewohnheiten und seine starren Feindbilder, was die Jäger betrifft, machen es unsympathisch. Es hat auch keine Zukunft.

Warum bolos und nichts anderes? Auf diesem Planeten sind nur zwei grundsätzlich verschiedene Lebensweisen möglich: eine expansive, externe, politische Art zu leben und eine subsistenzorientierte, haushälterische, lebensimmanente. Es gibt den Haushalt und die Wirtschaft, den Bereich der Frauen und den der Männer, die Dritte Welt und die Erste, das Leben und das Erwerbsleben. Das Idealbild des Haushaltes - der sich selbst versorgende Bauernhof - braucht kein Geld, keine Politik, keinen Staat. Arbeit und Freizeit gehen ineinander über. Ausführung und Entscheidung sind nicht getrennt. Der Kontakt zur Natur ist unmittelbar und das Interesse an ihrer Erhaltung unvermittelt. Ein Gleichgewicht herrscht und alles kann unbeschränkt weitergehen. Die Wirtsehaft hingegen kann nur leben, wenn sie expandiert, wenn immer mehr Energien, Rohstoffe, Menschen mobilisiert werden. Die Natur ist ihr blosses Material zur Verwertung, Menschen sind anonyme Zahnrädchen. Beide Lebensweisen haben ihre Vorteile. Aber die wirtschaftliche ist heute ganz eindeutig vorherrschend. Durch ihre Einseitigkeit zerstört sie Natur und Menschen. Sie ist derart komplex geworden, dass ihre Aufrechterhaltung mehr Aufwand erfordert als ihr Out-put. Im Prinzip der Industrie steckte irgendwo die Idee eines gesteigerten Lebensgenusses. Doch heute zerstört es die wichtigsten Güter wie Musse, Natur, Gesellschaftlichkeit.

Das Verhältnis zwischen Haushalt und Wirtschaft ist heute aus dem Gleichgewicht geraten. Der Haushalt ist zum ohnmächtigen Anhängsel der Erwerbstätigkeit geschrumpft. bolo'bolo geht davon aus, dass das richtige Mass irgendwo in der Mitte liegt. Die Haushalte müssen wieder mächtiger werden. Sie müssen zu bolos werden, zu recht selbständigen, aber nicht autarken Land/Stadt­gemeinschaften mittlerer Grösse, d.h. 500 Personen, nicht 2,6 wie heute. Als bolo kann der Haushalt oder die vom griechischen oikos=Haus hergeleitete Ökologie die Wirtschaft kontrollieren und deren Vorteile in Einklang mit den Erfordernissen der Gesellschaft und der Natur bringen.

Dem Misserfolg unserer utopischen Bemühungen auf der Spur kommen wir zum nächsten Themenkreis: es geht uns zu gut, der "Leidensdruck" ist nicht stark genug, wir sind weltweit gesehen immer noch die Privilegierten. Warum sollten wir da etwas ändern wollen? Das sind alles Lügen. Nicht der Leidensdruck fehlt, sondern unsere Sensibilität. Sie wird uns täglich abtrainiert. Wir spüren gar nicht mehr, wie schlecht es uns geht - deshalb scheint es uns gut zu gehen. Ausgedient haben nur die alten Muster des Elends. Die Armen alter Schule sind eine Minderheit geworden. Heute verdienen 50% der Erwerbstätigen mehr als 35'000.- Franken und ein normales Haushaltseinkommen erreicht schon gute 50'000.Franken. Die Wohnungsnot belastet wenige, denn 95% wohnen auf mehr Quadratmetern pro Person denn je. Das Haushaltbudget der statistischen Schweizerfamilie sieht geradezu abenteuerlich aus: der grösste Brocken sind die Versicherungen mit 15,38%, dann folgen die Verkehrsausgaben (Auto!) mit 13,15% und die Miete mit 12,51%. Erst an vierter Stelle sind die Auslagen für Nahrungsmittel mit 12,16% zu finden (Stat.Jahrbuch der Schweiz 1989, S. 143). Sicher sehen diese Zahlen bei verschiedenen Minderheiten anders aus: 30% bis 50% für die Miete, 20«o für Nahrungsmittel usw. Doch angesichts dieser Zahlen brauchen wir uns nicht zu wundern, dass die ~exotischen Experimente" von Randkulturen a la Zaffaraya das "Herz des schweizerischen Staates" höchstens symbolisch zu rühren vermögen. Dabei spricht die Statistik eine klare Sprache: es gibt eine Sehnsucht nach Überwindung der Isolation, die im Zwang zur Versicherung, einer pervertierte Form der Solidarität, zum Ausdruck kommt, es existiert überdies eine Sehnsucht nach Ausbruch (Verkehr) und Raum (Miete). Diese Hauptposten drücken Werte aus, die sich mit dem Wort "bolo" zusammenfassen lassen. Zugleich sind diese Werte mit Geld nicht mehr zu erstehen. Wenn das "Herz des Staates" gerührt werden soll, dann müssen unsere Utopien ihren exotischen, provokativ-symbolischen Charakter verlieren und zu banalen "bürgerlichen" Lösungen werden. Nicht die Hippie-, Punk-, oder Anarchokultur soll noch einmal gefeiert werden. Vielmehr besteht unsere einzige Chance darin, die lächelnde, unzufriedene Mehrheit immer wieder in Versuchung zu führen.

Doch nun zum wichtigsten Einwand, den ich hören musste: das ist ja alles schön und gut, doch was können wir jetzt tun? Warten bis der grosse bolo-Gong erschallt? Der Einwand ist natürlich etwas unfair. Er beinhaltet eine lebensphilosophische Fangfrage vom Typ: wie erreiche ich, was ich will? Trotzdem habe ich etwas über nvermittelnde Strategien" nachgedacht. Sollen wir bolo-Aufbaufonds in Gemeinden und Kantonen verlangen? In den Gewerkschaften aktiv werden? Die Parteien infiltrieren? Genossenschaften gründen? In Quartieren bolo-Aufbaugruppen gründen? Produzenten/Konsumenten-Genossenschaften initiieren? All dies halte ich je nach Lage der Dinge für möglich und sinnvoll und ich begrüsse solche Aktivitäten ausdrücklich und herzlich. Sicher müssen wir uns bei diesen Umtrieben bewusst sein, dass letztlich nur eine breite Arbeitsverweigerungsbewegung die Maschine blockieren und überwinden kann. Aber aus dem Einen kann das Andere werden.

Eine ganz simple "vermittelnde" Idee ist mir bei einer Diskussion mit einem alten Freund gekommen: der wirtschaftsfreie Mittwoch. Traditionellerweise werden Länder befreit, wobei die Resultate nicht immer überzeugen. Warum nicht einmal Tage befreien? Die Idee geht davon aus, dass wir, selbst wenn wir wollten, gar nicht fähig wären, in bolos zu leben. Wir sind viel zu spezialisiert, sozial hilflos und landwirtschaftlich unbedarft, als dass uns das Leben in bolos auf Anhieb gelingen würde. Wir brauchen also eine Lernphase, um überhaupt umsteigen zu können. Diese Lernzeit könnte am Mittwoch geschehen, der arbeits-, fernseh-, auto-, zeitungs-, schulfrei wäre. Der befreite Mittwoch wäre auch als gewerkschaftliche Forderung denkbar (32 Stundenwoche). Als Denk-, Lern-, Sozial-, Landtag eignet sich der Mittwoch sehr gut. Bei den Bauern ist er traditionell ein Untag. Er war schon immer ein Tag des Austausches, des Marktes, der gesellschaftlichen Anlässe, der Magie und der List (Gott Merkur). Er könnte eine ruhende Mitte bilden und die Arbeitswoche in zwei leichter verdauliche Brocken teilen. Zunächst wäre er ein Tag der Meditation, des utopischen Haltes, also nicht wieder ein Geschäftstag. Langsamkeit wäre sein Prinzip. Er würde Zeit für Gespräche, Zusammenkünfte, gegenseitige Hilfe bieten. Nachbarn werden zum Essen eingeladen, jedes Haus ist ein "offenes Haus". Väter und Göttis haben Zeit für Kinder ohne den Wochenendstress. Kontakte zu Bauernhöfen könnten geknüpft werden. Gemeinsam könnten auch gewisse ökologische Umbauarbeiten vorgenommen werden. Es wäre der ideale bolo-Tag. Allmählich würde auch der Dienstag angeknabbert und der Donnerstag "befreit". Vielleicht bliebe dann nur noch der Montag als einziger Tag für externe Arbeit übrig...

Die Planetare Mittwoch-Befreiungs­bewegung kann sofort beginnen. Es genügt, wenn Du Dir am nächsten Mittwoch eine Grippe nimmst und das Buch, das Du schon lange lesen wolltest, endlich liest (z.B. Maria Mies, Patriarchat und kapital. Rotpunktverlag 1988). Noch weniger "utopisch" ist Dein Eintritt in die planetarischen Bewegung, wenn Du an Mittwochen mir besonders offenen Augen durch die Strassen gehst. Dabei entdeckst Du vielleicht auch das PMBB-Verschwörungszeichen, das ein Freund auf der Alp erfunden hat. Der anti-wirtschaftliche Mittwoch lässt alle Aktionsformen zu. Die Vermittlung liegt bei Dir.

Ich möchte die Gelegenheit dieses Vorwortes benützen, um mich bei allen zu bedanken, die bei der Produktion und Verbreitung von bolo'bolo mitgewirkt haben. Ganz herzlich danke ich Tomi G. für seinen verlegerischen, kabarettistischen und publizistischen Einsatz. Auch allen Setzerinnen, Lay-outerinnen, Übersetzerinnen, von Tokio bis Brasilia möchte ich für ihre Gratisarbeit danken. Ein besonderer Dank gilt auch allen bekannten und unbekannten Propagandistinnen in A1pentälern, Grossstadtdschungeln, Seminarien und auf abgelegenen Inseln. Nur dank ihnen konnte bolo'bolo ohne grossen Werbeaufwand in Zirkulation kommen und an den überraschendsten Orten auftauchen. Dass mit dem Buch oft auch Eier gegen Käse oder Honig gegen Musikkassetten getauscht wurde, tut ihrem Verdienst keinen Abbruch. Zwar wurde in den fünf Jahren nur knapp das Programm eines Jahres erfüllt, aber das leben dazwischen hat doch viel Spass gemacht. Also dann bis 1993!

 

p.m. April 1989

 

 

bolo'bolo ist zuerst 1983 im Paranoia city Verlag erschienen und hat mittlerweile in der deutschen Ausgabe 10'000 Exemplare und fünf Auflagen erreicht. Inzwischen ist es auch auf französisch, englisch, portugiesisch, italienisch, holländisch und russisch veröffentlicht worden. Die Ausgaben auf japanisch, spanisch und arabisch sind in Vorbereitung.

Im Demono-Spielverlag in Zürich ist bolo'bolo als Brettspiel erschienen. Das Leben in Zürich bestehend aus bolos beschreibt Zwischen Regenwald und Perxnafrost, erschienen im Stroemfeld Verlag, Basel. Der neu erschienen Reiseführer AMBERLAND zeigt Dir ein Land, wo heute schon bolo-mässige Verhältnisse herrschen (Paranoia city Verlag 1989)

 

Abfahrt

Und wieder sitze ich im Bus. Es ist morgens um sieben Uhr dreissig, Linie 32. Es ist regnerisch und kalt, bald wird es schneien. Die Nässe dringt durch Schuhe und Hosen. Wie gelähmt sitze ich da und sehe ich die gefassten, ruhigen Gesichter. Eine junge Frau unterdrückt ein Gähnen, verzieht ihre Mundwinkel. «Nordstrasse», brummt der Chauffeur. Wieder überfällt mich dieses Gefühl der Fremdheit. Ungläubig starre ich durch das Fenster. «Wozu das Ganze?» «Warum mache ich das noch mit?» «Wie lange noch?» Eine Maschine hat mich im Griff. Ekel stallt sich in meiner Brust. Es geht unaufhaltsam dem Arbeitsplatz entgegen. «Guten Morgen, Arbeitsvieh!» Der Aufschub ist kurz, die Zeit zerrinnt von Station zu Station. Gewaltsam wurde ich dem Schlaf entrissen, widerstandslos verschlingt mich die Alltagsmaschine.

Meine Haltestelle kommt, doch ich kann nicht aufstehen. Ich bleibe sitzen bis zur Endstation. Aber der Bus hält nicht mehr. Er fährt weiter: durch Österreich, Jugoslawien, die Türkei, Syrien, Persien ... nach Indien, Malaya. Unterwegs verwandelt sich der Bus. Er wird umgebaut, farbig bemalt, mit Betten versehen, repariert, dem wechselnden Klima angepasst. Die etwa zwanzig Passagiere werden zu einer engen Lebensgemeinschaft. Sie suchen sich unterwegs Jobs, um den Treibstoff, die Ersatzteile und die Lebensmittel kaufen zu können. Sie teilen sich in die Busarbeit. Sie erzählen sich ihre Geschichten. Das andere Gesicht des Alltags kommt zum Vorschein: Leistungsverweigerung, Sabotage, Schlamperei, Diebstahl, Indiskretionen, Krankfeiern, solidarische Aktionen, Racheakte gegen Chefs, nächtliche Anschläge. Alle haben auf ihre Art irgendwann Widerstand geleistet und versucht, die Maschine aufzuhalten. Vergeblich. Fünf Jahre später kehrt der Bus zurück. Er ist von Auf- und Anbauten überkrustet, trägt Inschriften in unbekannten Alphabeten, hat bunte Vorhänge. Niemand erkennt ihn wieder und die Rückkehrer sind Fremde...

Haltestelle. Aussteigen. Der Traum ist zu Ende. Wochenenden, Ferien, Illusionen und Fluchtphantasien gehen immer wieder zu Ende und wir sitzen wieder im Bus oder in der Strassenbahn, im Auto oder in der U-Bahn. Die Alltagsmaschine triumphiert über uns. Wir sind ein Teil von ihr. Sie zerstückelt unser Leben in Zeit-Fragmente, kanalisiert unsere Energien, zermalmt unsere Wunschträume. Wir sind nur noch gefügige, pünktliche, disziplinierte Zahnrädchen in ihrem Getriebe. Und die Maschine selbst treibt dem Abgrund entgegen . In was haben wir uns da eingelassen?

Der grosse Kater

Es hatte vielversprechend angefangen. In der Altsteinzeit z.B. (etwa vor 50000 Jahren) gab es erst wenige von uns, waren Pflanzennahrung und Wild im Überfluss vorhanden und erforderte das Überleben nur wenig Zeit und mässige Anstrengungen. Um genügend Wurzeln, Beeren, Nüsse, Früchte oder Pilze zu sammeln und um ein paar Kaninchen, Rehe, Kängurus, Fische, Vögel oder Eidechsen zu erjagen (oder noch bequemer: mit Fallen zu erwischen) brauchten wir bloss zwei bis drei Stunden pro Tag. In unseren gemütlichen Lagern, in Laubhütten oder Höhlen, verzehrten wir das Fleisch und die gesammelten Pflanzen gemeinsam und verbrachten wir den Rest der Zeit mit herumdösen, träumen, baden, tanzen, schmusen und Geschichten erzählen. Einige begannen Felswände zu bemalen, andere schnitzten an Knochen oder Holzstücken herum, oder sie erfanden neue Fallen und Lieder. Unbeschwert zogen wir in Horden von etwa 25 Leuten in der Gegend herum, ohne viel Gepäck und ohne Eigentum, ohne Familienbindungen und Chefs, ohne Angst und Religion. Von 2 Millionen Jahren haben wir nur etwa 10000 Jahre nicht so gelebt. 99,5% unserer Geschichte sprechen für sich. Die jüngere Altsteinzeit war unser bisher bester Deal - so behauptet es wenigstens die neuere Forschung. Eine lange und glückliche Zeit - verglichen mit den 200 Jahren dieses industriellen Alptraums.

Viele Geschichten wären von dort an denkbar gewesen. Eine davon ist die unsere - eine Art dummer Ausrutscher, mitgigantischenFolgen. Jemandmuss mit Samen und Pflanzen herumgespielt und so allmählich die Landwirtschaft entdeckt haben. Es schien eine gute Idee zu sein: statt den essbaren Pflanzen nachzulaufen, konnte man sie nun in der Nähe des Lagers wachsen lassen. Aber wir mussten nun mindestens einige Monate am gleichen Ort bleiben, genügend Saatgut zurückbehalten, die Arbeit einteilen, vorausplanen und unmittelbare Bedürfnisse unterdrücken. Statt mit der Natur lebten wir nun von ihr und sahen wir sie immer mehr als unberechenbaren Partner und manchmal als gemeinen Spielverderber. Wir hatten die Produktivität entdeckt: dass es einen Zusammenhang zwischen unserer Arbeit und dem Umfang der Ernte gab. Disziplin wurde wichtiger als Jagdglück. Und das Ganze nahm dann einen sehr unglücklichen Verlauf: die Frauen, die bisher hauptsächlich gesammelt hatten, wurden für die Feldarbeit zuständig. Dann kamen die Männer mit Zugtieren und Pflug. Die Frauen verloren ihre Gleichberechtigung und wurden immer mehr unterdrückt. Zum Trost erhielten sie den Kult der Grossen Göttin. Viehzüchter unterjochten die Ackerbauer, es entstanden Staat, Kriegerkasten - der allgemeine Weltkrieg, der bis heute dauert. Es ist schwierig zu rekonstruieren, was damals genau falsch gelaufen ist, doch dass wir da etwas ganz Dummes ausprobieren, ist nun klar geworden . Statt eines vielfältigen Mit- und Durcheinanders haben wir eine Unterdrückungspyramide aufgebaut: Könige-Männer-Frauen-Kinder-Tiere-Pflanzen. Diese Geschichte war sicher nicht «notwendig», aber die Weichen wurden doch schon sehr früh gestellt.

Mit dem Aufkommen der alten Zivilisationen in Mesopotamien, Indien, China und Ägypten war die Staatsgewalt, die Kontrolle des Zentrums über die Gesellschaft, schon zum Selbstzweck geworden. Von nun an ging es um die «Macht», also den Einfluss auf dieses Zentrum. Und damit begann die Geschichte, diese «ewige Flucht nach vorn», auch Fortschritt genannt. Wie schlecht es uns ging, zeigt schon die Tatsache, dass nun Utopien und Träume von goldenen Zeitaltern, vom Paradies, von Arkadien, Atlantis usw. als Rechtfertigungs- oder Trostideologien gebraucht wurden. Die Männer im Zentrum sagten uns, dass nur straffe Organisation und verbesserte Produktionsmittel wieder zum Glück führen konnten. Wir begannen für die Illusion des Fortschritts zu arbeiten. Jene, die die Täuschung durchschauten und einen abgekürzten Weg zum Paradies gehen wollten, wurden als Rebellen, Verräter, Ketzer oder Barbaren verfolgt, deportiert, verstümmelt oder massakriert. Unsere Sippen und Stämme wurden ausgelöscht, wir wurden Fremdlinge auf unserer Erde und standen den hierarchischen Zwangsorganisationen wehrlos gegenüber. Statt zwei Stunden arbeiteten wir nun zehn und mehr auf den Bauplätzen und Feldern der Pharaonen und Cäsaren, starben wir in ihren Kriegen und wurden wir nach Belieben herumgeschoben. Wir wurden zum Staats- und Arbeitsvieh.

Mit der Industrialisierung wurde es nicht besser. Nachdem die Bauern frech geworden waren und die Handwerker in den Städten zu unabhängig, setzten die Herren des Zentrums zu einem neuen Sprung an. Das neue Organisations- und Zwangsmittel hiess nun Fabrik. Sie sammelten uns auf den Strassen ein und sperrten uns in diese schmutzigen, lärmigen Schuppen, wo uns Maschinen einen neuen Arbeitstakt diktierten. Die Unterdrückung wurde automatisiert und vervielfacht. Die Maschine ist Produktions- und Strafmittel in einem: wer sich ihr nicht fügt, wird mit einem «Unfall» bestraft. Fortschritt bedeutete wieder nur mehr Arbeit und noch mörderischere Lebensbedingungen. Die ganze Gesellschaft und der ganze Planet wurden zu einer grossen Arbeits-Maschine. Und diese Arbeitsmaschine war gleichzeitig eine Kriegs-Maschine, denn Frieden und Arbeit schliessen sich gegenseitig aus. Wie soll einer, den die Arbeit langsam zerstört, sich dagegen wehren können, dass die Maschine andere umbringt? Die eigene Unfreiheit ist immer eine Bedrohung der Freiheit der andern. Die Industrie ist immer eine Rüstungsindustrie - auch im «Frieden». Entweder führt sie den Kleinkrieg namens «Alltag» oder den Grosskrieg namens «Krieg». Das eine geht nicht ohne das andere.

Auch diesmal begleiteten Illusionen und Utopien die neue Verschärfung unserer Sklaverei. Die «Zukunft» musste ja besser werden, wenn die Gegenwart so elend war. Sozialistische Reformer versuchten den Arbeitern einzureden, dass die moderne Industriegesellschaft auf lange Sicht mehr Freizeit und Wohlstand, mehr Freiheit und Genüsse bringen würde. Marx meinte, wir würden dann endlich wieder in Ruhe jagen, fischen und dichten können. (Wozu der grosse Umweg?) Dann verlangten sozialistische und kommunistische Politiker aller Schattierungen, von Lenin bis Trotzki, von Castro bis Pol Pot, von uns mehr Opfer und Disziplin, um die neue Gesellschaft aufzubauen. Doch der Sozialismus war nur ein neuer Trick der Arbeits-Maschine, die sich so auch dort durchsetzen konnte, wo es an privatem Kapital fehlte. Die Herren des Zentrums hatten sich nur anders verkleidet. Der Arbeits-Maschine ist es egal, ob sie nun von transnationalen Konzernen oder von Staatsbürokratien entwickelt und verwaltet wird. Ein Politbüro ist ihr genauso genehm wie ein Verwaltungsrat. Die industrielle Arbeits- und Kriegsmaschine hat unser Raumschiff und seine Zukunft gründlich ruiniert: die Möblierung (Dschungel, Wälder, Seen, Meere) ist zerschlissen, unsere Spielgenossen sind verschwunden oder fast ausgerottet (Wale, Schildkröten, Bären, Tiger), die Luft stinkt und macht uns krank, die Vorratskammern sind geplündert (fossile Brennstoffe, Metalle) und die atomare Selbstzerstörung ist vorbereitet. Wir bringen es trotz «Fortschritt» nicht einmal zustande, dass alle genug zu essen haben . Wir sind so nervös und reizbar geworden, dass wir für alle Arten von nationalistischen, rassistischen oder pseudoreligiösen Bewegungen, Pogrome und Kriege zu haben sind. Für viele von uns ist der Selbstmord oder ein Atomkrieg nicht mehr eine Bedrohung, sondern die willkommene Erlösung von Angst, Plackerei und Langeweile.

Einige Tausend Jahre Zivilisation und 200 Jahre Industriegesellschaft haben uns mit einem grossen Kater zurückgelassen. Die «Wirtschaft» ist zum Selbstzweck geworden und droht uns zu verschlingen. Das Hotel «Erde» terrorisiert seine Gäste. Doch wir sind Gäste und Wirte zugleich. Die Planetare Arbeits-Maschine (PAM)

 

Das Monster, das wir aufgezogen haben und das diesen Planeten beherrscht, heisst: Planetare ArbeitsMaschine (PAM). Wenn wir unser Raumschiff/ Hotel wieder in einen angenehmen Aufenthaltsort zurückverwandeln möchten, müssen wir uns also zuerst mit der PAM befassen. Wie schafft es die Maschine, uns unter Kontrolle zu halten? Wie kann sie blockiert und auseinander genommen werden? Wie können wir sie loswerden, ohne dass sie uns zugleich vernichtet?

Die Arbeits-Maschine ist heute zum vorneherein eine planetare Maschine: sie frisst in Afrika, verdaut in Asien und scheisst in Europa. Sie wird geplant und gesteuert durch ein Geflecht von multinationalen Firmen, Banken, Staatsorganen, Brennstoff- und Rohmaterial-Kreisläufen. Es kursieren viele Illusionen über die Bedeutung von Nationen, Blöcken, Erster, Zweiter und Dritter Welt, Nord und Süd. All das sind nur mehr oder weniger grosse Räder der gleichen Maschine und nationale Unabhängigkeit ist nur eine Fata Morgana, die uns darüber täuschen soll. (Spätestens die Politik des Internationalen Währungsfonds - IMF - sollte dem Letzten die Augen geöffnet haben.) Natürlich besteht die PAM aus verschiedenen Teilen, die sich gegenseitig abstossen, antreiben und bremsen. Die PAM lebt geradezu von der Energie, die aus ihren inneren Widersprüchen erzeugt wird: Arbeiter/Kapital, Privatkapital/Staatskapital (Kapitalismus/Sozialismus), Entwick­lung/Unterentwicklung, Elend/Verschwendung, Krieg/Frieden, Mann/Frau usw. Die PAM ist kein «hartes», einheitliches Gebilde, sondern sie benützt Widersprüche, um sich umzuformen, auszudehnen und zu verfeinern. Sie gleicht eher einem biologischen Organismus als einem mechanischen Koloss. Im Unterschied zu faschistischen oder theokratischen Systemen oder zu Orwells «1984» braucht sie durchaus ein «gesundes» Mass von Widerstand, Unruhe, Provokation und Rebellion. (Nach dem Motto: Was uns nicht umbringt, macht uns stärker!) Sie verdaut Gewerkschaften, Linksparteien, Protest-Bewegungen und demokratische Regimewechsel dort am besten, wo sie stark ist. Wenn die Demokratie ihr nicht mehr nützt, greift sie zur Diktatur. Wenn die Legitimation in Krise gerät, hat sie Gefängnisse, Folter und Deportation in Reserve. So wichtig diese Modalitäten für die jeweils Betroffenen auch sein mögen, sind sie doch nicht wesentlich für das Verständnis des Funktionierens der PAM.

Die PAM verkörpert das Wirtschaftsprinzip und sie kann nicht anders. Was aber ist Wirtschaft? Umwandlung menschlicher Energien in Arbeit und Verwandlung von Arbeit in messbare Produkte (Waren). Damit Menschen arbeitsfähig und daher für die Maschine nutzbar werden, müssen sie aus ihrer natürlichen Umgebung und ihren gesellschaftlichen Bindungen gelöst werden, die dadurch zerstört werden . Arbeit selbst bedeutet sodann, dass Du die Kontrolle über bestimmte Portionen Deiner Lebenszeit aufgibst, die in eine unpersönliche, zentral gelenkte Zirkulation eingehen. Du brauchst z.B. Deine Zeit dazu, irgendeinen Bestandteil zu bauen, der von irgendjemandem gekauft und zu einem Dir unbekannten Zweck verwendet wird. Der Kreislauf dieser anonymen Lebensfetzen wird geregelt gemäss der aufgewendeten Arbeitszeit, deren Mass eine Zahl, das Geld, ist. Die Austauschenden kennen sich nicht, haben keine Kontrolle über ihr gemeinsames Produkt, wissen nicht, wofür es eingesetzt ist und woher die Waren kommen, die sie selbst verbrauchen. So wird der Arbeiter von dem Gewehr erschossen, das er geholfen hat herzustellen. Oder er stirbt an dem Gift, das in seiner Fabrik erzeugt wird. Oder er beklagt sich über den Lärm jener Autobahn, für die er den Beton gemischt hat. Das ist der Mechanismus der Arbeits-Maschine: die Gesellschaft in isolierte Individuen aufspalten, sie einzeln mit Lohn oder Gewalt erpressen, und dann ihre Arbeitszeit gemäss dem eigenen Plan zusammensetzen. Wirtschaft bedeutet: immer bessere Kontrolle der Maschine über ihre Bestandteile, Vermehrung der Bestandteile und der erzeugten Arbeit. Die PAM wächst, weil Wachstum ihr Überleben sichert. Ein Wozu? braucht sie nicht. (Unser Widerstand genügt.)

Wir alle sind Bestandteile dieser Maschine, wir sind die Maschine. (Die techriischen Mittel der Maschine- Anlagen, Bauten, Motoren, Maschinen usw. - sind unsere geronnene Vergangenheit ) Wir stellen die Maschine gegenseitig für uns dar Ob wir nun über-, unter- oder gar nicht entwickelt sind, ob wir entlöhnt sind oder nicht, ob wir auf eigene Rechnung wirtschaften oder angestellt sind - wir funktionieren für die Maschine. Wo es keine Industrie gibt, werden Arbeiter zum Export in Industrie­zonen hergestellt und «billig» verkauft. So produzierte Afrika Sklaven für Amerika, exportiert die Türkei Arbeiter nach Deutschland, Pakistan nach Kuweit, Ghana nach Nigeria, Marokko nach Frankreich. Die Menschen noch unberührter Gebiete werden als pittoreske Dekoration für das Touristen-Geschäft genutzt: so etwa die Indianer in gewissen Reservaten, die Balinesen, Polynesier, Bergbauern. Die PAM setzt sich über alle «Abkopplungs»-Versuche hinweg, holt alle «nationalen Wege» wieder ein. Und wer gerade glaubt, der Maschine entkommen zu sein, erfüllt eine Funktion als «Aussenseiter» (Clochard, Hippie, Yogi, Original usw.). Solange es die PAM gibt, sind wir alle in ihr drin. Sie hat inzwischen alle traditionellen Gesellschaften zerstört oder sie in der Defensive verkümmern lassen. Selbst weit hinten in einem «verlassenen» Gebirgstal bist Du nie sicher vor der Steuerbehörde, den Rekrutierungsorganen, der Polizei. Die Maschine kann mit ihren Fangarmen jeden Ort auf diesem Planeten innert weniger Stunden erreichen. Wir sind «besetzt». Nicht einmal in der entferntesten Ecke der Wüste Gobi kannst Du absolut sicher sein, unbeobachtet in aller Ruhe unter freiem Himmel scheissen zu können.

Die drei Grundbestandteile der Maschine

Wenn wir uns die PAM näher ansehen, stellen wir fest, dass ihr Mechanismus mindestens drei grundlegende Bestandteile und Funktionen aufweist: Information, Produktion und Reproduktion. Diese Funktionen, A, B, C, können so beschrieben werden:

 

A.) Information:

Planung, Entwurf, Management, Wissenschaft, Kommunikation, Produktion von Ideen, Ideologien, Religionen, Kunstwerken usw.: das kollektive Hirn und Nervensystem der Maschine

B.) Produktion:

Beschaffung von Rohstoffen, Fabrikation, industrielle Landwirtschaft, Transport, Abfallbeseitigung, materielle Ausführung von Plänen: Muskeln, Knochen, Magen und Blutkreislauf der Maschine

C.) Reproduktion:

sorgt dafür, dass A-, B-, C-Arbeiter geboren, erzogen, gepflegt, also für die Maschine brauchbar gemacht werden: Hausarbeit, «Dienstleistungen», Schulen, Unterhaltung, Krankenhäuser, Sex, Tourismus - «Arbeit am Menschen»

 

Jeder Job hat A-, B-, C-Aspekte, ist eine Mischung von Information, Produktion und Reproduktion. Doch die meisten Jobs lassen sich einer dieser drei Kategorien zuordnen. Alle drei Funktionen sind für die Maschine lebenswichtig und sie hängen alle voneinander ab. Fällt eine Funktion aus, so werden schliesslich auch die beiden andern davon betroffen und blockiert. Jeder Funktion entspricht ein bestimmter Arbeitertypus:

A.) wissenschaftlich-technische Arbeiter: hoch qualifiziert, meist männlich und weiss, gut bezahlt und sozial abgesichert: z.B. Computeringenieur

B.) Industriearbeiter und Angestellte: unterschiedlich qualifiziert, weiblich oder männlich, mittel bis schlecht bezahlt, ethnisch und rassisch gemischt: z.B. Automobil-Fliess­bandarbeiter, Elektronik-Montagearbeiterin

C.) Gelegenheitsarbeiter, Saisonarbeiter, kleine Bauern, zwischen Dienstleistungsjobs, Haushalt, Arbeitslosigkeit, Klein­händlerei und Kriminalität hin- und herpendelnde «Halb»-ArbeiterInnen, meist weiblich und farbig, ohne regelmässiges Geldeinkommen, oft am Verhungern, krank, in Grosstadt-Ghettos und Slums

 

All diese Arbeitertypen gibt es in verschiedenen Formen überall auf der Welt. Doch sind die Grössenverhältnisse je nach Gegend anders und so können wir sie schwerpunktmässig den drei grossen Weltgebieten zuordnen:

A.) fortgeschrittene westliche Industrieländer: USA, Europa Japan

B.) sich industrialisierende Länder: UdSSR, sozialistische Länder

C.) «unterentwickelte Länder» (Dritte Welt), Brasilien, Nigeria, Indien, China

 

Die «Drei Welten» sind überall vorhanden, nur in ver­schiedenen Mischungsverhältnissen. In New York kann man ganze Stadtviertel zur Dritten Welt zählen. In gewissen «Schwellenländern» (Brasilien, Mexiko, Taiwan, Ägypten) gibt es industrialisierte Zonen, diezuBgerechnetwerdenmüssen. Insozialistischen Ländern entstehen schon starke A-Bereiche (z.B. Raumfahrt). In fortgeschrittenen Industrieländern gibt es immer noch grosse B-Taschen (z.B. englische Bergarbeiter, französische Stahlarbeiter usw.). Jede Region und jedes Land hat seine eigene Mischung. Aber der Unterschied etwa zwischen den USA und Bolivien, zwischen Polen und Westdeutschland, zwischen Laos und Schweden, zwischen Japan und Ceylon ist doch markant und wichtig.

Die PAM ist also auf drei Pole hin organisiert: der westliche, reiche Ingenieur, der östliche, bescheidene Industriearbeiter, die südliche, ums Überleben kämpfende Hausfrau. Diese drei Typen und Funktionen werden überall gegeneinander ausgespielt.

Die Kontrolle der Maschine über ihre Teile beruht gerade auf diesem Spiel. Nicht nur die Individuen werden isoliert und zueinander in Konkurrenz gesetzt, sondern auch die Arbeitertypen, die Lohnstufen, die Weltregionen. Das Spiel der Spaltungen, die relativen Vorteile und «Privilegien» ist sehr reich an Elementen, die verschieden kombiniert werden können: Geschlecht, Rasse, Ausbildung, Volkszugehörigkeit, Religion, Alter, Aussehen, Arbeitshaltung usw. Immer gibt es einen «Grund», jemanden zu bevorteilen oder zurückzusetzen. Und jedes Mal gewinnt die Maschine, denn jede solche Unterscheidung schafft Misstrauen, Neid, Vorurteile, Angst unter den Arbeitern. Die A-Arbeiter fürchten, ihren hohen Lebensstandard zu verlieren und solidarisieren sich daher mit der Maschine. Die B-Arbeiter haben Angst, dass einwandernde C-Arbeiter ihnen ihre bisher sicheren Arbeitsplätze wegnehmen oder die Löhne drücken. Die C-Arbeiter haben keine andere Wahl, als gegen jeden zu kämpfen, um überhaupt zu überleben: jeder, der etwas besitzt, ist ihr Feind. Die A-Arbeiter beneiden die «faulen» C-Arbeiter, die in der Sonne herumliegen und beklagen sich zugleich über Stress. Die gleichen «faulen» C-Arbeiter würden alles tun, um sich den miesesten Job zu ergattern. Die Maschine spielt dieses grausame Spiel nicht, weil sie gewisse Arbeiter-Typen besonders liebt, sondern weil sie davon profitiert. Sie ist eine sehr kapriziöse Geliebte, die ihre Gunst sofort aufkündigt, wenn jemand zu übermütig wird.

So braucht die Maschine keine spezielle «herrschende Klasse» mehr, um ihre Kontrolle zu erhalten. Sie hat dazu ihre eigenen Funktionäre, Manager und Bürokraten. Zwar gibt es auch heute noch Reste klassischer Bourgeoisie, Kleinbourgeoisie, Privatunternehmer und Kapitalisten, dazu einige Aristrokraten, Häuptlinge und Diktatoren. Wo die Maschine schwach ist, spielt sie manchmal noch mit solchen lokalen Machthabern herum. Doch die wichtigen Kontrollprozesse laufen ohne sie ab. Wie das Beispiel der sozialistischen Staaten, westlicher Staatsbetriebe und von multinationalen Grossunternehmen zeigt, managt sich die Maschine mit ihren eigenen Kreaturen. Manager und Bürokraten sind A-Arbeiter; Polizisten, Beamte sind B-Arbeiter; und für die Dreckarbeit als Spitzel, Provokateure, ContraSöldner, Todesschwadronen, rekrutiert sie C-Arbeiter. Wir werden immer mit Verpuppungsformen von uns selbst konfrontiert. Wir üben die Macht der Maschine gegeneinander aus: das ist wahre Demokratie.

Das Gleiche gilt auf internationaler Ebene durch die Konfrontation der Blöcke. Die USA-Arbeiter sollen Angst vor den UdSSR-Arbeiter haben, die UdSSR-Arbeiter Angst vor den China-Arbeitern usw. Es geht um regionale Privilegien, doch das Resultat ist immer die Gesamtkontrolle durch die PAM. Dieses politische Blockspiel ist natürlich nicht von irgendeinem Gremium bewusst ferngesteuert, es spielt sich von selbst, es ist der Mechanismus der PAM, die vom isolierten Einzelarbeiter bis zum isolierten Einzelblock der gleichen Logik gehorcht.

Die PAM ist eine Maschine von sich gegenseitig unterdrückenden und fürchtenden Menschen. Wir alle garantieren ihr Funktionieren. Alle sind mit ihr auf ihre eigene Art unzufrieden, sogar die «privilegierten» A-Arbeiter. Warum akzeptieren wir ein Leben, das wir nicht wirklich mögen? Welches sind die Vorteile, die uns dazu bringen, immer wieder mitzumachen?

Drei Deals in Krise

Die Widersprüche, auf denen die Maschine beruht, gehen auch durch uns selbst, durch jeden Arbeiter, hindurch. Würde uns die Maschine einfach nur unterdrücken, würden wir schlecht arbeiten und wären die Überwachungskosten zu hoch. Darum wurde auch das Sklavensystem abgeschafft. Nein, wir sind keine Sklaven. Ohne die aktive Beteiligung der Arbeiter würde jeder Betrieb innert einer Viertelstunde zusammenbrechen. In Wahrheit ist es so, dass eine «Hälfte» von uns die Maschine bejaht, die andere Hälfte aber zugleich gegen sie rebelliert.

Die Maschine hat uns nämlich einiges zu bieten. Deshalb haben wir alle mit ihr, ob wir wollen oder nicht, einen Handel, einen Deal, abgeschlossen. Wir geben ihr einen Teil unserer Lebenszeit, aber nicht die ganze. Sie gibt uns dafür gewisse Güter und verschaR uns gewisse Genüsse, aber nicht genau die und nicht soviel, wie wir wollen. Der Deal ist also zugleich ein ständiger Kampf: die Maschine möchte immer mehr Arbeit von uns, wir immer mehr Güter von ihr. Jeder Arbeitertyp hat wiederum einen etwas anderen Deal und jeder Einzelne hat seinen SonderDeal, je nach Lohn und jeweiligem Arbeitsplatz. Da jeder meint, er komme etwas besser weg als der andere (es gibt ja immer einen, dem es schlechter geht), klammert sich jeder an seinen Deal und misstraut er grundsätzlich allen Veränderungen. So gewinnt die Maschine unsere Mitarbeit und entsteht eine innere Trägheit, die sie gegen brüske Reformen oder Revolutionen schützt.

Umgekehrt nährt die Hierarchie der Deals (A ist der beste, C der schlechteste) Aufstiegsillusionen und bindet alle Veränderungs­wünsche an die Maschine. Sie hat damit die Möglichkeit, Rebellionen zu brechen, indem sie die aktivsten Aufrührer mit einem Extra-Deal einkauft. Dieses Spiel funktioniert aber nur, solange die Maschine wirklich etwas zu bieten hat und solange die Hierarchie der Deals nicht zerbricht. Heute stellen wir fest, dass dieses Spiel in Krise gerät. Alle Deals, die die Maschine anzubieten hat, sind faul geworden. Das gilt vor allem auch für den A-Deal, den Konsum-Deal, der in eine Sackgasse geraten ist, weil die Lebensqualität sinkt, obwohl es einen Überfluss an Gütern gibt. A-, B- und C-Arbeiter haben in letzter Zeit je auf ihre Art gegen ihre Deals rebelliert. Nicht nur die «Armen», auch die «Reichen» sind unzufrieden. Fortschritt und Entwicklung sind unglaubwürdig geworden. Die Maschine ist daran, ihre Perspektive zu verlieren. Der Mechanismus der Spaltung und gegenseitigen Abstossung der Arbeiter wird brüchig. Die Abstossung richtet sich immer mehr gegen die Maschine selbst.

Der A-Deal: enttäuscht vom Konsum

Was ist der A-Deal? Steaks, Hi-Fi-Stereo, Video, Windsurfen, Chivas Regal, Disco, Jazz, Nouvelle Cuisine, Tai-Chi, Alfa Romeo, Moet-Chandon, Kreta? Die lockere Neon-Zen-Kokain-Lebenskunst? Einfamilienhaus-Volvo-Kinder-Bernhardiner? Drogen-Selbstmord-Depression? Der A-Deal ist faul geworden (oder besser: spürbar fauler), obwohl es an der Menge und der Vielfalt der Konsumgüter nicht fehlt. Doch es brauchte eine gewisse Zeit, bis wir merkten, dass die Massenproduktion die Qualität der Güter einebnet. Sie haben ihre Faszination verloren und ihre «Neuheit» hat sich immer wieder als Schwindel entpuppt. Es gibt genug Fleisch, dafür schmeckt es nach nichts mehr. Das Gemüse ist wässrig, die Milch geschmacklos. Das Fernsehen erschöpft sich in öder Wiederholung, Autofahren ist längst kein Vergnügen mehr. Die komfortablen Neubau­wohnungen befinden sich in langweiligen Schlafquartieren. Zugleich werden die wirklich guten Dinge, die Natur, die Traditionen, Feste, kulturellen Eigenheiten, die lebendigen Quartiere und Dörfer, zerstört. Ehemals durchmischte Stadtkerne werden zu Shopping- und Sex-Zentren. Auf dem Land passiert nichts, in den Zentren zuviel. Spekulation, Rationalisierung, Sanierung, Zentralisierung, spüren jeden freien Quadratmeter und jede ungenutzte Minute auf, um sie dem Arbeits/KonsumKreislauf einzugliedern. Unsere alltägliche Bewegungsfreiheit verschwindet, dafür dürfen wir auf den vorgeschriebenen Routen immer weiter reisen. Die A-Arbeiter spüren immer mehr, dass auch der raffinierteste Konsum das Loch nicht füllen kann, das die Arbeit täglich in uns frisst. Es bleibt ein Defizit, das auch mit noch so viel Unterhaltungselektronik, exotischen Reisen, Meditation, Ent­spannungs­kursen, Drogen oder Gymnastik nicht ausgeglichen werden kann. Die Kompromittierung mit der Maschine zerstört unsere Beziehungen, macht uns passiv, zynisch, liebesunfähig, gleichgültig und oberflächlich. Der A-Deal ist vergiftet und rächt sich mit Depressionen, Süchten, Krebs, Allergien und Selbstzerstörung. Die «Glücklichen» an der Spitze der Fortschrittspyramide bringen sich um: wie soll man da die «Entwicklung» für die andern rechtfertigen?

Statt zufrieden über ihre Privilegien zu sein, fliehen A-Arbeiter aufs Land, suchen sie Zuflucht in autoritären Sekten, in orientalischen Kulten und alten Mysterien. Das wahre Leben ist immer «anderswo» - in einer «besseren Zukunft» oder im «erlösenden Nichts». Doch früher oder später holt die Maschine all ihre Flüchtlinge wieder ein und verwandelt gerade die Suche nach dem Sinn in ein neues Geschäft und eine neue Antriebskraft für sich selbst.

Der A-Deal ist nicht einfach Elend, sondern eine elende Form von Reichtum. Bis zu einem gewissen Grad kann dieser Reichtum sogar gegen die Maschine gewendet werden. Die A-Arbeiter haben Zugang zu allen technischen Möglichkeiten, Informationen, Plänen und kreativen Mitteln der Gegenwart. Sie können reisen, wohin sie wollen und sich zeitweise «frei» kaufen. Wenn es den A-Arbeitern gelingt, über ihren Deal hinaus zu sehen und Kontakte mit Cund B-Arbeitern aufzubauen, können diese Möglichkeiten für die Maschine gefährlich werden. Doch allein ist ihre Rebellion immer zwecklos, denn die Maschine lernt schnell.

Der B-Deal: frustriert vom Sozialismus

Der B-Deal ist der klassische Industrie-ArbeiterStaats-Deal. Wir nennen ihn «Sozialismus», weil er in seiner reinsten Form in sozialistischen und kommunistischen Ländern vorkommt. Doch der B-Deal betrifft uns alle, denn er ist ein Aspekt jeder fortgeschrittenen Industriegesellschaft, die ohne den Staat und Staatsgarantien nicht auskommen kann. Zudem gibt es in vielen privatkapitalistischen Ländern grosse «sozialistische» Sektoren (Staatsbetriebe in Schweden, England, Frankreich; Eisenbahnen, Post usw.).

Typisch für den B-Deal ist die zentrale Rolle des Staatsapparats. Angesichts der unsicheren Position des Arbeiters auf dem Arbeitsmarkt, den Bedrohungen durch Krisen, Krankheiten, Schicksalsschläge, war eine der ersten Forderungen der Arbeiterorganisationen die minimale Existenzgarantie durch den Staat. Da die privatkapitalistisch organisierte Maschine sich immer wieder als sehr pannenanfällig erwies und unfähig war, sich dort festzusetzen und zu entwickeln, wo sich nicht genügend privates Kapital angesammelt hatte, wurde der Staat bald zu einer Erscheinungsform der Maschine. Mit seiner Hilfe konnten die Arbeiter von sich aus eine zentralisierte Arbeitsmaschine aufbauen. Durch seine Vermittlung werden sie sozusagen ihre eigenen Arbeitgeber. Gerade durch seine anonyme, zentralisierte Struktur entzieht sich der Staat der Kontrolle durch die Arbeiter. Sein wirtschaftlicher Zweck macht ihn zu einer genauso wahnsinnigen Arbeits/Kriegs-Maschine wie die privat­kapi­talistische Variante. Die Herren des Zentrums werden hier von einer Partei oder sich selbst ergänzenden Bürokratie gestellt. Auch ein ursprünglicher Arbeiterstaat bedeutet nicht Gemeinsamkeit, sondern Vereinzelung, nicht Selbstbestimmung, sondern Massenmanipulation. Der Einzelne steht ihm schliesslich wehrlos gegenüber, versehen mit «Garantien», die nur Papierfetzen sind und hinter denen keine gesellschaftliche Selbstorganisation steht. Die Sicherheit gibt er uns nur solange wir uns ihm fügen. (In diesem Zusammenhang geht es nicht um die Frage von Parteidiktatur oder Demokratie. Auch ein sozialistischer Staat könnte vollkommen demokratisch organisiert sein . Dass sie es heute nicht sind, ist geschichtlich, aber nicht aus ihrem Wesen heraus, bestimmt. Es gibt keinen Grund, warum nicht auch die Sowjetunion eines Tages demokratisch werden sollte. Jede Form des Staats ist eine Form der Diktatur der Maschine, denn es geht nicht um die Art der Legitimation und der Auslese der Führer, sondern um den Zweck.) Der Staat ist nur eine neue Erscheinungsform unserer Schwäche, genauso wie die anonyme Diktatur des «freien» Marktes. In Krisenzeiten werden ein paar Freunde auf jeden Fall viel mehr wert sein, als Sparbüchlein, Sozialversicherungsausweis oder Pensionsberechtigung.

In den sozialistischen Ländern, wo der B-Deal in seiner reineren Form existiert, herrscht daher das gleiche Arbeits-Lohn-Zwangssystem wie im Westen . Produktivität, Effektivität: die wirtschaftliche Logik bleibt genau gleich. So etwas wie ein «sozialistischer Lebensstil», für den es sich vielleicht lohnte, Opfer zu bringen, ist nirgends entstanden und auch gar nicht erwünscht. Es werden die gleichen Wertvorstellungen wie im Westen propagiert: moderne Industriegesellschaft, «westlicher» Konsumstandard, Auto, Fernsehen, eigene Wohnung, Klein­familie, Wochenendhäuschen, Original-Jeans usw. Im Unter­schied zum echten A-Deal werden diese Ziele aber nur unvoll­kommen erreicht, weil das Produktivitätsniveau zu niedrig ist. Der B-Deal ist gerade darum besonders frustrierend, weil er als «Sozialismus» Konsumideale formuliert, die er nicht verwirk­lichen kann.

Wie jeder Deal ist auch der B-Deal das Resultat von Kämpfen und daher hat er durchaus auch seine positiven Seiten, ist er ein «echter Deal». Sein Produktivitätsniveau ist gerade darum so niedrig, weil die B-Arbeiter sich eine relativ weitgehende Kontrolle über Arbeitsgeschwindigkeit, Arbeitsdisziplin und Qualitätsanforderungen gesichert haben. Da das Risiko der Arbeitslosigkeit fehlt und Entlassungen schwierig sind, können sie es gemütlich nehmen. Fabrikbelegschaften sind übermässig gross, Sabotage einfach, Krankfeiern und einkaufsbedingte Abwesenheit häufig; Alkoholismus, SchwarzmarktUnternehmungen und Schwarzarbeit sind verbreitet. B-Arbeiter werden auch sozusagen offiziell ermuntert, sich nicht zu überanstrengen, weil nicht genug Konsumgüter angeboten werden, um sie zu höheren Leistungen anzureizen. Disziplinkampagnen und Orden hingegen bilden Stoff für unzählige Witze. So schliesst sich der Kreis der Unterproduktivität und Verschwendung. Allgemeine Demorali­sierung ist die Folge.

Der PAM kann der B-Deal nur recht sein, denn auch die sozialistischen Länder sind wohl oder übel in den Weltmarkt integriert. Die Unterproduktivität wirkt sich dort für sie verheerend aus: sie können ihre Produkte nur zu Dumping-Preisen verkaufen und die B-Deal-Länder werden so zu industriellen Kolonien (Billiglohnländern) der A-Deal-Regionen. Die wenigen brauchbaren Güter fliessen also erst noch in den Westen ab und zurück bleibt nur der Ramsch. Ein zusätzlicher Grund für die B-Arbeiter, sich betrogen zu fühlen und wütend zu werden.

Die jüngsten Ereignisse in Polen haben gezeigt, dass die meisten B-Arbeiter den sozialistischen Deal ablehnen. Verständlicherweise herrschen bei ihnen grosse Illusionen über die Möglichkeit, die Konsumgesellschaft, den A-Deal, erreichen zu können. (Lech Walesa war z.B. vom japanischen Modell fasziniert.) Doch die Vorteile des B-Deals lassen sich nicht mit jenen des A-Deals kombinieren. Die Ersten, die sich gegen die «westlichen» Arbeitsbedingungen wehren würden, wären die B-Arbeiter selbst. So merken auch viele B-Arbeiter (z.B. in der DDR), dass die westliche Konsumgesellschaft nur eine neue Falle ist und kein echter Ausweg. Die westlichen und die sozialistischen Illusionen sind daran sich aufzulösen. Es geht nicht mehr um Kapitalismus oder Sozialismus, sondern um die Arbeitsmaschine als solche. Sicher wird es eine neue «Solidarität» brauchen, nicht um die sozialistisch/katholische Konsumkleinfamilie zu verwirklichen, sondern um persönliche Beziehungen unter ländlichen und städtischen Produzenten/Konsumenten herzustellen um von Grossindustrie und Versorgungsstaat wegzukommen. Diese Solidarität muss aber über die sozialistischen Länder hinaus reichen, denn allein können die B-Arbeiter ihrem Teufelskreis nicht entkommen.

Der C-Deal: genug von der Entwicklung des Elends

Der C-Deal ist darum der elendeste Deal der PAM, weil er ein Resultat des Zusammenpralls der ausgewachsenen Maschine mit den «anderen» Geschichten ist. In den C-Ländern (Dritte Welt) ist die Maschine daran, traditionelle Gesellschaften und Kulturen zu zerstören, nicht-wirtschaftliche Lebensformen auszurotten, um freie Arbeitskräfte herauszulösen. Dieses Eindringen der Geldwirtschaft zerstört die alten Lebensgrundlagen schneller, als es neue zu schaffen vermag. Aus der Armut wird das Elend.

Je nach Situation geschieht diese Entwicklung kolonialistisch, «unabhängig» (Management durch einheimische Eliten und Bürokratien), sozialistisch (Staatskapital), privatkapitalistisch oder gemischt. Der Ablauf ist immer der selbe: Verlust der eigenen Nahrungsquellen (Exportkulturen ersetzen Selbst­ver­sorgungs­land­wirt­schaft), Erpressung auf dem Weltmarkt der A-Länder (terms of trade, Produktivitätsunterschiede, Kreditfalle), Ausblutung, Verelendung, verstärkte Repression, Bürgerkriege rivalisierender Cliquen, Einmischung der Grossmächte, Militärdiktatur, Folter, Massaker, Deporationen, Hungersnöte ...

Der C-Deal ist ein schwacher Deal, die C-Arbeiter haben eine schwache Position und darum ist Gewalt ein lohnendes Mittel der Kontrolle. Genauso wie die ersten Fabrikarbeiter mit Gewalt von der Strasse geholt wurden, werden heute die C-Länder mit Gewalt zu stabilen Zahnrädchen der PAM geformt. Die herrschenden Eliten haben den Auftrag, funktionsfähige Zentralstaaten aufzubauen und mit stammesbezogenen, traditionalistischen, autonomistischen oder «reaktionären» Widerständen aufzu­räumen. Sie sollen aus den unsinnigen Territorien, die sie von den Kolonialmächten übernommen haben, Nationalstaaten bilden. Für diese «Bereinigungen» sterben heute Millionen und werden andere Millionen als Flüchtlinge vertrieben.

Die Maschine hat begriffen, dass die nationale Unabhängigkeit ein weit besseres Mittel ist, sich durchzusetzen als die alte Kolonialverwaltung. Nur unter der Maske einheimischer, von der Maschine ausgebildeter Eliten, konnten die traditionellen Strukturen wirkungsvoll zerschlagen werden. Nur so konnten die C-Arbeiter getäuscht werden, weil sie meinten, die Entwicklung geschehe in ihrem Namen und für sie. Auch die sozialistischen Abkopplungsstrategien dienen nur dazu, C-Länder für einen umso profitableren «Wiedereintritt» in den ausbeuterischen Weltmarkt vorzubereiten. (Was dabei vor allem «abgekoppelt» wird, sind die Kontakte der Carbeiter mit Arbeitern und Erfahrungen in anderen Weltgegenden. So können sie in Ruhe und völlig schutzlos «modernisiert» werden - Lager, Gulags, Massengräber werden dann erst von den Historikern entdeckt.)

Die C-Arbeiter befinden sich in einer entnervenden, «unmöglichen» Lage: sie geben das Alte (Familie, Dorf, Stamm) auf, bekommen aber vom Neuen keine ausreichenden Mittel. Auf die Geldwirtschaft können sie sich nicht verlassen und fallen daher immer wieder auf die Familie zurück, die aber gerade wegen ihres Weggehens völlig geschwächt ist. Der Staat vermag keine sozialen Garantien zu gewähren, zieht aber doch Steuern ein und ruiniert mit Mammutprojekten die Lebensgrundlagen. Die C-Arbeiter fliehen in die Städte und enden dort in den Slums. Sie hören von neuen Konsumgütern, vom A- und Bdeal, und können sie doch nicht bekommen. In die Dörfer können sie nicht zurück, weil dort die Selbstversorgungswirtschaft zerfallen ist und die traditionelle Kultur verschwunden, sodass sie keine Alternative zur propagierten Konsumkultur mehr darstellt. Die Leistung der C-Arbeiter mag niedrig sein, doch sind sie trotzdem profitabel, da die Familie (die Frauen) sie gratis herstellen und sie jederzeit weggeschickt werden können. Sie verursachen keine «Neben­kosten» wie die B- und A-Arbeiter.

Die C-Arbeiter stehen sozusagen im Nichts. Das ist auch ein relativer Vorteil des C-Deals: Bindungen an Arbeitgeber und den Staat sind nur locker, es gibt keine Abhängigkeiten durch langfristige Garantien, jede sich bietende Gelegenheit kann sofort ausgenützt werden. Es gibt noch Reste der alten Jäger- und Sammler-Freiheit. Die Möglichkeiten, sich in Familien und Dörfer zurückzuziehen sind trotz deren Zerfall immer noch besser als in A- oder B-Ländern. C-Arbeiter können sich der Maschine leichter entziehen und sie leichter sabotieren, trotz des hohen Repressions­risikos. Veränderungen sind mit weniger Schwierigkeiten verbun­den als bei den A- und B-Arbeitern. Sogar die Rückkehr zu einer nicht-wirtschaftlichen Lebensweise ist leichter möglich. Die gleiche Freiheit ist aber auch der Zwang, sich Tag für Tag durchzuwursteln und nie zu wissen, woher die nächste Mahlzeit kommt. Kriminelle Banden, Contra-Guerillas, politische Cliquen können dies ausnützen und billige Söldner, Schieber und Provokateure rekrutieren. Aber auch der Spielraum für gewaltsame Aktionen der C-Arbeiter selbst ist grösser...

Auch für die C-Arbeiter wird die westliche Konsumgesellschaft trotz allgegenwärtiger Propaganda zu einem durchschaubaren Trugbild. Bestenfalls kommt sie für die herrschenden Cliquen als Belohnung für ihre Dienste für die PAM in Frage. Die C-Arbeiter weigern sich immer deutlicher, den «vorgeschriebenen Entwick­lungs­weg» vom C- zum B- und zum A-Deal zurücklegen und unterwegs zu verhungern. Die PAM braucht den C-Deal und wird ihn als solchen erhalten. (Und sei es nur, um die A- und Barbeiter einzuschüchtern. Der C-Deal ist als «neue Armut» auchbei uns im Vormarsch.) Trotz aller Faszination durch Kosumgüter ist es ihnen nicht verborgen geblieben, dass auch die A-Arbeiter ihr eigenes Elend erleiden. Jeder Deal hat sein eigenes Elend und seine eigenen Gründe, gege die Maschine zu rebellieren. Doch nur zusammen werden sie es schaffen. Die C-Arbeiter können also nicht in ihre Dörfer zurückkehren, bevor nicht auch die A- und B-Arbeiter ihre «Dörfer» wieder entdeckt und neu belebt haben, sonst sind sie die doppelt Betrogenen.

Der Bankrott der Realpolitik

Die Geschichte der Maschine ist die Geschichte der Rebellionen, die sie niedergeschlagen, aufgefangen oder für sich selbst ausgenützt hat. Sie gleicht darin einem Jud o -Kämpfer, der die Angriffskraft seines Gegners für sich selbst einsetzt. Diesen Umgang der Maschine mit dem Widerstand nennen wir Politik oder Realpolitik. Es geht dabei um Prozesse, wie einzelne Deals neu definiert werden können, wie sie neu über die Weltgebiete verteilt werden usw. Es geht um die Modalitäten der Kontrolle durch die PAM. Es geht aber nie darum, die PAM zu zerbechen, das wäre nicht mehr «real». Die Realität ist zum vorneherein jene der Maschine.

Die Aufgabe der Reform-Realpolitiker besteht darin, Wider­stände zu erkennen, sie zu formulieren, sie in die «Maschinen­sprache» zu übersetzen, sich an die Spitze von rebellischen Bewegungen zu stellen und sie in «konstruktive» Beiträge zur Weiterentwicklung der Maschine umzusetzen. Die Maschine besitzt zu diesem Zweck einen politischen Apparat, ein System von Verhandlungsorganen, das Vertretungsprinzip, also Parteien, Parlamente, Medien, Wahlen, Abstimmungen. All das bewegt sich im Rahmen des Mechanismus der Maschine: zentrale Entscheidung, lokale Ausführung, Anonymität, individuelle Isolation usw. Eine gute Realpolitik ist jene, bei der sich das vereinzelte Individuum verstanden und vertreten fühlt. Mit immer wieder neuen Vorschlägen, Utopien, Reformideen, soll es an diese Politik gebunden werden und «inzwischen» seine Energie für die Maschine verausgaben. Und dann ist das Leben plötzlich vorbei und die Maschine ist noch raffinierter, bedrückender und stärker geworden.

Die Realpolitiker schlagen uns vor, die Mechanismen der Maschine auszunützen, um sie menschlicher, lebensfreundlicher und friedlicher zu machen. Gerade Elend, Frustration und Enttäuschung sollen Triebfedern für das Engagement in der Reformpolitik werden. Die besten Vorschläge unserer realpolitischen Freunde tönen gar nicht so schlecht

  • 20-Stundenwoche und Verteilung der Arbeit auf alle

  • existenzsichernder, garantierter Minimallohn für alle

  • dezentrale Selbstverwaltung und Selbsthilfe in Quartieren

  • Schaffung eines «autonomen» Sektors mit unrentabler Kleinproduktion

  • Investitionen in mittlere, angepasste Technologien (auch für die Dritte Welt)

  • Einschränkung des Privatverkehrs, Förderung des öffentlichen Verkehrs (Energiesparen, Umweltschutz)

  • Energiesparen, Wärmeisolation, alternative Energieversorgung

  • weniger tierische Proteine (dafür Bekämpfung des Hungers in der Dritten Welt) -allgemeine Abrüstung

  • öffentliche, unentgeltliche Gesundheitsversorgung

  • usw.

Solche Reformvorschläge und andere mehr machen ungefähr das offizielle oder inoffizielle Programm der neuen grün-bunt-alternativ-sozial-pazifistischen Bewegungen und Parteien aus. Es handelt sich dabei um staatliche Massnahmen gegen den von allen verspürten Zerfall der Lebensqualität. Die Maschine soll so mit einer Neueinstellung auf die Rebellionen gegen Atomkraftwerke, Naturzerstörung und die Unwirtlichkeit der Städte reagieren. Solche Reformen sprengen den Rahmen der Maschine nicht, mögen sie noch so utopisch erscheinen. Sie bereiten vielmehr einen neuen, ökologisch/mikroelektronischen Entwicklungsschub vor, einen A-Deal. Man kann uns in 20 Stunden genauso kaputt machen wie vorher in 40. Der «autonome» Sektor würde lediglich eine Ergänzung des weiter bestehenden heteronomen, gross­technischen Hauptsektors. Er wäre höchstens ein Niedriglohngebiet, ein C-Deal, innerhalb der A-Regionen und würde der Reparatur und Erholung derjenigen dienen, die vom A-Deal ausgepresst worden sind. Die Abhängigkeit vom Staatsapparat würde nur noch zunehmen. Die Realpolitik mag zwar «real» sein, aber sie führt letztlich nur im Kreis herum.

Die sozialistische Reformpolitik hat schon überall in der Sackgasse geendet und ihre grün-alternative Variante ist auf dem besten Weg dorthin. Das Scheitern der sozialistischen Parteien ist deutlich bis zum Überdruss. Kaum gelangen sie an die «Macht» (z.B. Frankreich, Spanien, Griechenland, Portugal, Bolivien usw.) verwickeln sie sich im Gestrüpp der «wirtschaftlichen Sachzwänge» und es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als die Spar- und Rationalisierungsprogramme der Rechten gegen die Arbeiter durchzusetzen. Statt Giscard schickt Mitterrand die Polizei gegen demonstrierende Arbeiter; gewechselt hat nur die Etikette, nicht der Inhalt. Letztlich ist die Linke nur die bessere Polizei im Dienste der «Gesundung der Wirtschaft». Und auch die «neuen sozialen Bewegungen» und ihre Vertreter müssen beweisen, dass ihre Politik mehr Arbeitsplätze schafft, Investitionen auslöst, die Produktivität verbesserte - also der Erneuerung der Maschine dient. Die Realpolitiker verrichten gratis die Hausaufgaben der ArbeitsMaschine.

Nach jeder reformpolitischen Runde wird die Resignation und Apathie tiefer und wird es schwieriger, uns für einen neuen Anlauf zu gewinnen. Nicht nur erreicht diese Politik nichts, sie raubt uns auch noch unsere Energien und zerstört die Widerstands-Bewegungen. Die Arbeits-Maschine ist planetar und jede nationale Reformpolitik kann ihr nichts anhaben und vertieft höchstens die internationalen Spaltungen. Sie ist ein Teil des Spiels der PAM.

Der Bankrott der reformistischen Realpolitik zeigt sich heute darin, dass die zynischsten Vertreter der Wirtschaftslogik den linken Reformern vorgezogen werden. Die enttäuschten A-Arbeiter wählen lieber die dümmsten neokonservativen Maschinenfunktionäre vom Typ Reagans, Kohls oder Thatchers. Von ihnen erwarten man sich nicht einmal die Lösung der drigendsten Probleme wie: Arbeitslosigkeit, neue Armut, Umweltzerstörung, Rüstungswettlauf oder Hunger. Sie werden nicht gewählt, um Probleme zu lösen, sondern um uns in «Ruhe» zu lassen. Wenn wir schon die Maschine erdulden müssen, dann lieber richtig. Warum nicht noch wenigstens ein paar Jahre lang die positiven Seiten des jeweiligen nationalen oder persönlichen Deals geniessen, statt sich um eine Zukunft zu sorgen, die man doch nicht bestimmen kann? Mit Reagan oder Kohl braucht keiner an die Maschine zu glauben und sich für ihre Verbesserung einzusetzen. Mit ihnen zusammen kann man tapfer lächeln und die Zweifel vergessen. Die Arbeits-Maschine verträgt ohnehin jetzt gerade Zweifel schlecht und mit den Rechtspolitikern bequemt sie sich vielleicht noch einmal zu einem kleinen «Aufschwung» in der allgemeinen Talfahrt. Das ist nicht viel, aber immer noch mehr als die Linken zu bieten haben. Und man kann sich Aufregung und Gewissensbisse sparen.

Die Schattenwirklichkeit

Die Arbeits-Maschine hat die Welt für ihre Zwecke umgestaltet, sie hat uns selbst kolonisiert, bestimmt unsere Wünsche und raubt uns sogar mit der Realpolitik unseren Widerstand. Was bleibt uns noch? Warum sind wir nicht zufrieden? Was haben wir ihr an Eigenheiten noch entgegenzusetzen? Sind wir schon ein Teil von ihr geworden und werden wir ohne Bedauern mit ihr zusammen untergehen? Welchen Reichtum verteidigen wir gegen die Maschine und welche Reichtümer wollen wir durch ihre Demontage erwerben?

Die Entwicklung der Maschine ist die Geschichte der Zerstörung von Reichtum. Schon früh nahm sie uns die Zeit. Dann die Bewegungsfreiheit. Sie unterdrückte die Vielfalt der möglichen Geschichten und erzwang eine Weltgeschichte. Die Schrift zerstörte die mündlichen Epen, die zehntausende von Versen umfassten. (Es ist eine Lüge zu behaupten, die Schrift sei nötig wegen unseres beschränktes Gedächtnisses - wir haben es wegen ihr verloren.) Die Schamanen waren nutzlose Psychopathen. Sprachliche Vielfalt ist eine Hemmnis für die «Kommunikation». (In Wahrheit für die Befehlserteilung.) Die Maschine hat verdrängt, was wir waren, leugnet, was wir sind und will verhindern, was wir werden könnten. Ihr wichtigster Trumpf gegenüber uns ist unsere Hoffnung, die anderen Geschichten, die Schattenwirklichkeit, noch einmal realisieren zu können. Sonst hätten wir uns alle schon umgebracht.

Die einzige Chance, die wir gegen die Maschine haben, besteht darin, unsere Wünsche und Phantasien zu entdecken und auf ihnen zu beharren. Wir können sie entdecken in jenen «unausgefüllten» Augenblicken, wo die Maschine uns nicht im Griff hat, dann, wenn uns Ekel, Überdruss, Leere, befallen. Wir finden sie in dem, was die Maschine verdrängt und vernichtet hat. Wir können sie aus der Maschine selbst, im Negativ und verzerrt, herauslesen. Was die Maschine zerstört hat, hinterlässt Spuren in ihr. Es gibt eine zweite Wirklichkeit, genauso real wie die erste, die unsere Träume und Sehnsüchte enthält.

Die Maschine hat eine «Kultur» und ihr Zweck besteht gerade darin, diese zweite Wirklichkeit einzudämmen und abzutöten. Sie wird in Pakete abgefüllt und als Romane, Filme, Schallplatten, Kassetten verteilt und verkauft. Roman und Leben dürfen sich nicht vermischen. Romantiker und Realisten haben verteilte Rollen. Wir werden überschwemmt mit Utopien, Träumen, andern Welten, Abenteuern, seltsamen Zivilisationen, exotischen Riten, mit allem Denkbaren und Vorstellbaren. Jeder Versuch, selbst Wünsche zu formulieren, ist dem gegenüber lächerlich und überflüssig. Die Kultur der Maschine ist so kreativ, radikal, phantasievoll und vielfältig, wie wir es nur wünschen können. Wichtig ist die Wand, die sie vom Maschinen-Alltag trennt. Und die Vielfalt ist beliebig, anonym, gehört keinem und allen. Die Traumindustrie der Maschine läuft sich tot und betäubt uns.

Unsere Wünsche werden nicht nur verdrängt und eingesperrt, sie werden auch auf vielfache Weise zensiert: religiös, moralisch, wissenschaftlich. Ein häufiger moralischer Vorwurf ist jener des Egoismus. Reformpolitiker reden uns immer wieder ein, dass wir nicht einfach an uns denken dürfen, sondern für unsere Kinder eine bessere Welt schaffen müssten. Mit diesem Argument kann jede Art von Verzicht, Einschränkung und Unterwerfung gerechtfertigt werden. Wir sollen nicht an die Gegenwart denken, hart arbeiten, damit die Verhältnisse in 20 oder 30 Jahren besser sind. Das ist eine seltsame Logik. Sind es nicht gerade die Opfer unserer Elterngeneration, ihre harte Arbeit in den 50er und 60er Jahren, die uns das heutige Schlamassel beschert haben? Wir sind ja gerade jene Kinder, für die solche Opfer gebracht wurden. Zwei Kriege, Krise, Faschismus, Atombombe: das haben unsere Eltern «auf sich genommen». Hätten sie es doch bleiben lassen, wären sie doch egoistischer gewesen! Verzicht bringt nie eine Lösung, sondern führt nur wieder zu neuem Verzicht. Er endet in Verbitterung und zementiert den Kreislauf des Elends. Die «Kinder» werden so als Vorwand benutzt, unsere eigenen Probleme vor uns herzuschieben. Doch sicher: wenn es uns gelingt, die Maschine für uns zu demontieren, dann tun wir das auch «für» sie.

Ähnliches gilt in Bezug auf die Dritte Welt. Millionen Menschen verhungern, während wir verwöhnten Wirtschaftswunderkinder neue Wunschlisten aufstellen. Wie gerne hätten sie unsere Sorgen! Haben wir überhaupt ein Recht auf Wünsche, wo wir doch Komplizen der Ausbeutung der Dritten Welt sind? Sollten wir nicht zuerst unsere Schuld abtragen? Einige von uns sterben allerdings an Drogen, verüben Selbstmord oder werden psychisch krank. Zählt unser Elend nicht? Wie kann man messen, welches Elend grösser ist? Und vor allem: nützt unsere moralische Zerknirschung den Unterdrückten und Armen? Nein, gerade wenn wir nur handeln, weil es andern schlechter geht oder um das «Schlimmste» zu verhüten, werden wir das Schlimmste immer wieder herbeiführen. Wir werden immer nur auf den Druck der Maschine reagieren und ihren Initiativen ausgeliefert sein. Es ist nicht möglich, «zuerst» den C-Deal zu zerbrechen, weil er der «Schlimmste» ist und «nachher» die andern Deals anzugreifen. Entweder zerbrechen wir zusammen das ganze Spiel der Deals oder alle werden bestehen bleiben. Wenn wir nicht zu unserem A-Elend stehen und unsere Wünsche gegen die Maschine mobilisieren, dann stärken wir die Maschine und am meisten leiden darunter die C-Arbeiter.

Nachdem Kultur, Moral und Schuldgefühle nicht mehr genügen, um unsere Wünsche zu unterdrücken, hat die Maschine zu ihrem letzten Trick Zuflucht genommen: zur Erpressung mit der Apokalypse, dem atomaren Weltkrieg. Sie sagt uns: entweder ihr spurt oder ich begehe Selbstmord. Wenn Euch das Spiel nicht passt, sprenge ich Euch mit mir zusammen in die Luft. Die Maschine hat tatsächlich ausser ihrem Fortbestehen keinen Sinn zu verlieren. Es fällt ihr leicht, sich umzubringen. Und so funktioniert die Erpressung mit dem Atomkrieg. Welt­unter­gangs­propheten flehen uns an, Alltagsprobleme zu vergessen, unsere Wünsche zu unterdrücken, denn die Menschheit als ganze stehe auf dem Spiel, die Art Homo Sapiens, die Natur usw. Der Friede wird ein Argument der Unterwerfung. Wir tun allerdings nichts gegen die apokalyptische Erpressung, wenn wir dagegen protestieren. Eher haben wir eine Chance, wenn wir der Maschine beweisen können, dass sich diese Erpressung nicht lohnt und dass wir nicht bereit sind, darauf einzugehen.

Was wir auch tun, die Tatsache bleibt bestehen, dass die Maschine sich und uns auslöschen kann. Die Flucht nach vorn ist tatsächlich dort angelangt, wo sie logischerweise enden musste: beim Tod. Die Maschine ist an einer Grenze angelangt und stellt uns die Frage: alles oder nichts? Eine Frage, auf die sie von uns keine Antwort bekommen wird. Das «Nichts» braucht uns durchaus nicht zu erschrecken. Wir sind mit dem Tod konfrontiert, ob es die Maschine nun gibt oder nicht. Und er wird dadurch nicht schrecklicher, dass ihn alle im gleichen Augenblick erleben, denn jeder stirbt für sich und nur ein Mal. Das «Nichts» ist heute eine Lebensweise unter anderen. Sie hat ihre eigene Philosophie (Nihilismus, Schopenhauer, Cioran, Buddhismus), ihre Mode (schwarz, karg), ihre Musik, ihre Treffpunkte, Filme usw. Wir können auch für die Apokalypse sein. Es gibt gute Argumente für Pessimisten, Zyniker, Nihilisten. Sie sind die eigentlich Grosszügigen, Freien und Glücklichen, weil sie den Lebenszwang hinter sich gelassen haben. Das Leben ist ohne den Tod nicht auszuhalten, die Welt ohne Weltuntergang ein Alptraum. Alles muss ein Ende haben und die Zeit läuft einmal aus. Doch solange wir da sind, ist das kein Grund, die Erpressung der Maschine anzunehmen.

Substruktion

Wie kann sich die Schattenwirklichkeit gegen die Maschine durchsetzen? Wie können wir die Maschine lähmen, demontieren und gleichzeitig eine neue Wirklichkeit schaffen? Wie müssen Kämpfe beschaffen sein, die nicht einfach wieder zu Antriebskräften der Maschine selbst werden? Ihren negativen Aspekt können wir als Subversion bezeichnen. Das bedeutet, dass wir die Maschine von innen heraus zerstören. Subversion allein fällt jedoch immer wieder in sich zusammen, wenn nicht zugleich die neuen Lebensformen praktisch entwickelt werden. Der Raum, den die Subversion schafft, muss von unseren Konstruktionen sofort besetzt werden. Zerstörung und Kreativität müssen im selben Prozess vereinigt werden, den wir Substruktion nennen können. Wo die Wirklichkeit der Maschine zerbricht, muss die Schattenwirklichkeit durchschlüpfen.

Was die Subversion betrifft, so können wir aus den reichen Erfahrungen der Kämpfe gegen die Maschine schöpfen. Jede Funktion, jeder Arbeitertyp, jeder Weltteil, hat besondere Subversionsformen. Ein planetares Subversions-Menu sähe dann etwa so aus:

A.) Dysinformation: Sabotage (Hardware oder Programme), Maschinenzeitdiebstahl (Spiele, eigene Interessen), absichtliche Fehlplanung, Konstruktionsfehler, Indiskretionen (z.B. Ellsberg, der den Watergate-Skandal auslöste), Absprünge (Wissen­schaftler, Beamte, Manager), Verrat, Verweigerung der Selektion oder Überwachung (Lehrer, Offiziere), Missmanagement, ideo­logische Dissidenz, Fälschungen usw. Die unmittelbare Wirkung kann Sekunden oder Jahre betragen.

B.) Dysproduktion: Leistungszurückhaltung, Qualitätssabotage, Maschinensabotage, Krankfeiern, Diebstahl von Material oder Werkzeugen, Benutzung von Anlagen für eigene Zwecke, Streiks, Arbeitsplatzwechsel, Betriebsversammlungen, Besetzungen, Arbeit nach Vorschrift (z.B. die polnischen Arbeiter und ihre «Schildkrötenstreiks»). Unmittelbare Wirkung: Wochen, Monate.

C.) Ehestreitigkeiten, Scheidungen, Flucht, Gewaltakte, Kra­walle, Plünderungen, Strassenblockaden, Haus- und Land­be­setzungen, Brandstiftungen, Gebärstreik (oder Abtreibungen), Guerillaaktionen usw. (z.B. Sao Paolo Miami, Soweto, El Salvador, Amsterdam/Berlin/Zürich/Brixton) Wirkung kurzfristig: Stunden, Tage (pro «Vorkommnis»).

All diese Aktionsformen umfassen destruktive und konstruktive Elemente. A-Sabotage kann ein Programm zerstören; gestohlene Computer oder Programme können wir vielleicht für uns selber konstruktiv benützen. In besetzten Fabriken können gratis Produkte hergestellt werden. Brandstiftungen richten Schaden an, während Plünderungen der Versorgung dienen.

Natürlich haben alle oben aufgezählten Aktionen langfristige Auswirkungen, die über die unmittelbare Dauer ihres Einwirkens hinaus gehen. Jede dieser Subversionsformen kann der Maschine schaden und sie vielleicht vorübergehend erschüttern. Doch jeder Subversionstyp kann neutralisiert werden, wenn die anderen beiden Funktionen weiter bestehen. Ihre Wirkungsweise ist je verschieden, nach Ort und Zeitdauer. Wenn z.B. die Produktion weiter funktioniert, können Schäden, die durch Dysruption entstanden sind, sofort wieder behoben werden. Die Bautrupps rollen an und räumen auf, Scheiben werden ersetzt, Elektrizitätsmasten wieder aufgerichtet, neue Autos produziert. Die Maschine hat sich gegen Dysruption mit Versicherungen, Polizei usw. abgesichert. Umgekehrt sind Streiks schnell niedergeschlagen, wenn keine Strassenblockaden die Streikbrecher oder Polizisten am Anrücken hindern. Ein A-Dissidenter kann noch so viele Programme klauen, es nützt ihm nichts, wenn nicht jemand sie für konkrete Dysruption oder Dysproduktion benützt.

Isolierte Subversionsaktionen sind nicht nur machtlos, die Maschine kann solche Kämpfe geradezu gegeneinander ausspielen, indem sie versucht, sie nach Ort und Zeit zu staffeln. Die B-Arbeiter, die gerade einen Streik mit mässigem Erfolg abgeschlossen haben, fluchen dann z.B. über arbeitslose C-Randalierer, die sie mit einer Strassenblockade daran hindern, wieder pünktlich zur Arbeit zu kommen. Den C-Randalierern geht es vielleicht darum, gegen den Pendlerverkehr zu demonstrieren, der das Leben in ihrem Quartier kaputt macht. Die B-Arbeiter wohnen aber ausserhalb. Oder eine Rüstungsfirma macht Konkurs und muss Arbeiter entlassen, weil A-Arbeiter absichtlich Fehler in die Steuerungsprogramme eingebaut haben. Die Entlassenen demonstrieren dann für ihre Arbeitsplätze ... usw. usf. Die Maschine lässt die Einzelkämpfe der drei Sektoren ins Leere laufen, indem sie richtig dosiert Konzessionen macht oder «überraschend» hart bleibt.

Die partiellen Rebellionen sind das Kontrollmittel und Fieberthermometer der Maschine. Sie zwingen die einzelnen Maschinenfunktionäre zu Phantasie und Dynamik. Sie geben wertvolle Aufschlüsse über Schwachstellen der Maschine, über die Stimmung der Arbeiter und helfen der Maschine, ihren Mechanismus neu einzustellen. Nötigenfalls provoziert sie sogar Konflikte, um herauszufinden, wo sie ihre Kontrolle verbessern muss. Obwohl die Maschinenpolitiker «Ruhe und Ordnung» propagieren, brauchen sie in Wahrheit den permanenten, kontrollierten Konflikt, um ihre Herrschaft zu erhalten.

Dysko

Dysinformation, Dysproduktion und Dysruption müssen kombiniert und multipliziert werden, damit eine für die Maschine kritische oder tödliche Situation entstehen kann. Die Trennung zwischen den drei Funktionen und den jeweiligen Arbeitern muss überwunden werden, damit eine solche Gegen-Konjunktur zustande kommt. Es muss also eine Kommunikation hergestellt werden, die nicht im Sinn des Bauplans der Maschine ist, Dyskommunikation. Das Endspiel gegen die Maschine heisst also: ABC-Dysko.

Das Problem der Dyskommunikation ist selbstverständlich keine neue Entdeckung - es hat die Arbeitergeschichte seit langem beschäftigt. Klasseneinheit, Solidarität, Volksfront, Einheits­programm, Einheitspartei - so lauten etwa die historischen Lösungen. Diese Volksfrontpolitik ist heute aber nicht mehr möglich. Sie vermag es nicht, eine wirkliche Dyskommunikation herzustellen, weil sie «von aussen» kommt und immer bei einem Minimalprogramm endet, das in Reform-Realpolitik versandet. Parteien sind sehr verletzliche Gebilde, die leicht der Kontrolle entgleiten und schliesslich zu Statthaltern der Maschine werden. Parteien bringen die Beteiligten nicht wirklich zusammen und verändern sie dabei nicht. Sie bilden nur das zentralistisch/anonyme Muster der Maschine ab. Ähnliches gilt auch für jene Guerillabewegungen, die nichts mehr sind als bewaffnete Parteien. (Das bedeutet nicht, dass sich bewaffneter Kampf und Dyskommunikation ausschliessen - entscheidend ist jedoch die Dysko und nicht die Form der Subversion. Die «höchste» Kampfform ist die jeweils angepasste.)

Wo können echte ABC-Knoten entstehen? Kaum dort, wo die Arbeiter sich in ihren Maschinen-Funktionen gegenüber treten, also am Arbeitsplatz, im Supermarkt, im Haushalt. Die Betriebsorganisation beruht auf Spaltung und die Gewerkschaften spiegeln diese mit ihrer Branchen- und Berufseinteilung auch nur wieder ab. Einheitsgewerkschaften wiederum stellen einen minimalen Zusammenhang nur indirekt und zentralistisch her und verfallen der Parteilogik. Die Funktionäre, nicht aber die Mitglieder, treffen zusammen. Die wirtschaftlichen Interessen sind eine zweischneidige Motivation zur Organisation: sie sind von der Maschine so definiert, dass sie genauso spalten wie vereinigen. Der Betrieb sperrt die Arbeiter ein, isoliert sie und der Geräuschpegel (akustisch, sprachlich, kulturell) ist äusserst hoch. ABC-Dyskos können heute kaum mehr im direkt wirtschaftlichen Kernbereich der Maschine entstehen. Die alten Arbeiterkämpfe haben der Maschine zuviele gute Lektionen darüber erteilt, wie man Solidarität am Arbeitsplatz verhindert. Sie kann vielleicht wieder entstehen, aber nur über einen «Umweg».

Es gibt Lebensbereiche - für die Maschine Randbereiche - wo die ABC-Dysko leichter entstehen kann. Nicht alles lässt sich von der Maschine ganz reduzieren und in Waren verwandeln: Religion, Sprache, Natur, Sexualität, Gefühle, Spleens, Flipps, mystische und irrationale Erfahrungen. Die rationale, digitale Kultur der Maschine kennt ihre Unzulänglichkeit in diesen Bereichen. Natürlich versucht sie, sie in den Griff zu bekommen, da sie festgestellt hat, dass sie wider Erwarten nicht einfach ausgerottet werden können. Religion wird zum Sektenbusiness, Naturschutz zum Geschäft der Öko-Industrie, Erotik zum Sex-Geschäft, Flipps zur Mode; für Gefühle gibts Psycho-Institute. «Irrationale» Bedürfnisse sind heute Material für eine Wachstumsbranche - doch die Maschine ist dort am «weichsten» und verletzlichsten, wo sie wächst. Die Reduktion zur Ware gelingt hier erst unvollständig und viele merken den plumpen Betrug. Ethnische und regionale Befreiungsbewegungen, Umweltschutzbewegungen, autonome Gesundheitsprojekte, neue Bewegungen in den Kirchen, homosexuelle Subkulturen, gegenkulturelle Strömungen, beruhen wohl auf diesem Unvermögen der Maschine. All diese Bewegungen haben kein wirtschaftliches Programm, sondern sie beruhen auf Identitäten (neu belebten oder neu geschaffenen), die jenseits der Wirtschaftslogik liegen. Und gerade im Rahmen solcher Bewegungen haben sich ABC-Knoten bilden können. Warum wurden heute die schon tot geglaubten Kirchen plötzlich zu Orten des Widerstands? Nicht weil die Leute wieder «religiös» werden, sondern weil es dort die Möglichkeit zu Begegnungen über die Funktionsgrenzen hinweg gibt. Intellektuelle, Arbeiter und Hausfrauen treffen sich so. Als Schwule kommen Offiziere, Chauffeure und Verkäufer zusammen. Als Indianer vereinigen sich Rechtsanwälte, Bergarbeiter und Kindergärtnerinnen. Arbeitslose, Beamte und Künstler können sich in einer Initiative gegen eine verkehrsreiche Strasse zum ersten Mal begegnen. Der substruktive Schwung solcher Bewegungen beruht auf diesen ABC-Begegnungen. Das erste, was die Maschine (bzw. ihre Politiker) daher versuchen, ist, diese Begegnungen durch Delegation abzublocken oder die einzelnen Komponenten gegeneinander aufzubringen. (Im Stile von: die und jene nützen Euch aus.) Das Begegnungsprinzip steht dem Abstimmungs- und Wahlprinzip diametral gegenüber. Beim ersten zählt der lebendige, persönliche Austausch, beim zweiten nur eine anonyme Aneinanderreihung gleichwertiger, monotoner Stimmen. (Ist denn jedes Ja oder Nein gleich ernst gemeint?) Wenn diese Scheinrealität sich durchsetzen konnte, zerfielen die Bewegungen rasch. Am Schluss bleiben noch einige A-Typen, die die historischen Leichen verwerten.

Die erwähnten «neuen» sozialen Bewegungen haben allerdings nur oberflächliche und kurzfristige ABC-Knoten zustand gebracht und mehr das Bedürfnis nach solchen ausgedrückt. Es handelte sich dabei hauptsächlich um DysinformationsBewegungen. Doch blosse gemeinsame Meinungen oder Ideologien genügen nicht, um so starke Barrieren wie Einkommen, Ausbildung oder gesellschaftliche Stellung zu neutralisieren. Die ABCTypen müssen dazu kommen, sich auch im Alltag zu kompromittieren und nicht nur in «künstlichen» Ausnahmesituationen (Demos, Blockaden, Versammlungen, Festivals). Eine gemeinsame kulturelle Identität müsste umschlagen in das Entstehen praktischer Keimformen von Schattenwirklichkeit. Wie das geschehen könnte, kann nur praktisch ausprobiert werden. Vielleicht sind Quartierzentren, Tauschmärkte, Clubs, Treffpunkte, Salons, Gemeinschaftsläden usw. solche ABC-Foyers oder könnten es werden. Formen gegenseitiger Hilfe, Ersatz von Geldbeziehungen, Austausch von Diensten, Partnerschaften zwischen Nachbarschaften und Bauern könnten aus solchen Dyskos entstehen. Oder sie könnten einen «Schattenplan» für einen Häuserblock oder ein Quartier auf­stellen, der die zukünften bolos skizziert.

Es wäre naiv, sich vorzustellen, aus solchen ABC-Foyers könnte ganz allmählich und friedlich die Schattenwirklichkeit herauswachsen. Die ABC-Dysko muss zugleich ein Laboratorium für neue Subversionsformen sein, denn die Maschine schaut uns nicht einfach zu, wie wir unsere «Alternativen» organisieren. Erfahrungen und Informationen aus allen drei Sektoren können durch ABC-Dysko kombiniert und zu neuen, überraschenden, verwirrenden Aktionsformen führen. Die Gesamtheit der Dyskos kann immer wieder neue, für die Maschine rätselhafte Konjunkturen herstellen. Selbst dem Hirn der Maschine sind nicht so viele Informationen zugleich zugänglich, weil sie das Denken über sich selbst gespalten halten muss (Ressortprinzip, Hierarchie der Verantwortungen). Wer je eine solche (vielleicht zufällig entstandene) Dysko erlebt hat, weiss, wie viele Mittel und Möglichkeiten sich plöltzlich auftun, gerade weil jeder Beteiligte eine völlig andere Herkunft hat.

Der strategische Hauptvorteil der Dysko-Knoten ist ihre Beweglickeit und die Fähigkeit, Überraschungen herzustellen. Für die Maschine ist ihr Entstehen und Verschwinden oft undurchschaubar. Ihr «politisches» Verhalten ist schwer vorherzusagen, im Gegensatz zu Parteien oder Gewerkschaften. Ihre Organisation ist nicht vertikal und daher nicht leicht zu «enthaupten» und zu «kaufen». ABC-Knoten bilden keine Pyramiden, sondern Geflechte, Geschwüre, also horizontale Kontaktnetze. Auch hier bilden sie schon die Strukturen der Beziehungen dezentraler, persönlicher Gemeinschaften ab, die die einzige Alternative zur Maschine darstellen. Überraschung und Undurchschaubarkeit ist heute im substruktiven Kampf gegen die Maschine lebensnotwendig. Wir müssen sie sozusagen in Sicherheit wiegen, damit ihre militärischen und selbst­mörderischen Instinkte nicht geweckt werden. Wir dürfen nicht in den Fehler verfallen, eine Gegenmaschine aufbauen zu wollen, die sie konkurrenziert. Wenn wir das tun, provozieren wir nur eine Vernichtungsschlacht, die wir sicher verlieren. Das ist eine Lehre, die wir aus leninistischen Strategien oder auch aus den Erfahrungen der Guerilla ziehen können (RAF, Rote Brigaden usw.). Gegenmaschinen können zwar sehr viel Schaden anrichten (Bomben, Tod von Maschinenfunktionären), aber sie schaffen keine neuen Begegnungen und bleiben rein subversiv. Wenn Gegenmaschinen je gewonnen haben (in Regionen, wo die Maschine sehr schwach ist), dann hat sich sofort ihr Maschinen-Charakter durchgesetzt und sind die Gegen-Qualitäten regelmässig untergegangen. Diese Erfahrungen haben auch die polnischen Arbeiter respektiert, die trotz ihres erdrückenden zahlenmässigen Übergewichts jeder Konfrontation mit Polizei oder Armee ausgewichen sind. Der Feind befindet sich ja nicht vor uns, sondern unter uns. Solange also Polizei und Armee noch bereit sind, auf uns zu schiessen, bedeutet das, dass die ABC-Dysko noch zu schwach ist, dass zu grosse Teile des Organismus der Maschine noch «gesund» sind, dass sich noch zu viele einen Sonder-Deal von der Maschine erhoffen. Das heisst nun sicher nicht, dass jede Form von bewaffneten Aktionen sich gegen uns richtet. ABC-Knoten könnten auch «verwirrende» gewaltsame Aktionen einsetzen ohne damit eine Gegenmaschine in Gang zu setzen. In der Tat macht die heute entstehende «diffuse» Guerilla der Maschine viel mehr zu schaffen als die gute alte «klassische» Stadtguerilla. Sie folgt nicht der Logik des grösseren Schadens, sondern jener der Herstellung neuer Beziehungen unter Personen. (Und das ist der wirklich «grössere Schaden» für die Zukunft der Maschine.) Substruktion ist eine Form der praktischen Meditation, die mit folgendem Yantra abgebildet werden kann:


Triko

Wenn es stimmt, dass die Arbeits-Maschine planetar ist, dann genügen auch rein lokale oder regionale Dyskos niemals, um sie unschädlich zu machen. Westen, Osten und Süden müssen von Anfang an und gleichzeitig beginnen, ihre Funktionen für die PAM zu unterlaufen und neue Konstruktionen keimen zu lassen. Es muss planetare ABC-Dysko-Knoten geben, Trikommunikation, als Triko. Triko ist also die Dysko zwischen ABC-Knoten in den drei Weltgegenden: westliche Industrieländer, sozialistische Länder, Dritte Welt. Es ist eine Art Super-Dysko.

Triko kommt nicht zustande, indem «Internationalen» von Funktionären gebildet werden, denn die Eröffnung eines Büros schafft noch keine qualitativ neuen Begegnungen. Es entstehen so nur Karikaturen von Gegenmaschinen. Kongresse und Konferenzen bleiben an der Oberfläche. Was wir brauchen, sind direkte, persönliche Beziehungen für ein gemeinsames Projekt.

Triko könnten z.b. entstehen, indem Nachbarschaften Kontakte zu Partnern in den drei Weltgegenden aufnehmen. Ein Triko wäre dann: Angelino Heights (Los Angeles)-Peredel-kino (Moskau)-Mutum Biyu (Nigeria), oder: Zürich/AussersihlDanzig/Nord-West-Vuma (Fidji). Solche Trikos entstehen vielleicht zuerst durch persönliche Bekanntschaften auf Reisen. Wenn es gelingt, Trikos einzufädeln, dann können die positiven Seiten der jeweiligen Deals gegen die Maschine kombiniert werden. Die Nischen, Frei- und Spielräume der A-, B- und C-Partner können sich so ergänzen und vergrössern. Informationen, Produktionsmittel und natürliche Ressourcen können ausgetauscht werden. ABC-Knoten in der Dritten Welt benötigen zuerst vielleicht Medikamente, Waffen, Lebensmittel oder andere dringende Güter, etwa zum Ausbau einer Infrastruktur (für Brunnen, Telephon, Landwirtschaft). Es geht dabei nicht einfach um Entwicklungshilfe, sondern um persönliche Kontakte und ein gemeinsames Projekt. Wenn die Dörfer in der Dritten Welt wieder lebenswert gemacht werden sollen, so brauchen wir die Erfahrungen, Traditionen und Techniken, die sie darin besitzen, zugleich dafür, um unsere Agglomerationen wieder in «Dörfer» (bolos) aufzulösen. Es geht um eine dreiseitige Wechselwirkung. Die Mechanismen der nationalen Aufspaltung und des Weltmarkts können so allmählich untergraben werden.

Die Trikos erlauben es den beteiligten ABC-Knoten auch, die Vorurteile und Illusionen, die sie einander gegenüber haben, zu durchschauen. Westliche Dyskos erfahren so einiges über den sozialistischen Alltag und schütteln sowohl antikommunistische wie offiziell-kommunistische Propagandalügen ab. Die östlichen Partner verlieren ihre Illusionen über den goldenen Westen und können sich leichter gegen die Indoktrination in ihren Ländern wehren. Dritt-Welt-Dyskos werden die Entwicklungs-Ideologie los und fallen weniger auf die sozialistische Demagogie der einheimischen Eliten herein. Die drei Deals kombinieren ihre Vorteile und mildern ihre Nachteile durch gegenseitige Hilfe, sowohl materielle wie kulturelle.

Nur ein wachsendes Geflecht solcher Trikos kann das Block-Spiel der Maschine allmählich zerfressen. Die Trikos bilden auch die Voraussetzungen für das Entstehen planetarer, geldloser Austauschbeziehungen, für das allgemeine Gastrecht (sila), für die Auflösung der Nationalstaaten und die Bildung autonomer Regionen (sumi). Die Trikos können die nationale Kriegsmaschinen von Innen heraus blockieren und sind somit die einzig wirksame Friedensbewegung, gerade weil es nicht um den «Frieden» geht, sondern um ein positives Projekt.

Wenn aber ABC-Dysko nur zur Angelegenheit einzelner Quartiere oder Weltgegenden wird, dann muss sie scheitern und wird nur zu einer neuen Antriebskraft der Maschine. bolos werden dann Problemlösungskonzepte für lokale Krisen oder Feriendörfer für reiche Touristen. Es nützt nichts, «global zu denken» und nur lokal zu handeln. Schattenpläne und Aktionen in einem einzelnen Quartier sind zwar gut und schön, doch ohne von Anfang an Trikos aufzubauen, versinken sie in Isolation und ersticken sie auch an kultureller Verarmung. Allen muss der Reichtum des ganzen Planeten zugänglich gemacht werden.

bolo'bolo -
Grundrisse für ein Projekt

 

Substruktion ist ein Prozess und ein Projekt in einem. Was die Maschine «ersetzen» wird, ist zugleich das, was sie auflöst. Vom konkreten Verlauf dieser Gegengeschichte hängt es also ab, welche «Utopie» dabei verwirklicht wird. Die Wünsche, die wir jetzt gegen die Maschine mobilisieren, werden sich dabei verändern. Unser Projekt ist also kein Programm, das nur noch ausgeführt werden müsste - es ist ein provisorischer Vorschlag, ein Ausgangspunkt. Trotz dieses «offenen Endes» ist es notwendig, dass wir uns jetzt schon darüber verständigen, wohin unsere Wünsche zielen und welche Grenzen wir für akzeptabel halten. Für diese Verständigung brauchen wir eine gemeinsame Sprache, eine Art Wunschgrammatik.

Einige Grundzüge eines Projekts lassen sich auf Grund des heutigen Stands der Diskussionen und Forschungen schon skizzieren. Es ist klar, dass wir kleinere, autonome, ja autarke Gemeinschaften aufbauen müssen, damit die Maschinen-Mechanismen Geld, Grossindustrie und Staat überflüssig werden. Andererseits ist es nicht mehr möglich, zum noch freieren Leben der Jäger und Sammlerinnen zurückzukehren, weil die natürlichen Grundlagen zerstört und wir zu zahlreich sind. Über die Grösse dieser Gemeinschaften (bolos), über ihre Beziehungen untereinander, über zusätzliche Organismen, über die Verwen­dung der Technologien usw. müssen wir uns unterhalten können. Diesem Zweck dient bolo'bolo.

An Vorstellungen über eine post-industrielle Gesellschaft fehlt es heute nicht mehr. Ausbruch des Wassermann-Zeitalters, Paradigmenwechsel, Quartärgesellschaft, Dualwirtschaft, Ökotopia, Dezentralisierung, Rhizom, Vernetzung, kleine Kreisläufe, Sanfte Technologie - so lauten einige Stichworte der zunehmenden alternativen und ökologischen Literatur. Es ist von epochaler Krise, grosser Wende, Endzeit, Neuem Zeitalter, die Rede. Die Ökologie liefert wertvolles Material über die Grenzen, die uns heute gesetzt sind. Es ist wichtig, sie zu kennen. Was aber fehlt, sind Ideen für die neuen Möglichkeiten, den neuen Reichtum, der sich uns auftut, wenn wir die Maschine hinter uns lassen. Und oft sind diese Alternativ-Theorien unvollständig oder naiv, wenn es um die Frage der Zerstörung der Maschine, um die Strategie, geht. Es fehlt auch die wirklich planetare Sicht; meist sind die Vorschläge nur partiell (Energie, Verkehr, Gesundheitswesen) oder betreffen nur die fortgeschrittenen Industriegesellschaften.

bolo'bolo ist der Versuch, ein planetares Projekt in einigen Grundzügen zu formulieren. Die konstruktiven Aspekte der substruktiven Bewegungen werden so zu einem zusammen­hängenden Bild verbunden. Es ist eine Momentaufnahme unserer (meiner?) augenblicklichen Wünsche und der heutigen Einschätzung der «technisch/biologischen» Grenzen. In vielen Punkten werden die Grenzen zu eng gesteckt sein, in anderen die Wünsche zu extravagant. Darum geht es nicht. Wichtig ist, dass eine Verständigung über ein gemeinsames, planetares Projekt gefördert wird. Die Zeit ist vorbei, wo wir uns in partiellen Diskussionen und lokalen Initiativen verzetteln dürfen. Wir leben nur 70 Jahre und Wünsche sind dazu da, noch in einer nahen Zukunft, sagen wir bis 1987, verwirklicht zu werden.

Fahrplan

Wenn alles gut geht, kann bolo'bolo bis Ende 1987 verwirklicht werden. Vielleicht dauert es auch ein paar Jahre länger, aber das wäre sehr schade. Für Verzögerungen sind nur wir selbst verantwortlich. Der folgende Fahrplan kann dazu dienen, unsere Fortschritte einzuschätzen:

1984
bolo'bolo-Broschüren, Plakate und Zeichen verbreiten sich weltweit in den wichtigsten Sprachen. ABC-Knoten entwickeln sich in Quartieren und Städten, Selbstversorgungskontakte werden geknüpft. Die ersten Trikos kommen zustande. Aus einigen Dyskos werden Pionier- und Experimental-bolos. In einigen Quartieren studieren Bewohner die Brauchbarkeit von Gebäuden für bolos, sadis usw. Schattenpläne werden angefertigt. Der Automobilverkehr wird überall eingeschränkt und Strassen werden blockiert. Die politische Maschine erleidet an vielen Orten Legitimationskrisen und kann die Kontrolle nur mühsam aufrecht erhalten. Polizei und Armee reagieren schwerfällig.

1985
Es bilden sich Triko- und Dysko-Netze, die immer mehr Alltagsaufgaben erfüllen: gegenseitige Hilfe in der Nahrungs­mittel­versorgung, planetare Patenschaften, Tauschbeziehungen mit Bauern oder Land-Dyskos. Es gibt heftige Auseinander­setzungen um Schattenpläne. Überall entstehen provisorische bolos, die untereinander Kontakte aufnehmen. Der Staat versucht, bolos zu zerstören, erleidet dabei aber Substruktions-Anfälle. Realpolitiker geben sich als Vertreter von bolo 'bolo aus, scheitern aber.

1986
Einzelne Gebiete entgleiten der Maschine, unter anderem in Wales, Schweden, Kolumbien, Estland, Wisconsin, der Schweiz, Nigeria, Sachsen, auf Mindanao und in Südafrika. In diesen Gebieten wird die Landwirtschaft auf Selbstversorgung umgestellt, werden Austauschverträge abgeschlossen und planetare Netzwerke aufgebaut. Gegen Ende des Jahres bildet sich ein planetares Leopardenfell von autonomen Regionen, bolo-Bündeln, Einzelbolos, Reststaaten, Maschinenfragmenten und militärischen «Wehrstädten». Allgemeine Wirren brechen aus. Die Maschine versucht, die bolos militärisch und wirtschaftlich zu zerschlagen und die Reststaaten von Dyskos zu säubern. Meist meutern die Truppen oder erfüllen sie ihre Aufträge nur andeutungsweise. Die beiden Supermächte geben ihr altes Blockspiel auf und schliessen sich zur USSAR (United Stable States and Republics) zusammen. Das erste Projekt der USSAR ist der Aufbau einer neuen, gereinigten Industriezone in Innerasien, Monomat.

1987
Die internationalen Transport- und Kommunikationssysteme brechen zusammen, der Welthandel versiegt. 200 autonome Regionen halten ihre erste planetare Zusammenkunft im nun friedlichen Beirut ab, um erste Schritte für ein weltweites Netzwerk einzuleiten. Planetare Unterstützungsprogramme für Regionen und bolos mit Übergangsschwierigkeiten werden in Gang gesetzt. USSAR kontrolliert nur noch Monomat und einige Dutzend Aussenposten. Seine Säuberungsexpeditionen verlaufen immer wieder ohne Wirkung. Im Herbst sind überall Selbstversorungsstrukturen eingerichtet, der Hunger und die Nationalstaaten sind verschwunden. Im Dezember fliehen die Monomat-Arbeiter in bolo-Gebiete. Einige USSAR-Generäle übernehmen freiwillig die Unschädlichmachung der Atomarsenale und organisieren die Bewachung der radioaktiven Depots. USSAR verschwindet ohne formelle Zeremonie und ohne die rot-weisse Flagge mit dem blauen Stern verbrannt zu haben.

1988-2346
bolo'bolo

2347
bolo'bolo verliert seinen Schwung, als die «Weissen» (eine kulturelle Seuche) sich ausbreiten und alle anderen bolo-Identitäten verdrängen. Es beginnt ein Zeitalter der Beschaulichkeit und des Chaos. Die Weltbevölkerung sinkt auf einige Millionen.

2764
Beginn von YOVUO. Alle Berichte über die Vorgeschichte (bis 2763) sind verloren gegangen. Tawhuac legt ein neues Band ein.


ibu

Eigentlich gibt es nur das ibu und sonst gar nichts. Doch das ibu ist unzuverlässig, paradox und pervers . Es gibt nur ein einziges ibu und trotzdem tut dieses so, als ob es mehr als vier Milliarden davon gebe. Das ibu weiss auch, dass es selbst die Welt und die Wirklichkeit erfunden hat und doch glaubt es fest daran, dass diese Einbildungen real sind. Das ibu hätte sich eine angenehme, problemlose Wirklichkeit erträumen können, aber es hat sich darauf versteift, sich eine elende, brutale, widersprüchliche Welt einzubilden. (1)

Es hat sich eine Wirklichkeit zusammengeträumt, in der es ständig von Konflikten, Katastrophen und Krisen geplagt wird. Es ist hin-und hergerissen zwischen Glücksrausch und Trübsal, zwischen Begeisterung und Enttäuschung, zwischen Ruhe und Nervosität. Es hat einen Körper, der jeden Tag 2000 Kalorien benötigt, schnell müde wird, friert, krank wird und es ungefähr alle 70 Jahre wieder aus ihm vertreibt. Lauter unsinnige Komplikationen.

Auch die Welt des ibu ist ein einziger Alptraum. Unnötige Gefahren halten es dauernd in Angst und Anstrengung. Dabei kann das ibu dem ganzen Spuk jederzeit ein Ende bereiten, indem es sich umbringt und verschwindet. Da es nur ein einziges ibu und nur sein von ihm erfundendes einziges Universum gibt, braucht es sich dabei weder um Hinterbliebene, trauernde Freunde, unbezahlte Rechnungen usw. zu sorgen. Sein eigener Tod ist absolut folgenlos. Mit ihm verschwinden für immer Natur, Menschen, Geschichte, Weltall, Logik, einfach alles. Das ibu plagt sich also absolut freiwillig, behauptet aber zugleich, es sei nur ein Teil der Wirklichkeit. Wozu der Selbstbetrug?

Offenbar ist das ibu in seinen masochistischen Foltertraum verliebt. Es hat ihn sogar wissenschaftlich abgesichert und gegen das Nichts abgedichtet. Es definiert Träume als irreal und so wird sein Alptraum der Traum von der Unwirklichkeit des Träumens. Das ibu hat sich selbst in die Wirklichkeitsfalle eingesperrt.

Naturgesetze, Logik, Mathematik, wirtschaftliche Sachzwänge und gesellschaftliche Verpflichtungen bilden die Grenzen der Wirklichkeitsfalle. Da das ibu beharrlich seine eigene Ohnmacht träumt, kommt die Macht von äusseren Instanzen, denen es Gehorsam schuldet: Gott, Leben, Staat, Moral, Fortschritt, Wohlfahrt, Zukunft, Produktivität. Auf Grund dieser Ansprüche erfindet es sich den «Sinn des Lebens», den es natürlich nie ganz erreichen kann. Es fühlt sich dauernd schuldig und wird so in einer unglücklichen Dauerspannung gehalten, in der es sich selbst und seine Macht über die Welt vergisst.

Um sich daran zu hindern, zu sich selbst zu kommen und die Traumhaftigkeit der Wirklichkeit zu durchschauen, hat sich das ibu auch die «andern» ausgedacht. Es bildet sich ein, diese künstlichen Wesen seien wie es selbst. Wie in einem absurden Theater tritt es mit ihnen in «Beziehung», liebt oder hasst es sie, fragt es sie sogar um Rat oder philosophische Erklärungen. Es flieht so vor seinem eigenen Bewusstsein und delegiert es an andere, um es los zu werden. Es macht sich diese anderen fassbar, indem es sie zu Institutionen formiert: Paar, Familie, Verein, Stamm, Club, Volk, Menschheit. Es erfindet sich die «Gesellschaft» und unterwirft sich ihren Gesetzen. Der Alptraum ist perfekt.

Nur wenn sich in seiner Traumwelt zufällig Risse auftun, ist das ibu bereit, sich mit sich selbst zu befassen. Doch statt mit seiner perversen Existenz Schluss zu machen, bemitleidet es sich und bleibt tot am Leben. Der verdrängte Selbstmord hat sich nach aussen in die «Wirklichkeit» verschoben und kehrt von dort als kollektiver Weltuntergang (Atomkrieg, Oekozid, Katastrophe) wieder zum ibu zurück. Da es zu schwach ist, sich selbst umzubringen, muss seine Wirklichkeit es für es tun.

Um sich weiter zu foltern, stellt sich das ibu wunderschöne Utopien, Luftschlösser, Paradiese, harmonische Welten vor, die es natürlich nie verwirklichen kann. Sie dienen lediglich dazu, es in seinem Alptraum festzuhalten, ihm Hoffnung zu machen und es allerlei politischen Unternehmungen, Revolutionen, Anstren­gun­gen und Märtyrien anzutreiben. Das ibu lässt sich mit Illusionen und Sehnsüchten immer wieder ködern. Es ist unbelehrbar. Es vergisst, dass alle Welten, alle Wirklichkeiten, alle Träume und es selbst unendlich langweilig und mühsam sind und dass die einzige Lösung darin besteht, sich sofort ins wohlige Nichts zurückziehen.


bolo

Das ibu ist immer noch da, was will es noch? Hofft es auf einen verbesserten Alptraum? Es ist immer noch allein, aber es glaubt, dass es seiner Einsamkeit entkommen kann, wenn es Übereinkünfte mit den «andern» vier Milliarden ibus abschliesst. Gibt es «sie» wirklich? Man kann nie sicher sein...

Also schliesst sich das ibu mit etwa 500 andern ibus zu einem bolo zusammen. Das bolo ist seine grundlegende Übereinkunft mit andern ibus, ein direkter, persönlicher Lebenszusammenhang. (2) Das bolo ersetzt die alte Übereinkunft, die wir Geld nennen. Im bolo und darum herum erhalten die ibus ihre täglichen 2000 Kalorien, Unterkunft, medizinische Betreuung, alles, was zum Überleben nötig ist und noch viel mehr.

In einem bolo wird das ibu geboren, verbringt es seine Kindheit, wird es gepflegt, wenn es krank ist, lernt es gewisse Dinge, werkelt es herum, wird es getröstet, wenn es traurig ist, kümmert es sich um die andern ibus, trödelt es herum, stirbt es. Kein ibu kann aus seinem bolo vertrieben werden. Hingegen darf es selbst sein bolo jederzeit verlassen und wieder dorthin zurückkehren. Das bolo ist das Heim des ibu auf dem Raumschiff Erde.

Kein ibu ist verpflichtet, in einem bolo zu wohnen. Es kann ganz allein bleiben, kleinere Gruppen bilden oder besondere Abkommen mit bolos schliessen. Es genügt, wenn ein grosser Teil der ibus in bolos leben, damit die Geldwirtschaft nicht mehr zurückkehren kann. Die fast vollständige Selbstversorgung der bolos garantiert ihre Unabhängigkeit. Damit sind sie der Kern einer neuen Form persönlichen, direkten gesellschaftlichen Austauschs. Die bolos sind notwendig, weil sonst die Geldwirtschaft von selbst wieder entsteht.

Ein bolo besteht aus seinen Wohn- und Werkstattgebäuden (sibi) und aus einem landwirtschaftlichen Grundstück (kodu), die zusammen seine Selbstversorgung garantieren. Die landwirtschaftliche Basis kann auch aus Weiden, Alpen, Fischgewässern, Jagdgründen, Palmenhainen, Algenkulturen, Sammelgebieten usw. bestehen, je nach geographischen Bedingungen. Das bolo ist weitgehend selbständig, was die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs, vor allem mit Lebensmitteln, betrifft. Es kann auch seine Gebäude und Maschinen selber unterhalten und reparieren. Damit es die Gastfreundschaft (sila) gewährleisten kann, muss es im Stande sein, zusätzlich 30 bis 50 Gäste oder Durchreisende mitzuversorgen.

Selbstversorung bedeutet keineswegs Isolation oder Verzicht. Die bolos sind im Gegenteil Zentren vielfältiger Beziehungen nach aussen. Sie schliessen Tauschabkommen mit andern bolos ab und gelangen dadurch zu einem grösseren Reichtum an Lebensmitteln oder Dienstleistungen (siehe: feno). Diese Zusammenarbeit kann bi- oder multilateral sein und wird nicht durch eine zentrale Organisation geplant. Die bolos können, gerade, weil sie selbständig sind, frei wählen, ob sie mehr oder weniger autark oder kooperativ sein wollen. Entscheidend ist dabei ihr Lebensstil (nima).

Die Grösse von bolos und die Zahl ihrer Mitglieder können überall auf der Welt etwa gleich sein . Seine Grundaufgaben und Verpflichtungen (sila) sind überall die gleichen. Aber ihre territorialen, architektonischen, organisatorischen, kulturellen Formen sind ganz verschieden. Genauso wie kein ibu wie das andere ist, gleicht kein bolo einem andern. Jedes ibu oder bolo kann seine eigene Identität haben (oder mehr oder weniger darauf verzichten). bolo'bolo ist also kein einheitliches System, sondern ein Flickenteppich kleiner Welten.

bolos brauchen nicht im leeren Raum aufgebaut zu werden - sie sind vielmehr der neue Gebrauch vorhandener Gebäude. In grösseren Städten kann ein bolo aus einem oder zwei Häusergevierten bestehen, aus einer Nachbarschaft, aus einigen zusammenhängenden Bauten. Lauben, Arkaden, Brücken, Überund Unterführungen können die Häuser verbinden. Das Erdgeschoss kann gemeinschaftlichen Nutzungen vorbehalten werden, Mauern können durchbrochen werden, Strassen werden aufgehoben usw. Ein typisches Häusergeviert in einem älteren Stadtteil ergäbe dann etwa folgendes bolo:


Auf dem Land ist ein bolo ein kleines Dorf, eine Gruppe verstreuter Weiler oder Höfe (z.B. Appenzellerland), oder eine Talschaft. Ein bolo braucht architektonisch nicht zusammenhängend zu sein. Im Pazifik ist es eine grössere Koralleninsel oder setzt es sich aus einigen kleineren Atollen zusammen. In der Wüste ist es eine Nomadenroute ohne festen Ort: das bolo ist unterwegs und all seine Mitglieder treffen sich vielleicht nur ein- oder zweimal pro Jahr zu einem grossen Fest. Auf Flüssen oder Seen können bolos aus Wohnbooten bestehen. Im brasilianischen Dschungel entsprechen sie einem maloka. In Sibirien einer Jäger-Kooperative. Unter stillgelegten Autobahnen kann es «Schlangen»-bolos geben (mit Gärten auf dem «Dach»). Leere Fabrikgebäude, Schlachtschiffe, Paläste, Gefängnisse, Klöster, Höhlen, Museen, Zoos, Regierungsgebäude, Shopping-centers, Fussballstadien, Parkhäuser, Kasernen, können bolos beherbergen. bolos können sich überall einnisten - gemeinsam haben sie nur ungefähre Grösse und die Regeln der Gastfreundschaft (sila).

Einige mögliche Formen von bolos:



sila

Vom einzelnen ibu aus gesehen besteht die Aufgabe der bolos darin, sein Überleben zu sichern, sein Leben angenehm zu machen, ihm ein Heim zu geben oder es aufzunehmen, wenn es unterwegs ist. Die Abmachung zwischen den ibus und der Gesamtheit der bolos (bolo'bolo) heisst sila. Das ibu hat ja kein Geld (3) (und auch keinen Job!) und ist auch nicht verpflichtet, sich einem bolo anzuschliessen (eine solche Verpflichtung wäre ihr Tod). Und so pflegen die bolos eine allgemeine Gastfreundschaft (4) gegenüber allen ankommenden Einzel-ibus. Jedes bolo ist zugleich ein Hotel, jedes ibu ein möglicher (nicht zahlender) Gast. (Wir alle sind ohnehin nur Gäste auf diesem Planeten.)

sila umfasst also mindestens folgende Abmachungen:

taku Jedes ibu bekommt von seinem bolo einen Behälter aus solidem Material (50 x 50 x 100 cm), über dessen Inhalt es als sein exklusives Eigentum verfügen kann. (siehe unten)

yalu Jedes ibu bekommt in jedem bolo mindestens eine Tagesportion ortsüblicher Nahrung von 2000 Kalorien.

gano Jedes ibu erhält in jedem bolo Unterkunft während eines Tags.

bete Jedes ibu erhält überall die best mögliche medizinische Betreuung.

fasi Jedes ibu kann überallhin reisen, wo es will es gibt keine Grenzen, (siehe: sumi)

nima Jedes ibu kann seine Lebensweise, Kleidung, Sprache, sein Liebesleben, Religion, Philosophie, Ideologie usw. selber bestimmen, praktizieren und verbreiten wo und wie es will.

yaka Jedes ibu kann jedes andere ibu oder eine grössere Gruppe gemäss den Regeln zu einem Duell herausfordern.

nugo Jedes ibu kann von seinem bolo eine Kapsel mit einem tödlich wirkenden Gift erhalten und sich jederzeit umbringen. Es kann zu diesem Zweck auch Hilfe verlangen.

 

Solche Abmachungen hängen ganz davon ab, dass es überall viele bolos gibt, denn vereinzelte ibus wären nie in der Lage, sie sich gegenseitig zu gewährleisten (ausser, sie organisierten ihre wechselseitige Anonymität als Staat und gäben damit ihre Selbständigkeit ganz auf). Die bolos sind eine Art Kompromiss der ibus, um eine minimale Überlebensgarantie und Bewegungsfreiheit zu erhalten. Die bolos sind gross genug, um zu diesem Zwecke etwa 10% mehr Nahrung, Unterkunft, medizinische Dienst usw. bereit zu stellen, ohne dass es arbeitsmässig gross ins Gewicht fällt. Grössere Verbände (Quartiere, Städte) können den bolos einen Teil dieser Verpflichtungen abnehmen oder dann einspringen, wenn mehr als 10% Gäste auftauchen (das vor allem auch bei Festen, Stammestreffe usw.). Umgekehrt sollte ein bolo auch das Recht haben, Gäste abzuweisen, wenn es schon mehr als 10% zusätzliche Bewohner beherbergt. All das hängt sehr von den jeweils herrschenden Traditionen und dem Verhältnis zwischen Gastgebern und Gästen ab.

Von unserer heutigen Mentalität ausgehend fragen wir uns natürlich sofort: Warum sollten die bolos die Gastfreundschaft einhalten? Könnte das nicht ein Vorwand für Parasitismus und Ausbeutung durch herumziehende Nichtsnutze werden? (In der Tat machen heute viele traditionelle Gesellschaften mit den «alternativen» Touristen gerade diese Erfahrung.) Dieses Risiko würde bestehen, wenn bolo'bolo nicht planetar wäre. Gastfreundschaft wäre dann nicht Austausch unter bolos, sondern eine einseitige Beziehung. Doch jedes ibu in jedem bolo ist zugleich ein möglicher Gast und so hat jedes bolo ein «Interesse» daran, Gastfreundschaft nicht nur zu gewähren, sondern Gäst so grosszügig wie möglich zu empfangen. Es könnte immer noch sein, dass reisende Einzel-ibus ausschliesslich von der Gastfreundschaft sesshafter ibus lebten. Auch diese «Gefahr» ist gering, denn der nomadische Lebensstil hat auch seine Nachteile und Beschränkungen. Als Reisender kann man nie voll am inneren Leben eines bolos teilnehmen und muss man seine Lebensweise immer derjenigen der Gastgeber anpassen. Man hat kaum Einfluss auf die Entwicklung eines bolo, kann keine langfristigen Unternehmungen durchführen, muss menschliche Beziehungen immer wieder abbrechen. Schliesslich riskiert man es auch, auf eine Minimalration gesetzt zu werden. Andererseits können Reisende durchaus für die Gastgeber ein grosser Gewinn sein. Reisen kann sogar als eine Art «Arbeit» betrachtet werden, die man für sich und andere leistet. Reisende sorgen dafür, dass Neuigkeiten, Kenntnisse, Moden, Ideen, Geschichten, Produkte usw. zirkulieren. Reisen ist eine persönliche Form der Kommunikation, vor allem da sie nicht mehr unter Zeitdruck stattfinden. Die Gäste haben also ein «Interesse» daran, solche Kommunikationsarbeit zu leisten, weil sie dann auf eine grosszügigere Bewirtung rechnen können. Gastfreundschaft und Reisen sind ganz einfach eine Form gesellschaftlichen Lebens.

Und es wäre für Reiselustige wie bolos tödlich, wenn es behindert würde. Die bolos würden sich abschliessen, es entstünden Vorurteile und Ressentiments und damit das Risiko von kriegerischen Katastrophen. Gastfreundschaft ist auch eine Strategie zur Verhinderung von Staat und Krieg.

Ein gewisser Druck, die Gastfreundschaft zu beachten, wird auf die bolos auch durch munu, ihr Ansehen, ausgeübt. Die Erfahrungen, die Reisende bei einem bolo machen, sind nicht unwichtig, weil sie weit herum kommen und überall davon erzählen werden. Das so entstehende Ansehen eines bolo ist darum so wichtig für es, weil wechselseitige Abmachungen mit anderen bolos (feno) davon beeinflusst werden. Mit unfreundlichen, verschlossenen bolos wird man nicht gerne zu tun haben wollen. Da die anonyme Vermittlung (und Reduktion) durch das Geld wegfällt, werden Ruf und Ansehen wieder entscheidend. Geld stinkt nicht, aber Missachtung der Gastfreundschaft wird nie vergessen. Die bolos gleichen darin den alten Adelsgeschlechtern, für die die «Ehre» ein zentraler Begriff war. Ein bolo ist auch eine Burg ...


 

taku

Ein sehr merkwürdiger Bestandteil von sila ist taku, eine Truhe aus solidem Blech, die so aussieht:

Jedes ibu kann von seinem bolo ein taku beziehen. Über alles, was im taku Platz hat, kann das ibu nach eigenem Gutdünken verfügen - der Rest der Erdkugel wird gemeinsam benutzt.

Zu den Dingen, die sich im taku befinden, hat nur das dazu gehörende ibu Zugang und sonst gar niemand. Es kann hineintun, was es will. Es kann das taku überallhin mitnehmen und kein anderes ibu hat unter keinen Umständen das Recht, das taku zu inspizieren oder über seinen Inhalt Auskunft zu verlangen (auch bei Mord oder Diebstahl nicht). Das taku ist absolut unantastbar, heilig, tabu, sakrosankt, privat, exklusiv. Aber nur das taku. Das ibu kann darin schmutzige Wäsche aufbewahren oder Maschinengewehre (Django!!), Drogen oder alte Liebesbriefe, Schlangen oder ausgestopfte Mäuse, Brillanten oder Erdnüsse, Hifi-Anlagen oder Briefmarkensammlungen. Wir können nur raten. Solange es nicht stinkt oder lärmt (also über das taku hinaus wirkt), kann alles mögliche drin sein.

Weil das ibu möglicherweise sehr eigensinnig ist (da es auch eigenartig und pervers ist), braucht es auch sein Eigentum. Wenn nicht, dann umso besser. Das taku ist also die reine, raffinierte und absolute, aber auch klar begrenzte Form des Eigentums. Das taku könnte für das ibu wichtig sein, darnit es sich daran erinnern kann, dass es nicht ein abu, ubu, gagu oder sonst etwas Unbestimmtes, Unerhörtes, Beliebiges oder Unklares ist, sondern eben das (einzige) ibu. Das ibu hat viele Möglichkeiten, sich über sic selbst eine minimale Gewissheit zu verschaffen: Spiegel, Freunde (auch fiktive), Psychiater, Kleider, Tonbänder, Tagebücher, Narben, Muttermale, Photoalben, Souvenirs, Briefe, Gebete, Hunde, Steckbriefe usw. Es braucht nicht unbedingt Gegenstände, um seine Identität in der allgemeinen Ekstase nicht zu verlieren. Aber der Verlust intimer Dinge könnte für das ibu doch sehr unangenehm sein und darum muss es sich dagegen schützen. Vielleicht braucht es einen heimlichen Umgang mit obskuren Schatullen, Sammlungen, Fetischen, Büchern, Amuletten, Schmuckstücken, Trophäen und Reliquien, damit es etwas Besonderes sein kann. Es braucht auch etwas, dass es vorzeigen kann, wenn es ein anderes ibu ins Vertrauen ziehen will. Aber nur was sonst geheim und unantastbar ist, kann wirklich gezeigt werden. Alles andere ist offensichtlich, fad, hat weder Charme noch Glamour.

Wie das heutige unbegrenzte Eigentum bringt auch das taku Risiken mit sich, nur sind sie viel greifbarer und direkter. Ein taku kann Waffen, Gifte, magische Objekte, Dynamit oder unbekannte Drogen enthalten. Aber es kann nie jene unbewusste, unkontrollierbare gesellschaftliche Macht entfalten wie Geld und Kapital heute. Es gibt eine begrenzte Gefahr: Vertrauen, Ehre und menschliche Beziehungen erhalten so eine Chance sich in Konflikten zu bewähren.

kana

Das kana ist die wohl häufigste und sinnvollste Unterteilung eines bolo, da das bolo möglicherweise für das unmittelbare Zusammenleben zu gross ist. Ein kana umfasst etwa 15-30 ibus und ein bolo enthält etwa 20 kanas. (5) Ein kana bewohnt ein grösseres Stadthaus oder einige zu einem Haushalt kombinierte Einzelhäuser. Es entspricht einem Weiler, einer Jagdgruppe, einer Sippe, einer Grossfamilie, einer Hausgemeinschaft. Im kana findet das engere häusliche (hüttliche, zeltliche, schiMiche) Leben statt. Doch ist das kana in seiner Form und Funktion weitgehend vom Lebensstil des bolo definiert, da es zu klein ist, um sich selbst zu versorgen. Es wäre zu unstabil, um auf die Länge allein überleben zu können (siehe: Erfahrungen mit den Wohngemeinschaften der 60er Jahre). Umgekehrt ist es möglich, dass einige (ursprüngliche) kanas sich nur darum zu einem bolo zusammenschliessen, um je auf ihre eigene Weise leben zu können. (Die relative Selbständigkeit der kanas wäre dann typisch für den Lebensstil dieses bolo.)

Je nach bolo kann es innerhalb der kanas oder im bolo selbst noch weitere, kleinere oder parallele Arrangements geben: z.B. Paare, Dreiecke, Verwandtschaftsgruppen, Familien, Kollektive, Totems, Banden und andere Kombinationen. Ein bolo kann auch aus 500 Einzel-ibus bestehen, die wie in einem Kartäuser-Kloster oder einem Grandhotel jedes für sich leben und nur ein Minimum von gemeinsamen Diensten unterhalten. Der Grad von Individualismus oder Kollektivität wird in jedem bolo von seinen Bewohnern selbst bestimmt und ist nur durch die Notwendigkeit der Selbstversorung und die Gastfreundschaft beschränkt. Gesellschaftsfeindliche bolos sind durchaus möglich. Jedes ibu kann das für es passende bolo finden, umwandeln oder neu gründen.


nima

bolos entstehen nicht einfach aus irgendwelchen Nachbarschaften oder weil es praktisch ist. Das wirkliche Motiv, das die ibus veranlasst, in bolos zusammenzuleben, ist ein gemeinsames nima. Bestimmte nimas kann das ibu nur dann voll ausleben, wenn es andere ibus findet, die das gleiche haben. In einem bolo verwirklichen, ergänzen und verändern die ibus ihr gemeinsames nima. Umgekehrt können ibus, deren nima keine gesellschaftlichen Formen zulässt (Einsiedler, Vagabunden, Misanthropen, Individual-Anarchisten, Narren, Weise usw.) allein bleiben und in den «Zwischenräumen» der überall vorhandenen, aber nicht obligatorischen bolos leben.

Das nima enthält eine Lebensauffassung, die Grundstimmung, Philosophie, Interessen, Kleidung, Ernährungsweise (Kochstil), Umgangsformen, Verhältnis zwischen den Geschlechtern, zu Kindern, Wohnräumen, Gegenständen, Farben, Tieren, Bäumen, Ritualen, den Tagesablauf, Musik, Tanz, Mythologie, kurz all das, was man als «Tradition» oder «Kultur» bezeichnen könnte. Das nima definiert das Leben, so wie das ibu es sich konkret wünscht.

Die Quellen des nima sind ebenso vielfältig wie es selbst. Es können ethnische Traditionen sein (noch lebendige oder wieder entdeckte), philosophische Schulen, Sekten, geschichtliche Gemeinsamkeiten, gemeinsam erlebte Kämpfte oder Katastrophen, Mischformen oder ganz neu erfundene. Ein nima kann sehr umfassend und detailliert sein (wie bei Sekten oder Volkstraditonen) oder aber nur Teilbereiche betreffen. Es kann extrem eigenartig sein oder nur die Variante eines andern nima. Es kann sehr offen und veränderungsbereit sein oder geschlossen und konservativ. nimas können auch wie Moden durch die bolos gehen, oder sich wie Seuchen verbreiten und wieder aussterben. Sie können sanftmütig sein oder rabiat, passiv-kontemplativ oder aktivextravertriert. Die nimas sind der eigentliche Reichtum der bolos. (Reichtum = Vielfalt der Möglichkeiten, geistig wie materiell!) (6)

Da alle möglichen nimas auftauchen können, ist es auch möglich, dass sich brutale, repressive, patriarchalische, stumpfsinnige, fanatische Terrorcliquen etablieren. Es gibt ja für die nimas weder humanistische, noch liberale, noch demokratische Gesetze oder Vorschriften und schon gar keinen Rechtsstaat, der sie durchsetzen würde. Niemand kann ein bolo daran hindern, Massenselbstmord zu begehen, an Drogenexperimenten drauf zu gehen, sich selbst in den Wahnsinn zu treiben. bolos mit einem Wikinger- oder Hunnen-nima können ganze Kontinente terrorisieren, Raubzüge veranstalten, brandschatzen: Freiheit und Abenteuer, soweit das Auge reicht.

Andererseits setzt die Logik von bolo'bolo der Möglichkeit und der Ausbreitung solcher Verhaltensweisen und Traditionen auch wieder Schranken. Plünderung und Raub haben ihre eigene Ökonomie. Es ist auch zum vorneherein absurd, Denkweisen aus der heutigen Geldwirtschaft einfach in einen andern Zusalnmenhang zu verpflanzen. (Damit nur schon bolo'bolo entsteht, müsste da ja einiges passiert sein.) Ein Banditen-bolo müsste relativ stark und gut organisiert sein und es braucht innere Disziplin und Unterdrückung. Für die herrschende Clique in einem solchen bolo bedeutet das dauernde Wachsamkeit und eine grosse Menge Unterdrückungsarbeit (Strafen, Einschüchtern usw.) Ihre ibus könnten das bolo jederzeit verlassen, das sie überall Aufnahme fänden. Fremde ibus könnten als Gäste auftreten, benachbarte bolos würden die seltsamen Vorgänge in einem Banditen-bolo von Anfang an beobachten. Diese könnten desse munu (Ansehen) ruinieren, den Austausch beschränken, den unterdrückten ibus gegen ihre Herren helfen usw. Schon die Ausrüstung eines Banditen-bolo würde daher grosse Probleme stellen. Woher die Waffen bekommen? Oder dann müssten sie zuerst einmal lange arbeiten, um überhaupt die ersten Überfälle machen zu können. Auch da riskieren die Häuptlinge schon Widerstand . Ohne einen Staatsapparat auf relativ hoher Stufe (zehntausende von Leuten) erfordert Repression zuviel Arbeit und lohnt sich für die Herren nicht. Raubzüge und Ausbeutung wären auch darum sinnlos, weil es keine Mittel gibt, gestohlenes Gut in leicht transportierbarer Form zu erhalten (kein Geld). Da keiner mit einem solchen bolo Tausch betreiben würde, müsste es alle Güter in ihrer Naturalform stehlen, was viel Transportarbeit erfordert. Die meisten Transportmittel wären öffentliche und stünden dem Banditen-bolo nicht exklusiv zur Verfügung, also könnte es nur umliegende bolos heimsuchen, deren Ressourcen bald erschöpft wären. Dazu kommt der aktive Widerstand der beraubten bolos, das Eingreifen von ad-hoc-Milizen grösserer Verbände (tega, vudo, sumi; siehe: yaka) und das Banditentum wird zu einem mehr zufälligen, seltenen und unlohnenden Verhalten.

Eroberung, Ausraubung und Unterdrückung unter Nationen entspringen nicht irgendeiner dunklen Seite der menschlichen Natur, sondern es sind Katastrophen, die entstehen, wenn Grössenverhältnisse aus dem Gleichgewicht geraten. Die bolos selbst sind gross genug, um eine gewisse Unabhängigkeit und Stärke haben zu können - das Einzel-ibu kann sich dort geborgen fühlen und kommt nicht in Versuchung, sich «starken Männern» oder mächtigen Organisationen anzuschliessen. Umgekehrt sind sie doch zu klein, um zu Nationen oder Staaten zu werden. Unterdrückung in ihrem Innern zahlt sich nicht aus, weil Unterdrücker und Unterdrückte sich zu nahe kommen. Sie sind wiederum unselbständig genug, um Kommunikation und Austausch zu einem Bedürfnis werden zu lassen. Und gerade diese Netzwerke planetarer Kommunikation (unterstützt durch Reisen, Telephon und einige transkontinentale Transportmittel) verunmöglichen Anonymität durch Distanz und damit den Aufbau von Feindbildern. Raub-nimas bleiben immer noch möglich, doch nur als eine Art l'art pour l'art und als Ausnahme. Die bolos müssen selbst wissen, was sie tun. Denn woher sollen wir die Welt-Kontrolleure nehmen, die uns vor uns selbst schützen?

In einer grösseren Stadt könnten wir also z. B . folgende bolos finden: Sym-bolo, Anti-bolo, Istan-bolo, Les-bolo, Play-bolo, Sado-bolo, Vegi-bolo, Arabolo, Hebro-bolo, Para-bolo, Franko-bolo, Italobolo, Ibero-bolo, Dia-bolo, Anglo-bolo, Bocks-bolo, Bier-bolo, Alko-bolo, Hasch-bolo, Pyramidobolo, Konstantino-bolo, Paläo-bolo, Agro-bolo, Modul-bolo, Maso-bolo, Biblio-bolo, Medito-bolo, Bi-bolo, Tri-bolo, Poly-bolo, Mix-bolo, Paranobolo, Tao-bolo, Disco-bolo, Nekro-bolo, Marx-bolo, HighTech-bolo, Öko-bolo, Sozi-bolo, Sowjetbolo, Marx-bolo, Helio-bolo, Ikaro-bolo, AIDSbolo, Anarcho-bolo, Logo-bolo, Mago-bolo, Tarabolo Clean-bolo, Coca-bolo, Palm-bolo, Thai-bolo, Mongolo-bolo, Olo-bolo, Anonymo-bolo, Intimo-bolo, Marl-bolo, Hyper-bolo, Medio-bolo, Barbolo, Wotan-bolo, Blue-bolo, Ton-bolo, Basketbolo, Mono-bolo, Metro-bolo, Krischna-bolo, Jesu-bolo, Alp-bolo, Bala-bolo, Inka-bolo, Alemanobolo, Frieso-bolo, Bom-bolo, Ur-bolo, Neo-bolo, Baby-bolo, Entro-bolo, Digito-bolo, Ana-bolo, Liban-bolo, Pluri-bolo, Orgo-bolo, Sparta-bolo, Thermo-bolo, Frigo-bolo, Punko-bolo, Norm-bolo, Waldmeister-bolo, Geissen-bolo, Inkommensura-bolo, Ras-le-bolo usw. Danebengäbeesnatürlich auch viele völlig normale und gewöhnliche bolos, die von sich selbst nichts wissen und von denen nichts bekannt ist, weil sie nicht einmal einen Namen haben (Banal-bolos).

Die Vielfalt der Lebensweisen löst unsere heutige Massenkultur, den individualistisch verbrämten Kollektivismus unseres Alltags, die zentral gesteueren Moden und auch die genormten Staatssprachen auf. Jeder kann das Leben wählen, das ihm passt, verreisen, wenn er will, so viel Individualität oder Gemeinschaftlichkeit erleben, wie er für gut hält. Viele bolos hätten auch ihre eigene Sprache. Das könnte eine bestehende Sprache sein, ein Dialekt, ein besonderer Slang oder auch neu erfundene Sprachen. Damit verliert die Normsprache ihre Wirksamkeit als Herrschaftsmittel und es entstehen «babylonische» Verhältnisse, d.h. Unregierbarkeit durch Dysinformation (siehe Einleitung). Damit aber Reisende oder sonst Leute, die mit vielen bolos verkehren, nicht ganz verloren sind, gibt es eine Art Not-Code, das asa'pili, Das asa'pili ist keine richtige Sprache, denn es besteht nur aus wenigen Wörtern (ibu, bolo, nima, asa, pili usw.) und den dazugehörigen Zeichen (für solche, die nicht reden oder schreiben wollen, können oder dürfen). Mit Hilfe des asa' pili kann sich jeder in drigenden Fällen behelfen und zu Nahrung, medizinischer Hilfe, Unterkunft usw. kommen. Und danngibtsgenugZeit, umdieörtliche Sprache in aller Ruhe zu lernen und zugleich mehr über die Gastgeber zu erfahren. Das Erlernen der jeweiligen Sprachen fördert die Kontaktaufnahme und das gegenseitige Verständnis der Kulturen. Warum sollte es jemand eilig haben.


kodu

Landwirtschaftliche Selbstversorung ist die Grundlage der Unabhängigkeit der bolos. Welches kodu ein bolo wählt, was es anbaut und mit welchen Methoden, ist von seiner kulturellen Eigenart bestimmt. Ein Vegi-bolo würde sich auf Gemüse, Früchte, Getreide spezialisieren und die Viehzucht andern überlassen. Ein Allah-bolo würde sich nicht mit Schweinen befassen; ein Franko-bolo einen grossen Kräutergarten unterhalten. Ein Italo-bolo braucht viel Tomaten, Oregano und Knoblauch. Ein Hasch-bolo pflanzt Cannabis an, ein Alko-bolo Hopfen und Malz (Brauerei in der Scheune), ein Azteko-bolo Mais und Bohnen.

Gewisse bolos würden ihre Lebensmittelversorgung stark mit Austauschverträgen ergänzen, weil sie Wert auf Abwechslung legen. Andere, für die die Gastronomie nicht so wichtig ist oder die gerne immer das gleiche essen, könnten sich fast ganz aus ihren eigenen Produkten ernähren.

Da die Landwirtschaft ein Ausdruck der Eigenart eines bolos ist, würde auch hier jedes zu einer andern Lösung kommen. Der Umgang mit der «Natur» zur Erzeugung von Lebensmitteln kann daher nicht auf allgemeiner Ebene beschrieben werden, weil «Natur» für jedes bolo einen andern Wert hat. Selbstverständlich setzt das voraus, dass sich alle über einige Grenzen einig sind - z.B. darin, dass zur Natur als landwirtschaftlicher Existenzgrundlage Sorge getragen wird. Daher ist es auch nicht vorstellbar, dass jedes bolo völlig isoliert Landwirtschaft betreibt. Selbstbestimmte Zusammenarbeit mit Nachbarn und innerhalb einer Region ergibt sich ganz von selbst, weil sie notwendig und für alle lohnend ist (z.B. Maschinenparks, Abstimmung der Fruchtfolgen, Kombination der Produktion, Energieversorgung, Transport, Schädlingseindämmung). Darüber hinaus bleibt noch viel Spielraum für die Entfaltung der eigenen Agri-kultur.

Diese Agri-kultur wird nicht in jedem bolo gleich wichtig sein. Sie kann als eine Art «Arbeit» erscheinen und wird dann wohl gleichmässig auf alle boloMitglieder verteilt, sodass jeder einen Monat im Jahr oder ca. 10°70 seiner aktiven Zeit auf dem Land verbringt. Wenn es Leute gibt, die ohnehin lieber auf dem Land leben oder in der Landwirtschaft ihren «Beruf» sehen, dann verringern sich die Verpflichtungen für die andern entsprechend. Auf jeden Fall ist kodu keine gravierende Einschränkung der kulturellen Freiheit jedes Einzelnen: die Landarbeit kann dank der Grösse der bolos (500 Leute) flexibel und individuell geregelt werden und sie fällt zeitlich nicht gross ins Gewicht. All das bedingt natürlich, dass jeder sich mit der Zeit einige landwirtschaftliche Grundkenntnisse und -fertigkeiten erwirbt - auch das geht schneller, als man denkt. Dies ist der Preis, der für die Unabhängigkeit der bolos zu bezahlen ist . Es gibt ja keine Läden mehr, keinen parasitären Zwischenhandel, keine Supermärkte, keine unfair billigen Importe aus wirtschaftlich erpressten Ländern. Es gibt auch keine zentralisierte Verteilung durch einen Staatsapparat (etwa in der Form von Rationierung oder zentralen Depots). Wenn die bolos autonom sein sollen, sind sie zu einem gewissen Grad auch auf sich gestellt. (8)

Die Unterscheidung Bauer/Städter wird durch das kodu hinfällig. Der Interessengegensatz zwischen den für höhere Preise kämpfenden Bauern und den auf billige Lebensmittel drängenden Konsumenten besteht nicht mehr. Niemand hat mehr ein Interesse an Verschwendung, Verknappung, Verschlechterung, Verteuerung, landwirtschaftlicher Produkte (das gilt für alle andern Produkte natürlich auch). Der schonende Umgang mit dem Boden, den Tieren und vor allem mit sich selbst wird ganz selbstverständlich, da jedes bolo langfristig seine Ressourcen bewahren muss. Die bolo-Mitglieder haben selbst das grösste Interesse an der Erzeugung gesunder Lebensmittel, da sie sie selbst essen und auch für ihre Gesundheitspflege (bete) selbst aufkommen müssen. Es können keine «sozialen Kosten» (in der Form von chemischer Verseuchung, Bodenerosion, Überarbeitung abgewälzt werden. Die Anwendung bio-dynamischer oder bewährter traditioneller Methoden ist auch darum wieder möglich, weil mehr und besser motivierte landwirtschaftliche Arbeitskräfte pro Fläche zur Verfügung stehen werden. (In der Schweiz würde das kodu mindestens zu einer Verdoppelung der auf dem Land arbeitenden Leute führen.)

Für die Aufteilung des Bodens (oder anderer Nahrungsquellen) unter die bolos einer Region sind verschiedene Lösungen möglich, die sich auch allmählich ergeben können. Selbständige Bauern können langsam mit Stadt-bolos zusammenwachsen. Städter helfen zuerst nur landwirtschaftlichen Produktionsgemeinschaften, verschmelzen dann mit diesen. Das kodu braucht auch nicht aus einem einzigen zusammenhängenden Landstück zu bestehen. Kleinere Kräutergärten sind schon in der Stadt in Höfen, auf Dächern usw. möglich. Reine Agro-bolos (Dörfer auf dem Land) haben ohnehin keine Probleme, da sie das umliegende Land bebauen. Anderes Land dazwischen gehört dann vielleicht zu Stadt-bolos (siehe S.92). Um grössere Städte, wo das zugehörige Land weiter weg ist, wäre es praktisch, einen Gartengürtel am Stadtrand anzulegen, wo die bolos Frischgemüse für den täglichen Verbrauch erzeugen. Diese Gärten wären noch zu Fuss oder mit Velos innert Minuten zu erreichen und die transportierten Mengen wären gering (einige Dutzend Kilos pro Tag). Die eigentlichen Landsitze, kodu'kanas, befänden sich dann weiter weg, bis zu 15 oder 20 km, oder auch weiter, wenn es sich um besondere Kulturen wie Jagdgebiete, Alpen, Fischgewässer, Wälder usw. handelt. Zu einem bolo könnte ein einziger Landsitz (ca. 80ha) oder auch mehrere Höfe (4 x 20 ha, etc.) gehören, je nach geographischen Gegebenheiten und persönlichen Beziehungen. Diese bolo-Höfe würden vor allem Grundnahrungsmittel haltbarer Art in grösseren Mengen erzeugen (Getreide, Kartofflen, Soja, Milchprodukte, Fleisch, Gemüse). Die Transportmengen würden sich hier im Tonnenbereich bewegen. Für das kodu grösserer Städte ergäbe sich ein dreistufiges System, das Frische, Transportmenge und Distand am besten kombiniert:


 

Damit kodu leichter funktionieren kann, sollte die heutige Entvölkerung grosser Städte (über 200000 Einwohner) noch etwas weiter gehen oder gerade von den bolos gefördert werden. Diese Entwicklung braucht keineswegs erzwungen zu werden; sie wird heute nur durch die Lage auf dem Arbeitsmarkt behindert. In vielen Gegenden (Frankreich, Spanien, Griechenland, Afrika...) würde dies zu einer Wiederbesiedlung verlassener Dörfer führen, da sie kulturell durch die bolos wieder attraktiver gemacht würden. (10)

Obwohl reine Agro-bolos natürlich möglich sind, kann jeder sowohl auf dem Land wie in der Stadt wohnen und die Vorteile beider Lebensweisen geniessen. Von der Stadt aus gesehen haben die koduBauernhöfe auch die Funktion erholsamer Landsitze, wo man Ferien machen kann, allerdings ohne falsche ländliche Idylle. Die Zersiedlung der Landschaft durch Wochenendhäuschen würde damit rückgängig gemacht. Umgekehrt beseitigt der enge Kontakt (es sind ja die gleichen Leute) zwischen Stadt und Land die oft dIückende kulturelle Isolation auf dem Land und belebt er die Städte. Die Stadtzentren werden nicht mehr von «Provinzlern» heimgesucht und als Vergnügungs- und Einkaufszentren missbraucht, mit all den negativen Folgen für die verbliebenen Stadtbewohner (Pendlerverkehr, City-Wüste, Sex-Business, Quartierverödung) . Die Bauern haben wie englische Adelige ihre Stadthäuser, ihre persönlichen Beziehungen, ihre kulturellen Interessen. Keiner braucht mehr an der Scholle zu kleben oder in der Stadt zu verkümmern. Keiner ist mehr Sklave seiner Kühe oder seines Geschäfts.


yalu

Das kodu führt dazu, dass die Lebensmittel so nah wie möglich beim bolo erzeugt werden. Reisen, Transporte würden sonst einen Grossteil der Arbeitszeit und der Energie verschlingen. Aus ähnlichen Gründen wird es viel weniger weiträumige Importe von Erdöl, Futtermitteln und Dünger geben. Das bedingt sorgfältige Anbaumethoden und eine geschickte Kombination von Kulturen auf knappem Boden (vor allem in Gebieten wie der Schweiz). Der gegenüber Grossanbaumethoden verringerte Flächenertrag kann durch Intensivkulturen und die Bevorzugung pflanzlicher Kalorien und Proteine ausgeglichen werden. Kartoffeln, Mais und Soja können zusammen die Grundversorgung garantieren. Die Tierzucht (die Unmengen von Futtermitteln verbraucht) wird stark reduziert werden, in einem geringeren Grad auch die Milcherzeugung. (11)

Wird also die Ernährung eintöniger werden oder gar die Kochkunst zusammenbrechen, weil exotische Importe (Ananas, Bananen, Orangen, Kiwis, Avocados usw.) und Edelfleischsorten (Filets, Poulets, Kalbfleisch usw.) rar werden? Bricht ein dunkles Zeitalter für Gourmets an? In den Supermärkten gibt es zwar fast überall Kokosnüsse, Mangos, Gemüse ausser Saison - doch ist zugleich das einheimische Angebot ärmlich und geschmacklich verflacht: kaum Kräuter, Beeren, wenig Apfel- und Birnensorten, keine Kürbisse, Rüben, wässrige Tomaten, lahme Bohnen usw. Die Massenvermarktung bringt nur eine Scheinvielfalt, kein raffiniertes Angebot, sondern industrialisierte, langweilige Produkte. Die Bananen z.B. werden schon grün eingeschifft und sind verglichen mit lokal gewachsenen, normal gereiften Bananen fade. (Abgesehen davon erhalten wir nur die gelbe Einheitsbanane, während es in den Tropen eine Fülle roter, blauer, grüner, violetter, kleiner, harter und grosser Bananen gibt.)

Ähnliches gilt für das Fleisch aus Tierfabriken und die Eier aus Legebatterien: es ist vor allem nicht gut genug.

Die wahre Kochkunst und die Qualität der Ernährung überhaupt ist nicht von exotischen Importen und dem Vorhandensein von Filet-Stücken abhängig. Sorgfältiger Anbau, natürliche Aufzucht, Zeit, Raffinesse und Erfindungskraft sind viel wichtiger. Gerade dies ist aber heute fast unmöglich, da der Kleinfamilienhaushalt es weder zeitlich (kurze Essenspausen) noch ausrüstungsmässig bieten kann. In den grösseren Haus- oder bolo-Küchen wird es aber bessere Geräte, reichhaltigere Lager, mehr Zeit, und Köche geben, die es wirlich aus Leidenschaft sind - und nicht nur, weil der Mann pünktlich um 12 Uhr irgendetwas zu Essen haben muss. In einem bolo kann es durchaus mehrere Ein- oder MehrStern-Restaurants geben - und der Gesamtaufwand an Arbeit, Rohmaterial und Energie wäre immer noch viel kleiner als heute.

Kochen ist meist ein wesentliches Element der Kultur eines bolo und das Kochen selbst unter diesen Bedingungen keine Arbeit, sondern ein Ritual. Das nima macht in Wahrheit die Vielfalt in der Gastronomie aus, nicht die teuren Zutaten. Daher kommt es auch, dass einfache (meist fleischarme) Gerichte eines Landes begehrte Spezialitäten in einem andern werden. Spaghetti, Mussaka, Pizza, Chili, Tortillas, Feijoada, Risotto, Nasi-Goreng, Cury, Rösti, Cassoulet, Sauerkraut, Gulasch, Pilav, Borschtsch, Kuskus, Paella usw. sind in ihren Ursprungsländern oft ganz billige Volksgerichte. (12)

Die Vielfalt der Lebensweisen bringt auch eine vielfältige Gastronomie mit sich. In einer Stadt hat es genauso viele Spezialitätenrestaurants wie bolos und der Zugang zu allen ethnischen oder andern Gastronomien wird kolossal erleichtert. Dank Gastfreundschaft und Tauschabkommen lässt sich ein intensiver Austausch zwischen Köchen und Essern arrangieren. Und es ist leicht einzusehen, dass die Qualität dieser bolo-«Restaurants» höher sein wird als diejenige der heutigen, die von Kostendruck, Stress und Hetzerei geplagt werden. Überhaupt wird für yalu wie auch für kodu insgesamt mehr Zeit zur Verfügung stehen und auch notwendig sein. Dafür gibt es keine Nahrungsmittelindustrie mehr, keine Läden, keine nervösen Kellner...

Da für eine gute Küche die Frische der Zutaten entscheidend it, sind die Küchengärten in der Nähe besonders günstig. Der Koch kann viele Zutaten gerade neben dem Haus anbauen oder sie sich innert fünf Minuten aus dem Garten bringen lassen. Es wird Zeit und Raum geben für solche kleinwirtschaftlichen Kulturen. Viele Strassen werden aufgehoben oder verschmälert, Parkplätze, Flachdächer, Terrassen, die Todesstreifen an den Häusern (auch Rasen oder Hecken genannt), rein repräsentative Parkanlagen, Fabrikareale, Innenhöfe, Keller, Autobahnbrücken, ergeben Boden für Kräuter- und Gemüsegärten, Hühnerhöfe, Schweinegehege, Enten- und Fischteiche, Kaninchenställe, Beerensträucher, Pilzkulturen, Taubenschläge, Bienenstöcke (keine Auspuffgase mehr!), Obstbäume, Haschpflanzungen, Weinreben, Gewächshäuser (im Winter auch als Wärmedämmzone verwendet) usw. Das Essen wächst den ibus sozusagen in den Mund. (Auch Hunde wären an sich gut essbar.)

Die ibus haben auch wieder Zeit, in Wäldern und sonst nicht genutzten Gebieten nach wildem yalu zu suchen. Pilze, Beeren, Flusskrebse, Muscheln, Weissfische, Schnecken, Kastanien, wilde Spargeln, Insekten aller Art, Wildtiere, Brennesseln und andere Wildpflanzen, Buckeckern, Eicheln usw. kann man bei uns finden und zu überraschenden Gerichten verarbeiten. (13)

Die Reisenden bringen Gewürze, Saucen, Zutaten aus fernen Gegenden mit und haben neue Rezepte kennen gelernt. Da jedes ibu selbst jederzeit eine Reise unternehmen kann und es überall verköstigt werden muss, kann es die Originalgerichte überall auf der Welt an Ort und Stelle probieren. Es ist einfacher, die ibus gehen hie und da auf gastronomische Weltreise, statt dass exotische Produkte massenhaft herumtransportiert und teilweise verdorben werden . Da es Zeit hat, ist die Welt selbst für das ibu der wahre «Supermarkt»...

Durch Einmachen, Dörren, Räuchern, Pökeln und Tiefgefrieren (für ein ganzes bolo ist das auch energetisch wieder sinnvoll) kann die Kost durchs ganze Jahr hindurch zusätzlich bereichert werden. Die Speisekammern der bolos werden viel interessanter sein, als es je ein Familienkühlschrank ist. Wein-, Bier-, Likör-, Käse-, Tabak-, Wurst- und Haschsorten werden sich in gewissen bolos zu raffinierten Spezialitäten entwickeln (wie es in den Klöstern geschah) und ausgetauscht werden. Der Reichtum der Genüsse, der durch die Massenproduktion zerstört wurde, kann wieder entstehen und Netze persönlicher Beziehungen zwischen Kennern über die ganze Welt legen.


sibi

Im bolo verbinden sich Agrikultur (kodu) und Fabrikultur (sibi). Die ibus brauchen nicht nur Nahrung, sondern auch Gebäude, Wasser, Elektrizität, Brennstoffe, Werkzeuge und Maschinen (vor allem für die Landwirtschaft), Kleider, Möbel, Rohmaterialien, elektronische und andere Bauteile, Geräte aller Art, Fahrzeuge, Geschirr, Schmuck, Schallplatten, Filme, Strassen, Leitungsrohre usw.

Ein grosser Teil der heutigen industriellen und handwerklichen Produktion wird überflüssig werden: Autos, Rüstung, Strassenbau, elektronische Massenprodukte usw. Oder es wird davon dank anderer Nutzung viel weniger gebraucht (1 Kühltruhe, 1 Fernseher, 1 Waschmaschine, 1 Kleinbus, 1 Computer, 1 Bohrmaschine pro Haus oder pro bolo). Trotzdem ist es möglich, die bolos so gut auszurüsten, dass sie die meisten handwerklichen Arbeiten, den Gebäudeunterhalt, Reparaturen an Geräten, Möbeln, Kleidern, Wagen, Velos, Sanitäranlagen, selbst durchzuführen können. Ein bolo wird weniger Geräte brauchen und trotzdem viel selbständiger sein als ein heutiges Quartier oder gar ein Haushalt. Da niemand mehr ein Interesse an der Herstellung defekter oder sich schnell verschleissender Produkte haben wird, fallen weniger Reparaturen an. Dank einer solideren und einfacheren Konstruktion sind diese Reparaturen auch leichter durchzuführen und werden Defekte weniger einschneidende Folgen haben. Die Befähigung, handwerkliche Arbeiten selbst ausführen zu können (vor allem im Bereich Landwirtschaft und Energie), ist eine weitere Garantie für die Unabhängigkeit der bolos. Sie können kurzfristig kaum erpresst werden. Zudem verkleinert sich dadurch der zeitliche und energetische Aufwand: Elektriker oder Klempner brauchen nicht durch die halbe Stadt zu reisen und Pannen können schneller behoben werden. Ein bolo ist gerade gross genug, um diese bescheidene handwerkliche Spezialisierung möglich zu machen.

Der Hauptinhalt des sibi ist aber das Ausleben produktiver Leidenschaften, die zur Lebensweise oder kulturellen Eigenart eines bolo gehören. Es gibt dann vielleicht Maler-bolos, Schuhmacher-bolos, Gitarren-bolos, Photo-bolos, Leder-bolos, Farbenbolos, Parfüm-bolos, Elektronik-bolos, Automobil-bolos, Buch-bolos, Holzschnitt-bolos, Flugzeug-bolos, Marmor-bolos, Video-bolos usw. In gewissen bolos wird sibi weniger wichtig sein. Sie werden sich nicht spezialisieren und von allem ein bisschen tun. Andere bolos werden Produktion und Gebrauch von Dingen bewusst auf ein Minimum reduzieren (Tao-bolos). Ihre «Produkte» sind dann immateriell. Produktion ist keine Verpflichtung - etwas Landwirtschaft und Instandhaltung genügen. Da die Leute nicht für einen Markt arbeiten und nur in zweiter Linie für den Austausch, gibt es keine Unterscheidung zwischen Handwerk und Kunst, zwischen Job und Berufung, zwischen Arbeitszeit und Freizeit, zwischen Neigung und wirtschaftlicher Notwendigkeit (abgesehen eben von Landwirtschaft und Unterhaltsarbeiten). Selbstverständnlich werden diese typischen Produkte oder Dienstleistungen zwischen den bolos ausgetauscht werden, genau so wie landwirtschftliche Spezialitäten. Durch Geschenke, Tauschverträge oder über Nachbarschaftsdepots und Märkte werden sie zirkulieren, persönliche Beziehungen schaffen und verbessert werden.

Im Rahmen eines bolo, eines Quartiers oder einer Stadt werden Handwerker oder kleine Industriebetriebe in engem Kontakt mit den Benützern ihrer Produkte stehen. Umweltzerstörung, Lärm, schlechte Qualität oder Missachtung der Bedürfnisse der «Verbraucher» werden an der Wurzel verunmöglicht. Viele Produkte werden persönlichen Charakter haben, weil der Benützer den Hersteller kennt. Defekte Güter können zurückgebracht werden und es gibt eine Wechselwirkung zwischen Anwendung und Entwurf. Diese Verhältnisse werden eine neue Technologie hervorbringen, die vielfältiger und raffinierter ist als die heutigen Massenfertigungen, die keine Rücksicht auf lokale Gegebenheiten und besondere Bedürfnisse nehmen. Es wird mehr Prototypen nach Mass geben, weniger Abhängigkeit von grossen Systemen, von hohem Energieverbrauch, von Spezialisten. Daneben bleibt die Massenproduktion ausgewählter Güter, vor allem von Bauteilen, die für vielfältige Zwecke verwendet werden können, weiterhin eine Möglichkeit (z.B. Elektromotoren, Glühbirnen, Benzin, Baumaterial, Gummistiefel usw.)

Der Bereich handwerklicher und industrieller Produktion ist breiter und vielfältiger als die Landwirtschaft, da er weniger «natürlichen» Beschränkungen unterworfen ist. Das bedeutet, dass die bolos in dieser Beziehung mehr auf Austausch und Zusammenarbeit im grösseren Rahmen angewiesen sind. Wasser, Energie, Rohstoffe usw. müssen regional, eventuell sogar weltweit gewonnen und verteilt werden. Dies kann durch gemeinsame Unternehmungen geschehen, an die alle beteiligten Gemeinschaften Beiträge in Form von Arbeitskräften (kene) leisten. Dabei wird man darauf achten, möglichst in der Nähe von Rohstoffquellen zu produzieren und überhaupt so wenig Güter wie möglich zu verschieben. Durch Wiederverwertungskreisläufe wird der Rohstoffverbrauch niedrig gehalten und damit auch Arbeitsaufwand und Abhängigkeit. Es wird sich eine neue Technologie entwickeln, die darauf aus ist, örtlich verfügbare Materialien einzusetzen und die heutigen internationalen Standardprodukte zu ersetzen (Holz statt Stahl, Steine statt Beton, Lehm statt Blech, Glas statt Kunststoff usw.). Wo die industrielle Fertigung wirklich Vorteile bringt, kann dies in Quartier-, Bezirks- oder Regionalwerkstätten geschehen. Zusammenarbeit im Produktionsbereich ist auch darum sinnvoll (d.h. arbeitsfeindlich), weil viele Maschinen und Einrichtungen von einem bolo allein gar nicht ausgelastet bzw. unterhalten werden können. Warum soll jedes bolo eine eigene Getreidemühle, Baumaschinen, medizinische Labors, Lastwagen, haben? Fahrzeugund Maschinenpools ergeben sich so von selbst. Oder bestimmte Güter werden in Quartierwerkstätten für alle beteiligten bolos gemeinsam hergestellt (z.B. Brot, Stühle, Druckerzeugnisse, Fensterrahmen, Bier, Leder, Bretter). sibi bedeutet keineswegs, dass einfach zu alten Produktionsweisen zurückgekehrt wird, denn diese sind meist auch nur Vorstufen der heutigen, auf Herrschaft ausgerichteten Technologie. Es geht darum, aus traditionellen Methoden zu lernen, was es zu lernen gibt. Einige industrielle Technologien können wie sie sind benutzt werden, in stark reduziertem Massstab. Andere können mit wenigen Veränderungen «umgenutzt» werden. Daneben können neue Technologien entwickelt werden, die auf die bolo'bolo-Bedrüfnisse abgestimmt sind. Der «andere» technische Fortschritt, der von der Herrschaftstechnologie seit Jahrtausenden unterdrückt wurde, kann dann beginnen...


pali

Der Kern des sibi ist die Energieversorgung. pali wird gebraucht für die Landwirtschaft, die Transporte (vor allem von Nahrungsmitteln), die Heizung oder Kühlung, das Kochen, für die Produktion und die Energieerzeugung selbst. Die Lösung der Energiefrage erscheint hauptsächlich darum so schwierig, weil sie falsch gestellt wird. Es geht nicht darum, wie genügend Energie (auch mit alternativen Technologien) erzeugt werden kann, sondern welche Energie wofür benötigt wird. Eine andere Lebensweise braucht andere und vor allem auch viel weniger Energien. (14)

Örtliche Selbstversorgung, Zusammenleben in bolos, Zeit statt Tempo, verringern das Verkehrsaufkommen, den Bedarf für Heizung und mechanische Anwendungen aller Art. Ein grosser Teil der Energie wird heute dafür verbraucht, Dinge oder Menschen wieder zusammenzubringen, die man aus systembedingten Gründen auseinandergerissen hat: Wohnung und Arbeitsplatz, Produktion und Verbrauch, Vergnügen und Wohnen, Arbeit und Erholung. Der Energieverbrauch wächst zusammen mit der Isolation der Einzelnen und der Kleinfamilien, ist also ein rein negativer Aufwand. Die Grösse und der Aufbau der bolos erlaubt es, mit weniger Energie grössere Wirkungen zu erzielen, weil sich die verschiedenen Anwendungen gegenseitig stützen und ergänzen. Die bolos können die verschiedenen Energiearten in der jeweils güngstigsten Form anwenden. Elektrizität wird man hauptsächlich für Beleuchtung, elektronische Geräte, mechanische Energie und einige Verkehrsmittel (Bahn, Tram) einsetzen. Für einen gewissen Grundbedarf (Beleuchtung) kann diese an Ort und Stelle und sogar im bolo selbst erzeugt werden (Windgeneratoren, Sonnenzellen, Flusskraftwerke, Biogasgeneratoren usw.). Passive Sonnenenergie, Kollektoren, Bodenwärme, wird für Heizzwecke verwendet. Brennstoffe werden nur dort eingesetzt, wo wirklich hohe Temperaturen benötitgt werden: zum Kochen (Biogas, Holz, Kohle), für Dampfmaschinen (Dampflastwagen, Dampfschiffe, Generatoren) und für einige Explosionsmotoren (Benzin, Diesel, Kerosin für Ambulanzen, Rettungsflugzeuge, Feuerwehr, Notfallfahrzeuge aller Art).

Das bolo ist zugleich ein umfassendes Energiesystem, in dem lokale und externe Ressourcen genutzt werden. Die Abwärme aus Öfen oder Werktstätten kann zugleich zum Heizen verwendet werden, da Wohn- und Arbeitsplatz in 80No der Fälle zusammen fallen. Beheizte Räume können mehrfach und gemeinsam benutzt werden (z.B. Bäder, Salons, Hot Tubs, Saunas usw.). Exkremente und Abfälle können zu Biogas umgewandelt werden, statt die Gewässer zu belasten. Die Grösse der bolos erleichtert auch den rationelleren Einsatz der Energie, weil elektronische Steuerungsanlagen sinnvoll eingesetzt werden können (was bei einzelnen Haushalten ein unverhältnismässiger Aufwand wäre).

In warmen Gegenden können die bolos zu 90% bei uns zu 60-80% energieunabhängig sein. Quartiere und Bezirke ergänzen die bolos und können eine fast vollständige Selbstversorgung erreichen. Die Regionen treffen untereinander Abmachungen über Energieimporte/exporte (Erdöl, Kohle). Planetare Kommissionen (asa) können Koordinationsfunktionen übernehmen.

Der heutige Energiekonsum wird weitgehend durch die Erfordernisse des industriellen Normalarbeitstags bestimmt. Dadurch ergeben sich Spitzenzeiten, die Notwendigkeit einer schnellen und genormten Klimatisierung (21°C und 55% Feuchtigkeit) und es fehlt vor allem die Zeit, sich mit «energetischen» Elementen wie Feuer, Wasser und Wind überhaupt auseinanderzusetzen. Der tägliche und jahreszeitliche Rhythmus, der so viel Abwechslung bringen könnte, wird als störend möglichst verdrängt. So entsteht ein energetischer Scheinkomfort (ein Stecker für jedes Bedürfnis), der einerseits einen riesigen Aufwand (Überkapazitäten) erfordert, aber andererseits keinen wirklichen Genuss von Wärme oder Kühlheit bringt. (Darum lassen sich dann gewisse Leute neben dem Zentralheizungsradiator ein Cheminée einbauen, um wenigstens wieder einmal ein lebendiges Feuer zu sehen...)

Der Umgang mit Energie wird wieder durch die natürlichen Rhythmen bestimmt werden. Im Winter wird es nicht überall gleich warm sein, vielleicht nur 18°, dafür gemütlicher in Gemeinschaftsräumen; man wird wieder mehr Pullover tragen, näher zusammenrücken, früher zu Bett gehen, fettreicher essen - kurz: wirklich winterlich leben (so wie viele es zum Ausgleich auch heute schon in Skihütten tun). Die Kälte ist nicht an sich lästig, sondern nur, wenn man zugleich auch noch voll arbeiten muss. (Ähnliches gilt auch für den Schmerz, das Kranksein - viele andere «Störungen», die aber einen natürlichen Zweck haben.)

Einige ibus können im Winter auch - wie die Zugvögel - für einige Monate in den Süden ziehen, was energetisch trotz des Reiseaufwands noch vorteilhaft ist. Austauschabkommen mit bolos in Süditalien, Andalusien, Griechenland, Nordafrika usw. könnten so entstehen und die hiesigen bolos energetisch entlasten. (Abgesehen davon gibt es ibus, die die Kälte - Zentralheizung hin oder her - einfach nicht gerne haben .) Umgekehrt können ibus aus dem Süden bei uns einen kühleren Sommer erleben.


sufu

Wie die Energie ist auch sufu, die Wasserversorgung, von der Lebensweise abhängig. Wasser wird heute vor allem zum Wegspülen von Abfällen und für Reinigungszwecke in grossen Mengen verbraucht. Es wird nicht in seiner besonderen Eigenschaft als Wasser verwendet, sondern als universelles Transportmittel .

Der grösste Teil des heutigen Spülens, Waschens, Duschens und Reinigens hat mit dem körperlichen Wohlbefinden und der Freude am Element sufu nur wenig zu tun. Die Dusche am Morgen bedeutet nicht Lust am Herunterrinnen des Wassers, sondern sie soll uns möglichst rasch wach schocken und unseren Körper desinifzieren und arbeitstauglich machen. Massenproduktion erzeugt Gefahr der massenhaften Ansteckung und erfordert so hygienische Disziplin. Waschen, tägliches Wechseln der Wäsche, weisse Hemden, sind Rituale der Arbeitsdisziplin und dienen den Chefs als Kontrollmittel bezüglich der «Hingabe» ihrer Untergebenen. Sie haben weder eine direkt produktive, noch eine hygienische Funktion. Das ersieht man auch daraus, dass viele sich in den Ferien weniger waschen, sich nicht mehr rasieren, die Kleider weniger wechseln. Für die Gesundheit sind allzu häufiges Waschen und die Verwendung von Seife, Shampoos usw. sogar schädlich - sie strapazieren bloss die Haut.

Das Verhältnis zum «Schmutz» ist heute geprägt von geradezu neurotischen Ängsten und von der Kontrollfunktion der «Sauberkeit». Es wird getan, als ob Sauberkeit ein objektiver Begriff wäre - dabei ist sie kulturell bedingt. Sauberkeit dient nur als eine Art Verdrängungsideologie. Doch Dreck kann gar nicht «aus der Welt geschafft», sondern nur verschoben oder verwandelt werden. (Das gilt vor allem für die gefährlichsten Drecksorten wie radioaktive Abfälle oder chemische Substanzen - sie werden merkwürdigerweise vom allgemeinen Sauberkeitswahn kaum wahrgenommen.) Was im Haushalt als Schmutz beseitigt wird, erscheint nachher in den Gewässern vermengt mit chemischen Putzmitteln als noch viel schädlicherer Dreck - nur ist er halt nicht mehr sichtbar. Wegen der Putzwut müssen dann teure Kläranlagen erbaut werden, was wiederum die Erzeugung grosser Mengen von Stahl, Beton usw. bedingt - also noch mehr Dreck, noch grössere Umweltbelastung durch die Industrie. Der Schaden, der durch übertriebenes Putzen angerichtet wird, steht in keinem Verhältnis zum (eingebildeten) Komfortgewinn. Die allgegenwärtige Reinigungsarbeit erzeugt überdies «Schmutz» in Form von Ermüdung und Frustration bei den Putzarbeitern. (Arbeit ist an sich die wichtigste Form der «Umweltverschmutzung» - weil wir uns durch sie selbst zerstören, zerstören wir auch die Natur.)

Da keine Disziplinierung durch Waschen und keine Kontrolle durch Sauberkeit mehr erforderlich sind und die meisten grossindustriellen Prozesse verschwinden, können die bolos den Wasserverbrauch leicht auf einen Drittel oder noch weniger reduzieren und damit auch die damit verbundene Arbeit . Durch Sammeln von Regenwasser auf den Dächern und Speicherung in Zisternen können die bolos in gewissen Gebieten Selbstversorgung erreichen. Doch im allgemeinen wird es günstiger sein, wenn die Quartiere und Städte eine (aufwandmässig angepasste) Wasserversorung organisieren.

sufu wird wieder wegen seiner elementaren Eigenschaften verwendet werden: als Trinkwasser, für Bäder, Brunnen, Planschbecken, Saunas - also für lustvolle Zwecke, nicht als blosses Mittel zum Toilettenspülen, Autowaschen, Strassenputzen, Rasengiessen, für die Papierproduktion und chemische Industrien. Trotzdem werden die bolos nicht «schmutziger» sein als unsere Quartiere - ganz einfach darum, weil kein Dreck mehr anfällt, sondern alles wieder als Rohstoff für andere Verwendungen dient. Abfallverwertung an Ort und Stelle ist darum lohnend, weil die bolos gross genug für vielfältige Kreisläufe sind.


gano

bolo'bolo bringt den ibus nicht nur mehr Zeit für ihre Leidenschaften sondern auch mehr Raum, gano. Ladenflächen, Garagen, Büros, Lager, viele Strassen, Fabrikgebäude werden frei für die Benützung durch die bolos. Da es kein Bodeneigentum mehr gibt, fallen private Beschränkungen, Spekulation, damit verbundene Bauvorschriften, weg. Die bolos können ihre Gebäude so gestalten, einteilen, bemalen, benutzen, wie es für ihr nima passend erscheint. Sie werden sich im Rahmen des Quartiers über die Zuteilung von Arealen und Gebäuden untereinander verständigen können.

Es geht für die bolos nicht in erster Linie darum, neue Bauten zu erstellen, sondern sich in vorhandene einzunisten und die im Überfluss schon angehäuften Baumaterialien zu verwenden und wieder zu verwenden. Da gano auch ein integrierender Bestandteil des Energiesystems ist (z.B. passive Sonnenenergie, Wärmezonen, Isolation usw.), stellt die Verwendung der heutigen energieintensiven Betonbauten und der verstreuten Einfamilienhäuser die bolos vor einige Probelem. Hochhäuser können terrassenartig abgetragen, bepflanzt und so mit verglasten Veranden versehen werden, dass ihr Energiebedarf drastisch sinkt. Die Nordwestseiten können im Winter abgedichtet und nicht mehr zum Wohnen (nur noch als Lager usw.) verwendet werden. Zwischen den Stockwerken können Treppensysteme eingebaut werden, wodurch kanas entstehen können. Umgekehrt können Einfamilienhaussiedlungen durch Zwischengebäude, Verbindungsgänge usw. so verdichtet werden, dass bolos sich einnisten können:



 

Da alle bolos ihre Eigenart auch architektonisch ausdrücken können, wird die heutige Monotonie der Siedlungen verschwinden. Die städtischen Zentren werden wieder vielfältig und lebendig werden, vor allem, weil die Trennung in City und Schlafstädte aufgehoben wird. Es wird zu jeder Zeit (auch nachts und sonntags - einige bolos werden vielleicht noch so etwas Perverses wie «Wochen», «Monate» und «Jahre» kennen...) irgendwelche ibus aus dem Quartier selbst auf den Strassen und Höfen haben. Es gibt keine Läden (ausser dem Markt) und daher auch keine Ladenschlusszeiten und verödete Strassen. Die bolos hingegen sind immer «offen».

Einnistung, Vielfalt, Bedürfnis nach dauerndem Umbau und Anpassung an wechselnde nimas werden dazu führen, dass die Städte einen eher «chaotischen», mittelalterlichen oder orientalischen Eindruck machen werden (d.h. sie werden an die Zeiten erinnern, wo sie noch lebendig waren). Improvisation, Provisorien aller Art, vielfältige Materialien und Stile werden die Bauweise charakterisieren. Zelte, Barracken, Hütten, Arkaden, Übergänge über die Strassen, Türme, Halbruinen, überdachte Verbindungsgänge usw. werden sehr häufig sein, weil benachbarte bolos durch besonders viel Austauschabkommen verbunden sind und die ibus selbst trockenen Fusses zu den einzelnen Häusern, zur Küche, zur Sauna, zu den Werkstätten, gelangen möchten.

Ingesamt wird es für die ibus mehr Lebensraum geben als heute - schon weil riesige Büro- und Lagerflächen frei werden, aber auch, weil viele gemeinsame Nutzungen möglich sind. Jedes ibu wird Platz für seine Werkstätte, sein Atelier, seinen Übungsraum, sein Kabinett oder Labor finden. Die Aufteilung des Wohnraums kann jedoch nicht durch irgendwelche Verordnungen (z. B .: j eder hat Anrecht auf 40 m2) geregelt werden, weil der Bedarf von der Lebensweise bestimmt wird. Gewisse Lebensstile bedingen grosse Schlafsäle, andere individuelle Zellen, andere Gruppenräume, Kultstätten, Hängematten, Türme Schubladen, Höhlen, Refektorien, viele Wände, wenige Wände, hohe Räume, niedrige Räume usw.

Obwohl die eigentlichen Ursachen für viele Formen entfremdeter Gewalt (Strassenraub, Vergewaltigung, Überfälle usw.) nicht nur in der Anonymität der heutigen Quartiere liegen, ist doch die ständige Belebtheit der öffentlichen und privaten Räume durch ortsansässige Bewohner ein Beitrag zur Verunmöglichung gesellschaftlicher Brutalität. Die bolos sind auch eine Form «spontaner» sozialer Kontrolle, also eine (passive) Polizei... (Allerdings verunmöglicht nur die totale Anonymität und die völlige Dunkelheit diese spontane soziale Kontrolle manchmal auch Solidarität genannt. Das wäre auch eine mögliche Utopie: sehen und nicht gesehen werden.)


bete

Eigentlich ist es unsinnig, das bete, also die Gesundheitspflege, als besondere Aufgabe betrachten zu wollen. Krankheit oder Gesundheit sind nima-abhängig, also ein Aspekt der ganzen Lebensweise. bolo'bolo selbst ist schon das wichtigste bete, denn es fallen viele Krankheiten weg, die direkt oder indirekt Folgen der Arbeitsgesellschaft sind: Verkehrsunfälle, industrialisierte Massenkriege, stress- und umweltbedingte Krankheiten, viele Berufskrankheiten und -unfälle, psychische Krankheiten.

Die bolos bestimmen (abgesehen von Epidemien) selbst, was sie unter krank oder gesund verstehen wollen. Falls ihnen rituelle Verstümmelungen und Schönheitsnarben gefallen, hindert sie niemand daran. Definitionen von verrückt oder normal verlieren jeden Inhalt. Sie entscheiden auch über die Art von Medizin, die sie praktizieren wollen. (16) Jedes bolo wird einfachere Verletzungen und häufige Erkrankungen selbst behandeln können. Es kann dafür eine bolo-Klinik einrichten und einige besonders erfahrene ibus damit betrauen oder in Bereitschaft halten. Es gibt vielleicht ein Kranken-Haus, wo man die 200 gängisten Medikamente, einige Pflegezimmer, Verbandsmaterial, Notfallausrüstung und Transportgeräte bereit halten wird. Der Rahmen des bolo erlaubt es, Kranke und Gesunde nicht mehr trennen zu müssen (eigentlich sind ja alle ibsu immer krank und gesund zugleich). Bettlägrige, Chronischkranke, Alte, Gebärende, Geistesschwache (z.B. Mongoloide), Invalide, bleiben in ihrem bolo und müssen nicht in Anstalten isoliert werden. Die Konzentration und Isolation arbeitsunfähiger ibus in Krankenhäusern, Altersheimen, Irrenhäusern, Erziehungsanstalten usw. ist eine Folge der Schwäche der Kleinfarnilie, die schon so zwischen Arbeit und Haushalt durchrationalisiert ist, dass sie keine «Störungen» mehr verträgt. Schon Kleinkinder werden für sie zu einem Problem.

Es ist aber auch möglich, dass bestimmte bolos aus einer Krankheit oder einem «Defekt» eine (positive) Lebensweise machen. Es sind Blinden-bolos vorstellbar, wo alles auf die Bedürfnisse von Blinden ausgerichtet ist. Es sind auch enge Verbindungen zwischen Blinden- und Invaliden-bolos denkbar, oder Taubstummenbolos, wo alle ibus miteinander stumm über die Fingersprache verkehren. Vielleicht gibt es auch «verrückte» bolos, wo alles verkehrt abläuft (am Morgen geht man zu Bett, alle gehen rückwärts, Schwarze schminken sich weiss und umgekehrt usw.). Diabetiker, Asthmatiker, Bluter, Epileptiker, Depressive und Paranoiker können sich im bolo ihr eigenartiges Universum einrichten - oder es aber auch bleiben lassen.

Neben den bolos können sich auch Nachbarschaft und Bezirk mit bete befassen. Für schwere Unfälle, komplizierte Krankheiten und die Verhütung von Epidemien wird es ein abgestuftes System geben, das auch den Zugang zur «Spitzenmedizin» (auf Stadtoder Regional-Ebenen) möglich macht, wenn die ibus dies wünschen . Der gesamte Aufwand für dieses bete-System wird aber unvergleichlich kleiner sein als heute für das Spitalwesen. Gerade weil ergeringer ist, wird auch der Einsatz von Ambulanzen, Helikoptern und Flugzeugen durchaus sinnvoll sein können.

Zwar bestehen gute Chancen, dass es uns gesundheitlich besser gehen wird als heute. Doch können Gesundheit und langes Leben nicht als allgemeine Werte dekretiert werden. Heute geschieht dies ja auch nicht aus Humanismus, sondern weil beides Arbeitsfähigkeit bedeutet und profitabel ist. Es gibt Naturvölker, wo das Leben nur kurz ist, dafür anderweitig interessant - und es gibt andere, deren Tradition den «Wert» langes Leben kennt (z.B. die oft erwähnten himalayischen Hunzas). Genauso wird es in den bolos sein. All das ist keine Frage der Medizin, sondern der Selbstbestimmung.


nugo

Das nugo ist eine Goldkapsel, 3,7 cm lang und 0,9 cm im Durchmesser, die mit einem Drehkombinationsschloss gesichert ist, dessen siebenstellige Code-Zahl nur das betreffende ibu selbst kennt, und die eine bei Einnahme sofort tödliche Substanz enthält. Jedes ibu kann sein nugo von seinem bolo jederzeit beziehen, ähnlich wie das taku. Das ibu kann das nugo zusammen mit den taku-Schlüsseln an einer Halskette tragen, damit es sofort erreichbar ist, wenn es aus bolo'bolo aussteigen möchte. Wenn das ibu wegen einer Lähmung oder Verletzung sein nugo nicht selbst einnehmen kann, sind die ibus verpflichtet (siehe: sila), ihm dabei zu helfen.

Wenn das ibu genug von bolo'bolo, nima, yalu, fasi, yaka und anderem hat, dann hat es immer die Möglichkeit, endgültig zu verschwinden und dem (Reform-)Alptraum zu entkommen. Es soll nicht die Ausrede haben, dass es zum Leben verpflichtet sei, weil es Verantwortung für bolo'bolo oder andere ibus trage.

Das nugo erinnert das ibu daran, dass auch bolo' bolo keinen Sinn hat, dass niemand und keine Gesellschaftsform dem ibu in seiner Verlassenheit und Verzweiflung helfen kann. Das Leben ist zum vorneherein ein fataler Fehler und es gibt keinen grösseren Schrecken als nicht sterben zu können.


pili

Jedes bolo ist in einem gewissen Sinn eine «kleine Welt» oder ein «Heim», also ein Ort vertrauter Zeichen. Die Art dieses Zeichen-Heims, der Austausch dieser Zeichen, der Umgang mit ihnen, ist ein wichtiger Teil der kulturellen Eigenart eines bolo. Gefühle, Sinneseindrücke, Ideen, Erfahrungen, Kenntnisse, Ereignisse, Geschichten und Gedichte, Kommunikation, Musik, Pädagogik, Forschung, Medien usw. - all das gehört zu pili.

Kommunikation und Erziehung bilden heute mächtige Monopole des Staates und der Grosskonzerne. Schulen, Universitäten, Gefängnisse und Medienkonzerne sind dazu da, die Kommunikation so zu regulieren, dass die Maschine weiter funktionieren kann. Die bolos brauchen keine solchen Institutionen mehr. Lehren und Lernen wird wieder ein Teil des Lebens selbst. Jeder wird zugleich Lehrling und Lehrer sein. Die jüngeren oder lernenden ibus werden den älteren zuschauen. In den bolo-Werkstätten, Küchen, Laboratorien, Bibliotheken, Landgütern, Apotheken, Ateliers, werden sie das lernen, wofür sie sich interessieren. Die Weitergabe von Wissen und Fertigkeiten wird alle produktiven oder intellektuellen Vorgänge begleiten und «stören». Das bolo-Leben wird ein Gewirr von «didaktischen Digressionen» (lehrhaften «Abschweifungen»).

Schulpflicht und Zwangsalphabetismus verschwinden. Je nach kultureller Eigenart können bolos Lernkabinette einrichten, wo ibus, die gerne unterrichten, Schreiben, Lesen und Rechnen lernen. (Ein bolo ist gerade gross genug, dass einige Schülergruppen gebildet werden können.) Es kann auch sein, dass ein bolo besondere pädagogische Leidenschaften entwickelt hat und daher Schüler von andern bolos dorthin gehen, um bestimmte Fächer zu studieren (im Rahmen von Tauschabkommen oder «gratis»). Vielleicht gibt es sogar Quartiere oder Städte, wo die Übereinstimmung so gross ist, dass eigene Schulen eingerichtet werden können. Doch wird all das völlig freiwillig sein und von Ort zu Ort verschieden. Es wird keine offiziellen Lehrpläne geben, kein hierarchisch gegliedertes Schulsystem, keine Selektion, keine Noten, Dipolome, Titel usw.

Auch spezialisierte Unternehmungen wie Eisenbahnen, Industriebetriebe, Spitäler, Bergwerke, Luftlinien usw. werden «Lehrlinge» ausbilden. Jeder Ingenieur, Arzt, Pilot, Handwerker, Philosoph, wird mit Lehrlingen zu tun haben und sie persönlich betreuen. Daneben unterhalten solche Unternehmungen vielleicht auch spezielle Kurse oder schicken Lehrlinge zu «Meistern» in andern Regionen. Das Wissen kann frei zirkulieren und keine formellen Barrieren werden es behindern. Jeder kann sich «Doktor» oder «Professor» nennen, wenn ihm danach zumute ist. «Fakultäten» oder Fächer können je nach Bedürfnis entstehen. Alle Arten wissenschaftlicher oder «magischer» Traditionen können nebeneinander bestehen.

Um den Austausch von Kenntnissen und Fähigkeiten zu erleichtern, können Nachbarschaften oder Städte auch Akademien auf Gegenseitigkeit (nima' sadi) einrichten. Jedes ibu kann dort Kurse oder Lektionen anbieten und dafür andere belegen. Als Räume können dafür ehemalige Schulhäuser, Fabriken, Warenhäuser, Lagerhäuser, benützt werden, die mit Kreuzgängen, Wandelhallen usw. versehen werden. Kinos, Cafes, Foyers, Galerien, Volieren und Glashäuser, Theater, könnten mit solchen Akademien kombiniert werden und sie zusammen mit dem Markt (sadi) zu Zentren von Quartieren oder Städten machen.

Da die bolos den ibus die meisten Alltagssorgen abnehmen und ihnen viel freie Zeit lassen, können sie sich unbeschwert mit wissenschaftlicher, magischer, praktischer oder spielerischer Vermittlung von Wissen befassen. Die Entdeckung und Entfaltung persönlicher Fähigkeiten wird wohl zur wichtigsten Tätigkeit der ibus überhaupt werden. Die zentralistisch-bürokratische, formalistische Wissenschaft wird überflüssig werden, weil auch die meisten zentralistischen, hochenergetischen (und daher «gefährlichen») Systeme verschwinden. Deswegen bricht aber noch lange kein neues «dunkles Zeitalter» an, im Gegenteil. Es wird mehr Zeit und Möglichkeiten für Forschung und eigene Information geben, weniger «geheimes» Wissen, keine Trennung von Wissenschaft und (verantwortungsloser) Anwendung. Die ibus werden zum vorneherein Techniken bevorzugen, die sie selbst beherrschen können und sich nicht von Spezialisten abhängig machen. Es ist besser, die Abhängigkeit von grossen Informationssystemen zu verhindern, statt immer mehr Energien in die Bewältigung nutzloser Informationsmengen zu stecken. Wissen ist manchmal nichts «Gutes an und für sich», sondern nur akkumulierte Dummheit.

Gewisse bolos oder Akademien werden wegen der Kenntnisse, die man dort erwerben kann, berühmt werden und von ibus von überall her aufgesucht werden. Meister, Gurus, Weise, Hexen, Erfinder und Lehrer von weltweitem Ruf werden Schüler und Adeptenum sich scharen. Schulen, Sekten, Geheimgesellschaften, Zünfte, planetare Netze aller Art, werden sich entwickeln. Gelehrte Debatten, Schismen, Polemiken, Exkommunikationen, Ausschlüsse, Duelle, werden stattfinden. Das allgemeine Gastrecht (sila) wird diesen «wissenschaftlichen» Tourismus und Austausch fördern, mehr als es heute Stipendien vermögen. Die Universität wird universal.

Auch die Medien werden eine andere Bedeutung bekommen. Statt Austausch, Kontakt, wechselseitige Verständigung haben wir heute nur eine funktionale, von Zentren ausgehende Kommunikation und Information. Diese Zentren (Fernsehen, Radio, Zeitungsverlage usw.) bestimmen, was wir wissen müssen, um uns systemgerecht verhalten zu können. Da es kaum «horizontalen» Nachrichtenaustausch gibt, ist zentrale Information notwendig, um ein auf Spezialisierung und Isolation aufgebautes System am Zusammenbrechen zu hindern. Weil niemand mehr Zeit hat, sich darum zu kümmern, was um ihn herum vor sich geht, entsteht eine ganze Flut von Nachrichten. Man erfährt aus dem Radio, dass um die Ecke jemand umgebracht wurde. Statt von weitgereisten Besuchern Neues aus aller Welt zu vernehmen oder selber herumreisen zu können, müssen wir uns das wirkliche Erleben durch zentralisierte Medien simulieren lassen. Je weniger Zeit für wirkliches Wissen zur Verfügung steht, desto mehr «Information» brauchen wir. Die Medien werden so sehr zu einer Ersatz-Welt, dass wir unfähig werden, die erste Welt überhaupt noch wahrzunehmen.

bolo'bolo verringert durch seine intensiven inneren Wechselwirkungen und Austauschverhältnisse die Menge nicht erlebter Ereignisse und damit auch das Bedürfnis nach Information. Lokale Neuigkeiten müssen nicht durch Zeitungen oder übers Radio verbreitet werden, weil die ibus genug Zeit haben, sie selbst mündlich auszutauschen. Plaudern und Klatschen an Strassenecken, auf Märkten usw. ersetzen Lokalzeitungen. Auch die Art der Neuigkeiten verändert sich: es gibt nichts mehr über Politiker (Spiegel adee!), Staatsaktionen, Kriege, Bestechungsskandale, also zentralistische Ereignisse zu berichten, ganz einfach, weil sie nicht mehr stattfinden. Es «passiert» nicht mehr viel, d.h. das tägliche Spektakel verlagert sich von der abstrakten Medienwelt in die bolo-Küche.

Das erste Opfer dieser neuen Verhältnisse wird die Massenpresse. Nicht nur erlaubt dieses Medium wenig Zwei-Weg-Austausch (Leserbriefe als Alibi), es bedingt auch eine grosse Papier-, Wasser- und Energieverschwendung. Papierene Information wird sich auf unregelmässige Bulletins, Veröffentlichung von Kommissions-Verhandlungen und Zeitschriften aller Art beschränken.

Die Massenbücherproduktion wird stark reduziert werden können. Es werden viel weniger Bücher benötigt, weil die bolos eigene Bibliotheken einrichten können. Dazu braucht es etwa 100 mal weniger Bücher als mit der heutigen Kleinhaushaltverteilung. Das braucht weniger Bücher, bringt aber dem einzelnen ibu zugleich Zugang zu einer grösseren Vielfalt. Technisch-wissenschaftliche Bücher können in Datenbanken gespeichert werden und am Bildschirm abgelesen werden. Dadurch wird das Buch als solches wieder aufgewertet. Es wird wieder ein kostbares, solid gebundenes, gepflegtes Luxusobjekt wie etwa im Mittelalter. Es wird als Buch geschätzt und nicht einfach als Informationsquelle benutzt und weggeworfen (wie heute Taschenbücher). In gewissen bolos werden in Schreibstuben sogar kunstvoll illumierte Handschriften hergestellt - zum Tausch auf den Märkten oder als Erinnerungsgeschenke zur Besiegelung wichtiger Abkommen.

Da die bolos eine grosse Selbständigkeit besitzen und auch gemeinsame Aktivitäten im Quartier und in der Region von ihnen direkt mitbestimmt werden, bekommen elektronische Medien eine andere Bedeutung. Zum einen sind sie nicht mehr so wichtig und man kann ganz gut auf sie verzichten, da viele andere kulturelle «Kanäle» offen sind (die bolos sind selber eine permanente «show»). Schnelle Information ist nur in Notfällen erforderlich und im übrigen kann man selber hingehen, wenn einen etwas interessiert. Radio, Fernsehen, Computer-Dateien, bilden Hobbies einiger bolos, die darin ihre Eigenart verwirklichen. Daneben gibt es vielleicht an einigen Orten lokale Kabelfernsehnetze, Radios, Videotheken, die von Quartieren oder Städten betrieben werden. Im Unterschied zu heute werden die direkt Beteiligten die Möglichkeit haben, solche Projekte selber zu kontrollieren, sodass die Gefahr zentralistischer Manipulationen vermieden werden kann. Kein Medium wird eine «zentrale» Position beanspruchen können und es kann auch keinen Platz dafür geben.

Das gilt auch für den Einsatz von Computern. Sie werden nicht als technische Prothesen für mangelnde Kommunikation dienen, sondern entweder spezielle Hobbies sein oder Zusatzfunktionen übernehmen. bolo'bolo ist kein Computersystem und auch nicht von Computern abhängig. Jedes bolo entwickelt seine Tauschbeziehungen allmählich auf Grund persönlicher oder kultureller Vorlieben und riskiert so nicht, die Übersicht über seine Verpflichtungen oder Ansprüche zu verlieren. Gewohnheit, Listen, Karteien, genügen notfalls, um Lieferungen zu organisieren. Selbstverständlich ist es möglich, zu solchen Zwecken das reichlich herumliegende elektronische Material zu verwenden. Es gäbe heute schon für jedes der zehn Millionen bolos auf diesem Planeten einen Terminal. Und da Banken, Grossfirmen, Versicherungen usw. keine Computer mehr brauchen, würden theoretisch grosse Kapazitäten frei. Doch Okonomie steht bei den bolos nicht im Vordergrund und es wäre absurd, sich all diese Mühe mit Programmen, Anschlüssen usw. zu geben, wenn man auch ohne gut durchs Leben kommt. In Kombination mit dem Telephonnetz (das ganz nützlich wäre) wären Computernetzwerke zur Verbesserung des Güteraustauschs, zur Abstimmung der Produktion («Planung», «Optimierung», Prognosen) und zum Abruf von Daten vorstellbar. Da jedoch kaum alle bolos mitmachen würden und andere nur teilweise, wäre ein solches System immer unvollständig und könnte es auch nie verbindlichen Charakter haben. Die bolos sind von ihrem Wesen her einfach zu wenig von der Elektronik abhängig, um ein Interesse an einem solchen Netz zu haben. Für einige bolos könnte die Elektronik aber sicher zusätzlichen Reichtum bedeuten, z.B. für Tüftler, Spieler, Mathematiker und Logiker. Ein allgemein zugänglicher Informationspool - organisiert von solchen bolos - könnte verschiedene Menus bereithalten, aus denen man erfahren könnte, wo welche Produkte, Kenntnisse oder Fertigkeiten gerade verfügbar sind. An zentralistischer Verwaltung, für die heute Computer am meisten eingesetzt werden, würde aber so wenig anfallen, dass es kaum mehr die Mühe lohnen würde.

Wie andere Technologien würde auch die Informatik lokalen, bestenfalls regionalen Charakter haben und mehr von kulturellen als ökonomischen Faktoren bestimmt sein. Eine Abhängigkeit von einer solchen Technologie wäre daher unmöglich und sie selbst würde in engen Grenzen bleiben und nicht das Herzstück irgendeiner «Entwicklung» bilden. Hingegen wäre der Aufbau eines planetaren Telephonnetzes als Notkommunikationssystem (eventuell mit Funkanlagen und Satelliten) sinnvoll. Jedes bolo sollte mindestens einen (aber nicht 500!) Anschluss besitzen. Das würde bedeuten, dass jedes ibu mit iedem andern jederzeit reden kann, wenn es dringend ist. Für diese 10 Millionen Anschlüsse (auch da machen ein paar Millionen sicher nicht mit) gibt es heute schon genug Material - es müsste nur richtig verteilt und eingesetzt werden. Das Telephon ist energetisch billig und könnte so doch helfen, Transportarbeit zu sparen. Es könnte ein Kommunikationssicherheitsnetz bilden für Katastrophen, Mangelsituationen, Seuchen, Unfälle. Doch das «elektronische Weltdorf» erscheint an keinem Horizont...


kene

Die Aufteilung von nötigen Arbeiten innerhalb eines bolos (Wer wäscht ab?) ist von dessen Lebensweise abhängig und es kann darüber keine allgemeinen Regeln geben. Anders verhält es sich, wenn bolos zusammen etwas unternehmen oder gemeinsame Werke auf der Ebene von Quartieren, Regionen usw. organisiert werden. Jedes bolo entscheidet selber, ob es an solchen Unternehmungen teilnehmen will, aber es schliesst sich natürlich auch von gewissen GratisDiensten aus, wenn es nicht mitmacht.

Gemeinsame Unternehmungen wie Spitäler, Energieversorgung (Elektrizität, Bergwerke), Spitzentechnologien, Medizin, Landschaftspflege, Transportwege, Kommunikationsmittel, Wasserversorgung, Rohstoffgewinnung, Massenproduktion ausgewählter Güter, Grosstechnologien (Raffinerien, Stahlwerke, Fabriken, Werften) brauchen eine bestimmte Zahl ibus, die bereit sind, dafür zu arbeiten. Selbstversorgung und handwerkliche Eigenproduktion werden den industriellen Bereich drastisch verkleinern, sodass relativ wenige Arbeitskräfte benötigt werden. Entscheidend ist nicht irgendeine wirtschaftliche Konjunkturdynamik, sondern der Wille der beteiligten Gemeinschaften. Arbeitstempo und -qualität wird durch jene bestimmt, die die Arbeit tun. Es gibt weder Löhne noch Chefs, weder Eile noch Rentabilität. Da jeder Arbeiter in sein bolo «desertieren» kann, bleiben solche Unternehmungen eine relativ lahme, harmlose und gemütliche Sache, die kein ibu gross erschrecken kann. Trotzdem ist es vernünftig, einige Fabriken und zentralisierte Institutionen zu unterhalten - so macht z.B. ein sorgfältig geplantes und mit allen Umweltschutzschickanen versehenes mittelgrosses Stahlwerk die Natur weniger kaputt als ein Schmelzofen in jedem Hinterhof.

Zu einem grossen Teil wird es möglich sein, für solche gemeinsamen Unternehmungen ibus zu finden, die darin ihre Lebensauffassung verwirklichen können, ja sogar ihren «Beruf» sehen, um es altmodisch auszudrücken. Warum sollten nicht ibus Interesse daran haben, Ingenieur, Pilot, Giesser, Lokomotivführer, Bergwerksarbeiter usw. zu werden? Es braucht ja nicht für immer zu sein und die Arbeitsbedingungen können selbst bestimmt werden. Ein Problem stellt sich erst, wenn die gleichen bolos, die beschliessen, eine gemeinsame Unternehmung zu starten, unter ihren ibus niemanden finden, der die Arbeit gerne tut. Dieser «Rest» kann sehr verschieden gross sein - wenn er allzu gross wird, werden sich die bolos überlegen müssen, ob ein solches Unternehmen für sie wichtig genug ist. Halten sie daran fest, so besteht eine Lösung darin, die Restarbeit auf alle bolos zu verteilen und sie als Fronarbeit zu verrichten. Diese Form der gemeinsamen Arbeit besteht in den meisten Kulturen, die keine Lohnarbeit und daher auch kein Steuersystem kennen.

kene ist eine Art «Naturalsteuer» in der Form von Arbeitskraft. So könnte es sein, dass die bolos 10% ihrer Arbeitszeit dem Quartier zur Verfügung stellen, die Quartiere 10% ihrer Arbeitszeit der Stadt usw. Innerhalb der bolos würde sie nach dem Rotationsprinzip verteilt. Es ist denkbar, dass kene vor allem aus notwendiger, aber wenig anspruchsvoller oder unangenehmer Arbeit bestünde, z.B. Bewachung stillgelegter AKWs, Reinigung von Kanälen, Strassenreparaturen, Bergbau. Wenn es gelingt, solche Arbeit zu reduzieren, fällt kene tendenziell bald weg. Inzwischen bleibt es eine jener Grenzen, die wir dem Fortschritt seit dem Paläolithikum verdanken... Wir können nicht alle sammlen und jagen.


tega

Durch Nachbarschaft, gemeinsame Unternehmungen und praktische Arrangements entstehen Verbände von bolos. Die Form solcher Föderationen, bolo-Bündel oder Koordinationen wird von Region zu Region und Kontinent zu Kontinent verschieden sein und von unterschiedlichen Traditionen beeinflusst. bolos können auch isoliert bestehen (z.B. im Dschungel) oder in Gruppen von zwei oder drei. Sie können nur locker organisiert sein, oder sehr eng verwoben (in Städten). Es kann Überlappungen geben, Enklaven und Exklaven, Wechsel usw.

Eine häufige Form der Zusammenarbeit von zehn bis zwanzig bolos ist sicher das tega: ein Dorf, eine Nachbarschaft, eine Kleinstadt, eine kleine Talschaft, ein Landgebiet, ein Quartier.

Ein tega kann zustande kommen durch geographische Zusammengehörigkeit, städtische Struktur, kulturelle oder geschichtliche Faktoren oder einfach aus gegenseitiger Vorliebe. Ein tega (Nachbarschaft) erfüllt für seine bolos oder einzelne ibus bestimmte praktische Aufgaben: Strassen, Kanäle, Wasserversorung, Energie, kleine Betriebe und Werkstätten, Verkehrswesen, Spitäler, Gewässer- und Waldpflege, Materiallager, Feuerwehr, Markt, allgemeine Hilfe und Reserven für Notfälle, Theater, Kinos, Restaurants usw. Die bolos organisieren für solche Dinge eine Art Selbstverwaltung auf lokaler Ebene. Entscheidend ist dabei nicht das Territorium, sondern die Unternehmung. Ein bolo kann also zu mehreren tegas gehören; tegas können fliessend ineinander übergehen. Im Gegensatz zu heutigen Formen lokaler Verwaltung (Quartier-Räte, Blockkomitees, Gemeinden, Sowjets usw.) sind tegas von unten bestimmt und nicht einfach Kanäle zentraler Verwaltungen. Die bolos mit ihrer grossen Selbständigkeit begrenzen die Macht solcher «Regierungen» und verhindern, dass sie eine bürokratische Eigendynamik entfalten. Die bolos sind die Garantie dafür, dass die tegas «riskiert» werden können.

Wenn die bolos das wollen, können Nachbarschaften auch gesellschaftliche Funktionen ausüben. Sie können Ausschüsse haben, die sich mit Konflikten zwischen bolos oder ibus befassen, die Duelle überwachen (siehe: yaka), die helfen neue bolos zu gründen oder ausgestorbene bolos aufzulösen, die tega'bolos einrichten (für ibus, die sich auf keine bestimmte Lebensweise einigen können, aber doch in einem bolo leben möchten...) Im Rahmen der Nachbarschaften sollte es auch Platz haben für Lebensweisen ausserhalb der bolos: für Eremiten, Kleinfamilien, Vagabunden, Nomaden, Misanthropen, Dandies, Genies, Kommunen oder Zweierbeziehungen. Diese Individuen oder Gruppen können mit bolos oder dem tega Abkommen treffen über ihre Versorgung mit Lebensmitteln, Unterkunft usw. Sie bilden einen Teil des Reichtums einer Nachbarschaft. Diese kann sogar eigene Landwirtschaftsbetriebe (tega'kodu) unterhalten und bestimmte Produkte für die ganze Nachbarschaft erzeugen. Kurz, das tega entfaltet so viele Aktivitäten, wie die beteiligten bolos wünschen: Bäder, Klein-Opern, Häfen, Springbrunnen, Feste, Eisbahnen, Galerien, Regatten, Pastetenbackwettbewerbe, Schlachthäuser, Bäckereien... Die bolos müssen dabei nur aufpassen, dass sie nicht zuviel von ihrer Unabhängigkeit verlieren - die ersten Schritte auf dem Weg zum Staat sind oft sehr harmlos.

Schematisch vereinfacht könnte ein städtisches tega etwa so aussehen:



Gesellschaftliche Einrichtungen, auch solche mit scheinbar nur praktischen Aufgaben, haben die fast natürliche Neigung, eine Eigendynamik zu entwicklen und ihre Mitglieder zu «verraten» . Zusammenarbeit erzeugt Macht und es gibt immer Gruppen, die sich diese Macht aneignen wollen. Wenn man ihn nicht bewusst verhindert, erwächst der Staat aus jeder Art gesellschaftlicher Organisation. Das beste Hindernis gegen diese Tendenz ist die Unabhängigkeit der bolos. Ohne sie müssen alle formalen demokratischen Machtbegrenzungsmethoden scheitern, sei es nun das Prinzip der Delegation von unten, Ämterrotation, Gewaltenteilung, Öffentlichkeit, Informationspflicht, Wahl durch das Los usw. Kein demokratisches System kann demokratischer sein als die materielle, existentielle Selbständigkeit seiner Mitglieder. Es gibt keine Demokratie für ausgebeutete, wirtschaftlich und kulturell erpresste Leute.

Ausgehend von der Autarkie der bolos können einige Vorschläge gemacht werden, wie das Risiko des Staats trotz gesellschaftlicher Zusammenarbeit vermindert werden kann. Innerhalb des bolos gibt es keine Regeln - die Art der Entscheidungsfindung wird durch die jeweilige Lebensweise bestimmt. Doch auf höheren Ebenen (Nachbarschaft, Stadt, Region) könnten folgende Verfahren sinnvoll sein (viele andere sind auch denkbar).

Die Nachbarschaftsangelegenheiten werden in einer Delegiertenversammlung (tega'dala) diskutiert und ausgeführt. Jedes bolo entsendet zwei Delegierte und dazu kommen zwei externe Vertreter (dudis) aus andern Versammlungen (siehe unten). Die boloVertreter werden durch das Los bestimmt und die Hälfte davon müssen Männer sein (damit die Fraugen wegen ihrer «natürlichen» Mehrheit nicht das Übergewicht haben). Altersgrenzen gibt es keine. Kinderdelegierte können ihre Mütter, Väter oder Onkel/Tanten mitbringen.

Das tega'dala wählt aus seinen Mitgliedern zwei dudis, ebenfalls durch das Los. Diese Delegierten werden durch ein weiteres Los-System in andere dalas (Nachbarschaft, Städte, Regionen) anderer Stufen entsandt. So schickt vielleicht ein tega'dala Barceloneta (Barcelona) einen Vertreter ins sumi'dala Andalusia, das sumi'dala Bayern einen ins tega'dala Kreuzberg (Berlin), das fudo'dala Tsüri einen Vertreter ins tega'dala Appenzell oder umgekehrt. Solche auswärtigen Vertreter hätten volles Stimmrecht und wären natürlich nicht etwa zur Diskretion verpflichtet - im Gegenteil. Sie sollen «fremde» Gesichtspunkte ins Spiel bringen, interne Mauscheleien ausbringen, Gewohnheiten durchbrechen, also beobachten, stören, spionieren. Ähnlich wie die überall auftauchenden Gäste und Nomaden können sie helfen, Isolationserscheinungen in bolos und Nachbarschaften zu durchbrechen. Sachunkenntnis, Unabhängigkeit, Unbekümmertheit, sind ihr wichtigster Beitrag.

Zusätzlich könnten alle Amtszeiten aller dalas auf ein Jahr begrenzt werden. Die Sitzungen sollten öffentlich sein oder durch Radio/Fernsehen übertragen werden. Jedermann sollte an Sitzungen zu Wort kommen können, nicht nur Delegierte. All das erinnert an Häuptlingstreffen (nur sind die «Häuptlinge>) hier verlost) oder Thing-Räte.

Die bolo-Vertreter hätten je nach bolo-Eigenart verschiedene Stellungen. Manche wären ganz unabhängig, andere an strenge Instruktionen «gebunden» (eigentliche Sanktionen wären kaum möglich), je nach dem, ob sie ein mehr liberales oder mehr soziales bolo vertreten. Alle Vertreter wären selbst zuständig für die Ausführung der Beschlüsse und würden in verschiedenen Ausschüssen mitwirken, sodass ihre Tätigkeit als eine Form der Fronarbeit (kene) betrachtet werden kann.

Die dalas aller Ebenen können nicht mit Parlamenten oder Regierungen verglichen werden. Sie verwalten nur, was die bolos ihnen übrig lassen und was die bolos zulassen. Ihr Spielraum ist gering, ihre Legitimation schwach (Los), ihre Unabhängigkeit bedroht, ihre Aufgaben praktischer Art und lokal begrenzt. Sie gleichen eher den alten Tagsatzungen, Senaten oder «Oberhäusern», d.h. es sind Treffen selbständiger Eiheiten, eine Art Feudal-Demokratie ahne Adel. Es sind nicht einmal Konföderationen und sie können leicht an Uneigkeit zerbrechen. Physische Sanktionen, Rechtsetzung, Zwang (alles, was den «Rechtsstaat» ausmacht) fällt ins Leere, weil jedes ibu ungehindert «fliehen» oder in einem bolo «Asyl» (sila) finden kann. Der «rechtsfreie Raum» umzingelt die gesellschaftlichen Einrichtungen, sodass sie kaum gedeihen können. Volksversammlungen sind immer und überall möglich. Was sollen dagegen 40 oder 60 dala-Delegierte ausrichten?


fudo

Die bolos und ihre Nachbarschaften können die meisten Probleme allein regeln. Aber da sie oft Landsitze oder andere Ressourcen ausserhalb der engeren Nachbarschaft haben, braucht es eine weitere Koordination zwischen ihnen. Zehn oder zwanzig tegas könnten so ein fudo (eine Stadt, eine Klein-Region, einen Kanton, einen Bezirk, eine Talschaft usw.) bilden.

Die Grösse solcher Bezirke müsste sehr flexibel sein, je nach geographischen Bedingungen und bestehenden Strukturen. Es könnte einen Lebensraum für etwas 200000 ibus oder 400 bolos bilden. Möglichst wenige Güter sollten über die Grenzen eines fudo hinaus verschoben werden. In seinem Rahmen sollten Agri-kultur (kodu) und Fabri-kultur (sibi) eine Einheit bilden und bis zu 90No oder mehr selbstversorgend sein (Bio-Region). Innerhalb eines fudo kann jedes ibu herumreisen und innert eines Tages wieder nach Hause kommen (und dabei noch Zeit haben, etwas zu erledigen). In dicht bevölkerten Gegenden könnte das eine Fläche von ca. 50 x 50 km sein - also noch mit dem Velo zu bewältigen.

Ein Bezirk hätte etwa die gleichen Aufgaben wie eine Nachbarschaft, nur in grösserem Rahmen: Energie, Transport, bestimmte Technologien, Notfall-Spital, Märkte und Messen, Reserven, Rohstoffe usw. Eine besondere Aufgabe der fudos wäre es, sich um Wälder, Gewässer, Berggebiete, Moore oder Wüsten zu kümmern, also um Gebiete, die nicht zu einzelnen bolos oder Nachbarschaften gehören und die gegen allerlei Gefahren geschützt werden müssen.

Ein fudo könnte durch eine Bezirks-Versammlung (fudo'dala) organisiert werden. Jede Nachbarschaftsversammlung (tega'dala) würde zwei Delegierte (I Mann + 1 Frau) entsenden, die durch das Los bestimmt werden. (siehe: dala, dudi)

Einige Bezirke wären besonders gross, weil sie Städte mit mehreren Millionen Bewohnern umfassen. Zwar können viele Grossstädte durch Abwanderung auf vielleicht 500000 Bewohner ausgedünnt werden, doch einige werden schon gross bleiben müssen, damit sie ihren besonderen Charakter nicht verlieren (Paris, New York, Hong Kong, Rio usw.). Grossstädte sind nicht leicht auf Selbstversorgung umzustellen. Die Bildung von Stadt-bolos stellt keine besonderen Probleme - sie entsprechen meist schon bestehenden Strukturen. Die landwirtschaftlichen Basen solcher Grossstadt-bolos wären jedoch sehr weit weg, sodass andere Formen gesucht werden müssen. Grossstadt-fudos könnten zu diesem Zweck Tauschabkommen mit benachbarten LandBezirken oder Regionen abschliessen und ihre Dienste (Theater, Kino, Druckerein, Restaurants usw.) gegen Lebensmittel tauschen: für Besucher wäre dann alles gratis. bolos in Aussenquartieren könnten hingegen ohne weiteres auch landwirtschaftlich selbständig sein. So entstünden in Grossstädten bolos, die direkt von Regionen (sumis) oder Regionskoalitionen versorgt werden. (17)


sumi

Die autonome Region (sumi) ist für bolos und ibus die grösste unmittelbar erlebbare gesellschaftliche Einheit. Solch eine Region kann eine unbeschränkte Zahl von bolos, Nachbarschaften oder Bezirken umfassen, vielleicht 20 bis 30 Bezirke mit 8000 bolos und mehreren Millionen ibus. In besonderen Fällen können es auch mehr sein, in andern nur einige Tausend ibus - z. B . auf Inseln, in Gebirgen, im Eis oder in der Wüste. Es gibt einige hundert Regionen auf diesem Planeten; die meisten von ihnen wird man auf dem gleichen Kontinent bei ihrem Namen kennen.

Eine Region ist zuerst einmal eine geographische Einheit: eine Gebirgsgegend, ein Gebiet zwischen zwei Flüssen oder Gebirgszügen, eine grosse Insel oder Halbinsel, ein Küstenstrich, eine Ebene, ein Dschungel, ein Flussbassin, ein Archipel usw. Sie bildet eine Einheit bezüglich der Verkehrsmöglichkeiten und sie sollte genug Ressourcen haben, um weitgehend autark sein zu können. Der grösste Teil des Austauschs und der Kommunikation unter den bolos wird sich im Zusammenhang der Region abspielen. Sie ist keine administrative, sondern eine Einheit des praktischen Alltagslebens. In gewissen Fällen kann sie heutigen Staaten (USA) entsprechen, oder Republiken (UdSSR, Jugoslawien), Herzogtümern, Provinzen, offiziellen Regionen (Italien, Frankreich), Ländern (Deutschland) usw. Aber in vielen Fällen sind diese Einteilungen rein administrativ oder unpraktisch und nicht lebensfähig. Oder sie wurden sogar absichtlich geschaffen, um kulturell eigenständige Regionen zu zerreissen und gefügig zu machen.

Es gibt in der Tat viele Regionen, die nicht nur geographisch bestimmt sind, sondern wie die bolos eine kulturelle Eigenart besitzen (dies braucht aber nicht immer der Fall zu sein). Sie haben z.B. eine typische Sprache oder einen Dialekt, eine Geschichte gemeinsamer Kämpfe, einen ähnlichen Lebensstil, bestimmte Wohnformen und Architekturen, eine Religion, traditionelle Einrichtungen und Feste, eine eigene Küche usw. All das und einige Zufälligkeiten können eine regionale Identität ausmachen. Für die Verteidigung solcher Identitäten haben seit jeher und auch heute noch Kämpfe gegen zentralistische Unterdrückung stattgefunden: die Iren, die Indianer, die Indios, die Basken, die Ibos, die Korsen, die Katalanen, die Jurassier, die Palästinenser, Kurden, Armenier usw. Die Geschichte der meisten Nationalstrassen besteht in der Unterjochung regionaler Kulturen.

Die regionale Eigenart kann mehr oder weniger stark ausgeprägt sein als jene der dazugehörigen bolos und auch von ihr abweichen. Im allgemeinen sind regionale Kulturen, die sich frei entfalten können, auch wieder sehr tolerant mit andern Kulturen: die Abgrenzung ist dann keine Überlebensfrage mehr. Die Stärke der bolos ist gerade die Stärke einer Region. Die bolos wählen sich die Region, an deren Unternehmungen sie teilnehmen möchten, selber. Sie können in bestimmten Bereichen auch zu mehreren Regionen gehören, denn diese sind nicht territorial bestimmt und brauchen keine Grenzen. Indem eine Region bolos «verliert» oder «gewinnt» kann sie sich dauernd neuen Verhältnissen anpassen. Eine Region geht so in die andere über und man weiss nie, ob man nun noch in Turonia oder schon in Mandoland ist. Solch lebendige Regionen sind eine Möglichkeit, alle jene Probleme zu lösen, die durch absurde nationale Grenzen verursacht wurden. Die Nationen, die geschaffen wurden zur Sicherung der Herrschaft des Zentralstaats, werden in einem Patchwork «weicher» Regionen aufgelöst. (18)

Typische bolos, deren Lebensweise auf einer Regionalkultur aufgebaut ist, sind zugleich «Botschaften» der Regionen unter einander und fördern so den Austausch und damit die gegenseitige Toleranz. (Anatol-bolos in Berlin, Alp-bolos im Kongo, Britobolos in Rio, Sizilo-bolos in Boston usw.) Keine regionale Kultur wird für andere zu einem Meltingpot, sondern sie lässt sich von der Andersartigkeit von «Gast-Kulturen» bereichern. (Vergessen wir aber nicht, dass regionale Traditionen nur eine Quelle kultureller Selbstbestimmung unter vielen sind!)

Autonome Regionen können sich mit allen Aufgaben befassen, die die beteiligten bolos ihnen übertragen wollen. Darunter wären vielleicht besonders zu erwähnen: Bewachung stillgelegter Atomkraftwerke und radioaktiver Depots (Minenfelder, Stacheldraht, MG-Nester, rotierendeWachmannschaften usw. für einige zehntausend Jahre), Unterhalt einiger Bahn-, Bus- oder Schiffslinien, spezielle Kliniken, Laboratorien, Energie-Exporte/Importe, Katastrophenhilfe, Schlichtung bzw. Austragung von Streitfällen, Teilnahme an kontinentalen oder planetaren Unternehmungen. Die allenfalls für solche Aufgaben notwendige Arbeitskraft kann von den Bezirken in der Form von Fronarbeit (kene) erbracht werden.

Eine Regionalversammlung (sumi'dala) könnte etwa so aussehen: zwei Delegierte aus jedem Bezirk, weitere 40 Delegierte aus 20 verlosten bolos - etwa 60 Mitglieder. Dazu kommen neben den üblichen beiden auswärtigen Vertretern (dudis) noch je zwei aus allen angrenzenden Regionen. In der Regionalversammlung Burgund sässen also auch stimmberechtige Vertreter aus der Champagne, aus Lothringen, dem Jura usw. und umgekehrt. Solche Nachbarschaftsvertretungen könnten die Zusammenarbeit unter Regionen verbessern und Isolationstendenzen vermindern. Benachbarte Regionen könnten darüber hinaus auf vielen Gebieten eng zusammen arbeiten, z.B. im Verkehrswesen und bei der Rohstoffgewinnung.

In Europa (in einem lockeren geographischen Sinn) gäbe es ungefähr 100 autonome Regionen, in beiden Amerika 150, in Afrika 100, in Asien 300 und auf dem Rest der Welt nochmals 100, zusammen 750. Die Welt sähe dann so aus: (wobei die Grenzen nicht als Linien, sondern als Übergangszonen zu verstehen sind)


 

 


asa

asa ist der Name des Raumschiffs «Erde». Die autonomen Regionen sind die einzelnen Räume dieses Raumschiffs und wir alle seine Passagiere. Die Regionen können sich an planetaren Unternehmungen beteiligen, die von der planetaren Versammlung, dem asa'dala, organisiert werden. Jede Region schickt eine Zweiervertretung (1 Frau + 1 Mann) zu seinen Sitzungen, die abwechselnd je ein Jahr in Beirut und in Quito abgehalten werden. (Jemand müsste diese beiden Städte noch fragen, ob sie Lust haben, 1500 Leute zu beherbergen.) Das asa'dalaist ein Forum für Kontakte unter sumis, es fördert Begegnungen, Geplauder, den Austausch von Gütern, Projekten, Ideen und Beschimpfungen. Es könnte sich auch um ein paar planetare Hobbies kümmern, wie etwa: Meeresnutzung, Rohstoffverteilung, interkontinentale Eisenbahnlinien, Fluglinien, Ozeanschiffahrt, Epidemiebekämpfung, Meteorologie, Telephon, Forschungsprogramme aller Art, Medikamente, Aufforstungen, asa'pili-Wörterbuch, Post, Spitzentechnologien, Gespräche mit Delphinen und Walen, Raumfahrt usw. Die Sessionen des asa'dala und seiner zweihundert Kommissionen bilden den Anlass für völkerwanderungsähnliche Aufläufe zehntausender ibus. Sie nehmen an verschiedenen Versammlungen teil, «stören» alle möglichen Sitzungen, reden auf Delegierte ein. Wichtige Sitzungen werden vom Fernsehen per Satellit weltweit übertragen.

Welche Regionen an planetaren Unternehmungen teilnehmen und wieviele es sein werden, hängt ganz von ihren Interessen und Neigungen ab. Es wird sicher Regionen geben, die abseits stehen und auf die Dienstleistungen des asa'dala verzichten werden. Dank der mehrfachen Selbstversorgungsnetze wird kein bolo oder keine Region von planetaren Strukturen wirklich abhängig sein. Der Ruf der Regionen, ihr Ansehen, werden oft wichtiger sein als «praktische» Vorteile.

Ohne die Selbständigkeit der bolos und der Regionen bestünde eine gewisse Gefahr, dass aus dem asa' dala eine Art Weltregierung entstehen könnte. Doch das asa'dala wird sich hauptsächlich um Gebiete kümmern, für die kein einzelnes bolo oder keine Region «zuständig» ist: Meere, die Atmosphäre, Polargebiete, Wüsten usw. Das asa'dala wird nur über die Dinge beschliessen, die ihm von den Regionen zugewiesen und übrig gelassen werden.


buni

Die einfachste und alltäglichste Form des Austauschs von Dingen zwischen ibus, bolos und Regionen sind Geschenke - buni. Vieles wird einfach zirkulieren und benützt werden, ohne dass nach einem Eigentümer gefragt werden muss. Lokale Kreisläufe und intensive persönliche Kontakte sorgen dafür, dass nichts «verloren» geht und dass «Geschenke» (der Begriff wird unter diesen Bedingungen überflüssig) immer wieder zurückkehren. Da Ansehen, Freundschaft und persönliche Beziehungen wichtig sind, wird der Wert von Sachen oder Arbeitsleistungen relativ. Auch wenn Verbrauchsgüter verschenkt werden, «lohnt» sich das immer wieder.

Geschenke haben viele Vorteile für den Gebenden und den Nehmenden. Wer etwas gibt, bestimmt dessen Form und Qualität und betreibt daher mit seiner Gabe eine Art kulturelle Propaganda. Das Geschenk erinnert den Beschenkten an den Geber, dessen gesellschaftlicher Ruf und Einfluss so verstärkt wird. Gaben wirken als Verlängerung der Person über diese hinaus - und der Beschenkte erhält zugleich einen Anlass sich zu revanchieren. Das Schenken und Wieder-Schenken bildet so einen wichtigen Teil der gegenseitigen Verständigung, eine Form der nonverbalen Kommunikation. (Auch Worte sind eigentlich Geschenke - heute werden sie von manchen als Dienstleistungen berechnet.)

Schenken ist auch darum eine günstige Form des Austauschs, weil wenig Arbeit in den Tauschvorgang gesteckt werden muss. Es muss kein Wert kalkuliert werden, es gibt keine Abrechnungen, keine Buchhaltung. Es braucht keine Zeit für das Handeln oder für den Abschluss von Verträgen. Schenken kann überall spontan geschehen. Es gleicht in seiner Wirkung den Regeln der Gastfreundschaft: persönliche Austauschformen sind langfristig «profitabler». Die heutigen schnellen und anonymen Verkaufstransaktionen sind hingegen auf die Länge unbefriedigend. Oder wo liegt der persönliche Gewinn im Supermarkt, am Bankautomat, im Warenhaus? Was verbindet uns mit Kassiererinnen, einem Kreditcomputer?

Die Bedeutung des Schenkens wird von der örtlichen Situation abhängen. In einem relativ geschlossenen, eng zusammenlebenden Kreis ist es die ideale Form des Austauschs. Da Geschenke aber unregelmässig und unzuverlässig sind, werden bolos, denen es auf einen geregelten, vorhersehbaren Lebensablauf ankommt, sich mehr auf andere Formen des Austauschs abstützen (siehe unten). Einige Lebenseinstellungen vertragen sich besser mit dem Geschenksprinzip als andere. Doch lassen sich alle andern Formen als Unterkategorien des Geschenks betrachten, als geplante oder irgendwie sonst definierte Geschenke. Was heute als «Gegenwart» in Geld ausgedrückt wird, ist eine lebensfremde Abstraktion, denn der Gewinn jedes Austauschs hängt von vielen Aspekten und nicht nur von der in ein Ding investierten Arbeitszeit ab. Der Kauf/Verkauf ist eine brutale Reduktion des Schenkens und betrogen sind dabei schliesslich alle Beteiligten.


mafa

Das mafa ist ein von den bolos geschaffener Geschenk-pool. Im Rahmen eines Quartiers oder einer Region legen die bolos gemeinsam einige Reserven an, aus denen sich dann jedes bolo je nach Bedürfnis bedienen kann. mafa gibt also den beteiligten bolos mehr Sicherheit im Falle von Notsituationen, Katastrophen, Engpässen oder Pannen. Das mafa bildet das Netz unter dem bolo-Trapezakt der Selbstversorgung.

mafa gleicht im Prinzip den heutigen Sozialversicherungs­systemen, es ist eine Versicherung in der Form von Naturalien. Das können Grundnahrungsmittel (Milchpulver, Getreide, Salz), Betriebsstoffe (Erdöl), Medikamente, Ersatzteile, Kleider, Baumaterialien usw. sein. mafa kann auch die Form eines Werkzeug- und Maschinenverleihs haben, eines Fahrzeugpools. Es ist eine Art Gratis-Warenhaus, zu dem jeder seinen Beitrag leistet und von dem jeder bezieht, was er braucht. mafa wird von den beteiligten bolos selbst verwaltet und so besteht kaum die Gefahr, dass es - wie andere «sozialistische» Systeme - Abhängigkeiten von einer zentralen Bürokratie schafft. Natürlich können Streitigkeiten entstehen, wenn ein bolo mafa übermässig zu beanspruchen scheint. doch in einem überschaubaren Rahmen, wo alle sich kennen, wird das höchst selten sein.

mafa ist auch möglich auf kontinentaler Ebene oder sogar weltweit. Einige Regionen zusammen können solche Pools schaffen, die vor allem in der Übergangszeit, wenn noch viele bolos im Entstehen sind, wichtig sind. mafa kann den bolos in bisher elend gehaltenen Gebieten (Dritte Welt) dabei helfen, ihre Selbstversorgungsbasis aufzubauen. Es kann den direkten Austausch zwischen bolos ergänzen, wenn die Probleme zu gross sind.


feno

Die meisten bolos brauchen oder wünschen eine grössere Vielfalt an Gütern oder Dienstleistungen als sie selber herstellen können. Einige dieser Güter werden sie regelmässig und langfristig benötigen - Geschenke eignen sich da nicht und auch mafa ist nicht dafür bestimmt. Für solche dauernden Lieferungen schliessen die bolos unter sich Naturaltauschabkommen ab - fenos. Dabei geht es vor allem um Produkte des täglichen Bedarfs, die regelmässig und in grösseren Mengen gebraucht werden: Lebensmittel, Reparaturdienste, Stoffe, Dünger, kosmetische oder medizinische Dienstleistungen usw.

Solche Tauschabkommen bereichern die Selbstversorgung und machen sie auch weniger arbeitsaufwendig, weil sie parallele Spezialisierungen vermeiden. Für bestimmte Güter sind grössere Produktionseinheiten und eine gewisse Spezialisierung auch für die Umwelt weniger belastend. Durch den Abschluss beliebig vieler und verschiedenartigster fenos vergrössert sich der Reichtum der bolos entsprechend. Dabei werden sie lediglich darauf achten müssen, nicht zuviel von ihrer Autarkie preiszugeben.

Die Anzahl und Bedeutung solcher Tauschverträge wird je nach innerer Struktur und kultureller Eigenart eines bolo verschieden sein. Eher verschlossene, stille bolos werden wenige fenos haben, offene extravertierte mehr. fenos entstehen nicht aus rein praktischen Erwägungen (wie Tauschverhältnisse, Distanz, Qualität), sondern auf Grund persönlicher oder kultureller Kontakte und Vorlieben. Man wird mit jenen bolos tauschen, die man auch sonst mag, die eine ähnliche (oder gegensätzliche Lebensauffassung haben, die bestimmte Herstellungsmethoden anwenden. (19)

Da das feno-Geflecht eines bolo (oder auch eines Quartiers, einer Region) sich allmählich entwickeln wird, besteht kaum die Gefahr, dass es unübersichtlich wird und man grosse Karteien, Listen oder gar Computer brauchen wird. Das Eintreffen bestimmter Lieferungen (Lämmer im Frühling, Obst im Herbst, Wein im Winter) wird vielleicht ein Bestandteil der Folklore eines bolo werden und durch Feste markiert sein. Trotzdem ist es denkbar, dass bolos, die weniger gefühlsmässige Beziehungen zu ihren fenos haben, diese mit Hilfe von Computern verwalten. Mit einfachen Optimierungsprogrammen könnten Distanz, Menge, Qualität und Zeitpunkt der Lieferungen im Rahmen mehrerer bolos aufeinander abgestimmt werden. Doch ein grosser Vorteil ergibt sich daraus kaum, da ja andererseits ein ganzer Reichtum an direkter Kommunikation verloren geht. Diese muss dann auf andere Weise, mit besonderen Veranstaltungen, wiederhergestellt werden. (siehe: pili)

Mit der Zeit werden die Tauschabkommen ein gut ausbalanciertes, dichtes Netz von Beziehungen bilden. Es kann sich wechselnden Verhältnissen dauernd anpassen und Doppelspurigkeiten können immer mehr vermieden werden. Um den Transportaufwand niedrig zu halten, werden häufige Lieferungen oder solche von grossen Mengen durch benachbarte bolos gemeinsam ausgeführt. Das feno-System spielt sich so ein und wird ein organischer Kreislauf, der viele Aspekte berücksichtigt. Wenn ein bolo z.B. 500 fenos hat, wird es 300 davon mit benachbarten bolos unterhalten. Nachbar-bolos können dadurch so intensiv zusammenwirken, dass eigentliche Bi-bolos, Tri-bolos oder Pluri-bolos entstehen, bolo-Bündel. Je weiter entfernt ein Tauschpartner ist, umso leichter, raffinierter, werden die Produkte sein und umso weniger häufig die Lieferungen. Von weit entfernten bolos werden nur noch typische Spezialitäten in kleinen Mengen bezogen: Kaviar aus Odessa, Tee aus Sri Lanka, Haselnussöl aus Anatolien, Trockenfleisch aus Graubünden, Gewürzbrot aus dem Burgund usw.

Naturaltauschabkommen spielen auch eine grosse Rolle für den Austausch zwischen Regionen und Kontinenten. Dort wird es vor allem um bestimmte Industrieprodukte und Rohstoffe gehen. Da die daran beteiligten Partner eine gewisse Autarkie haben, kann über die Austauschverhältnisse (terms of trade) gleichberechtigt verhandelt werden. Es geht nicht mehr so sehr um Arbeitsstunden und Werte, sondern auch um die sonstigen Beziehungen zwischen Regionen (die ihrerseits durch Kontakte zwischen einzelnen bolos beeinflusst werden). Es ist nicht denkbar, dass bolos untereinander enge persönlich/kulturelle Beziehungen haben, aber die entsprechenden Regionen sich gegenseitig erpressen.

 


sadi

Geschenke, gemeinsame Reserven und Tauschabkommen verringern zusammen mit der Eigenversorgung das Bedürfnis nach einem ökonomischen, d.h. (arbeits-)zeitkalkulierenden Austausch drastisch. Die Vielfalt der kulturellen Identitäten macht Massenprodukte und daher auch das Entstehen von Massenmärkten unmöglich. Es wird kaum für einen anonymen Markt und fast immer für sich selbst, für bestimmte Abnehmer oder für Freunde produziert. Die für ein Produkt aufgewendete Arbeitszeit wird wegen der Einzigartigkeit der Produkte schwer zu vergleichen sein und genaues Wertmessen (ausgedrückt in Geldbeträgen) deshalb höchst unsicher. Der «Wert» wird - wie heute z.B. bei Kunstwerken von zu vielen Faktoren bestimmt sein und der Markt daher zu einer Art Glücksspiel.

Trotzdem kann es natürlich vorkommen, dass einzelne ibus (sie haben ja immer noch taku, ihren Eigentumskoffer) oder bolos für bestimmte Zwecke einen kalkulierenden Austausch vorziehen. Dafür gibt es die lokalen (städtischen, regionalen) Märkte sadis. Sie ergänzen die anderen, wichtigeren Formen des Austauschs.

Die meisten Quartiere oder Bezirke (Städte) halten tägliche, wöchentliche oder monatliche Märkte ab, Regionen veranstalten Messen aller Art. Solche Märkte können in Fabrikhallen, Schulgebäuden, Kirchen oder Lagerhäusern untergebracht werden, damit sie auch bei Regen und Kälte stattfinden können. Darum herum entwickeln sich verschiedenste gesellschaftliche Aktivitäten: Bars, Theater, Kaffeehäuser, Billiardsalons, Zirkusse, Lese-Zirkel, Klubs usw. Der Markt wird zu einem belebten Treffpunkt, zu einem informellen Kommunikationsforum wie die orientalischen Bazars. Kauf/Verkauf sind nur ein «Vorwand» für alle möglichen Interessen. Vieles, was sonst durch besondere Bürokratien erledigt werden müsste, kann ganz direkt/persönlich auf dem «Markt» geregelt werden.

Umgekehrt zeigt sich auf dem Markt der «Charakter» eines Quartiers. Er kann chaotisch, ordentlich, armselig, bunt, laut, verschlafen, freundlich oder missmutig sein. Je nach dem wird ein Marktkomitee (sadi'dala) den Markt gemäss den Wünschen der bolos organisieren, die Art der zugelassenen Waren bestimmen, die Dauer, die Währung, hygienische und qualitative Erfordernisse. Märkte sind ideal für nicht lebenswichtige, leicht transportierbare, seltene, in kleinen Mengen gebrauchte und hoch spezialisierte Produkte. Das können Einzelstücke sein, individuelle Werke, Antiquitäten, Delikatessen, Drogen, Parfüms, Schmuckstücke, Kleidungsstücke, Lederartikel, Kunstwerke, Kuriositäten, Bilder, Bücher, Programme, Waffen, elektronische Teile, Farben usw. Wenn ein ibu so etwas sucht, kann es sich weder auf eventuelle Geschenke verlassen, noch für einen einmaligen Tausch ein Abkommen (feno) schliessen. Eventuell gibt es auch elektronische «Inseratenmärkte», mit deren Hilfe wichtige Einzelstücke (z.B. Ersatzteile) gesucht werden können.

Da die grossen interkontinentalen oder regionalen Güterverschiebungen geldlos erfolgen, gibt es auch keine internationalen Währungen: jeder Markt kann sein eigenes, lokales System entwickeln. Ein Quartier oder eine Stadt können eine eigene Geldwährung alten Typs einführen (Schillinge, Zechinen, Dublonen, Taler, Gulden, Heller in Papier, Metall oder Plastik). Sie können in Gold oder Silber rechnen, mit Muscheln oder Jadestücken. Andere bevorzugen Chips wie in einem Kasino, die man bei Verlassen des Markts abgeben muss (dafür gibt es Soll oder Haben auf einer Marktbank). Mit Hilfe von Computern und magnetischen «Kreditkarten» kann der Markt «geldlos» organisiert werden: jeder Marktbesucher eröffnet ein Konto und wenn er geht, wird automatisch registriert, wieviel er vom Markt zu gut hat oder ihm schuldet. Um die Ansammlung allzu grosser Positivsaldi (Vermögen) zu verhindern, könnte durch ein Zufallsprogramm eine Art elektronischer Potlatsch eingebaut werden: in Zeiträumen zwischen einem halben und zwei Jahren werden alle Vermögen getilgt. Einige Währungen werden konvertibel sein, andere nicht. Auch Gold wird nicht mit Sicherheit überall angenommen werden. Die Märkte werden zu einem numismatischen Abenteuer, weil Geld eben an sich nur noch ein Hobby ist, kein existentielles Problem wie heute. Die Märkte werden eine Rolle spielen, die mit jener im Frühen Mittelalter zu vergleichen ist: unterhaltsame Ergänzung eines selbstversorgerischen Lebensstils. (20)


fasi

Ist das ibu ein sesshaftes oder ein nomadisches Wesen? In seiner (von ihm selbst erfundenen) Geschichte erscheint es als Steppenreiter und Kathedralenerbauer, als Bauer oder Zigeuner, als Schrebergärtner oder Globetrotter. Die bolos setzen eine gewisse Sesshaftigkeit voraus (wegen der Landwirtschaft) und eine reine Sammlerinnen- und Jägerzivilisation wird erst wieder möglich, wenn die Weltbevölkerung auf einige Millionen abgenommen haben wird. bolo ' bolo soll aber die freie Bewegung auf dem ganzen Erdball für alle wieder möglich machen. Keine zwangsweise Sesshaftmachung wird nomadische bolos oder Sippen mehr daran hindern herumzuziehen. Keine Landesgrenzen oder Gesetze werden sie behindern.

Auch die einzelnen ibus fühlen sich erst wohl, wenn sie sicher sein können, dass sie jederzeit nach Patagonien, Alaska, Kamtschatka, Zanzibar oder Paris verreisen können. Dies ist möglich, weil alle bolos den Reisenden Gastrecht gewähren und diese darum unbeschwert losziehen können. Da niemand Angst haben muss, dass das Geld ihr/ihm ausgeht, fehlt jeder Zeitdruck und wird das Reisen geruhsamer. Der heutige immense Energieaufwand für Schnellverkehrsmittel kann drastisch reduziert werden, weil es nicht mehr darum geht, möglichst schnell möglichst weit zu kommen. Es sind keine Charterflüge mehr nötig, um Westafrika oder Südamerika in drei Wochen abzuklappern, weil der Job auf einen wartet. Die Reisenden sind keinegehetzten Touristen mehr. Reisen wird wieder zu einem Erlebnis.

Das bolo'bolo-Transportwesen ist darauf ausgerichtet, möglichst wenig Güter und Pendler hin- und herzuschieben. So viel wie möglich wird lokal hergestellt und die ibus wohnen und arbeiten meistens im gleichen Quartier oder Dorf. Berufsverkehr, Einkaufsverkehr, Massentransporte, Massentourismus, verschwinden - die Verkehrsmittel werden vor allem für Personentransporte, die der Lust am Reisen dienen, verwendet. Denn Reisen ist ein Vergnügen an sich und es gibt keinen Ersatz dafür. Hingegen hat der Kopfsalat nichts davon, wenn er aus ökonomischen Gründen (niedrige Löhne) tausend Kilometer bis zum Konsumenten «reist».

Da sich das Leben zum grössten Teil im bolo und im Quartier abspielt, kann das ibu die meisten Ortsveränderungen zu Fuss vornehmen. Die Quartiere sind Fussgängerparadiese mit vielen Durchgängen, Brücken, Arkaden, Galerien, Passagen, Vordächern. Im Sommer und im Winter, bei Regen und Schnee gibt es immer trockene Pfade durchs ganze Quartier. Unbehindert durch lästige Lichtsignalanlagen (kaum mehr Autoverkehr) kann das ibu sogar schneller herumkommen als heute. Vor allem aber wird es weniger gestresst.

Innerhalb des Bezirks (Stadt, Nahverkehrsbereich, bis ca. 20 km) ist das Fahrrad das ideale Verkehrsmittel. Neben persönlichen wird es bolo-eigene und allgemein benützbare Fahrräder an Tram- und Bahnstationen geben. Das Fahrrad ist zusammen mit dem ibu (das den Treibstoff in Form seiner Nahrung aufnimmt) das energetisch wirkungsvollste Transportsystem überhaupt. Dazu braucht es jedoch einigermassen gepflegte Wege. In gebirgigen Gegenden, bei schlechtem Wetter oder im Winter ist es unpraktisch (immerhin würde es sich lohnen, ein Netz überdachter Velowege anzulegen). Wo es genug Schnee hat, eignen sich hingegen für den Nahverkehr Langlaufskis, Hundeschlitten oder Troikas.

Im Gebirge und auf dem Land überhaupt sind Tiere sinnvoll, da ihr Futter sozusagen am Wegrand wächst: Esel, Maultier, Kamel, Pony, Pferd, Yak, Hund, Ochse, Elephant. Auch in den Städten können z.B. Pferde (oder noch besser Maultiere, die bezüglich Futter weniger heikel sind, aber dafür mehr Erfahrung im Umgang erfordern) in einem beschränkten Rahmen ganz nützlich sein. Das vor allem für Transporte zwischen Landgütern und Stadtsitzen (sibi'bolo und kodu), weil dann ihr Futter nicht noch zusätzlich in die Stadt gebracht werden muss. In der Stadt jedoch ist das ibu selbst (+ Fahrrad, +Ski, +Rollschuh, +Schlitten) das universale Verkehrsmittel.

Als Rikscha, mit Anhängern, als Dreirad, kann das Fahrrad auch gut für Kleintransporte (bis 100kg) verwendet werden. Ein Pentadem kann mehrere ibus transportieren und dazu erst noch etwas 350kg Nutzlast befördern:

Verglichen mit dem Fahrrad sind auch die relativ wenig Energie benötigenden Massenverkehrsmittel wie Trolleybus, Tram oder U-Bahn sehr aufwendig, weil sie eine komplizierte Infrastruktur erfordern (Geleise, Wagenmaterial, Leitungen usw.). Sie sind zudem laut, oft schlecht ausgelastet (ein Fahrrad fährt nie leer) und manchmal gefährlich. In einer mittelgrossen Stadt (ca. 300000 Einwohner) würde ein reduziertes öffentliches Verkehrsnetz von drei Linien genügen. Wenn an den Haltestellen Fahrräder bereit stehen, können innerhalb der Stadt die meisten bolos in einer Viertelstunde erreicht werden (aber wahrscheinlich hat es ohnehin niemand so eilig).


 

In ländlichen Gegenden sind Buslinien, Sammeltaxis oder sogar Privatautos geeignete Nahverkehrsmittel.

Da jedes bolo (bzw. sein Landgut) nur eine Zufahrtsstrasse braucht und der Verkehr ohnehin sehr gering ist, kann das arbeitsaufwendige Strassennetz stark reduziert werden. Die meisten Stadtstrassen, Autobahnen, Überlandstrassen werden entweder überflüssig oder können auf eine einzige Spur reduziert werden. Auch der Bedarf an Parkplätzen, Parkhäusern usw. wird entsprechend kleiner. Was an Automobilverkehr bleibt, ist langsam (20kmh innerorts), sporadisch und rücksichtsvoll (man kennt die Fahrer). Es handelt sich vorwiegend um Lastwagen und Busse (betrieben mit Biogas, Dampf, Holzvergaser, etwas Diesel und Benzin), Ambulanzen, Feuerwehrwagen und Spezialtransporte.

Wenn das ibu will, kann es per Velo nach Palermo, Ulan Bator oder Luanda gelangen. Es kann sich aber auch regionalen Verkehrsmitteln anvertrauen, die von Bezirken, Regionen oder Regionalverbänden unterhalten werden. Meist sind dies langsame, mit Dampf, Gas, Elektrizität oder Kohle betriebene Eisenbahnen, die selten fahren und oft anhalten. Sie fahren oft nicht nach starren Fahrplänen, sondern nach Bedarf - danach kann man sich telephonisch erkundigen. An andern Orten gibt es Kanalschifffahrt, Küstenschiffslinien, Buslinien oder Pferdekutschen. In Kombination mit Nahverkehrsmitteln in einzelnen Bezirken und mit Fahrrädern genügen oft zwei regionale Verkehrslinien (in einer «normalen» Region):


 

Wenn ein ibu weit reisen will, wird es sich zum nächsten Bahnhof der interkontinentalen Eisenbahn, die von einer Kommission des asa'dala betrieben wird, begeben. Ihr Schienennetz sieht so aus:


Dieses Schienennetz kann weitgehend auf bestehenden Linien aufgebaut werden, nur in Afrika und Südamerika braucht es noch einige Ergänzungen. Damit das Reisen etwas bequemer wird, könnte man einige Strecken auf russische Breitspur umstellen (z.B. Lissabon-Wladiwostok oder Helsinki-Kapstadt). Die interkontinentale Eisenbahn und die dazu gehörenden Ozeanlinien (San Francisco-Wladiwostok, Lissabon-New York, Singapur-Sydney usw.) bilden das Rückgrat des planetaren Verkehrsnetzes - innert einiger Wochen kommt man überall hin.

Das Flugzeug wird nur in besonderen Regionen (Polargebiet, Wüsten, Archipele, Dschungel) und für Sonderfälle, wo Geschwindigkeit wichtig ist (Krankentransporte, Katastrophen­hilfe, Beerdigungen, Ersatzteile, Medikamente usw.) benützt werden, weil Infrastruktur und Treibstoff einen unverhältnis­mässigen Aufwand verursachen. Vergnügungsflüge werden durch Verlosungen zugeteilt.

Da alle ibus (und nicht nur wie heute die reichen) die Möglichkeit haben werden, längere Reisen zu unternehmen, entstehen mit der Zeit auch zwischen weit entfernten bolos persönliche Verbindungen (Freundschaften, Liebschaften, Schwangerschaften, Hirngespinste, Projekte, Tauschabkommen) und entwickeln sich neue Lebensauffassungen. Die bolos werden zu weltoffenen Kreuzungspunkten von Leuten und Ideen. Obwohl die Verkehrsmittel an manchen Orten langsamer sein werden als heute, wird der weltweite Austausch allgemeiner und intensiver. Die ibus haben Zeit, sich mit fremden Kulturen und Sprachen zu befassen und mit andern ibus wirklich auf gleicher Ebene Kontakte anzuknüpfen. Das Reisen wird nicht eine einseitige, ausbeuterische Angelegenheit sein wie heute (reicher Tourist/armer Eingeborener), sondern gegenseitig: es werden Bantus in München auftauchen, Sikhs in Prag, Mongolen in Stockholm, Quiche-Indios in Zürich, Eskimos an der Cote d'Azur, nicht als Flüchtlinge, Asylanten oder Zirkusextoten, sondern als würdevolle Besucher.

 

 

yaka

Ist das ibu ein verträgliches, anlehnungsbedürftiges, liebes Wesen oder ist es streitsüchtig, abweisend, ja gewalttätig? Ist es heute nur darum so aggressiv, weil der Arbeits-Alptraum es neidisch, frustriert und reizbar macht? Das ist sehr wahrscheinlich. Und doch gibt es Eifersucht, verletzten Stolz, Zerstörungslust, Antipathie, Mordgier, Grössenwahn, Abenteuerlust, Jagdfieber, Rechthaberei, Raserei, Amok - denn bolo'bolo ist eine «Zivilisation» mit Grenzen und an diesen muss sich jeder stossen. Diese unvermeidlichen Frustrationen sollen sich nicht ansammeln, machtbezogen fixieren und zu Katastrophen führen. Darum braucht es vielleicht yaka. (21)

yaka ermöglicht Zwist, Streit, Gewalt und Krieg. yakas gibt es zwischen:

ibus und ibus

ibus und bolos

bolos und bolos

ibus und tegas

bolos und tegas

tegas und sumis

ibus und sumis

sumis und vudo

asa und bolos

usw.

 

Streit soll nicht unterdrückt oder staatlich umgeformt (Justiz, Polizei, Armee), sondern an Ort und Stelle durch die Betroffenen ausgetragen werden. Wie andere Arten des Austauschs (hier von heftiger, körperlicher Berührung), werden yakas (Duelle) durch eine Reihe von allgemeinen Abmachungen so geregelt, dass katastrophale Entwicklungen vermieden werden können. Diese yaka-Abmachungen könnten etwa so aussehen:

-es muss eine Herausforderung vor mindestens zwei ZeugInnen erfolgen

-die Herausforderung kann immer abgelehnt werden

-ein örtliches Komitee (dala; z.B. Quartierrat) muss zu einem Schlichtungsversuch eingeladen werden, wenn die Heraus­for­derung angenommen wurde

-die Wahl der Waffen und des Zeitpunkts liegt beim Herausgeforderten

-das yaka (Duell) wird vor einer Abordnung des zuständigen Komitees (yaka'dala) ausgetragen

-das Duell-Komitee besorgt die Waffen für beide Streiparteien (die aus beliebig vielen ibus bestehen können)

-es sind nur «mechanische» Waffen zugelassen (Körper, Ringe, Knüppel, Schwerter, Dolche, Pfeilbogen, Schleudern, Speere, Äxte, Hellebarden - keine Feuerwaffen, Gifte, Tiere, Granaten, Feuer)

-Waffen mit einer Reichweite, bei der man das Weisse in den Augen des Gegners nicht mehr sehen kann, sind ausgeschlossen (ca. 100 Schritte) -die Art der Panzerung gehört mit zur Wahl der Waffen (hier keine Beschränkungen)

-erklärt sich eine Partei für besiegt (weisse Flagge, Fallenlassen der Waffen, Händehochhalten), muss die andere den Kampf sofort einstellen

-für alle Arbeiten, Schäden, Verletzungen usw., die bei einem yaka entstehen, kommen beide Parteien je zur Hälfte auf (kene) (22)

 

Die zuständigen Streitkomitees richten die Kampfplätze ein, stellen Richter (nötigenfalls auch bewaffnete), sorgen für den Abtransport Verletzter oder Toter, schützen unbeteiligte ibus, Tiere und Pflanzen. Wenn der Herausgeforderte nicht freiwillig verzichtet, kann ein Streitkomitee von sich aus kein Duell verhindern. Es sorgt lediglich dafür, dass andere Formen des Austauschs (Reden, Geschenke, Tanzen, Rituale, «sportliche» Wettkämpfe usw.) immer möglich bleiben.

Wenn sich grössere Verbände wie bolos oder gar ganze Quartiere und Regionen herausfordern und bekriegen wollen, kann für die zuständigen Streitkomitees (regionale, kontinentale) ein beträchtlicher Aufwand entstehen, der später allerdings durch die Streithähne/hennen in Form von Lieferungen oder Fronarbeit wieder abgegolten werden muss. Grössere Verbände können aber auch Champions wählen, die für sie kämpfen oder nur kleinere Duellgruppen delegieren. Da es kaum wirtschaftliche Gründe für solche «Stammeskriege» geben wird (sie sind im Gegenteil sehr «kostspielig»), werden sie relativ selten und wenig hartnäckig sein. Je nach ideologischen Vorstellungen dienen die yakas dem Gewinn von Ehre und Ansehen oder gehören sie sogar zum kulturellen Leben gewisser bolos. Umgekehrt können streitsüchtige bolos deswegen auch ein Ansehen einbüssen und geschnitten werden.

Es ist schwer abzuschätzen, wie häufig, wie umfassend und wie blutrünstig Duelle und Kriege sein könnten. Da sie mit vielen «Nachteilen» verbunden sind (Schmerz, Schaden, Trauer, Angst, Verlust des Ansehens) und es keine vernünftigen materiellen Gründe geben kann, werden sie Ausnahmeerscheinungen sein. Und doch können sie nicht einfach durch Sport oder Spiele «sublimiert» werden - nur wenn yakas wirklich «ernst» sind, erfüllen sie ihren Zweck (nämlich Massenkriege zu verhindern). Es ist möglich, dass einzelne bolos ohne periodische Kriege gar nicht bestehen können. Die Gewalt geht also weiter, aber nicht notwendigerweise die Geschichte.

Anmerkungen

 

(1) Die Traumhaftigkeit des Universums («meines» Universums - wer kennt ein anderes?) ist hier nicht als pilosophischer Witz gemeint, sondern als Schlussfolgerung der neuesten Quantenphysik. Es «gibt» keine Aussenwelt, nach der wir uns zu richten hätten. Realität ist nur eine Redensart. Michael Talbot schreibt (MystEcism and the New Physics, Routledge&Kegan Paul, 1981, S. 135): «lm Paradigma der neuen Physik haben wir uns die Welt geträumt. Wir träumen sie uns als ewig, rätselhaft, sichtbar, allgegenwärtig in Raum und stabil in der Zeit, aber wir haben kurze und zugleich unendliche Lücken der Irrationalität in ihrer Architektur zugelassen und ahnen daher, dass sie trügerisch sein könnte.» Nach Heisenberg, Schrödinger usw. kann niemand mehr die Wirklichkeit im wissenschaftlichen Sinn für sich beanspruchen. «Realität» ist heute genauso als reine Zauberformel entlarvt wie die «Heilige Dreifaltigkeit». Die Realisten sind die letzten Gläubigen einer veralteten Religion, charmant, aber halt naiv. Und ihre Liturgie ist die Realpolitik.

Mit der Erschaffung des neutralen Wesens ibu sind wir auf relativ elegante Art und Weise alle Probleme los, die mit dem Verhältnis von Frauen zu Männern zusammenhängen. Natürlich nur scheinbar. Im Rahmen von bolo'bolo sollen diese wichtigen Fragen provisorisch ausgeklammert werden. bolo'bolo befasst sich überhaupt nicht mit den konkreten Inhalten und Formen einer neuen Lebensweise, sondern hauptsächlich mit den Crenzen, innerhalb derer ein Neubeginn möglich ist. Wie in der Einleitung angetönt wurde, ist es jedoch unvorstellbar, dass der industriell/patriarchalische Wahn ohne eine radikale Umwälzung im Verhältnis Frau/Mann zerstört werden kann. Das bolo ist in dieser Hinsicht an und für sich ein «weibliches» Prinzip, nämlich die Rückkehr zum Haushalt, zu überschaubaren, menschlichen Gemeinschaft. Im bolo bestehen die günstigsten Bedingungen für die Abschaffung der patriarchalischen Herrschaft und für ein neues, lockeres Verhältnis der Geschlechter. Die Macht der Männer beruht materiell vor allem darauf, dass sie sich ausserhalb des Haushaltes Machtstrukturen aufbauen konnten, die sich der Kontrolle durch die ganze Gesellschaft und namentlich durch die Frauen entziehen: die lagd, das Vieh, bewaffnete Männerbünde (Polizei, Armee, Sport), Maschinen, Staatsbürokratien usw. Fällt all das weg, wird auch der Mann zu einem Haushälter, und er ist daher für alle Hausarbeiten, von der Kinderbetreuung bis zum Latrinenputzen genauso zuständig. Allerdings ist das bolo mehr als ein Kleinfamilienhaushalt. Es ist selbst schon ein Universum von Künsten, Wissenschaften, Ritualen, an welehen sich Frauen und Männer gleichberechtigt beteiligen können. Das bolo ist also für die ibus ein Raum der Freiheit, wo verschiedene Formen des Zusammenlebens Frau/Mann erprobt werden können. Wie das geschehen soll, ist offen. bolo'bolo bietet nur Bauplätze, aber keine Gebäude...

 

 

 

 

(2) Ein bolo ist keine zufällige Nachbarschaft, kein «kleines Netz» und kein traditioneller Stamm. Allerdings entspricht die Zahl der bolo'ibus (ca. 500) der Mindestzahl der Mitglieder eines Stammes. Etwa 500 Individen machen den kleinst möglichen genetischen Pool der Spezies Homo sapiens aus. Es scheint, dass diese soziale Einheit über Millionen von Jahren hinweg (also schon vor der Entstehung des Homo sapiens) typisch war für alle Jäger- und Sammlergesellschaften. (Das behaupten z.B. Richard E. Leakey and Roger Lewin, People of the Lake. Mankind and ist Beginnings. Avon, 1979. S. 111 ff.) Es ist also durchaus wahrscheinlich, dass die ibus sich in Verbänden dieser Grössenordnung wohl fühlen könnten. Sie hat jedoch unabhängig davon noch andere Vorteile (Landwirtschaft, Energie, Medizin usw.)

Die Zahl 500 schimmert heute noch in vielen Bereichen als Grundeinheit durch: sie entspricht der Bewohnerzahl eines Strassengeviertes in älteren Quartieren, einem Bataillon (Einheit) der Infanterie, dem Fassungsvermögen eines grösseren Saales. Als Personengruppe erlaubt das bolo Selbständigkeit, Vielfalt, Zusammenhalt der Generationen, eine gewisse Arbeitsteilung (ohne Anonymisierung). Die Generationenmischung eines Tsüri-bolo könnte ungefähr (gemäss den Zahlen der Volkszählung von 1980) so aussehen:

 

Alter weiblich männlich

Junge: 211 1-9 28 30

10-19 37 41

20-29 36 39

Mittlere: 197 30-40 36 42

40-50 30 33

50-60 28 28

Alte: 92 60-70 25 20

70-80 20 14

80- 8 5

 

Jede Altersgruppe ist gross genug um interaktionsfähige Gruppen zu bilden (und Endogamie ist möglich).

Während Binswanger/Geissberger/Ginsburg (Wege aus der Wohlstandsfalle, fischer alternativ, 1979, S. 233) Gruppen von über 100 Personen für «unübersichtlich» halten, sagen die Hopi, dass «ein Mensch kein Mensch sein kann, wenn er in einer Gemeinde lebt, die mehr als 3 000 Menschen umfasst» . (Was hier mit «Gemeinde» genau gemeint ist, ist allerdings unklar.) In A Blueprint for Survival (The Ecologist, Volume 2, No . 1, Januar 1972, zitiert nach: David Dickson, Alternative Technology, Fontana, 1974, S. 140) werden «neighborhoods» von 500 personen als Grundeinheit erwähnt («Quartiere» mit 5000 Regionen mit 500000 Personen, dann Nationen). In Thomas Morus' «Utopia» werden 30 Grosshaushalte zu einer etwa gleich grossen Einheit zusammengefasst. Callenbach kennt nur Gemeinschaften (20-30 Leute) und dann «Minicities» von 10 000 Personen. Typisch für die meisten Alternativtheoretiker - ob sie nun auch auf eine Zahl um 500 herum kommen oder nicht - ist jedoch, dass solche Grundverbände immer «administrativen» Charakter haben und bloss bestimmten allgemeinen sozialen oder ökologischen Zwecken dienen. Es sind - wenn auch immer sympathisch ausgeschmückt - technokratische Vorschläge. Im bolo leben hingegen nicht irgendwelche Leute zusammen, nur weil dies praktisch oder umweltschonend ist, sondern weil sie eine bestimmte Lebensweise, eine Tradition, das nima (siehe unten), gemeinsam haben. Keine noch so demokratisch aufgebaute Gesellschaft kann wirklich die Wünsche ihrer Mitglieder ausdrücken. Dies ist auch die Schwäche der meisten Selbstverwaltungsvorschläge (Quartierräte, Basisdemokratie usw.), die in einem «leeren», rein politischen Raum funktionieren sollten. Auch perfekte formale Demokratie kann das Wozu?-Loch nicht stopfen.

Da ein bolo relativ «gross» ist, muss es innerhalb noch weitere Strukturen und Regelungen geben, die sich mit solchen Problemen wie Kindermachen, Erziehung (Nichterziehung), Polygamie, Exogamie, Verwandschaftsbeziehungen usw. befassen. Doch dies wird von bolo zu bolo verschieden sein.

Die bolos sind aus verschiedenen Gründen nicht einfach Stämme - deren Zeit ist unwiderruflich vorbei . Der Slogan «Nur Stämme werden überleben» tönt zwar schön und ro mantisch, doch die Geschichte zeigt, dass die Stämme eben nicht überlebt haben und weiter am Verschwinden sind. Was wir heute noch als Stämme kennen, sind zudem oft patriarchalisch verkrüppelte, bornierte und schwache Gebilde, die nicht mehr als Modell dienen können. Die Stämme (und das waren auch wir vor einigen tausend Jahren)waren «schlecht», weil sie die Entstehung der Arbeitsgesellschaften nicht verhindern konnten - sie haben uns das heutige Schlamassel eingebrockt. Wir selbst waren auch einmal «gute Wilde», genauso wie die Indianer, und haben trotzdem dieses Monstrum geboren. Es gibt keinen Grund zur Annahme, die heute noch bestehenden Stammesgesellschaften hätten es besser gemacht. Heute können nur wir dafür sorgen, dass der selbe Fehler nicht noch einmal begangen wird. Daher müssen wir zu unserer Erfahrung mit der industriellen Arbeitsgesellschaft stehen, sie benützen und nicht einfach irgendwelche Indianerstämme verherrlichen. Das wirkliche «Stammeszeitalter» beginnt erst jetzt.

«Haushalte» einer gewissen Grösse, wie es die bolos sind, sind auch notwendig, weil sonst die Geldwirtschaft zurück kehrt. Wenn das Geld als Mittel sozialökonomischer Kontrolle wegfällt, taucht diese Kontrolle als direkte, persönliche, in der Form der bolos verwandelt wieder auf. Diese «Kontrolle» hat zwar nicht den gleichen, wirtschaftlichen Zweck und bezieht sich nicht einseitig auf die Arbeitszuteilung, sie ist aber doch der «Preis» für die Aufhebung der Isolation/Anonymität, die auch gewisse Vorteile hat. Es ist für das einzelne ibu fast unmöglich zu «verschwinden », «sich zu verstecken » - ausser es lebt in einem bolo, dessen Lebensweise gerade darauf ausgerichtet ist. Gesellschaft, das bedeutet immer auch Polizei, gegenseitige Uberwachung, Bespitzelung, Unfreiheit, Zwang, Einschüchterung, Anpassertum und Kriecherei. Die Mitglieder des bolo werden sich für einander interessieren, eifersüchtig herumspionieren, schauen, wo das Licht noch brennt, wer wann mit wem schmust, ob einer stark oder schwach riecht und nach was. Bald werden an allen Schranktüren Zettel mit Verboten, Hinweisen und Gebrauchs­anweisungen hängen und der ganze WG-, Naturfreundehaus-, Ferienkolonie- und Lagermief wird sich ausbreiten . Die bolos müssen aufpassen, dass sie das richtige Gleichgewicht zwischen Gemeinschaftsleben und geschützter Privatsphäre finden. «Lösbar» ist der Widerspruch (der nicht immer einer zu sein braucht) jedenfalls nicht - sicher nicht abstrakt.

(3) Die Vorstellung vom neutralen Charakter des Geldes trifft man bei vielen Arbeits-Utopisten an. Alternativtheoretiker beklagen oft nur die Inflation und schwärmen von der Wiederherstellung des Geldes als soliden Masses der Arbeit. Typischerweise «übersieht» der amerikanische Utopist Callenbach in seinem Buch «Ecotopia» (Bantam New Age Books - auch als deutsche Übersetzung erhältlich), dass da immer noch munter Dollars zirkulieren und was für gesellschaftliche Folgen das haben muss. Es ist widersinnig zugleich ein System persönlichen, naturverbundenen, direkten Austauschs zu fordern (und das ist das einzig wirklich «ökologische» System) und ein Mittel anonymer Zirkulation (das ist das Geld) zuzulassen. Diese Anonymität oder Nichtzuständigkeit aller erzeugt eben gerade die natur- und menschenvernichtenden Mechanismen. Da Callenbach diese grundlegende Anonymität nur moralisch angreift, braucht er dann auch einen (zwar sympathisch-demokratischen) Zentralstaat, der mit Preiskontrollen und Vorschriften die Auswüchse zurecht zu biegen versucht. Warum sollen die gleichen, die «ökonomisch» etwas zulassen es «politisch» verhindern wollen? Da kann man nur noch ans «Gute im Menschen» glauben und die Bösen ins Arbeitslager stecken.

(4) Das sila ist also nichts Neues, sondern nur eine etwas verbindlichere Version der Gastfreundschaft, die auch heute in einigen traditionellen Gesellschaften noch üblich ist und von der es bei uns noch Spuren gibt. Das Gastrecht ist bei uns in Krise geraten, weil der Kleinhaushalt zu schwach ist, es unter allen Umständen und für längere Zeit gewährleisten zu können. Das Gastrecht ist nicht eine uneigennützige Einrichtung, sondern eine Form allgemeinen Austauschs - wie sila. Wird es überstrapaziert, zeigt sich das in abnehmender Freundlichkeit und wird es in grösserem Rahmen die Neigung vieler ibus zu Reisen so weit dämpfen, bis wieder ein erträglicher Pegel (vielleicht 10%) erreicht ist. sila reguliert sich selbst.

(5) Das kana entspricht einer Sammler- und Jägerhorde, die gemäss Leakay (siehe Anm. 5) der Alltagsverband der ganzen Menschheit (schon vor dem Homo sapiens) während Millionen von Jahren gewesen ist. Wenn man bedenkt, dass wir (und das sind wirklich alle, vom Buschmann bis zum Metropolenpunkie) Millionen Jahre in Gruppen von ca. 25 Leuten die Gegend durchstreift haben. aber erst seit wenigen tausend Jahren als Familien, Dorfgemeinschaften und Städter sesshaft Landwirt­schaft und Handwerk betreiben, dann können wir wohl annehmen, dass das kana etwas ist, das uns irgendwie «eigen» ist. (Jedenfalls ist es sicher «natürlicher» als etwa die Kleinfamilie - eine ganz neue Einrichtung.) Wie das bolo ist auch das kana eine Grössenordnung, die wir über alle Kulturgrenzen hinweg gemeinsam haben.

Das patriarchalisierte kana hat sich bei uns noch als Schulklasse, Infanteriezug, Freundeskreis, Verein, Club oder Parteizelle verpuppt und so seinen paläolithischen Charme in die Arbeitsgesellschaft eingebracht. Mit bolo und kana gehen wir also ganz weit (50000 Jahre) zurück um für einen Sprung nach ganz weit vorn auszuholen . Das «zurück» gilt allerdings nur für die Grösse, nicht aber den ursprünglichen Zweck dieser Gebilde. Ob kana eine Kommune, eine Gang, eine Grossfamilie oder sonst etwas ist hängt vom Lebensstil des jeweiligen bolo ab (siehe unten).

(6) bolo'bolo ist keine ökologisches Überlebenssystem, sondern nur ein Mittel zur Ermöglichung aller möglichen Lebensweisen, Philosophien, Trips oder Traditionen. Es ist selbst keine Lebensweise, sondern nur ein möglichst elastischer Rahmen von Grenzen (biologische, wirtschaftlicher usw.). Es sollen möglichst viele Lebensweisen (wieder) möglich werden und nebeneinander existieren können. Darum kann auch der Kern des bolo 'bolo, das nima, durch das bolo 'bolo gerade nicht definiert werden . Ein nima kann höchstens gelebt werden. Und darum ist es das wichtigste, wichtiger noch als alle Überlebensmassnahmen.

Eine gute Illustration dieses Sachverhalts ist das Schicksal der kolonialisierten Länder. Ihre Verelendung begann nicht mit der materiellen Ausbeutung, sondern mit der planmässigen Zerstörung ihrer nimas durch die christlichen Missionare. Auch heute könnten viele dieser Völker materiell besser leben, aber sie wissen nicht mehr, wozu eigentlich. Auf Samoa (West) z.B. gibt es weder Hunger noch Krankheit und es wird wenig gearbeitet. (Rein wirtschaftlich gehört dieses Land zu den 36 ärmsten Ländern der Welt!) Trotzdem hat Samoa die höchste Selbstmordrate der Welt - und nicht etwa das verwöhnte Tsüri. (Es sind vor allem Junge, die sich umbringen.) Die christlichen Missionare haben dort ganze Arbeit geleistet und die alten Tänze, Feste, Religionen usw. ausgerottet. Diese totale Demoralisierung richtet grössere Verheerungen an als nur materielle Not. Entgegen gewissen vulgär-marxistisch-sozialistischen Auffassungen kommt eben die «Moral» doch vor dem «Fressen», ja sogar die Gastronomie noch vor der blossen Ernährung. Keiner braucht daher verwirrt zu sein, wenn Leute, die dem Verhungern nahe sind, lieber für ihre Religion, ihre Sprache, ihre «Würde» oder andere «Einbildungen» auf die Barrikaden steigen (und den bewaffneten Kampf aufnehmen), statt für den garantierten Minimallohn zu kämpfen. (Siehe: Iran, Baskenland, Indianer, Irland, Indien usw.)

Woher soll das nima kommen? Es ist sicher falsch, es nur in alten ethnischen Traditionen zu suchen. Die Kenntnis solcher Traditionen kann zwar sehr anregend sein, doch kann eine «Tradition» auch spontan neu begründet werden. Warum nicht neue Mythen, neue Sprachen, neue Gesellschaftsformen, Wohnformen, Trachten usw. erfinden? In kommerzialisierter Form geschieht dies ohnehin in der Form von Moden, Kulten und Sekten. Die Ausbreitung verschiedenster, oft sehr «künstlicher» Sekten zeigt, dass immer mehr Leute das Bedürfnis nach einem von einem nima bestimmten Leben haben. Der im Sektenwesen versteckte Wunsch ist die Übereinstimmung von Ideenwelt und alltäglicher Lebensweise - ein neuer «Totalitarismus». bolo'bolo ist also eine Art «pluralistischer Totalitarismus», das verallgemeinerte Sektenwesen. (Betont offene, «nicht­sektiererische» bolos sind in diesem Rahmen auch wieder etwas «Besonderes».) Wir brauchen also z.B. in Tsüri nicht zu den alten Alemannen zurückzugehen, um unser wirkliches nima zu finden. Es wird aber wieder möglich sein, typisch alemannische bolos zu bilden, mit der dazu passenden Sprache, Nahrung, Tracht, mit den alten Märchen, Drogen, Festen (kann man bei Golowin nachschauen).

Da das nima den Kern des bolo bildet, kann es darüber keine Kontrolle und keine Gesetze geben (abgesehen vom sila). Aus dem gleichen Grund sind auch allgemeine Vorschriften über die Arbeitsorganisation in den bolos undenkbar. Eine Norm-Arbeitszeit (heute scheinen 20 Stunden pro Woche für Utopien üblich zu sein) war schon immer das «Prunkstück» utopischer Planer. Bei Thomas Morus (Utopia, geschrieben um 1516) gibt es den 6-Stundentag, bei Callenbach die obligate 20-Stundenwoche . Da es aber im bolo'bolo keine Staat gibt, kann es auch keine staatlich garantierte Arbeitswoche geben. Das nima bestimmt, was in einem bestimmten bolo als «Arbeit» ( = negativ) und was als «Vergnügen» ( = positiv) empfunden wird und ob eine solche Unterscheidung überhaupt einen Sinn hat. Koch kann in einem bolo eine wichtige rituelle Tätigkeit und daher eine Leidenschaft sein, die alle ibus anzieht. In einem andern bolo, wo Musik eine zentrale Rolle spielt, ist die Zubereitung der Mahlzeiten dagegen eine lästige Störung und muss mit Pflichtstundenplänen zugteilt werden. Niemand kann also wissen, ob im bolo' bolo der zwei-Stunden-Tag, die 20-Stunden- oder die 70Stunden-Woche herrschen wird. Es gibt keine verbindliche Lebensweise, die zu einem bestimmten Arbeitszeit/Freizeit-Budget zwingt.

(7) Warum nicht schon bestehende Weltsprachen wie Englisch oder Spanisch als asa'pili benützen? Dies geht darum nicht, weil gerade diese Sprachen Träger des Massenkulturimperialismus sind und daher die lokalen nimas und pilis zersetzen. Auch Esperanto und ähnlich westlich-europäische Kunstsprachen sind an die vorherrschende Kultur gebunden. Die einzig unparteiische Lösung ist eine völlig zufällige, willkürliche, mit keiner lebenden Sprache verwandte Kunstsprache, eben asa'pili. (Es ist also vergebene Liebesmüh, nach den Ursprüngen von asa'pili-Wörtern zu suchen: sie sind rein zufällig entstanden.) (inkl. Pause) asa'pili besteht aus 18 Lauten, die in vielen Sprachen in verschiedenen Varianten vorkommen:

Vokale: a,e,i,o,u

Konsonanten: p,t,k,d,g,m,n,l,s,y,f

 

l kann auch als r ausgesprochen werden: stimmlose und stimmhafte, offene und geschlossene, behauchte und unbehauchte Laute werden nicht unterschieden, die Betonung ist frei.

Die asa'pili-Wörter werden immer mit den Zeichen (siehe unten) geschrieben, es ist also kein Alphabet erforderlich. Die lateinische Schrift dient in diesem Text nur als Behelfsmittel. Es können dafür auch andere Schriften (kyrillisch, griechisch, arabisch usw.) verwendet werden.

Die Verdoppelung eines Wortes bezeichnet eine Mehrzahl: bolo'bolo = viele bolos. Mit dem Apostroph (') können Zusammensetzungen gebildet werden, wobei das erste Wort das zweite bestimmt (wie im Deutschen): asa'pili (Welt-Sprache).

(8) Wieviel Boden zu diesem Zweck z.B. unter mitteleuropäischen Bedingungen nötig ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab, vor allem vom Anteil der tierischen Proteine. In seinem Buch «alternatives energetiques» (editions dangles, 1982, S.63) meint Yona Friedman, dass gemäss den Daten der F.A.O. 100 m2 pro Person genügten. Doch John Seymour benötigt in seinem Buch (Landwirtschaft alternativ Ravensburger, 1976) zur Selbstversorgung einer «grossen Familie» ( = ca. 10 Personen?) 160 Aren, also 16x mehr. Die letztere Zahl scheint realistischer. So braucht z.B. Taiwan bei intensiver Bebauung (und gutem Klima) 6 Aren Ackerland pro Einwohner. Wenn wir mit 16 Aren und 6 Millionen Einwohnern rechnen, so würde in der Schweiz 960000 ha Kulturland benötigt, was weniger ist als die tatsächlich zur Verfügung stehenden 1 079 599 ha und wobei die Nutzung zusätzlich frei werdenden Bodens in besiedelten Gebieten noch nicht einbezogen ist. Seymours Kleinbetrieb ist zudem von der Grösse her ungünstig. Landgüter von ca. 80 ha (es können pro bolo auch mehrere mittelgrosse sein) würden eine zugleich vielfältige und ertragreiche Anbauweise erlauben. (Auch für biologischen Landbau und den Einsatz von Biogasanlagen ist eine gewisse Mindestgrösse erforderlich.)

(9) Die Stadtökologin Merete Mattern ist der Meinung, dass ein 15 km breiter Landwirtschaftsgürtel auch eine so grosse Stadt wie München ernähren könnte. Sie sieht zwei Waldringe (für ein günstiges Mikroklima) und eine intensive Kompostwirtschaft vor (wie Friedman möchte sie mit 100 m2 pro Person auskommen). Das kodu-Konzept liesse sich demnach auch in sehr dicht bevölkerten Gebieten noch durchführen - ja es bestünde noch Raum für gewisse Reserven und Misserfolge. - Die Einrichtung der kodus bedeutet auch nicht, dass die bisherigen Bauern enteignet oder gar vertrieben werden müssen: kodus können in immer engerer Zusammenarbeit auch aus bestehenden Betrieben «herauswachsen». Der bisherige Nur-Bauer erwirbt sich mit diesem neuen System auch das «Recht» auf eine Stadtwohnung...

(10) Die heutige permanente Welt-Hungerkatastrophe ist gerade dadurch verursacht, dass die Verteilung der direkten Kontrolle durch die Bevölkerung entglitten ist. Hunger ist kein Problem der lokalen Nahrungsmittelproduktion sondern wird verursacht durch das herrschende Weltwirtschaftssystem. Mit Ausnahme von Zaire und Liberia könnten schon heute alle Länder der Welt genug Nahrung für ihre Einwohner produzieren. Es stehen heute jedem Erdbewohner 3000 Kalorien pro Tag allein an Getreide zur Verfügung (dazu kommen noch einmal soviel an Fisch, Kartoffeln, Hülsenfrüchten, Gemüse, Fleisch, Milch usw.). (Anne-Marie Holenstein, Zerstörung durch Überfluss, Z-Verlag, 1982, S. 66 ff. und K. Mellanby, Kann die Menschheit ernährt werden?, NZZ Nr.51, 2. März 1983: «Die Dritte Welt ... ist gar nicht in der Lage, solche Überschüsse zu bezahlen.») Das Problem ist also weder die Überbevölkerung (das ist zwar auch ein Problem) noch die Unterproduktion, sondern einzig und allein die Verfügungs­gewalt der Konsumenten/Produzenten über die landwirtschaft­lichen Ressourcen und die Verteilung. Monokultur, Grosspro­duktion und übertriebene Produktion von tierischem Eiweiss (Tierfabriken) bringen zwar kurzfristig Produktivitätsvorteile, sind aber von ihrer Herrschaftsstruktur her zugleich die Verursacher des Hungers und langfristiger Bodenerosion. Eine lokale Selbstversorgung (gemässigt durch selbstbestimmten Austausch) ist fast überall möglich und dank der schonenderen Bewirtschaftung auch sicherer. Dabei sollen selbstverständlich wissenschaftliche Kenntnisse (biologischer Landbau usw.) angewandt werden und nicht einfach zu alten Anbaumethoden zurückgekehrt werden.

Wie steht es nun aber mit der Selbstversorgung z.B. in einem dicht besiedelten Gebiet wie der Schweiz (die es im bolo'bolo in der heutigen Form nicht mehr unbedingt geben wird)? Sie scheint unmöglich zu sein, da der heutige Selbstversorgungsgrad nur bei etwa 50% liegt, wenn man offene und versteckte Energieimporte berücksichtigt (enthalten in Futtermitteln, Chemie, Erdöl) bei nur noch 8,3% (siehe Holenweger, S. 54ff.) . Durch Umstellung der Diät (2000 Kalorien aus pflanzlicher Nahrung, 800aus tierischer) und daher Ausdehnung des Ackerbaus kämen wir auf einen Eigenernährungsgrad von 82,3%. (All das unter heutigen Bedingungen, also ohne Intensivkulturen in den Städten.) Eine Selbstversorgung zu 100% ist jedoch durchaus realisierbar. (Dies nur zur Beruhigung jener, die Angst haben, bolo'bolo bedeute das Verhungern.) Im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Kriegsvorsorge wurde an der Universität Freiburg 1978-1980 ein Computermodell der schweizerischen Landwirtschaft entwickelt. (Ernährungssicherung: Modell-Landwirtschaft im Computer, Gustav Egli, NZZ Nr.16, Juni 1982, S. 65). Gemäss diesem Modell kann die Eigenversorgung mit durchschnittlich 2370 Kalorien bei 32 g tierischem und 43 g pflanzlichem Eiweiss nach vier Jahren Umstellungszeit erreicht werden. In der Umstellungszeit könnte, bei völligem Ausfall von Importen, die Kalorienmenge vorübergehend auf 1900 abfallen, was noch nicht kritisch ist. Die Ackerfläche würde von 260000 ha auf 365000 ha erweitert. Die Eigenproduktion könnte in den ersten zwei Jahren auch so durch die bestehenden Vorräte ergänzt werden, dass die Kalorienmenge nie unter 2370 sinkt (heute beträgt sie übrigens 3 281) (Ernährungsplanung, Kriegsernährungsamt, Nachdruck 1980).

Es ist bezeichnend, dass die Resultate dieser Computermodelle nicht öffentlich zugänglich sind: «Die definitiven Resultate sind vertraulicher Natur und dürfen hier nicht veröffentlicht werden.» Diese Geheimniskrämerei ist darum nötig, weil man die heutigen Manipulationen der Landwirtschaftspolitik nicht entlarven möchte. Man möchte aber auch nicht, dass die Leute erfahren, dass die Schweiz (wie alle Länder) sich (mit bestimmten Veränderungen) selbst versorgen kann und dass keiner verhungern muss, wenn die Export/lmportwirtschaft zusammen­bricht. Die gängige Erpressung mit dem Sachzwang der «internationalen Abhängigkeit der Schweiz» wäre dann leicht zu durchschauen. Mit diesen 500000 Exportarbeitsplätzen und der internationalen Konkurrenz werden heute fast alle Sparmassnahmen, von Lohnkürzungen bis Verzichte auf Arbeitszeitverkürzung, gerechtfertigt. Doch auch die Schweiz kann sich vom Weltmarkt abkoppeln und diesem Sachzwang entgehen, wenn die Lebensweise entsprechend geändert wird...

(11) Die Ernährungsplanung des Kriegsversorgungsamtes (Anm. 11) sieht vor allem eine massive Ausdehnung des Kartoffelanbaus vor (Steigerung um 242%). Daneben muss auch der Rapsanbau (51%, wegen des Öls) und der Rübenanbau (Zucker, Futter) stark erweitert werden . Der Kartoffelverbrauch pro Kopf würde von 4,04 kg auf 21,73 kg ansteigen. Ohne Kartoffeln kann die Eigenversorgung überhaupt nicht sichergestellt werden. Ob Soja in der Schweiz erfolgreich angebaut werden kann, ist noch nicht ganz klar. Soja erbringt 33% mehr Eiweiss pro Fläche als jede andere Feldfrucht und könnte das Eigenversorgungsproblem entscheidend erleichtern. Mit Soja erhält man eine ganze Palette vielfältig verwendbarer Nahrungsmittel: Tofu, Sojamilch, Sojamilchquark, Tofu-Pulver, Okara Sojasauce, Yuba, Sojamehl usw. In Kombination mit Weizen oder Mais lässt sich die Eiweissausnutzung um 1342°70 steigern. Soja und Mais, die heute vor allem als Tierfutter verwendet werden, können als Grundernährungsproblem ohne weiteres lösen. Die ideale bolo'bolo-Küche ist also eine Kombination der chinesischen, mexikanischen (Tortillas) und schweizerischen (Rösti) Küche. An Rezepten fehlt es wahrlich nicht...

(12) Siehe auch: Huguette Couffignal. Die Küche der Armen, März-Verlag.

(13) Peter Reuss, Kochen mit Wildpflanzen, Heyne 480.

(14) Eigentlich sind kodu und sibi nur zwei verschiedene Typen der Energieversorgung (pali): kodu sorgt für die hochwertige Energie, die menschliche, sibi für die weniger wertigen Zusatzenergien. Die Frage der Realisierbarkeit von bolo'bolo reduziert sich also auf pali. - Theorien, Konzeptionen und Technologien der alternativen Energieerzeugung gibt es inzwischen haufenweise. Die meisten ökologischen Energie-Theoretiker weisen auch darauf hin, dass die Energieversorgung kein rein technisches Problem ist, sondern die ganze Lebensweise betrifft. Aus «realpolitischen» Gründen werden diese Zusammenhänge aber oft verschwiegen oder verkürzt. Dies ist etwa der Fall bei der Studie Jenseits der Sachzwänge (Umweltorganisationen, 1978). In dieser Studie wird von mehr oder weniger unveränderten Energiebedürfnissen ausgegangen und es werden lediglich technische und organisatorische Massnahmen vorgeschlagen, wie diese mit weniger Erdöl und ohne Atomenergie befriedigt werden können. Im Prinzip bedeutet das: mehr Kohle und bessere Isolation. Wie noch 1975 rechnen sie mit einem Endverbrauch von 700 Petajoule (was immer das bedeuten mag) für die Schweiz. Automobilverkehr, Individual­haushalt, Grosstechnologie usw. bleiben unangetastet. Wenn man bedenkt, dass 1975 25% der Energie für Verkehr aufgewendet wurde und dass die meiste Energie für Doppel- und Dreifachbeheizung (Folge der Trennung von Arbeit und Wohnen usw.) verpufft wird, dann sollte es unter veränderten Bedingungen gut möglich sein, mit einem Drittel des heutigen Endverbrauchs auszukommen. (Auf ähnliche Grössenordnung kommt auch Yona Friedman - Anm. 8 - mit seiner «civilisation paysanne modernisee».) Ein dermassen reduzierter Energiebedarf kann (im Falle der Schweiz) mit Hydroenergie, Sonnen- und Erdwärme, Sonnezellen, Wind, Biomasse, Holz und etwas Kohle und Erdöl gedeckt werden. Obwohl die Kohle an sich in grossen Mengen und noch auf Jahrhunderte hinaus verfügbar ist, gibt es schwerwiegende Gründe gegen ihren massiven Einsatz: das CO2-Problem, die Gefahren beim Bergbau (mehr Tote als in AKWs), die Landschaftsvernichtung beim Tagbau, der Transportaufwand. Es wird also kein neues Kohlenzeitalter und auch kein eigentliches Sonnenzeitalter geben, sondern ein Geflecht kleiner, durchdachter Kreisläufe, die von sich aus den ganzen, systembedingten, zerstörerischen Energiestrom verringern. Auch die Erzeugung von Sonnenenergie in grossem Massstab erfordert industrielle Investitionen (Metalle, Röhrensysteme, Kollektoren, Speicher, elektrische und elektronische Anlagen), die nur mit grossem Energieaufwand hergestellt werden können und dauernde Kontrollarbeiten nach sich ziehen. Ähnliches gilt für alle «alternativen» Grossanlagen. «Dezentralisierung» braucht nicht unbedingt Unabhängigkeit von Grosserzeugern zu bedeuten - wie schon die Einführung des «dezentralen» Verkehrsmittels «Auto» gezeigt hat, das die zentrale Eisenbahn abgelöst hat. Aus der industriellen Energiearbeit könnte so bestenfalls Energie- Heimarbeit werden. (Analog zur neuen Computer-Heimarbeit.) Auch ein alternativer Energiestrom zwingt zu dauernder Wachsamkeit und Disziplin, verursacht also Kontrollarbeit, Selektion der Kontrolleure und Hierarchie. Es gibt also keinen Umweg um eine absolute Reduktion und Auffaserung des Energiestroms herum. Energie muss durch neue Lebensweisen überflüssig gemacht werden.

Pervers wäre es, in dieser Verringerung des Energiestroms eine Form des «Verzichts» zu sehen. (So etwa Jeremy Rifkin in seinem Buch Entropie.) Einsatz von Energie ist immer auch Arbeit. Hoher Energieeinsatz hat die Arbeit nicht erleichtert, sondern die Anstrengungen nur rationalisiert und in den psycho-sensorischen Bereich verschoben . Nur der geringste Teil der Energie dient wirklich dem Ersatz von Muskelanstrengung. (Diese ist nicht an sich unangenehm, sondern nur in ihrer Einseitigkeit - das zeigt die Zunahme der sportlichen Tätigkeit.) Mit Ausnahme des Transports kommen nur wenige Genüsse direkt aus einem hohen nicht-menschlichen Energieaufwand. Daher werden die Transportmittel, soweit es sie noch gibt, auch auf den lustbetonten Personentransport ausgerichtet sein (siehe: fasi). Viele Ökologen haben offensichtlich Mühe, sich eine Zivilisation nicht-energetischer Genüsse vorzustellen und sehen in der Energie­reduktion eine Form der Askese, der Busse für die heutigen Ausschweifungen. Ja, wir sollen geradezu für unseren «Hedonismus» bestraft werden. Haben sie vergessen, dass die «wichtigsten» Genüsse wenig Zusatz-Energie brauchen: Gastronomie (siehe: yalu), Liebe, Drogen, Tanz, Trance, Meditation, Musik, Spiele, Massage, Baden? Vielleicht sind sie insgeheim von der Massenkonsumkultur doch so stark fasziniert, dass sie ein Zeitalter des Verzichts predigen müssen, um ihre inneren Dämonen zu bändigen. So machen sie die Energiefrage zu einem moralischen Problem. (Moral ist alles, was man nicht gerne tut.)

Der industrielle Energiestrom zerstört aber heute gerade die schönsten Genüsse, vor allem indem er uns die Zeit dafür nimmt - Zeit wird zum grössten Luxusartikel. Energie verschlingt Zeit, die für die Erzeugung und Bändigung gebraucht wird. Weniger (äussere) Energie heisst mehr Zeit für raffinierte Genüsse, mehr Liebe am Nachmittag, mehr Lebenskunst. Zum Leidwesen der Verzichtapostel wird die Bestrafung für unsere heutigen Sünden ausbleiben und wir werden mit rabenschwarzen (ökologischen) Seelen ins Niederenergieparadies eintreten.

Da der Gesamtverbrauch für mechanische Energie relativ gering ist, wird es auch bei drastischer Energiereduktion immer genug Energie zur Erledigung schwerer Arbeiten, für die Landwirtschaft, für einige Maschinen, geben Heute verbraucht z.B. die ganze Landwirtschaft nur 1,5% der Endenergie (3%, wenn man Maschinen, Dünger und Chemie hinzurechnet; gemäss: Ein eydgenössischer Bauernkalender, Panda II/82). Es besteht kein Grund, dass ein Zeitalter der Plackerei anbrechen wird.

(15) Die Schweizer verbrauchen 40% des mit grossem Aufwand erzeugten Trinkwassers allein für WC-Spülung. (Brandenberger u.a., Das Mädchen von der sauberen Schweiz, Lenos, 1982, S. 81) Mit der Verwendung von Scheisse und Urin für die Biogas-Erzeugung (was im bolo-Massstab durchaus sinnvoll sein kann) kann also nicht nur Energie gewonnen, sondern auch Wasser gespart und erst noch nicht verschmutzt werden. Eine grosse Einsparung erbrächte nur schon die zweifache Verwendung etwa von Badewasser zu Spülzwecken.

(16) Eine ideale bolo-Medizin wäre z.B. die Akupunktur, da sie wenig Material, dafür aber viel Kenntnisse/Erfahrung braucht. - Die Medizin ist wohl der am meisten tabuisierte Lebensbereich, die letzte Wissenschaft, deren Legitimation noch einigermassen intakt ist. So erscheint es als ein Zynismus, wenn man sagt, dass das Leben kein absoluter Wert, sondern ein relativer, philosophisch-traditionell bestimmter ist. Wenn in der Tat alle ibus möglichst lange leben wollten, dann müsste das bedeuten, dass eine riesige Überlebensindustrie (künstliche Organe, Intensivstationen in jeder Wohnung usw.) entstehen müsste, die mit all ihrer notwendigen Infrastruktur und Disziplin/Selektion usw. alle Energien der Gesellschaft auffressen würde. Doch diese theoretische Gefahr besteht nicht, weil das höchstens ein nima unter vielen wäre und sich seine Absurdität so auch in schöner Reinheit zeigen würde. Andererseits soll die Spitzenmedizin durchaus existieren können, aber nicht als staatlicher Lebenszwangsapparat, sondern als freiwillige Möglichkeit.

(17) Die Umstellung etwa von US-Monsterstädten wie Los Angeles vom Auto auf Velo, bolo und Selbstversorgung scheint fast unmöglich zu sein. Es ist darum problemloser als die Verwandlung vieler europäischer Grossstädte, weil die Besiedelung relativ wenig dicht ist: viele Einfamilienhäuser, viele Hintergärten, viele Strassen. Es gibt für Los Angeles schon Alternativpläne, die eine quartierweise «Verdichtung» vorsehen, wodurch grössere Flächen für den Anbau frei werden als bei uns und kodu zu einem grossen Teil verwirklicht werden kann. - Viel behutsamer gilt es z.B. in asiatischen Grossstädten vorzugehen, weil diese extrem dicht bevölkert sind. Dort liegt das Problem in der «Modernisierung» der Dörfer, damit ein Rückfluss stattfinden kann. Übersieht man das, ergibt sich leicht eine Katastrophe a la Kampuchea... (Yona Friedman meint allerdings, dass die Dritte Welt-Slums geradezu ideale Beispiele einer ökologischen Wiederverwertungswirtschaft abgeben.)

(18) So etwas wie Nationen, Völker oder gar Staaten sind nicht vorgesehen und haben auch keinen Zweck . Es gibt nur das weltweite sumi-Patchwork und eine Menge wechselseitiger Abmachungen zwischen ihnen, dazu das asa'dala als Treffpunkt. Die Lösung der «nationalen Frage» kann nur in der Auflösung der Nationalstaaten durch die sumis bestehen. Weder ein «Internationalismus» der Staaten noch ein Föderalismus innerhalb von Staaten ist dazu fähig. Staaten erzeugen durch ihre Isolations- und Entladungsschübe nur katastrophale Krampfbewegungen. Sie sind ihrem Wesen nach hierarchische Kriegsapparate, weil sie ihre Funktion dauernd gegeneinander rechtfertigen müssen.

Die Sozialisten versprachen sich die Überwindung des Nationalismus von der weltweiten Vereinheitlichung «rückständiger» Minderheitskulturen in einer modernen Industriegesellschaft. Angesichts dieser Perspektiven haben die Arbeiterklassen immer wieder reaktionäre Nationalismen bevorzugt. Sie gaben ihnen noch mehr Spielraum als es ein kapitalistischer Weltstaat tun würde. Die Linke ist so immer wieder gescheitert und hat der Rechten die ethnischen Traditionen als Agitationsfeld überlassen. Als nationalistische Blut- und Boden-Romantik konnte sie der Faschismus erfolgreich einsetzen.

Die Antwort darauf ist ein extremer sumi-Nationalismus, der ethnische Traditionen transformiert in sein nima aufnehmen kann und sie nicht an einen abstrakten Internationalismus verkaufen muss. Die «nationale Frage» ist kein Problem, wenn sie nicht zur «Staatsfrage» wird.

Verschiedene ethnische Kulturen konnten, wenn sie sich die Staaten vom Hals halten konnten, immer friedlich oder wenigstens nicht übermässig kriegerisch zusammen leben. Jüdische und arabische Gemeinschaften vertrugen sich in Palästina, im Marais, in Brooklyn solange gut, als sie nicht auf die Idee verfielen, sich als Staaten zu organisieren oder sich mit solchen zu identifizieren. Dass die Juden auf die «Staatsidee» gekommen sind, ist natürlich nur eine Auswirkung des Nationalismus in Deutschland, Russland usw., der seine jüdischen «bolos» (Ghettos) zu vertreiben begann. Die Palästinenser kommen zwangsläufig auf die Idee eines palästinensischen Staates, weil der neue jüdische Nationalismus ihre «bolos» zerstörte. Ein Staat führt zum andern, ein Krieg für einen Staat zum folgenden Krieg. Die Sackgasse besteht heute darin, dass weder ein jüdischer noch ein palästinensischer Staat das Problem lösen kann, dass aber andere «Instrumente» realpolitisch nicht greifbar scheinen. Warum nicht ein oder mehrere gemischte Regionen mit jüdischen, arabischen und noch ein paar anderen bolos: der Nahe Osten ist ja eine wunderbare Gegend, wo es nicht an kultureller Vielfalt fehlt. (Er war geschichtlich sogar eine richtige nima-Quelle.) Dank Geldwirtschaft, Weltwirtschaft und Staatsorganisation wird dort ein Reichtum zur Plage. Das gilt nicht nur für den Nahen Osten.

(19) feno ist ein Tauschsystem ohne Geld. Das verhindert jedoch keineswegs, dass es wirtschaftlichen Charakter haben könnte. In dem Masse, wie die feno-Partner bei den Tauschproportionen darauf achten wollen oder müssen, wieviel Arbeitszeit in den Tauschobjekten enthalten ist, wird feno rein wirtschaftlich und könnte genausogut und praktischer mit Geld erledigt werden. Daher gibt es z.B. in den USA unter der Einwirkung der Rezession schon computergesteuerte Naturalhandelsbüros, die Geschäfte in Milliarden-Dollar-Höhe abgewickelt haben (15-20 Milliarden Dollars in einem Jahr - ohne dass ein Dollar verschoben wurde). Neben Steuerhinterziehung haben diese «barter systems» eine ganze Reihe von Vorteilen, bleiben aber völlig im wirtschaftlichen Rahmen. (siehe: Die Zeit, 15. April 1983) Eine andere Form von Naturaltausch wird in einer Kleinregion um Santa Rosa nördlich von San Francisco unter einigen hundert Leuten praktiziert: sie leisten sich gegenseitig Dienste, lassen sich die Arbeitszeit qulttieren und können so bis zu 100 Stunden «Schulden» machen. Ein Büro vermittelt die Dienste und organisiert das ganze. Solche Coop-System sind auch aus der Zeit der Depression der 30er Jahre bekannt. Obwohl kein Geld zirkuliert, ist der Tausch doch völlig wirtschaftlich, denn eigentlich macht es keinen Unterschied, ob nun auf einem Zettel «1 Stunde» oder «1 Dollar» steht und dass die Graphik beim einen etwas nüchterner ist. - Naturalaustausch erschwert vielleicht die Anonymisierung und verhindert einige Auswüchse der Geldwirtschaft - bedeutet aber im Kern keineswegs ihre Abschaffung. feno ist nur im Zusammenhang mit kultureller Eigenart und dank der Selbstversorgung nicht notwendigerweise ein wirtschaftliches Element. Die fenos werden ja meistens zustande kommen, weil zwei bolos etwas «gemeinsam» haben. Es kommt auch heute vor, dass z.B. Juden in jüdischen Läden kaufen, obwohl es dort teurer ist (abgesehen davon müssen sie in jüdischen Metzgereien einkaufen, weil sonst das Fleisch nicht koscher ist), einfach weil beide den gleichen Lebensstil haben. Dazu kommt, dass die Produkte selbst in Qualität und Art schon kulturell bestimmt sind d.h. gar nicht auf einen anonymen Markt kommen können. Es ergibt sich so eine unwirtschaftliche «Vetterliwirtschaft», bei der der Vergleich der aufgewendeten Arbeitszeit zweitrangig wird. Dieser kann aber nur dann zweitrangig sein, weil etwas anderes, die kulturelle Eigenart erstrangig ist und natürlich auch weil die eigene Landwirtschaft schon eine innere Versorgung sichert. Diese beiden Bedingungen bestehen heute nicht, darum gibt es keine «richtigen» fenos. Die Arbeitszeitmessung wird übrigens auch dadurch erschwert, dass die Lohnarbeit als vorherrschende Produktionsweise wegfällt und so die eigentlichen Messlaboratorien für gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand fehlen. (Woher will man wissen, wieviel Zeit für eine Verrichtung «wirklich» nötig ist, wenn man es nicht irgendwo unter reinen Bedingungen messen kann?) Der Wert kann wohl nie ganz verschwinden, aber er kann unsicher, ungenau und unwichtig werden. (Die Geschichte hat nicht umsonst stattgefunden.)

(20) Auch für sadi gilt vieles, das schon im Zusammenhang mit feno vermerkt wurde, nur sind hier die Verhältnisse noch klarer, weil auch formell Geld ins Spiel kommt. Es geht hier nur darum, vor all den illusionären Geldsystemen zu warnen, die meinen, mit einer andern Geldform könnten die wirtschaftlichen Dämonen gebannt werden. Arbeitsgeld ist ganz gewöhnliches Geld. Ob der Boden nun eine Ware ist oder nicht ändert nichts daran, dass Produkte an der aufgewendeten Arbeitszeit gemessen werden, sobald ein wirtschaftlicher Austausch einsetzt. Zinsverbot, Preiskontrollen, Schwundgeld usw. setzen einen zentralisierten Staat voraus, der kontrolliert, bestraft und koordiniert, also gesellschaftliche Anonymität usw . Nur die Einschränkung des Funktionsbereichs des Austauschs und des Geldes selbst können die Wirtschaft verhindern. (Wirtschaft ist immer Arbeitsgesellschaft)

(21) Seit dem Auftauchen des ibu sind wir zum Glück auch den «Menschen» los und die Frage, ob dieser nun gut ( = friedfertig) oder böse ( = gewalttätig) von «Natur» (die ist auch nicht vorgesehen) aus ist. Die Definitionen des Menschen - vor allem die humanistischen - hatten nämlich bisher immer höchst katastrophale Folgen. Irgendjemand passte immer nicht in diese so gut gemeinten Definitionen und musste dann zwecks Umerziehung, Besserung usw. in Lagern gesammelt werden. Die Humanisierung des guten Rests (zum Glück meist die Mehrheit) geschah dann durch Einsatz von Psychiatrie, Kremierung der Anormalen usw. Schon bei Thomas Morus gab es den «Menschen», den 6-Stundentag, aber auch die Todesstrafe für Ehebruch (einem ibu wäre das nie passiert). Das ibu kann also, vielleicht nicht von «Natur» aus, aber einfach, weil es ihm halt einfällt, gewalttätig sein. Es kann Lust an persönlicher, schmerzlicher, direkter Berührung anderer empfinden.

Gemein ist es, wenn diese Gewaltlust als Keim des Krieges verschrieen wird. Dieser entsteht viel eher aus massenhafter Gewaltunterdrückung. Er hat als bürokratische, gesichtslose nukleare Desinfektion (Neutronenbombe) mit Gewalt und Hass rein gar nichts mehr zu tun . Gefühle würden die Techniker und Beamten des modernen Krieges bei ihrer Arbeit nur behindern. Krieg ergibt sich nicht aus einer Gewaltlogik, sondern aus der Staats- und Wirtschaftslogik . Seiner Form nach ist er eher mit der Medizin zu vergleichen (hier wie dort Operationen, «theatres», Eingriffe, Hierarchie usw.).

Wenn aber unter Krieg eine kollektive, direkte Gewaltaktion verstanden wird, dann macht ihn yaka erst wieder möglich. Möglich, weil er unnötig ist und daher nicht katastrophal werden kann. Vielleicht aus ähnlichen Beweggründen kommt Callenbach in seinem Ecotopia auf neolithisch stilisierte Kriegsrituale (S. 91), die allerdings völlig ausserhalb der «normalen» Gesellschaft als eine Art staatlich überwachte Experimente stattfinden. «Wirkliche» Kriege, wie sie mit yaka möglich sind, verträgt Ecotopia offenbar nicht. Auch die Frauen, die von «Natur» aus viel weniger gewalttätig sind als Männer, machen bei den Kriegsspielen nie mit.

Je suis certaine que ma taille

Est enviée de quantité,

L'on y voit une majesté

Qui n'est point parmi la canaille. (...)

Si je suivais ma fantaisie,

Je m'en irais dans les combats,

Avec un fort grand coutelas

Faire une étrange boucherie (...)

(Mémoires de Madame de la Guette (1613-1676)

 

(22) Wird ein solcher Kriegskodex wirklich eingehalten? Schwemmt nicht die «Gewalt» alle Hemmungen und Regeln hinweg? Dass dies nicht der Fall zu sein braucht, zeigen die Schlachtordnungen der alten Griechen und auch im Mittelalter. Einbrüche in diese Kriegsgesetze wurden durch mangelnde Kommunikation unter den Völkern verursacht. Diese Gefahr besteht heute kaum mehr. Historische «Pannen» wie Dschingis Khan, Cäsar, Cortez usw. sind nicht mehr möglich. Auf jeden Fall ist es besser, es gibt Regeln als keine. Die Überwachung ihrer Einhaltung kann allerdings eine Art «Milizpolizei» des yaka'dala notwendig machen, die dann einschreitet, wenn eine Partei den Kodex verletzt. Was aber, wenn z.B. ein Bezirk eine solche, zuerst rein «defensive» Miliz fürein yakagegen ein anderes vudo einsetzt? Das sumi'yaka'dala müsste dann seinerseits eine noch grössere Freiwilligentruppe aufbieten, um die Streithähne zur Einhaltung der Regeln zu veranlassen usw. Komplikationen sind also möglich: alles kann, braucht aber nicht einfach zu sein.

Es kann auch sein, dass irgendwo in einem verlassenen Fabrikkeller ein passionierter Atombombenbastler am Werk ist und bei der Selbstverwirklichung seiner sakrosankten Identität eine Region in die Luft sprengt. Er hätte allerdings Mühe, ohne die Hilfe und den Verdacht anderer ibus zum nötigen Material zu kommen - hier würde die spontane soziale Kontrolle das Schlimmste verhindern. Auf jeden Fall ist auch ein verrückter Bastler viel weniger gefährlich als heute die vernünftigen Wissenschaftler und Politiker...



 

 

 

 

1