Links.

Das Selbst „hat kein Wesen, sondern ist eine Abfolge von Werden, ein weiterführendes Projekt der Selbstgestaltung ohne klares Ende oder Ziel („telos“). Aus dieser Perspektive sollte Autonomie nicht als Status gesehen werden, den jemand erreicht, sondern vielmehr als Reihe agonistischer [= „kämpferischer“] Praktiken, hervorgebracht im Kontext von Zwängen und Begrenzungen, sowohl äußeren, als auch inneren“: Ungehorsam bedeutet demnach heute nicht nur bestimmte Gesetze zu übertreten sondern verlangt andere Lebensformen und Selbstwahrnehmungen.
Saul Newman

 

Graswurzelrevolution (Zeitschrift und Verlag)
http://www.graswurzel.net/

 

Direkte Aktion - anarchosyndikalistische Zeitung

 

Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen
https://fda-ifa.org/


 

FAU (Frei Arbeiter:innen Union – Anarchosyndikalistische Gewerkschaftsföderation)
https://fau.org/
die verschiedenen Ortsgruppen haben meist einen eigenen Webauftritt

 

Alles Verändern, ein anarchistischer aufruf / …

https://www.crimethinc.com/tce/deutsch

 

War Resisters' International

 

Postanarchismus

www.postanarchismus.net/

No Power For No One! Postanarchismus setzt sich mit poststrukturalistischen und postmodernen Theorien aus anarchistischer Perspektive auseinander.

 

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Noam Chomsky

Noam Chomsky, Jahrgang 1928, gilt als Begründer der modernen Linguistik und ist einer der meistzitierten Wissenschaftler der Moderne. Seit 1955 lehrte der US-Amerikaner als Linguistik-Professor am renommierten Massachusetts Institute of Technology. Inzwischen ist er emeritiert. Chomsky gehört zu den einflussreichsten kritischen Intellektuellen der Welt. Er hat mehr als 100 Bücher geschrieben, sein aktuelles ist „Requiem for the American Dream: The 10 Principles of Concentration of Wealth & Power“. Chomsky ist ein scharfer Kritiker der US-amerikanischen Außenpolitik, der US-Ambitionen auf geopolitische Vorherrschaft und des globalen Kapitalismus neoliberaler Ausprägung, den er als Klassenkampf von oben gegen die Bedürfnisse und Interessen der großen Mehrheit bezeichnet.

1. Kehre die Aufmerksamkeit um – eine der Strategien der Manipulation

Laut Noam Chomsky sei die am häufigsten angewandte Strategie der Manipulation der Gesellschaft das Umkehren der Aufmerksamkeit. Sie bestehe im Grunde genommen darin, die Aufmerksamkeit des Publikums auf irrelevante oder banale Themen zu lenken. Auf diese Weise bleibe der Verstand der Gesellschaft beschäftigt.

Um die Menschen abzulenken, würden sie mit Informationen vollgestopft. Man schreibe zum Beispiel Sportveranstaltungen oder aber auch Shows, Sehenswürdigkeiten, etc. zu viel Wichtigkeit zu. Das führe dazu, dass die Menschen den Blick dafür verlieren, was ihre wirklichen Probleme seien.

2. Erzeuge Probleme und liefere die Lösung

Manchmal lassen die großen Mächte absichtlich von gewissen Realitäten ab oder kümmern sich nicht ausreichend um diese. Der Gesellschaft verkaufen sie das dann als ein Problem, dass einer externe Lösung bedürfe. Sie selbst aber schlagen dann eine Lösung vor.

Das Ziel dabei sei es, dass sich die Menschen an die Maßnahme gewöhnen und sie nicht zurückweisen, weil sie an das zufriedenstellende Resultat von morgen denken. Wenn dann dieser Moment gekommen sei, habe der Effekt der Normalisierung schon gegriffen und die Bevölkerung protestiere nicht, weil die versprochenen Vorteile doch nicht eintreffen.

Dabei handelt es sich um eine Strategie der Manipulation der Gesellschaft, um Entscheidungen zu treffen, die unpopulär sind. Wenn man beispielsweise ein öffentliches Unternehmen privatisieren will und absichtlich dessen Leistung reduziert, rechtfertigt das letztendlich den Kauf.

3. Stufe Änderungen ab

Das ist eine weitere Strategie der Massenmanipulation, um Maßnahmen einzuführen, die die Menschen normalerweise nicht akzeptieren würden. Sie bestehe darin, nach und nach Maßnahmen in die Tat umzusetzen, sodass sie praktisch unbemerkt bleiben, sagt Noam Chomsky.

Das ist zum Beispiel mit der Einschränkung des Arbeitsrechts passiert. In verschiedenen Gesellschaften wurden Maßnahmen oder Arbeitsweisen, eingeführt, in denen es normal erscheinen soll, dass ein Angestellter zum Beispiel keinerlei Recht auf eine Sozialversicherung hat.

4. Aufschub von Änderungen

Diese Strategie nach Noam Chomsky zielt darauf ab, die Gesellschaft glauben zu lassen, dass eine Maßnahme ergriffen wird, die eine gewisse Zeit lang Schaden mit sich bringe, aber im Hinblick auf die Zukunft der gesamten Gesellschaft und selbstverständlich auch des Menschen im Einzelnen große Vorteile bringen könne.

5. Sprich zur Masse wie zu kleinen Kindern

Viele der Botschaften, die wir durch den Fernseher, besonders durch Werbung, erhalten, sind in kindlicher Sprache verfasst. Es werden Gesten, Worte und Sichtweisen verwendet, die konziliant und in gewisser Weise naiv sind.

Damit solle der Widerwille der Bevölkerung ausgeschaltet werden, meint Noam Chomsky. Mithilfe dieser Strategie der Manipulation der Gesellschaft möchte man die kritische Denkweise der Menschen neutralisieren. Auch Politiker greifen auf diese Strategien zurück und inszenieren sich manchmal als elterliche Figuren.

6. Konzentriere dich auf Emotionen und nicht auf Reflexion

Botschaften, die von ganz oben kommen, seien nicht für den reflektierenden Verstand der Menschen gedacht. Durch sie sollen vor allen Dingen Emotionen ausgelöst werden, man wolle in das Unterbewusstsein der Individuen eindringen. Daher sind viele dieser Botschaften emotionsgeladen.

Mithilfe dieser Strategie solle in gewisser Weise ein Kurzschluss der rationalen Denkweise der Bevölkerung erzeugt werden. Dank der Emotionen werde der eigentliche Inhalt der Botschaft verschleiert und es werde nicht gesagt, worum es im Grunde genommen gehe. Somit werde die Fähigkeit der kritischen Hinterfragung neutralisiert.

7. Versuche, die Ignoranz der Gesellschaft aufrechtzuerhalten

Die Ignoranz der Gesellschaft aufrechtzuerhalten ist eines der Ziele der großen Mächte. Ignoranz heiße, der Gesellschaft nicht das benötigte Werkzeug zur Verfügung zu stellen, damit sie die Realität selbst analysieren könne. Den Menschen würden anekdotische Daten vorgelegt, aber interne Strukturen der Tatsachen verschweige man ihnen.

Um die Ignoranz der Menschen aufrechtzuerhalten, werde auch kein besonderer Wert auf Bildung gelegt. Eine breite Kluft zwischen der Qualität der privaten und der öffentlichen Bildung zu schaffen ist dabei das Hauptziel. Ebenfalls versuche man den Wissensdurst einzuschränken und Produkten, die die Intelligenz fördern, werde nur ein geringer Wert zugeschrieben.

8. Entfache in der Bevölkerung den Gedanken, dass sie durchschnittlich sei

Die Mehrheit der Modetrends wird nicht spontan erschaffen. Fast immer werden sie von einem Machtzentrum, das seinen Einfluss ausübt, zu massiven Trends, was Geschmäcker, Interessen oder Meinungen anbelangt, angeregt und gefördert.

Für gewöhnlich fördern die Kommunikationsmedien gewisse Trends, sowohl in der Mode als auch in anderen Bereichen. Die meisten von ihnen haben mit dummen, oberflächlichen oder sogar lächerlichen Lebensstilen zu tun. Man möchte die Gesellschaft davon überzeugen, dass sie sich so zu verhalten habe, wie das, was gerade in Mode sei. Auch wenn es sich dabei um menschenverachtende Verhaltensweisen handele.

9. Wandle Widerstand in das Gefühl schlechten Gewissens um

Eine andere Strategie der Massenmanipulation ist es, den Menschen zu verkaufen, dass sie, und nur sie, schuld an ihren Problemen seien. Alles Negative, das ihnen widerfahre, hänge nur von ihnen selbst ab. Auf diese Weise lasse man sie glauben, dass das Umfeld perfekt sei und es in der Verantwortung des Individuums liege, wenn sich ein Problem auftue.

Deshalb versuchen die Menschen irgendwann, in ihrem Umfeld nicht anzuecken, und fühlen sich gleichzeitig schuldig, weil sie es nicht wirklich schaffen. Sie verlagern die Empörung, die das System bei ihnen auslösen könne, auf ein permanentes Schuldgefühl sich selbst gegenüber.

10. Lerne Menschen besser kennen, als sie selbst es tun

In den letzten Jahrzehnten ist es Wissenschaftlern gelungen, beeindruckende Erkenntnisse zur Biologie und Psychologie des Menschen zu erringen. Dieser große Berg an Wissen steht jedoch nur wenigen Menschen zur Verfügung.

Der Öffentlichkeit stehe diesbezüglich nur ein Minimum an Informationen zur Verfügung, gibt Chomsky an. Derweil haben die großen Mächte dieser Welt all dieses Wissen und nutzen es zu ihrem Vorteil. Wieder einmal werde deutlich, dass die Ignoranz es den großen Mächten leicht mache, über die Gesellschaft hinweg zu handeln.

All diese Strategien der Manipulation der Gesellschaft zielen darauf ab, die Welt so zu gestalten, wie es den Mächtigsten der Mächtigen passt.

Die kritische Denkweise sowie die Autonomie soll ausgeschaltet werden. Doch es hängt auch von uns ab, ob wir passiv über uns bestimmen lassen.

Alles läuft nach Plan… doch nur solange, bis wir uns dagegen wehren!

Quelle: Noam Chomsky, 

Rebellion oder Untergang

Wenn wir unsere Zivilisation retten wollen, müssen wir uns weltweit in Ungehorsam üben. Teil 1/2.

Auch wenn das damals noch kaum jemand wusste, begann zur selben Zeit eine zweite und nicht weniger bedeutsame neue Ära — eine neue geologische Epoche, die später als Anthropozän bezeichnet wurde. Diese Epoche ist durch einen extremen Einfluss menschlicher Aktivitäten auf die Umwelt gekennzeichnet.

Inzwischen begreifen wir allmählich, dass wir uns schon mitten in dieser Epoche befinden, aber eine Weile lang waren sich die Wissenschaftler nicht darüber einig, wann genau dieser Wandel im Verhältnis von Mensch und Natur so stark wurde, dass man dort den Beginn des Anthropozäns ansetzen kann. Im April 2016 gelangte die internationale Geologenorganisation Antropocene Working Group hier zu einem Schluss und empfahl dem 35. Internationalen Geologischen Kongress, den Beginn des Anthropozäns auf das Ende des Zweiten Weltkriegs zu datieren (1).

Der Analyse dieser Arbeitsgruppe zufolge fallen der Beginn des Anthropozäns und der Beginn des Atomzeitalters zusammen: Es handelt sich um eine zweifache Gefahr für jede Fortsetzung menschlichen Lebens in organisierter Form. Beide Gefahren sind ernst und unmittelbar. Es wird mittlerweile weithin anerkannt, dass wir uns heute in der Periode des sechsten Massenaussterbens befinden. Das fünfte Massenaussterben vor 66 Millionen Jahren wird gemeinhin einem riesigen Asteroiden zugeschrieben, der auf der Erde einschlug und 75 Prozent sämtlicher Arten auf dem Planeten vernichtete. Dieses Ereignis beendete das Zeitalter der Dinosaurier und bereitete der Ausbreitung kleiner Säugetiere — und vor etwa 200.000 Jahren schließlich auch des Menschen — den Weg.

Wir Menschen haben dann nicht lange gebraucht, um das sechste Massenaussterben in Gang zu setzen, welches voraussichtlich nicht weniger umfangreich als die vorherigen sein wird, sich von diesen aber auf bemerkenswerte Art unterscheidet.

Bei den weit vor der Zeit des Menschen liegenden Perioden des Massenaussterbens gab es keinen Zusammenhang zwischen Körpergröße und Untergang der jeweiligen Spezies. Jede Periode des Massenaussterbens raffte alle Arten gleichermaßen dahin, unabhängig davon, wie groß sie waren. Beim nun begonnenen sechsten Massenaussterben werden die größeren Tiere in wesentlich höherem Maß eliminiert als alle anderen.

Damit setzt sich eine Geschichte fort, die bis zu unseren frühen protomenschlichen Vorfahren zurückreicht. Bei ihnen handelte es sich um eine räuberische Spezies, die anderen großen Organismen beträchtlichen Schaden zufügte, viele von ihnen ausrottete und nach nicht allzu langer Zeit demselben Schicksal zum Opfer fiel.

Die Fähigkeit des Menschen, seinesgleichen in großem Maßstab zu vernichten, steht schon längst nicht mehr in Zweifel und hat im 20. Jahrhundert einen grässlichen Höhepunkt erreicht. Die Ergebnisse der Anthropocene Working Group bestätigen den Schluss, dass die klimaaufheizenden CO2-Emissionen in der Atmosphäre schneller wachsen als jemals zuvor in den letzten 66 Millionen Jahren.

Die Arbeitsgruppe zitiert einen Bericht von Juli 2016, dem zufolge die Zahl der CO2-Partikel in der Atmosphäre den Wert von mehr als 400 pro Million (ppm) erreicht hat. Weiterhin wachse der Kohlenstoffspiegel in einem für die geologische Geschichte beispiellosen Tempo. Spätere Studien haben dann gezeigt, dass diese Zahl keine zufällige statistische Schwankung ist. Sie scheint von Dauer zu sein und den Ausgangspunkt für weiteres Wachstum zu bilden — aber gleichzeitig werden 400 ppm als der Punkt betrachtet, der eine kritische Gefahr signalisiert. Dieser Wert liegt bedrohlich nah an demjenigen, an dem den Schätzungen zufolge die Stabilität des großen antarktischen Eisschilds bedroht ist. Ein Abschmelzen dieses Schilds würde katastrophale Folgen für den Meeresspiegel haben, und in den arktischen Regionen sind die entsprechenden Prozesse schon auf unheilschwangere Art im Gang.

Das Gesamtbild ist nicht weniger bedrohlich und praktisch jeden Monat kommt es zu neuen Temperaturrekorden; gewaltige Dürren bedrohen das Überleben von Hunderten von Millionen Menschen. Außerdem tragen diese Entwicklungen zu einigen der schrecklichsten Konflikte der Welt wie in Darfur und Syrien bei.

Jedes Jahr sind durchschnittlich 31,5 Millionen Menschen vor Desastern wie Überflutungen oder Stürmen auf der Flucht, und dabei handelt es sich um eine längst vorhergesagte Auswirkung der Erderwärmung. Das ist beinahe ein Mensch pro Sekunde, eine Zahl, die noch höher liegt als die der Flüchtlinge vor Krieg und Terror. Und diese Zahlen werden mit dem Schmelzen der Gletscher und dem Ansteigen des Meeresspiegels, zwei Faktoren, die die Wasserversorgung einer gewaltigen Zahl von Menschen bedrohen, noch wachsen.

Das Abschmelzen der Gletscher des Himalajas könnte die Wasserversorgung Südasiens, das heißt von mehreren Milliarden von Menschen, abschneiden. Allein in Bangladesch steht, wegen seiner tiefgelegenen Küstenregionen, in den kommenden Jahrzehnten zu erwarten, dass Zigmillionen Menschen aufgrund des steigenden Meeresspiegels fliehen müssen.

Es droht eine Flüchtlingskrise, welche die gegenwärtige als unbedeutend erscheinen lassen wird, und das ist noch nicht einmal der Anfang. Die führenden Klimawissenschaftler Bangladeschs haben mit einigem Recht gesagt, diese Migranten hätten das Recht auf Auswanderung in die Länder, aus denen all diese Treibhausgase stammen — dass also Millionen die Möglichkeit gegeben werden sollte, in die Vereinigten Staaten einzuwandern. Hier haben wir eine moralische Frage von nicht geringer Tragweite vor uns.

Rebellion oder Untergang

Wenn wir unsere Zivilisation retten wollen, müssen wir uns weltweit in Ungehorsam üben. Teil 2/2.

Die Aushöhlung der Demokratie

Etwa zweieinhalb Jahre nach seinem Vortrag vor den US-Wahlen von 2016 kehrte Noam Chomsky am 11. April 2019 zur Old South Church zurück, um erneut vor einem vollen Saal zum Thema Internationalismus oder Untergang zu sprechen. Nach einer persönlichen Reminiszenz ergänzte er seine Darstellung der existenziellen Gefahren, vor denen die Menschheit heute steht, durch Überlegungen zum politischen Prozess selbst, nämlich zur Subversion der Demokratie durch die Interessen der fossilen Brennstoffindustrie, der Großkonzerne und die Kräfte des Nationalismus.
— Die Herausgeber

Erlauben Sie mir, mit einer kurzen Reminiszenz an eine Zeit zu beginnen, die der heutigen auf vielerlei unerquickliche Arten gespenstisch ähnelt. Ich meine die Zeit vor ziemlich genau 80 Jahren, zufälligerweise genau der Moment, in dem ich meinen, wenn meine Erinnerung mich nicht trügt, ersten politischen Artikel schrieb. Das Datum ist dabei leicht zu eruieren; es war unmittelbar nach der Einnahme Barcelonas durch die Franco-Truppen im Spanischen Bürgerkrieg im Februar 1939.

In dem Artikel ging es um eine Erscheinung, die damals vielen als der unaufhaltsame Aufstieg des Faschismus auf der ganzen Welt erschien. Im März 1938 hatte Nazi-Deutschland Österreich besetzt. Einige Monate später verrieten die Westmächte mit dem Münchener Abkommen von September 1938 die Tschechoslowakei und überließen sie der Willkür der Nazis.

In Spanien fiel eine Stadt nach der anderen an die Truppen Francos und im Februar 1939 fiel auch Barcelona. Das war das Ende der Spanischen Republik. Die bemerkenswerte anarchistische Volksrevolution von 1936, 37 und 38 war vorher schon gewaltsam zerschlagen worden. Es sah so aus, als würde der Faschismus sich endlos weiter ausbreiten.

Das war nicht exakt dasselbe wie das, was heute vor sich geht, aber wir können uns hier die berühmte Formulierung Mark Twains entleihen: „Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich“ — es gibt zu viele unübersehbare Ähnlichkeiten.

Nach dem Fall Barcelonas gab es eine enorme Welle von Flüchtlingen aus Spanien. Die meisten, etwa 40.000, gingen nach Mexiko. Andere emigrierten nach New York und eröffneten anarchistische Büros am Union Square und Secondhand-Buchhandlungen in der 4th Avenue. Ich trieb mich dort oft herum und erhielt so eine Art erster politischer Grundausbildung. Das war vor 80 Jahren, aber die Erinnerungen sind immer noch da.

Obwohl wir das damals nicht wussten, kamen viele in der US-Regierung jetzt ebenfalls langsam zu der Einschätzung, dass die Ausbreitung des Faschismus vielleicht unaufhaltbar war. Allerdings waren diese Leute darüber keineswegs so erschrocken wie ich als Zehnjähriger. Wir wissen heute, dass die Haltung des US-Außenministeriums zum Charakter der Nazi-Bewegung reichlich zwiespältig war. So kabelte der damalige US-Konsul in Berlin ziemlich schwammige Kommentare über die Nazis nach Hause, in denen er die Meinung vertrat, sie seien vielleicht doch nicht so schlimm wie alle behaupteten. Er wurde erst nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor im Dezember 1941 von dort abgezogen und später als Diplomat berühmt wurde; sein Name war George Kennan. Seine Berichte spiegelten die damalige gemischte Haltung gegenüber den Nazis recht gut wider.

Im Gegensatz zu damals wissen wir heute auch, dass das Außenministerium und der Council on Foreign Relations schon kurz nach dem Fall Barcelonas, noch 1939, mit Planungen für die Welt nach dem Krieg und zu der Frage, wie diese aussehen sollte, begannen. Und in den ersten Jahren von 1939 bis 1942 gingen sie davon aus, dass die Nachkriegswelt in einen von Nazi-Deutschland kontrollierten und die meisten Gebiete Eurasiens umfassenden Teil und einen Teil unter Kontrolle der USA aufgespalten sein würde, der die westliche Hemisphäre, das ehemalige britische Imperium — das von den USA übernommen werden würde — und bestimmte Gebiete im Fernen Osten umfassen würde. Das war die Planung für die Welt nach dem Krieg.

Wir wissen heute, dass man, bis es Russland gelang, den Naziangriff von 1941 zurückzuschlagen, weiter von dieser Konstellation ausging. Stalingrad im Winter 1942/43 und die große Panzerschlacht von Kursk etwas später machten klar, dass Russland die Nazis besiegen würde. Damit änderten sich auch die Planungen. Das Bild davon, wie die Welt nach dem Krieg aussehen würde, änderte sich und entwickelte sich zu dem, was wir in der ganzen Zeit seitdem gesehen haben. So sah es also vor etwa 80 Jahren aus.

Was wir heute sehen, kommt natürlich in keiner Weise an den Nazismus heran, aber wir stehen sehr wohl der Ausbreitung eines Phänomens gegenüber, das man als ultranationalistische, reaktionäre Internationale bezeichnen kann, und als genau das wird es von ihren Vertretern wie Steve Bannon, dem Impresario der Bewegung, auch offen herausposaunt. Gerade gestern erst errang diese Bewegung wieder einen Sieg: Mit der Wahl Netanyahus in Israel wurde das reaktionäre Bündnis, das gerade unter Schirmherrschaft der USA und unter Federführung des Triumvirats Trump-Pompeo-Bolton aufgebaut wird, weiter gefestigt. Ich könnte hier zur Charakterisierung dieser drei auf eine Formulierung von George W. Bush zurückgreifen, werde das aber aus Höflichkeit unterlassen.

Im Nahen Osten besteht diese Allianz aus den ultrareaktionären Staaten der Region — Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten unter der brutalsten Diktatur seiner neueren Geschichte — und Israel, die sich alle gegen den Iran verbündet haben. Auch in Lateinamerika sind wir mit ernsten Gefahren konfrontiert. Mit der Wahl Jair Bolsonaros in Brasilien kam der extremistischste und abscheulichste unter den rechten Ultranationalisten an die Macht, die jetzt die Geißel der Hemisphäre sind.

Erst gestern tat der Präsident Ecuadors, Lenín Moreno, einen großen Schritt zum Beitritt seines Landes zum internationalen Bündnis der extremen Rechten, indem er Julian Assange das Aufenthaltsrecht in der britischen Botschaft Ecuador in London entzog. Daraufhin wurde Assange sofort von den britischen Behörden festgenommen und steht nun, wenn es keine starken und breiten Proteste dagegen gibt, vor einer äußerst bedrohlichen Zukunft. Mexiko ist eine der wenigen Ausnahmen in Lateinamerika im Hinblick auf diese Entwicklungen. Ähnliches sehen wir auch in Westeuropa, wo die rechten Parteien, einige davon von einer höchst beängstigenden Sorte, einen Wachstumsschub erleben.

Es gibt aber auch Gegenentwicklungen. So hat eine sehr wichtige Figur, der griechische Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis, zusammen mit Bernie Sanders zur Gründung einer Progressiven Internationale aufgerufen, um der sich gerade herausbildenden rechten Internationale etwas entgegenzusetzen. Auf der Ebene der Staaten sieht die Bilanz ganz überwiegend negativ aus, aber Staaten sind ja nicht die einzigen internationalen Akteure. Die Bevölkerung steht oft ganz woanders. Und das könnte am Ende entscheidend sein. Daher müssen wir die funktionierenden Demokratien schützen, erweitern und die Möglichkeiten, die sie bieten, nutzen, um jene Arten von Aktivismus praktizieren zu können, die schon oft zu wichtigen Fortschritten geführt haben und möglicherweise ausschlaggebend für unsere Zukunft sind.

Der Showdown

Einen kosmischen Wimpernschlag später wird die Menschheit wohl ausgestorben sein. Im Exklusivinterview diskutieren Noam Chomsky und Graciela Chichilnisky die Frage, ob noch Hoffnung besteht.

Das Klima der Erde wird durch menschliches Handeln radikal verändert, wodurch ein ganz anderer Planet entsteht — ein Planet, der ein organisiertes menschliches Leben in einer Form, wie es für uns erträglich wäre, möglicherweise nicht mehr erhalten kann. Wie ernst ist das Thema Klimawandel? Bedroht die globale Erwärmung wirklich die menschliche Zivilisation? Kann sie rückgängig gemacht werden oder ist es dafür schon zu spät?

In diesem Exklusiv-Interview, das zuerst bei Truthout erschien, stimmen zwei Wissenschaftler — Noam Chomsky, einer der weltweit führenden bekannten Intellektuellen, und Graciela Chichilnisky, renommierte Wirtschaftswissenschaftlerin und Autorität zum Thema Klimawandel, die den CO2-Zertifikatehandel des Kyoto-Protokolls formuliert und konzipiert hat — in einigen wesentlichen Punkten überein:

  • Erstens sind die globale Erwärmung und der Klimawandel die größte Herausforderung für die Menschheit und stellen vielleicht eine größere Bedrohung für unsere Spezies dar als die Atomwaffen.
  • Zweitens sind die Operationen der kapitalistischen Weltwirtschaft wegen der übermäßigen Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und eines perversen Verständnisses wirtschaftlicher Werte der Kern der Bedrohung durch den Klimawandel.
  • Drittens muss die Welt so schnell wie möglich alternative Energiesysteme anwenden.
  • Und schließlich ist es entscheidend, Technologien zu erforschen, die uns helfen, den Klimawandel rückgängig zu machen — da die Zeit abläuft.

Das Interview führte C. J. Polychroniou.

(Redaktionelle Vorbemerkung: Bitte beachten Sie, dass die Weltuntergangsuhr zum Zeitpunkt, als dieses Interview geführt wurde, auf drei Minuten vor Mitternacht stand. Da die globale Gefahrenlage inzwischen weiter eskaliert ist, wurde die Uhr zweimal eine halbe Minute vorgestellt und steht inzwischen auf zwei Minuten vor Mitternacht.)


C. J. Polychroniou: Unter Wissenschaftlern und sogar politischen sowie Sozial-Analytikern scheint ein Konsens zu entstehen, dass die globale Erwärmung und der Klimawandel die größte Bedrohung für den Planeten darstellen. Stimmen Sie mit der Ansicht überein? Warum?

Noam Chomsky: Ich stimme mit den Experten überein, die die Atomkriegsuhr für das Bulletin of Atomic Scientists einstellen. Sie haben die Uhr wegen der steigenden Atomkriegsgefahr und der Klimaerwärmung um zwei Minuten weiter Richtung Mitternacht verschoben — auf nun drei Minuten vor Mitternacht. Dies erscheint mir eine glaubhafte Einschätzung. Eine Überprüfung der Aufzeichnungen zeigt, dass es einem Wunder nahekommt, dass wir das nukleare Zeitalter überlebt haben. Es gab wiederholt Fälle, in denen wir einem Atomkrieg bedrohlich nahe kamen — oftmals durch eine Störung der Frühwarnsysteme und andere Pannen, manchmal infolge von höchst abenteuerlichen Handlungen politischer Führungskräfte.

Es ist nun seit geraumer Zeit bekannt, dass ein größerer Atomkrieg zu einem nuklearen Winter führen könnte, der den Angreifer wie den Angegriffenen vernichten würde. Und die Bedrohungen werden immer zahlreicher, vor allem an der russischen Grenze — was die Vorhersagen George Kennans und anderer bedeutender Persönlichkeiten bestätigt, dass sich die Ausweitung der NATO, gerade in der Art und Weise, wie sie unternommen wurde, als „tragischer Fehler“ erweisen wird, als „politischer Irrtum von historischer Dimension“.

Was den Klimawandel betrifft, ist sich die wissenschaftliche Gemeinschaft nun weitgehend einig, dass wir in eine neue geologische Ära eingetreten sind: das Anthropozän. In diesem wird das Klima der Erde durch menschliche Handlungen radikal verändert, wodurch ein ganz anderer Planet entsteht — ein Planet, der ein organisiertes menschliches Leben in einer Form, wie es für uns erträglich wäre, möglicherweise nicht mehr gewährleisten kann.

Es ist durchaus denkbar, dass wir bereits das sechste Aussterben erleben, eine Periode der massenhaften Auslöschung von Arten — vergleichbar mit dem fünften Aussterben vor 65 Millionen Jahren, als drei Viertel der Arten auf der Erde, offensichtlich durch einen gewaltigen Asteroiden, ausgelöscht wurden.

Das CO2 in der Atmosphäre steigt in einem Maß, das erdgeschichtlich seit 55 Millionen Jahren beispiellos ist. Man macht sich Sorgen — ich zitiere hier eine Erklärung von 150 ausgezeichneten Wissenschaftlern —, dass die „globale Erwärmung, verstärkt durch Rückkoppelungen mit der Polareis-Schmelze, der Methan-Freisetzung aus dem Permafrost und mit großflächigen Bränden, möglicherweise irreversibel wird“, mit katastrophalen Folgen für das Leben auf der Erde, einschließlich menschlichen Lebens — und dies alles nicht irgendwann in ferner Zukunft. Allein der Anstieg des Meeresspiegels und die Zerstörung von Wasserressourcen durch das Schmelzen von Gletschern könnten entsetzliche Folgen für die Menschen haben.

Graciela Chichilnisky: Man stimmt darin überein, dass der Klimawandel und die atomare Kriegsführung die beiden größten Risiken darstellen, denen die menschliche Zivilisation gegenübersteht. Wenn man davon ausgeht, dass die atomare Kriegsführung einigermaßen kontrolliert werden kann, ist der Klimawandel heute die größte Gefahr.

So schwierig es auch sein mag, das Risiko eines Atomkrieges zu beseitigen, bedürfte dies geringerer Veränderungen in der Weltwirtschaft, als es die Abwendung oder Umkehrung des Klimawandels verlangen würden. Der Klimawandel entstand durch die Nutzung von Energie für das industrielle Wachstum, das bis heute vorrangig auf fossilen Energieträgern beruht. Ein Wirtschaftssystem zu verändern, das auf ein unkontrolliertes, maßloses Wirtschaftswachstum versessen sowie zur Erreichung seiner Hauptziele auf fossile Energie angewiesen ist, ist viel schwieriger, als daran zu rütteln, wie Atomenergie für militärische Zwecke eingesetzt wird. Manche halten es sogar für unmöglich.

Nahezu alle wissenschaftlichen Studien weisen seit 1975 auf steigende Temperaturen hin, und eine kürzlich erschienene Geschichte in der New York Times bestätigt, dass die jahrzehntelangen Warnungen von Wissenschaftlern bezüglich der globalen Erwärmung nun keine reine Theorie mehr darstellen, schmilzt doch das Landeis und steigen die Meeresspiegel. Und dennoch gibt es noch immer Menschen da draußen, die nicht nur die weithin anerkannte wissenschaftliche Auffassung infrage stellen, dass der Klimawandel vor allem durch menschliche Handlungen verursacht wird, sondern sie bezweifeln auch die Verlässlichkeit von Oberflächentemperaturen. Denken Sie, dass dies politisch motiviert ist oder auch durch Unwissenheit oder sogar Angst vor Veränderung verursacht sein könnte?

Noam Chomsky: Es ist eine erstaunliche Tatsache unserer Zeit, dass im mächtigsten Land der Weltgeschichte — ausgestattet mit einem hohen Maß an Bildung und Privilegien —, eine der beiden politischen Parteien die wohlbekannten Fakten zum anthropogenen Klimawandel leugnet. In den Debatten zu den Vorwahlen im Jahr 2016 war jeder einzelne der republikanischen Kandidaten ein Klimawandel-Leugner — mit einer Ausnahme: John Kasich, der „vernünftige Moderate“, der sagte, es sei schon möglich, dass wir gerade einen Klimawandel erlebten, dass wir aber nichts dagegen unternehmen sollten.

Lange Zeit haben die Medien das Thema heruntergespielt. Die euphorischen Berichte über die US-Produktion fossiler Energieträger, Energie-Unabhängigkeit und so weiter erwähnen nur selten, dass diese Triumphe das Wettrennen in die Katastrophe nur beschleunigen. Es gibt noch andere Faktoren — unter diesen Bedingungen jedoch scheint es nicht überraschend, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung sich entweder den Leugnern anschließt oder das Problem als nicht sehr wichtig betrachtet.

Graciela Chichilnisky: Der Klimawandel ist neu und komplex. Wir haben nicht alle Antworten. Wir müssen noch immer zu verstehen lernen, wie die Erde genau auf erhöhte Konzentrationen von CO2 und anderen Treibhausgasen reagiert. Wir wissen, dass es dazu führt, dass die Meere sich erwärmen, das Eis an Nord- und Südpol schmelzen und ganze Küstenregionen in den USA und anderswo zu verschlucken beginnen, wie der Artikel in der New York Times dokumentiert.

Wir wissen, dass die sich erwärmenden, ansteigenden Meere ganze Inselnationen verschlucken werden, die etwa 25 Prozent der UNO-Stimmen ausmachen, — und vielleicht am Ende auch unsere Zivilisation. Diese Erkenntnis ist traumatisch und die erste Reaktion auf ein Trauma ist die Leugnung.

Und weil noch immer eine gewisse wissenschaftliche Unsicherheit besteht, ist die natürliche Reaktion, die stattfindende Veränderung zu leugnen. Dies ist normal, aber es ist sehr gefährlich. Die Anzeichen eines schwer durchschaubaren, aber abwendbaren Hausbrandes bedürfen des Handelns, nicht der Untätigkeit. Leugnung führt zu Sicherheit — allerdings zur Sicherheit des Todes. Dies trifft für Individuen wie auch für Zivilisationen zu.

Politische Parteien machen sich in Zeiten des Wandels oft Leugnung und Angst zunutze. Dies ist ein gut untersuchtes Phänomen, das oft zur Suche nach einem Sündenbock führt — man beschuldigt Außenseiter wie Immigranten oder rassische und religiöse Minderheiten. Dieses Phänomen liegt dem Brexit sowie der Gewalttätigkeit in den politischen Zyklen in den USA und der EU zugrunde. Nach der Leugnung kommt die Wut und schließlich die Akzeptanz. Ich denke, viele befinden sich noch zwischen Leugnung und Wut. Ich hoffe, sie werden die Akzeptanz erreichen, denn es ist noch Zeit zum Handeln — aber die Tür schließt sich schnell.

In globalen Umfragen sind die US-Amerikaner skeptischer als andere Menschen weltweit, was den Klimawandel betrifft. Warum ist dies so? Und was sagt uns dies über die US-amerikanische politische Kultur?

Noam Chomsky: Die USA sind in ungewöhnlich hohem Maße eine vom Business geführte Gesellschaft, in der kurzfristige Interessen von Profit und Marktanteilen eine rationale Planung verdrängen. Ungewöhnlich sind die USA auch bezüglich des hohen Maßes an religiösem Fundamentalismus. Die Folgen für die Erkenntnis der Welt sind außerordentlich — in nationalen Umfragen gibt fast die Hälfte der Befragten an, sie glauben, Gott habe die Menschen in ihrer jetzigen Form vor 10.000 oder weniger Jahren erschaffen und der Mensch hätte keine gemeinsamen Vorfahren mit den Menschenaffen. Ähnliche Überzeugungen betreffen die Wiederkunft Christi. Senator James Inhofe, der dem Umwelt-Senatsausschuss vorstand, vertritt die Ansicht vieler, wenn er uns versichert, dass „Gott noch immer da oben ist und es einen Grund dafür gibt, dass dies alles passiert“, weswegen es ein Sakrileg für den Menschen wäre einzugreifen.

Graciela Chichilnisky: Die Logik des „Can do“ (Anpackermentalität, Anmerkung der Übersetzerin) akzeptiert per se keine Beschränkungen. Und ein Imperium verfügt über keine elegante Möglichkeit, sich aus dieser Rolle herauszuentwickeln. Die Geschichte demonstriert dies immer und immer wieder. Der Versuch, eine privilegierte globale Position aufrechtzuerhalten, lässt den Wandel für die USA zu einem Trauma werden.

Die erste Reaktion auf ein Trauma ist, wie bereits erklärt, die Leugnung, dann kommt die Wut und schließlich das Annehmen. Ich denke, die USA befinden sich noch zwischen Leugnung und Wut, und ich hoffe, wir erreichen die Akzeptanz, weil im Moment perverserweise nur die USA über die für einen globalen wirtschaftlichen Wandel notwendige Technologie verfügen.

Neuere Daten zu den globalen Emissionen von Treibhausgasen weisen darauf hin, dass wir möglicherweise die Periode dauerhaft steigender Emissionen hinter uns gelassen haben. Ist Optimismus für die Zukunft der Umwelt angebracht?

Noam Chomsky: Gramscis „Optimismus des Willens“ ist immer angebracht. Es gibt noch immer viele Optionen, sie nehmen aber ab. Die Möglichkeiten rangieren von einfachen Initiativen, die leicht durchzuführen sind — wie die Wärmedämmung von Häusern, was auch noch viele Jobs schaffen würde —, über komplett neue Energieformen, hier vielleicht Fusion, vielleicht auch neue, tatsächlich ernsthaft vorgeschlagene Methoden zur Gewinnung von Solarenergie außerhalb der Erdatmosphäre, bis hin zu Dekarbonisierungs-Verfahren, die möglicherweise einen Teil des enormen Schadens rückgängig machen, der dem Planeten bereits zugefügt wurde. Und vieles mehr.

Graciela Chichilnisky: Dies sind gute Neuigkeiten und ein Schritt in die richtige Richtung. Aber die Straße ist meilenlang und der erste Schritt, wenngleich auch notwendig, bestimmt nicht den Erfolg. Es ist bei Weitem nicht genug. Des Problems sind sich sich nur wenige Menschen bewusst und es wurde erst kürzlich im Datenmaterial des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change; „Weltklimarat“) beobachtet: CO2 verbleibt jahrhundertelang in der Atmosphäre, sobald es einmal ausgestoßen wurde. Es zerfällt nicht, wie das Partikel oder Schwefeldioxid tun. Wir haben den Großteil unseres CO2-Budgets aufgebraucht und die CO2-Konzentrationen sind bereits gefährlich hoch — etwa 400 parts per million. Vor der Industrialisierung betrug dieser Wert 250. Das Problem besteht also darin, was wir bis jetzt getan haben und demzufolge, was rückgängig gemacht werden muss.

Laut dem Fifth Assessment Report des IPCC, Seite 191, müssen wir in den meisten Szenarien das CO2 entfernen, das wir ausgestoßen haben. Diese Emissionen fanden in jüngerer Zeit statt, hauptsächlich seit dem Zweiten Weltkrieg, also seit 1945 — einem Wendepunkt in der Weltwirtschaft. Dies war die Ära der US-Vorherrschaft und der Globalisierung, die auf einer übermäßigen Ausbeutung natürlicher Ressourcen armer Nationen und einem übermäßigen Verbrauch eben dieser Ressourcen durch die reichen Industrienationen beruhte — die Ära einer galoppierenden Vermehrung des Reichtums für ein paar Wenige und die noch schnellere und rekordmäßige Ungleichheit und Armut in der Weltwirtschaft als Ganzes. Dies ist die Kluft zwischen dem (globalen) Norden, der 18 Prozent der Weltbevölkerung beherbergt, und dem (globalen) Süden mit mehr als 80 Prozent.

Geht man davon aus, dass diese Veränderung im menschlichen Verhalten langsam vor sich geht und dass es mehrerer Jahrzehnte bedarf, bis die Weltwirtschaft sich hin zu neuen, sauber(er)en Energieformen verlagert —sollten wir eine technologische Lösung des Klimawandels anstreben?

Noam Chomsky: Alles, was praktikabel und potentiell wirksam ist, sollte erforscht werden. Es herrscht kaum Zweifel darüber, dass ein wesentlicher Anteil jeglicher ernsthaften Lösung technologische Fortschritte erfordern wird — dies kann jedoch nur ein Teil der Lösung sein. Andere bedeutende Veränderungen sind notwendig. Die industrielle Fleischproduktion trägt einen großen Teil zur globalen Erwärmung bei. Das gesamte sozio-ökonomische System beruht auf der Produktion für Profit und einem Wachstums-Imperativ, der nicht aufrechterhalten werden kann.

Und da sind auch noch grundlegende Fragen zu den Wertvorstellungen: Was ist ein gutes Leben? Sollte die Herr-und-Knecht-Beziehung toleriert werden? Sollten unsere Ziele wirklich in der Maximierung von Waren liegen, in Veblens „Geltungskonsum“? Da gibt es sicher höhere und erfüllendere Bestrebungen.

Graciela Chichilnisky: Wir scheinen keine Alternative zu haben. Ich würde gerne sagen, dass das Problem durch grüne Energiequellen in den Griff bekommen werden könnte. Diese können jedoch das Problem nicht mehr lösen. Viele Studien belegen, dass langfristige Lösungen, wie das Pflanzen von Bäumen, die ja maßgeblich für das menschliche Überleben sind, und die Nutzung saubererer Energieformen als langfristige Energie-Lösung, nicht mehr im entscheidenden Zeitrahmen genutzt werden können. Darin besteht das Problem.

Technologie ist ein vielköpfiges Monster und vielleicht wäre es besser, zu einer sichereren Vergangenheit zurückzukehren und technischen Wandel zu vermeiden — mag man versucht sein zu denken. UN-Studien haben jedoch gezeigt, dass wir einen Baum auf jedem verfügbaren Quadratmeter weltweit pflanzen könnten — gegen Ende des Jahrhunderts hätten wir damit nur höchstens 10 Prozent des CO2 gebunden, das wir reduzieren müssen. Dies bedeutet nun nicht, dass wir keine Bäume pflanzen sollten — das sollten wir, zugunsten der Biodiversität und unserer langfristigen Zukunft gemeinsam mit den anderen Arten.

Bäume und saubere Energie stellen die langfristige Lösung dar, wir haben jedoch keine Zeit, auf die lange Frist zu warten. Wir brauchen jetzt eine kurzfristige Lösung — eine, die den Übergang in eine langfristige Lösung anregt und unterstützt. Dies ist die vom IPCC vorgeschlagene Technik — das CO2 direkt aus der Luft zu entfernen. Ich bin Mitbegründerin eines Unternehmens — Global Thermostat —, das Wärme und Energie aus sauberen und fossilen Energiequellen wie Solaranlagen und Windfarmen nutzt, um CO2 aus der Luft zu entfernen. So haben wir eine kurzfristige Lösung, die das Erreichen einer notwendigen langfristigen Lösung ermöglicht und beschleunigt.

Viele in der progressiven und radikalen Gemeinschaft, darunter auch die Union of Concerned Scientists (UCS; übersetzt etwa „Vereinigung besorgter Wissenschaftler“, Anmerkung der Übersetzerin) sind so genannten Geoengineering-Lösungen gegenüber sehr skeptisch bis ablehnend eingestellt. Ist dies die andere Seite der Medaille der Klimawandel-Leugner?

Noam Chomsky: Dies scheint mir keine faire Bewertung zu sein. Die UCS und viele wie sie mögen recht haben oder nicht — sie führen jedoch ernsthafte Gründe an. Dies trifft auch für die sehr kleine Gruppe seriöser Wissenschaftler zu, die den überwältigenden Konsens infrage stellen. Aber die Massenbewegungen der Klimawandelleugner — wie die Führung der Republikanischen Partei und jene, die sie repräsentieren — sind ein völlig anderes Phänomen. Was das Geoengineering betrifft, so gibt es neben vielen positiven Beurteilungen auch seriöse allgemeine Kritik, die nicht ignoriert werden kann, beispielsweise die von Clive Hamilton. Es geht hier nicht um eine subjektive Beurteilung, die auf Vermutungen und Intuition beruht. Nein, dies sind Fragen, die ernsthaft betrachtet werden müssen, auf der Grundlage des besten verfügbaren wissenschaftlichen Sachverstands, ohne vernünftige vorbeugende Prinzipien aufzugeben.

Graciela Chichilnisky: Die Medizin könnte schlimmer als die Krankheit sein. Es wurden gewisse Geoengineering-Prozesse vorgeschlagen, die sehr gefährlich sein könnten und vermieden werden müssen. Geoengineering bedeutet, dass man die grundlegenden, umfassenden Prozesse der Erde verändert. Wir wissen wenig über die Folgen des Geoengineering-Verfahrens — so zum Beispiel das Aussprühen von Partikeln in die Atmosphäre, um die Erde vor den Sonnenstrahlen abzuschirmen und ihre Temperatur zu senken. Genau so verschwanden jedoch die Dinosaurier vor 60 Millionen Jahren von der Erde — wegen Partikeln durch einen Vulkanausbruch oder den Aufprall eines riesigen Meteoriten — und unsere Spezies könnte ihnen folgen.

Die Sonne ist die Quelle aller Energie auf dem Planeten Erde und wir können mit unserer einzigen Energiequelle nicht herumexperimentieren. Die Ozeane der Erde dahingehend zu verändern, dass sie mehr CO2 aufnehmen können — wie andere Geoengineering-Lösungen vorschlagen —, ist genauso gefährlich, weil der damit zunehmende Säuregehalt der Meere winzige Krustentiere wie das Krill töten würde, die die Basis der Lebenspyramide der Erde bilden, wie wir sie kennen.

Welche sofortigen, aber realistischen und durchsetzbaren Maßnahmen könnten oder sollten ergriffen werden, um die Bedrohung durch den Klimawandel zu bewältigen?

Noam Chomsky: Der schnelle Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen, ein sehr deutlicher Anstieg der erneuerbaren Energien, die Erforschung neuer Möglichkeiten nachhaltiger Energie, signifikante Schritte in Richtung Naturschutz und nicht zuletzt eine weit reichende Kritik am kapitalistischen Modell der Ausbeutung des Menschen und der Ressourcen — auch abgesehen davon, dass es die externen Effekte ignoriert, ist dieses Modell praktisch ein Todesurteil für die Arten.

Graciela Chichilnisky: Hier ist ein Plan aus realistischen und durchführbaren Handlungen, die jetzt durchgeführt werden können, um der Klimawandelbedrohung Herr zu werden: Wir müssen das CO2 entfernen, das die industrielle Wirtschaft bereits ausgestoßen hat und das sonst über Jahrhunderte in der Atmosphäre verbleiben und das Klima der Erde irreversibel verändern würde. Es ist möglich, dies zu tun. Die Technologie zur direkten Entfernung des Kohlenstoffs aus der Atmosphäre existiert bereits und ist geprüft, sehr sicher und kostengünstig. Diese neue Technologie funktioniert, indem sie das CO2 direkt aus der reinen Luft — oder einer Mischung aus industriellen Quellen und reiner Luft — extrahiert und dabei als Energiequelle keinen Strom benutzt, sondern hauptsächlich die preiswerte Restwärme, die bei den meisten industriellen Prozessen anfällt.

Das aus der Luft entnommene CO2 wird auf der Erde stabilisiert, indem es mit Profit für sinnvolle gewerbliche Zwecke verkauft wird. CO2 aus der Luft kann Petroleum ersetzen — es kann bei der Plastik- und Acetatproduktion, für Karbonfasern als Ersatz für Metalle sowie bei der Herstellung von sauberen Hydrokarbonen wie synthetischem Benzin eingesetzt werden. Wir können CO2 dafür verwenden, Wasser zu entsalzen, die Gemüse- und Fruchtproduktion in Gewächshäusern zu steigern, unsere Getränke mit Kohlensäure zu versetzen und Biodünger herzustellen, der die Leistungsfähigkeit unserer Böden steigert, ohne sie zu vergiften. Die Kohlenstoff-vermindernde Technologie ist absolut notwendig — so berichtet in der UNFCCC (UN-Klimawandel-Rahmenkonvention), im Fifth Assessment Report des IPCC, Seite 191, und in vier Artikeln des Pariser Abkommens von 2015.

Gibt es eine Möglichkeit vorherzusagen, wie die Welt in 50 Jahren aussehen wird, wenn die Menschheit es versäumt, die globale Erwärmung und den Klimawandel zu bewältigen?

Noam Chomsky: Wenn die aktuellen Tendenzen weiter bestehen bleiben, wird das Ergebnis katastrophal sein — und es wird nicht lange dauern. Große Teile der Welt werden kaum noch bewohnbar sein, was Hunderte von Millionen von Menschen betreffen wird. Dazu wird es andere Katastrophen geben, die wir uns kaum vorstellen können.

Graciela Chichilnisky: Es ist einfacher, die Zukunft zu gestalten, als sie vorherzusagen. Jetzt müssen wir die Anforderungen des Zwischenstaatlichen UN-Ausschusses für Klimaänderungen und das Kyoto-Protokoll der UNO sowie die Vorschläge des Übereinkommens von Paris umsetzen: Wir müssen sofort das CO2 entfernen, das wir bereits in die Erdatmosphäre ausgestoßen haben, und die Emissionsgrenzen von Kyoto erweitern. Dies ist in den meisten Szenarien die einzige mögliche Alternative zu einem katastrophalen Klimawandel. Dies kann und muss getan werden.

Mit den Mitteln aus dem CO2-Zertifikatehandel des Kyoto Protokolls könnte in armen Ländern der Bau von Kraftwerken finanziert werden, die kohlenstoffnegativ arbeiten (also kein CO2 ausstoßen, sondern es der Luft entnehmen; Anmerkung der Übersetzerin). Kohlenstoffnegative Kraftwerke können mit Energie versorgen und gleichzeitig die Armut überwinden und die wirtschaftlichen Werte in die richtige Richtung verändern.

Der UN-CO2-Zertifikatehandel, der seit 2005 im Völkerrecht verankert ist, wird einen sehr nötigen Wandel in den globalen wirtschaftlichen Wertvorstellungen herbeiführen. Der durch neue Märkte für globale öffentliche Güter verursachte Wandel in den wirtschaftlichen Werten wird unsere globale Wirtschaft neu ausrichten und kann unter den richtigen Bedingungen die Befriedigung gegenwärtiger und zukünftiger grundlegender Bedürfnisse anstoßen. Genau das brauchen wir jetzt. Wir müssen unsere Zukunft fördern, anstatt das menschliche Überleben zu untergraben. Legen wir los.


Kollaborateure der Macht

Um die Profitinteressen der Reichen und Mächtigen zu schützen, verbreiten die Medien zur globalen ökologischen Katastrophe unterkomplexe Zerrbilder und beruhigende Halbwahrheiten, konstatiert Noam Chomsky im Interview.

Die elegante Schlichtheit seines Büros auf dem Campus — ein kleiner runder Tisch mit einigen geradlehnigen Stühlen, ein Laptop auf einem aufgeräumten Tisch — steht in Kontrast zu seinem Ruf als einem der führenden öffentlichen Intellektuellen. Nun bereits 90 Jahre alt, schreibt Noam Chomsky noch immer und hält mit einem Kollegen zusammen eine Vorlesung über Politik und globale Krisen an der University of Arizona.

Neben seiner Paradigmen erzeugenden Arbeit in der Linguistik ist Chomsky bis heute ein unverblümter und überzeugender Kritiker US-amerikanischer Außenpolitik sowie der damit verbundenen weltweiten Menschenrechtsverletzungen und militärischen Aggressionen. Mit seinem verstorbenen Kollegen Ed Herman entwickelte Chomsky ein „Propaganda-Modell“ der Unternehmens-Massenmedien, mit dem er die Fähigkeit der wirtschaftlichen und politischen Elite erklärte, ihre ideologische Legitimität aufrecht zu erhalten. Eine Reihe von „Filtern“ — Unternehmensbesitz, Abhängigkeit von Werbung, am Establishment ausgerichtete Beschaffungspraktiken, scharfe Kritik von rechts und ideologische Dogmen — führen dazu, dass die Medien als Propagandainstrumente der Reichen und Mächtigen agieren.

Robert Hackett: In den letzten Jahren haben Sie sich oft über die Ernsthaftigkeit der Klimakrise geäußert — und Sie haben verschiedene Beispiele dafür genannt, wie die Unternehmensmedien keine Notiz vom Ausmaß dieser Krise nehmen. Wie würden Sie die allgemeine Rolle der Unternehmensmedien in dieser Krise bewerten? Helfen die Filter, die Sie in Ihrem und Ed Hermans Propaganda-Modell der Medien ermittelt haben, dabei, die Unzulänglichkeiten der Medien in Bezug auf die globale Erwärmung zu erklären, oder gibt es andere Faktoren, die diese für den Journalismus zu einem besonders schwierigen Thema machen?

Noam Chomsky: Nehmen Sie eine Standard-Story. Es gibt Berichte darüber, was gerade geschieht. Wenn Sie also zum Beispiel heute die New York Times aufschlagen, finden Sie da einen recht guten Artikel zu neuen Erkenntnissen über das Schmelzen der polaren Eiskappen, der wie gewohnt drastischere Entwicklungen präsentiert als man sie eigentlich erwartet hatte — diese Art der Berichterstattung ist seit Langem typisch. Er setzt sich auch mit den voraussichtlichen Folgen des Meeresspiegelanstiegs auseinander — angesichts dessen, wie dramatisch dieser bis heute verläuft, jedoch eher zurückhaltend. Es erscheinen also regelmäßig Artikel — und somit wird die globale Erwärmung nicht ignoriert.

Wenn man sich nun aber einen Standard-Artikel über die weltweite Erdölexploration ansieht, kann die New York Times einen großen Bericht darüber auf der Titelseite bringen, wie die USA sich in Richtung dessen bewegen, was sie Energieunabhängigkeit nennen, wie sie Saudi-Arabien und Russland in der Produktion fossiler Brennstoffe hinter sich lassen und dabei neue Gebiete wie Wyoming oder den Mittleren Westen für das Fracking erschließen. Sie schreiben einen langen Beitrag, vielleicht 1.000 Wörter lang — ein solcher kommt mir in den Sinn —, und erwähnen darin die Folgen für die Umwelt oder die Schäden, die den Wasserreserven der lokalen Viehzüchter zugefügt werden, die globale Erwärmung jedoch mit keinem Wort.

Und dies geschieht durch die ganze Presse hinweg, in einem Artikel nach dem anderen — in der Financial Times, der New York Times, allen großen Zeitungen. Es ist also, als gäbe es da einerseits eine Art Tunnelblick — die Wissenschaftsjournalisten sagen gelegentlich „schauen Sie, dies ist eine Katastrophe“. Aber dann wird all das in der allgemeinen Berichterstattung völlig ignoriert, in der es heißt: „Ach, ist das nicht wunderbar, wir müssen kein Öl importieren, wir werden mächtiger“ und so weiter.

Sie stellen also den Zusammenhang gar nicht her?

In ein paar Generationen kann eine organisierte menschliche Gesellschaft vielleicht nicht mehr überleben. Das müsste den Menschen ohne Unterlass klargemacht werden.

Es ist eine Art Schizophrenie, die quer durch die Gesellschaft verläuft. Nehmen wir die großen Banken, zum Beispiel JP Morgan Chase. Sie ist die größte Bank und ihr CEO, Jamie Dimon, ist ein intelligenter Mann. Ich bin sicher, dass er Grundkenntnisse über die ernsthafte Bedrohung durch die globale Erwärmung besitzt, und doch überschütten sie die Gewinnung fossiler Brennstoffe mit Investitionen — weil dies eben das Geschäftsmodell ist. Sie müssen morgen Profit machen.

Die umfassende Rolle der Unternehmensmedien bestand also darin, die Verbindung nicht herzustellen?

Ganz sicher. Ich sprach natürlich über die liberalen Medien. Wenn man sich, sagen wir einmal, Fox News ansieht, sieht es ganz anders aus: hier findet einfach keine globale Erwärmung statt. Und dies spiegelt sich tatsächlich in der öffentlichen Meinung wider. Die Hälfte der Republikaner leugnet die globale Erwärmung. Eine kleine Minderheit der anderen Hälfte nimmt an, dass die Menschen daran mitschuldig sein könnten.

Nehmen wir nur einmal die Anhörungen vor ein paar Tagen — der neue Leiter der Environmental Protection Agency, der US-Umweltschutzbehörde, soll jemand mit einer Vorgeschichte in der Kohleindustrie werden. Auf die Frage, für wie dringend er die globale Erwärmung halte, antwortete er: „Sie steht in der Rangfolge der Dringlichkeit wahrscheinlich an achter oder neunter Stelle, also weit hinten.“ In der Konsequenz wird also gar nichts getan.

Was die Medien selbst anbelangt — können hier die Arten der Filter, die Sie in Ihrem Propagandamodell erkannt haben, die Defizite erklären oder spielen da noch andere Faktoren eine Rolle?

Ja, aber dies ist nahezu transparent. Sie sind mit dem Geschäftsmodell der Unternehmen vermählt, das da lautet: Du musst morgen Profit machen — die Gesellschaft muss wachsen. Es kümmert sie nicht, welche Art von Wachstum — sie muss einfach wachsen. Und das ist wie internalisiert.

Ja, natürlich haben die Inserenten eine Wirkung, und auch die Tatsache, dass die Medien Unternehmen sind, hat Auswirkung. Aber viel tiefer liegt ein Punkt, auf den George Orwell hingewiesen hat, der meiner Meinung nach unterschätzt wird und mit dem wir uns auch tatsächlich in unserem Buch „Manufacturing Consent“ nicht auseinandergesetzt haben.

Ich weiß nicht, ob Sie je die Einleitung von „Animal Farm“ gelesen haben — wahrscheinlich nicht, weil sie unterbunden wurde. Aber sie kam ans Licht, als sie etwa dreißig Jahre später in seinen Aufzeichnungen entdeckt wurde, und es ist eine interessante Einleitung. Das Buch wendet sich an die Menschen in England und er sagt, dass sein Buch natürlich eine Satire auf den totalitären Feind sei, dass wir deswegen aber nicht in Selbstgerechtigkeit schwelgen sollten, weil — und ich zitiere — im freien England Ideen auch ohne die Anwendung von Gewalt unterdrückt werden können.

Orwell nennt ein paar Beispiele und gibt etwa zwei Sätze Erklärung dazu. Zum einen ist die Presse im Besitz reicher Männer, die großes Interesse daran haben, dass gewisse Anschauungen nicht veröffentlicht werden. Zum anderen spielt die jeweilige Ausbildung eine wichtige Rolle. Man geht auf die besten Schulen, wird Absolvent von Oxford und Cambridge und hat eingetrichtert bekommen, dass man gewisse Dinge einfach nicht ausspricht — und so haben sie im Denken keinen Platz mehr. Es wird einfach zu dem, was Gramsci den „hegemonialen gesunden Menschenverstand“ nennt — man redet einfach nicht darüber. Und das ist ein wichtiges Element — wie man diese Dinge einfach verinnerlicht. Menschen, die sich darüber äußern, klingen wie Verrückte.

Was wäre die Alternative für den Journalismus? Wie sollte er anders vorgehen, wenn er sich mit dem Klimawandel befasst?

Jedes einzelne Journal sollte täglich eine schrille Schlagzeile bringen, die besagt, dass wir auf eine totale Katastrophe zusteuern. In ein paar Generationen wird eine organisierte menschliche Gesellschaft möglicherweise nicht mehr überlebensfähig sein. Dies sollte ununterbrochen in die Köpfe der Menschen gehämmert werden. Schließlich gab es so etwas noch nie in der Geschichte der Menschheit.

Die gegenwärtige Generation muss eine Entscheidung treffen, ob die organisierte menschliche Gesellschaft noch ein paar Generationen überleben soll — und sie muss dies schnell tun, weil wir keine Zeit mehr zu verlieren haben. Wir können also nicht mehr herumbummeln und um den heißen Brei herumreden.

Und der Rückzug aus dem Pariser Abkommen sollte als eines der größten Verbrechen der Geschichte angesehen werden.

Aber besteht nicht die Gefahr, die Menschen jeder Macht zu berauben, wenn man ihnen nur schlechte Nachrichten übermittelt?

Die besteht durchaus. Schlechte Nachrichten sollten mit einer Erörterung der Dinge einhergehen, die unternommen werden und unternommen werden können. Ein sehr guter Ökonom zum Beispiel, Dean Baker, hatte in einer Kolumne vor ein paar Wochen erörtert, was China gerade macht. Sie sind noch immer große Umweltverschmutzer, setzen aber auch auf riesige Programme zur Umstellung auf erneuerbare Energien — mehr als irgendwo sonst auf der Welt. Staaten tun es, oder sie tun es eben nicht.

Nehmen Sie zum Beispiel Arizona, Sie fahren herum, die Sonne scheint die ganze Zeit, fast das ganze Jahr über, und nun schauen Sie sich um — wie viele Solarpaneele sehen Sie? Unser Haus in den Außenbezirken ist das einzige weit und breit, das welche besitzt. Die Leute beschweren sich darüber, dass sie im Sommer wegen der Klimaanlagen Stromrechnungen in Höhe von 1.000 Dollar monatlich zahlen müssen — aber sie installieren keine Solarpaneele. Die Elektrizitätswerke in Tucson machen es einem aber auch schwer — unserer Solaranlage beispielsweise fehlen ein paar Paneele, weil es verboten ist, zu viel Strom zu erzeugen.

Das ist bedauerlich. Wo sehen Sie jene Art von Journalismus, der die Dringlichkeit der Sache mit der Vorstellung verbindet, was getan werden kann? Wo sehen Sie das in unserem Mediensystem?

Naja, Sie finden das in kleinen Zeitungen. Es geht darum, die globale Erwärmung besonders hervorzuheben. Sie haben schon recht, wenn Sie sagen, man könne die Leute nicht ununterbrochen mit schlechten Nachrichten überfluten — dann würden sie sich abwenden. Wenn man jedoch schlechte Nachrichten mit positiven Schritten kombiniert, die unternommen werden können, sowie mit der Dringlichkeit, mit der sie unternommen werden müssen, könnte man, so meine ich, eine Wirkung erzielen.

Sind es vor allem die alternativen, unabhängigen Medien, die in ihrer Berichterstattung die Krise auch als Krise thematisieren?

Das geschieht in den alternativen Medien, ja, aber damit wird die allgemeine Öffentlichkeit nicht ausreichend erreicht. Und das gilt nicht nur für diese Krise, sondern auch für andere. Eine vergleichbare Krise ist etwa die Bedrohung durch einen Atomkrieg. Am 24. Januar sollte man einen Blick auf das Bulletin of the Atomic Scientists werfen — an diesem Tag stellen sie die Weltuntergangs-Uhr neu ein. Das ist die Atomkriegsuhr, die symbolisch verdeutlichen soll, wie groß das Risiko einer globalen Katastrophe zu einem bestimmten Zeitpunkt ist. Es ist bereits zwei Minuten vor Mitternacht. Ich weiß nicht, was sie das nächste Mal tun werden, vielleicht auf „nach Mitternacht“ stellen. Es sind ja zwei Dinge: der Atomkrieg und die globale Erwärmung. Und beide werden zunehmend unheilvoller. Es gibt aber noch mehr. Denken Sie beispielsweise an die Gefahr einer Pandemie.

Die industrielle Fleischproduktion ist vor allem unmenschlich, aber sie trägt darüber hinaus in großem Maße zur globalen Erwärmung bei. Zudem zerstört sie die Wirksamkeit von Antibiotika. Der übermäßige Einsatz von Antibiotika erzeugt mutierte Bakterien, die jeglichem Antibiotikum gegenüber resistent sind und bereits in Krankenhäusern auftreten. Sie könnten eine Riesenpandemie verursachen wie die Grippe-Pandemie vor einem Jahrhundert, der zig Millionen von Menschen zum Opfer fielen.

Die Menschen sprechen auch über eine Migrationskrise — was geschieht, wenn Bangladesch überflutet wird und Hunderte von Millionen fliehen müssen? In Südasien geht das Wasser zur Neige — schon jetzt haben Hunderte von Millionen Menschen kaum Wasser. Mit dem Abschmelzen der Gletscher könnten sie ihre Wasserversorgung endgültig verlieren.

Was passiert dann mit der Welt? Sie geht kolossalen Problemen entgegen, und diese liegen nicht in weiter Ferne.

Gibt es bestimmte Medienkanäle, die Sie selbst als hilfreich empfinden — im alternativen oder unabhängigen Sektor oder anderswo —, wo Sie sich informieren?

Ich lese die wichtigsten Medien, aber eigentlich ist man nur mit den Wissenschaftsjournalen auf dem neuesten Stand. Das ist natürlich technisches Zeug, das man normalerweise nicht liest. Es gibt aber sehr gute Berichte in der Washington Post, der New York Times und natürlich viele in den alternativen Medien.

Glauben Sie, dass es in den USA oder anderen zumindest theoretisch demokratischen Gesellschaften möglich wäre, das Mediensystem so zu reformieren, dass diese Art des Überlebens-Journalismus besser gefördert würde?

Eine Möglichkeit wäre, wenn wirklich demokratische Gesellschaften entstünden. Nehmen wir die Wahlen — sehr überzeugende Arbeiten in den Mainstream-Politikwissenschaften zeigen, dass die Wahlen in den USA praktisch gekauft sind.

Der Ausgang der Wahlergebnisse für den Kongress oder die Exekutive lässt sich mit bemerkenswerter Genauigkeit vorhersagen — allein durch Betrachten der Variable „Wahlkampfausgaben“. Deswegen muss jemand, der ins Repräsentantenhaus gewählt wurde, bereits am Tag seines Amtsantritts damit beginnen, sich um Spenden für die nächste Wahl zu bemühen.

Währenddessen wird die Gesetzgebung von den Mitarbeitern geschrieben — mit Unterstützung der Lobbyisten der Unternehmen, die oft die Gesetze einfach selbst schreiben. Es ist zwar eine Art Demokratie, aber eine sehr eingeschränkte.

Sehen Sie, abgesehen von breiter angelegten sozialen und politischen Veränderungen, eine Möglichkeit der Medienreform? Es gibt ja, wie Sie wissen, eine Bewegung speziell für die Reform der Medien — mit Robert McChesney und anderen.

Es kann viel getan werden. Das System muss in vielerlei Hinsicht bedeutsam, ja radikal verändert werden. Die Medienreform gehört dazu. Bob McChesneys wichtige Arbeit hat da Vorbildcharakter.

Es gibt Dinge, die getan werden können. Die wachsende Monopolisierung der großen Medien ist, wie Sie wissen, eine schwerwiegende Angelegenheit, aber wenn Sie Ben Bagdikians Buch über das Medienmonopol um 1980 herum ansehen, existierten da noch etwa 50 Nachrichtenquellen — heute sind wir nur noch bei einem halben Dutzend.

Das Profit-Modell durch Werbevermarktung in den Medien hat den Journalismus untergraben. In den Anfängen der USA erkannte die Regierung die Wichtigkeit einer freien und unabhängigen Presse und subventionierte Dinge wie kostenlose Postzustellung als Mittel zur Schaffung einer unabhängigen Presse.

Erst kürzlich habe ich ein sehr interessantes Buch gelesen — „The Framer´s Coup“ von Michael Klarman. Es ist heute eines der besten Bücher über die Entstehung der US-Verfassung — es berichtet im kleinsten Detail über die damaligen Diskussionen, die sehr beeindruckend sind.

Damals gab es Broschürenliteratur, Schriften der unabhängigen Presse. Menschen brachten sich ein und Farmer sowie Handwerker und alle anderen gaben ihren Senf dazu — ein Vorbild für Diskussionskultur.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts existierte eine sehr lebendige gewerkschaftliche und ethnische Presse, die sehr interessante Dinge tat. Sie brach mehr oder weniger unter der Konzentration des Kapitals sowie aufgrund des Werbeträger-Modells zusammen. Dasselbe geschah auch in England, wenngleich die Presse in England sogar noch länger durchhielt — bis in die 1960er Jahre hinein.

Setzen Sie viel Hoffnung auf Alternativen im Internet und die sozialen Medien?

Es besteht Hoffnung, aber die sozialen Medien waren und sind ein zweischneidiges Schwert. Sie erzeugen ganz deutlich eine Art Echokammer, eine Blase. Wir tun es alle — wir werden von den Dingen angezogen, an die wir glauben, und hören dann keine anderen Ansichten, unsere eigenen werden nur verstärkt. Das macht eine Interaktion aber fast unmöglich.

Manches davon ist ganz schön schockierend. Ich las vor kurzem ein paar Statistiken und es stellte sich laut neueren Umfragen heraus, dass sich der Anteil der US-Amerikaner, die die großen Medien als Hauptinformationsquelle nutzen, im einstelligen Bereich befindet, bei etwa 6 Prozent. Die meisten gehen zu den sozialen Medien, die die Nachrichten nicht produzieren, sondern filtern und auch keine Reporter draußen im Feld haben.

Und dann gibt es natürlich Neuerungen wie Talk Radio und Fox, die neu sind. Sie sind einfach nur bösartige Propagandasysteme, die nicht einmal vorgeben, etwas anderes zu sein.

Dies ist die dunkle Seite. Die gute Seite ist, dass es die sozialen Medien sind, mit deren Hilfe man sich heute organisiert. Auf diese Weise kann man andere Menschen erreichen, mit ihnen zusammenkommen, und sie sind ein sehr wirksames Instrument.

Praktisch jedes Sich-Organisieren funktioniert auf diese Weise. Selbst das Lehren — Lehrer kommunizieren oft mit ihren Schülern über die sozialen Medien. Das ist es, was alle machen. Wenn man über den Campus läuft, hängt jeder an einem Gerät. Eine Universität — ich glaube, es war die Duke University — ließ Sprüche wie „Schau hoch!“ auf den Bürgersteigen anbringen, weil alle beim Herumlaufen nach unten blicken.

Man kann nicht mit Bestimmtheit sagen, was die Folgen sind. Man sieht Teenager beispielsweise in einem McDonalds an einem runden Tisch sitzen und es finden zwei Gespräche statt: eines in der Gruppe, und eines, das jede Person mit wem auch immer am Telefon führt. Das zerstört einfach wichtige soziale Bindungen.

Es könnte vielleicht eine potenzielle Ressource sein — alternative Medien, die das Internet für den Austausch über das Klima nutzen.

Blogs, Truthout, Truthdig, Common Dreams, Democracy Now und viele andere bringen alle Arten von Informationen, die kein Fernsehsender vermittelt.

Diese Kanäle sind also potenziell außerordentlich nützlich. Aber auch das hat diesen negativen Aspekt — von den Mächtigen des Silicon Valley wegen der Werbevermarktung unter Druck gesetzt zu werden, weil man diese dauernd aufgezwungen bekommt. Man sucht bei Google etwas und wird überflutet von Dingen, die man kaufen sollte, das ist der Einfluss der großen Werbetreibenden.

Wie müssen die Bedingungen aussehen, um eine wirkungsvolle Reaktion auf die Klimakrise zu ermöglichen?

Ich denke, es bedarf einfach einer kraftvollen Massenbewegung, die die Medien durch konstanten Druck dazu zwingt, sich mit der Krise, die wir erleben, auseinanderzusetzen — oder die einfach Alternativen schafft, die den Informationsmarkt beherrschen. Und wir haben keine Zeit zu verlieren. Dinge wie die Subvention von unabhängigen Medien also — dies ist keine utopische Idee, es geschah bereits in den Anfängen der USA. Oder die Art von Graswurzelbewegung, deren Entwicklung zum Beispiel Bob McChesney und andere vorantreiben.

Und dies alles ist dringend notwendig. In den letzten Jahren begann ich meine Kurse damit, den Studenten klarzumachen, dass sie eine Wahl treffen müssen, die noch niemand in der Geschichte der Menschheit treffen musste. Sie müssen entscheiden, ob die organisierte menschliche Gesellschaft überleben soll. Selbst als die Nazis wüteten, war niemand mit dieser Entscheidung konfrontiert. Jetzt schon.

Gibt es, abgesehen von den Medien, noch andere allgemeine Rahmenbedingungen, die erfüllt sein müssen, um die Klimakrise zu bewältigen?

Es gibt einige Gruppen, die einen groß angelegten Aktivismus organisieren, so zum Beispiel Earth Strike, welche eine Reihe von Aktionen planen.

Die erste hat bereits stattgefunden — große Demonstrationen in vielen Städten in dem Bestreben, daraus einen Massen-Generalstreik entstehen zu lassen. Die Extinction Rebellion aus England ist in derselben Absicht hierhergekommen.

Diese dramatischen Aktionen sind jedoch, wie Demonstrationen generell, wirkungslos, wenn sie Einzelereignisse bleiben. Sie müssen der Stimulus für das konstante Sich-selbst-Organisieren und für einen Lernprozess sein, der sich im täglichen Leben widerspiegeln muss.

Ich komme wieder auf das zurück, worüber wir vorhin gesprochen hatten — Tucson und die Solarpaneele. Die Menschen müssen endlich verstehen, dass sie so etwas tun müssen, und zwar schnell — und dass es ihnen nicht schadet, sondern ihr Leben verbessert.

Zum Beispiel spart man damit sogar Geld. Allein die psychologische Hürde jedoch ist eine Blockade, die besagt, „ich kann da nicht hinsehen, ich muss bei den üblichen Vorstellungen bleiben, und dies ist irgendwie etwas so Radikales, dass wir davor Angst haben müssen“.

Sie muss durch ständige pädagogische und organisatorische Tätigkeiten überwunden werden — so, wie sich auch jede andere Bürgerbewegung entwickelt hat, die Bürgerrechtsbewegung, die Antikriegsbewegung, die feministische Bewegung: dauerhaft, oft in kleinen Gruppen, aus denen dann für den Aktivismus größere Gruppen wurden. Gelegentlich veranstalten sie dramatische Aktionen wie eine Demonstration — dies jedoch nur, um eine kontinuierliche Aktivität anzuregen.

Und wir dürfen nicht mehr warten.

Die Wahrheit über die USA

Das mächtigste Land der Welt steht für völkerrechtswidrige Kriege, Hunger, Elend, Unterdrückung und Ausbeutung überall auf der Welt. Exklusivabdruck aus „Kampf oder Untergang!“

Viele wissen, dass Noam Chomsky zu den lautesten Kritikern des US-amerikanischen Imperialismus gehört. Seit mehreren Jahrzehnten macht Chomsky auf die außenpolitischen Aggressionen seiner Regierung aufmerksam und protestiert vehement dagegen.

In den 1960er-Jahren protestierte der junge Chomsky gemeinsam mit zahlreichen anderen Aktivisten und Intellektuellen entschlossen gegen die Verbrechen in Vietnam. Selbiges geschah in den darauffolgenden Jahren, als Washington mehrere südamerikanische Staaten ins Chaos stürzte. In den Wirren des Kalten Krieges wurden dabei vor allem linksgerichtete, demokratische Regierungen in Chile und anderswo eliminiert, während rechten Hardlinern, die innerhalb kürzester Zeit brutale Diktaturen errichteten, an die Macht verholfen wurde.

Die Auswirkungen der damaligen Politik zeigen sich in den Vereinigten Staaten bis heute. Weiterhin verlassen Menschen den südamerikanischen Kontinent und ziehen gen Norden, ins „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“. Dort werden sie allerdings von Mauern, Zäunen und brutalen Grenzwachen aufgehalten. Jene, die Nordamerika dennoch erreichen, leben oftmals in der Illegalität. Ihre Flucht nimmt praktisch kein Ende, denn sie fliehen weiterhin — vor einer möglichen Abschiebung.

Chomsky ergreift nicht nur Partei für diese Menschen, sondern erinnert stets an den Gesamtkontext. Es liegt nämlich auf der Hand, dass die Menschen weiterhin vor den Auswirkungen der Politik Washingtons in ihren Heimatländern fliehen. Ähnlich verhält es sich auch in anderen Regionen der Welt, etwa im Nahen Osten oder in Afghanistan.

Als Chomsky sich gegen die Afghanistan-Invasion der USA aussprach und daraufhin von Aktivisten in Pakistan zu Vorträgen eingeladen wurde, verwehrte ihm die mit Washington verbündete Regierung in Islamabad ein Einreisevisum. Ähnlich verhielt es sich mit dem illegalen Krieg in Irak, den Chomsky als eines der größten Verbrechen des 21. Jahrhunderts betrachtet.

Ein besonderer Ruf eilt Chomsky allerdings aufgrund seiner Kritik an Israel voraus. In der westlichen Welt gibt es nur wenige Menschen, die sich derart lautstark für die Rechte der Palästinenser einsetzten wie er.

Aufgrund seiner jüdischen Wurzeln pflegt Noam Chomsky ein ambivalentes Verhältnis zum israelischen Staat. Dieser führe auf palästinensischem Boden nicht nur eine kolonialistische Siedlungspolitik fort, sondern sieht sich auch im Recht, in regelmäßigen Abständen Palästinenser zu ermorden, während die von den USA geführte internationale Staatengemeinschaft meist damit beschäftigt sei, irgendwelche „Schurkenstaaten“ zu verteufeln. Angesichts der aktuellen politischen Lage in Israel verwundert es kaum, dass Chomsky zuletzt die Einreise verweigert wurde, als er einen Vortrag im Westjordanland halten wollte.

In unserem modernen Zeitalter übernimmt Chomsky dadurch mehr oder weniger die Rolle jener unerwünschten israelitischen Propheten, die einst verjagt und verteufelt wurden. In gewissen Kreisen wird er oftmals auch als „selbsthassender Jude“ bezeichnet. Zum Schweigen konnte ihn dadurch allerdings niemand bringen. In gewohnter Manier steht Chomsky weiterhin gegen das „Imperium“ auf und beschreibt kühl und gelassen jene Realitäten, die von vielen anderen politischen Beobachtern oftmals bewusst ignoriert werden.


Emran Feroz: Die USA sind nicht nur das größte Imperium der Gegenwart, sondern auch der Menschheitsgeschichte im Allgemeinen. Doch die Geschichte hat uns auch gelehrt, dass jedes Reich letztendlich fallen wird. Werden wir den Fall des US-amerikanischen Imperiums in naher Zukunft erleben?

Noam Chomsky: Aus der Tatsache, dass alle vergangenen Reiche gefallen sind, können wir nicht ableiten, dass dies auch mit dem nächsten Reich auf der Liste geschehen wird. Wenn man jedoch die globalen Umstände betrachtet, wäre es vernünftig und nachvollziehbar, daraus abzuleiten, dass dies auch mit ebenjenem Reich geschehen wird.

Wir sollten dabei allerdings eine viel dringendere Frage nicht übersehen: Wird der Niedergang dieses Reiches, also des US-amerikanischen Imperiums, auch mit der Vernichtung jedweden organisierten menschlichen Lebens zusammenfallen? Die Antwort darauf ist nicht einfach. Selbst wenn das nukleare Monster sich in irgendeiner Art und Weise zähmen ließe, wäre der Anstieg des Meeresspiegels um einige Meter bis zum Ende des Jahrhunderts eine unvorstellbare Katastrophe.

Dabei sollten wir eine weitere Tatsache, die von historischer Bedeutung ist, nicht übersehen: Das Rennen um eine unbeschreibliche Katastrophe wird durch die Politik des mächtigsten Staates der Weltgeschichte beschleunigt. Die gegenwärtige US-Administration weigert sich nicht nur, sich der Krise zu stellen. Nein, sie will die Gefahr sogar bewusst eskalieren lassen.

Es besteht in diesem Kontext auch kein Zweifel daran, dass die Verantwortlichen sich dessen bewusst sind, was sie tun. Trumps Sorgen — und das macht er sehr deutlich — sind nicht etwa die schlimmen Folgen der drohenden Erderwärmung, sondern die Errichtung einer hohen Mauer um seinen persönlichen Golfplatz, um diesen vor dem Anstieg des Meeresspiegels zu schützen. Es ist schwer, für diesen Irrsinn die passenden Worte zu finden.

Eine historische Tatsache, die weiterhin in den Hintergrund gedrängt wird, ist, dass der Aufbau der Vereinigten Staaten auf Sklaverei und Genozid beruht. Während man, zumindest in Europa, den Eindruck gewinnt, dass über Ersteres in vielen amerikanischen Schulen gelehrt wird, scheint der Genozid an der indigenen Bevölkerung des Kontinents weiterhin kein Thema zu sein. Was ist die politische Intention dahinter? In Deutschland und Österreich wird der Holocaust in Schulen sehr detailliert aufgearbeitet. Ohne den Holocaust, der historisch singulär ist, mit den Genoziden in Nordamerika vergleichen zu wollen, stellt man sich die Frage, warum eine ähnliche Aufarbeitung in US-Schulen nicht stattfindet.

Deutschland und Österreich wurden im Krieg geschlagen. Konstanter Sieg, wie ihn die Vereinigten Staaten kennen, schadet der eigenen Moral. Ich teile allerdings nicht die Meinung, dass die Geschichte der Sklaverei tatsächlich weitläufig bekannt ist. Vielmehr wird sie lediglich oberflächlich vermittelt.

Nur wenige Menschen sind sich der einzigartigen und abscheulichen Form der amerikanischen Sklaverei bewusst. Selbiges gilt auch für die Tatsache, dass die Sklaverei als Grundlage für den Reichtum und die Entwicklung der USA und insbesondere Englands (in Form von Produktion, Finanzen, Handel, Einzelhandel) diente. Eine wirkliche Befreiung fand damals übrigens auch nicht statt. Nach einem Jahrzehnt der Freiheit wurde die Sklaverei unter einem anderen Label wiederhergestellt.

Dies setzte sich bis ins 20. Jahrhundert fort und leistete einen wichtigen Beitrag für die US-amerikanische Wirtschaft. Die Geschichte der Kriege gegen die Nationen der Indianer und deren virtuelle Ausrottung und Vertreibung ist ebenfalls wenig bekannt, obwohl als Folge des Menschenrechtsaktivismus der 1960er-Jahre eine Verbesserung stattgefunden hat.

Ein Beispiel für die Vermeidung der Geschichtserzählung ist das „Second Amendment“, der 2. Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten, der gegenwärtig als Schutz des „heiligen Rechts“, Waffen zu tragen, verstanden wird — eine Frage, die nach den jüngsten Massakern und Amokläufen in unserem Land regelmäßig auf den Titelseiten der hiesigen Medien behandelt wird.

Doch nur wenige wissen, warum die Änderung damals eigentlich in Kraft getreten ist. Dabei sind die Gründe eigentlich ziemlich klar: Es war aufgrund des mörderischen Bestrebens, Sklaven zu kontrollieren und Indianer zu töten. Hinzu kam die Abwehr eines gefürchteten britischen Angriffs, da es so gut wie keine bereitstehende Armee gab.

Dieser Umstand macht vor allem deutlich, dass der ursprüngliche Sinn jener Passage in der US-amerikanischen Verfassung und die damit verbundenen Absichten der Gründerväter in der gegenwärtigen modernen Welt ziemlich überholt sind. Dies sollten vor allem jene konservativen Originalisten, die sich weiterhin auf die Grundwerte der Verfassung berufen und diese in den Vordergrund stellen wollen, bedenken. Interessanterweise wurde die Entscheidung des rechten Vorsitzenden des Supreme Courts, John Roberts, dieses „heilige Recht“ 2008 auszuweiten, von dem in weiten Kreisen respektierten Juristen Antonin Scalia verfasst, der sich stark auf den Originalismus beruft.

Scalia zitierte dabei alle Arten obskurer Texte, aber es gelang ihm, alle Hauptmotive für eine Einschränkung des Rechts vollständig auszuklammern. Dasselbe gilt für die umfangreiche juristische Debatte über den 2. Verfassungszusatz, die sich auf die Bedeutung des einleitenden Satzes konzentriert: „Eine gut regulierte Miliz, die für die Sicherheit eines Freistaates notwendig ist“.

Die umstrittene Frage ist also, ob die Änderung ein individuelles Recht verleiht, Waffen zu tragen, oder ob sie ein Milizkonditionsrecht ist. Aus juristischer Sicht ist das eine interessante Frage, aber die Frage nach dem Grund für den 2. Zusatzartikel und seiner heutigen Anwendbarkeit wird vollständig gemieden — zumindest von Seiten der Konservativen, die die leidenschaftlichsten Befürworter einer erweiterten Interpretation sind. Dies ist im Grunde genommen auch ein aufschlussreiches Beispiel dafür, wie die beiden schrecklichen „Ursünden“, Sklaverei und Genozid, selbst unter den gebildeten Klassen und dem liberalen Meinungsspektrum aus dem Bewusstsein verschwinden.

Der Waffenwahn in den USA scheint ein großes Problem zu sein, das die gesamte Gesellschaft betrifft.

Die Ursprünge der fanatischen Waffenkultur werden unter anderem in einem jüngst erschienen, äußerst wichtigen Buch von Pamela Haag beschrieben. Haag macht deutlich, dass die Waffenkultur eine Kreation der Fabrikanten des industriellen Zeitalters gewesen ist. Dies war einer der ersten Erfolge der PR-Industrie. Im späten 19. Jahrhundert machten sich Waffenhersteller Sorgen um ihre Verkaufszahlen. Es gab fast keinen heimischen Markt.

Waffen wurden als Werkzeuge betrachtet, ähnlich wie Schaufeln oder Heugabeln. Daraufhin fand eine große Werbekampagne statt, die Kämpfer mit Waffen romantisch inszenierte. Da gab es dann plötzlich den einsamen Cowboy, der den Wilden Westen gewann, oder falsche Helden wie „Wild Bill Hickok“ und all den dazugehörigen Krimskrams, der vielen Menschen bekannt ist.

Man erschuf den Mythos, dass jeder Junge zu einem echten Mann wird, wenn er einen Colt-Revolver umherschwingt, während er ein Winchester-Gewehr unter dem Arm trägt. Auch Frauen wurde eingetrichtert, eine Waffe unter dem Kopfkissen haben zu müssen. Immerhin bestünde stets die Möglichkeit, dass die bewaffneten Männer des Hauses draußen gegen plündernde, barbarische Indianer und andere bösartige Gestalten kämpfen. Zu all dem kam dann noch die Tabakindustrie, allen voran der Marlboro-Mann, hinzu. Andere folgten.

Die Propagandakampagne war perfekt inszeniert — und sie funktionierte hervorragend. Bis heute gilt eine Waffe als ein geschätzter Gebrauchsgegenstand, und das Recht, eine Waffe in einem Café zu tragen, gilt als heilig und unantastbar. Es gilt als ein Recht, dass im 19. Jahrhundert von Farmern und Viehzüchtern während der Eroberung des Wilden Westens erstritten wurde. Das all dies mit sehr unschönen Mitteln geschah, wird ausgeblendet.

Bezüglich der Sklaverei und des Rassismus stellen sich auch Fragen rund um die Situation von Afroamerikanern. Fand mit der Wahl Barack Obamas tatsächlich auch eine Veränderung statt und mit der Wahl Donald Trumps ein großer Rückschritt? Auch während der Ära Obamas hatten afroamerikanische Gemeinden mit großen Problemen zu kämpfen. Nie waren mehr Afroamerikaner in Gefängnissen eingesperrt als während Obamas Präsidentschaft. Ähnlich verhält es sich auch mit der Anzahl von afrikanischen Staaten, die in dieser Zeit von der US-Regierung bombardiert wurden. Geheime Kriege in Somalia und anderswo wurden ausgeweitet. Die amerikanischen Gründungsväter waren Rassisten und hielten Sklaven. Bestehen hier nicht einfach einige Grundprobleme mit der amerikanischen Geschichte und Gesellschaft, über die niemand sprechen will?

Die Veränderung, die mit Obama eintrat, war in erster Hinsicht psychologisch. Für Afroamerikaner war es erfreulich, eine schwarze Familie im Weißen Haus, das von Sklaven erbaut wurde, zu sehen. In materieller und sozialpolitischer Hinsicht änderte sich allerdings nur wenig. Als die Rezession eintrat, traf es Afroamerikaner besonders hart. Sehr viele von ihnen verloren ihre Häuser, die für viele das Rückgrat ihres Wohlstands waren.

Das Programm des US-Kongresses zur Finanzkrise (TARP, Troubled Asset Relief Program) sah eine Rettungsaktion für jene Banken vor, die für das Desaster verantwortlich gewesen waren, und eine Unterstützung für jene Opfer, die ihre Häuser verloren hatten. Es ist nicht schwer zu erraten, welche Verpflichtung als wichtiger betrachtet und erfüllt wurde. Neil Barofsky, der beauftragte Generalinspektor für das TARP-Programm, äußerte sich sehr kritisch über die Obama-Administration und wie dank dieser große Banken reicher wurden als jemals zuvor, während wortwörtlich nichts für die Menschen, die alles verloren hatten, getan wurde.

Das Ergebnis war insbesondere für den afroamerikanischen Teil der Gesellschaft verheerend. Die durchschnittliche schwarze Familie hat in der Regel keine größeren Ersparnisse. Die langsam stattfindende wirtschaftliche Erholung, die 2009 unter Obama begann und nun unter Trump fortgesetzt wird, hat die Arbeitsmöglichkeiten für Schwarze tatsächlich verbessert.

Dabei sollte allerdings beachtet werden, dass Profite in den Himmel schießen, während die Reallöhne weiterhin stagnieren. Laut eines Berichts des US-Arbeitsministeriums aus dem Juni 2018 sank von Mai 2017 bis Mai 2018 der reale Durchschnittsstundenlohn um 0,1 Prozent, jahreszeitlich angepasst.

Der Rückgang der realen durchschnittlichen Stundenlöhne kombiniert mit einem Anstieg der durchschnittlichen Arbeitswoche um 0,6 Prozent führte in diesem Zeitraum zu einem Anstieg des realen durchschnittlichen Wochenlohns um 0,5 Prozent. Dies ist der Alltag seit dem neoliberalen Großangriffs Reagans. Die Reallöhne für einfache Arbeiter auf dem Höhepunkt der viel gepriesenen Great Moderation waren 2007 niedriger als im Jahr 1979 — bevor die neoliberale Phase endgültig eingeläutet wurde. Und seitdem hat sich die Situation verschlechtert.

Zeit für die Revolution!

Lehren wir die Herren der Menschheit das Fürchten. Exklusivabdruck aus „Kampf oder Untergang!“

Emran Feroz: Trotzdem machen Sie sich große Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Wie nahe am Abgrund stehen wir wirklich?

Noam Chomsky: Ich denke, dass das menschliche Überleben auf dem Spiel steht. Die ersten Opfer sind — wie so oft — die Schwächsten und Verletzlichsten. Das wird auf den Klimagipfeln immer wieder deutlich. Die Aussichten diesbezüglich sind schlecht. In der Zukunft — falls es eine geben wird — werden sich Historiker erstaunt fragen, was hier los gewesen ist.

Jene, die etwas gegen die Katastrophe unternehmen wollen, gelten als „primitive“ Gesellschaften: Es sind die indigenen Bevölkerungen Kanadas und Südamerikas und andere Völker der Welt. Wir sehen den Kampf für die Umwelt und deren Schutz, wenn wir nach Griechenland blicken, wo die Einwohner von Skouries in Chalkidiki heroischen Widerstand leisten gegen Eldorado Gold, einem typischen multinationalen Megakonzern, und die Polizeikräfte, die vom Konzern mobilisiert werden.

Jene, die unermüdlich damit beschäftigt sind, uns in den Abgrund zu stürzen, sind die reichsten und mächtigsten Gesellschaften der Welt, und sie haben unvergleichbare Vorteile gegenüber den Schwachen, wie man am Beispiel der Vereinigten Staaten und Kanada sieht. Sie handeln nicht rational, sondern tun das Gegenteil. Es hat am ehesten mit der verrückten Rationalität in einer „wahrhaftig existierenden kapitalistischen Demokratie“ zu tun.

Dass Sie selbst in diesen dunklen Tagen einen derartigen Optimismus an den Tag bringen, ist für viele Menschen erstaunlich. Woher nehmen Sie diese Haltung?

Ich bin fast 90 Jahre alt. Während meiner Kindheit fanden die große Depression sowie der Aufstieg des Faschismus statt. Als ich zehn Jahre alt war, schrieb ich meinen ersten Artikel für eine Schülerzeitung. Es ging darin um den Aufstieg des Faschismus in Europa. So sah die Welt damals aus. Ich erinnere mich an Hitlers Reden, die im Radio gesendet wurden. Ich verstand sie nicht, doch die Reaktion des Publikums konnte man nicht missverstehen. Es war erschreckend.

In meiner Nachbarschaft waren wir die einzige jüdische Familie. Die Gegend war typisch katholisch, voll mit Iren und Deutschen. Sie waren keine radikalen Antisemiten, doch sie waren offene Unterstützer der Nazis. Das war die Welt der 1930er-Jahre. Der Faschismus und die Nazi-Ideologie waren kein Witz.

Was gegenwärtig passiert, ist in vielerlei Hinsicht hässlich, doch es ist kein Vergleich zur damaligen Zeit. Was seitdem geschah, ist eine komplizierte Geschichte. Es gab Höhen und Tiefen. Es gab den zivilisierenden Effekt des Aktivismus und die neoliberale Regression. Doch wenn man in Betracht zieht, was durch die Anstrengungen des Aktivismus in Anlauf gebracht und erreicht wurde, gibt es Grund genug, optimistisch zu sein.

Warum Optimismus angebracht ist

In den letzten fünfzig Jahren sind die Gesellschaften der Gegenwart — unsere Gesellschaften — um einiges zivilisierter und fortschrittlicher geworden. Dies betrifft verschiedene Bereiche und lässt sich nicht von der Hand weisen.

Das beste Beispiel hierfür sind Frauenrechte, die sich in den letzten Jahrzehnten weltweit verbessert haben. Dies betrifft vor allem westliche Gesellschaften wie die Vereinigten Staaten. Als die Gründungsväter die Unabhängigkeit der USA von den Briten erkämpften, übernahmen sie auch die britische Gesetzgebung. Laut dieser wurden Frauen in erster Linie als Besitz und nicht als Individuen betrachtet.

Eine Frau gehörte dem Vater und wurde dann dem Ehemann übergeben. Das änderte sich mit der Zeit, doch es geschah sehr langsam. Erst im Jahr 1975 wurde Frauen in den USA das Recht garantiert, in Geschworenengerichten als gleichwertige Personen zu agieren. Das liegt nur einige wenige Jahre zurück, und das ist nur eine von vielen Veränderungen.

Ein weiteres Beispiel ist der Widerstand gegen außenpolitische Aggressionen. Das, was man in diesen Tagen sieht und erlebt, gab es in den 1960er-Jahren in dieser Form noch nicht. Wenn man den Vietnamkrieg mit der Invasion des Iraks vergleicht, wird das besonders deutlich. In der Geschichte des westlichen Imperialismus war es im Fall des Irakkriegs das erste Mal, dass es massenhafte Demonstrationen gab, bevor mit der Invasion überhaupt begonnen wurde.

Als die USA in den Süden Vietnams einmarschierte, geschah dies ohne nennenswerte Proteste. Natürlich war der Irakkrieg schlimm genug, doch der Widerstand der Bevölkerung hatte auch eine gewisse Wirkung. Bush, Blair und ihre Komplizen dachten nicht einmal im Traum daran, jene Verbrechen zu begehen, die Kennedy und Johnson in Vietnam verübten, ohne jemals zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Ein weiteres Beispiel ist der Umgang mit Atomwaffen. Es gibt weltweit eine große Opposition gegen den Gebrauch und die Entwicklung von Atomwaffen. Die Bedrohung eines Atomkriegs ist meiner Meinung nach realer, als es sich viele Menschen vorstellen können, doch es gibt auch den Widerstand dagegen, und dieser könnte weiterhin wachsen und einflussreiche Formen annehmen.

Ähnlich verhält es sich auch mit der Umweltkatastrophe, von der wir nun permanent sprechen. Vor vierzig Jahren wurde dies nicht einmal als Problem wahrgenommen. Doch nun hat sich die Wahrnehmung vollkommen geändert. Viele Menschen wissen, dass der Klimawandel ein Problem ist und dass dagegen etwas unternommen werden muss. Natürlich ist all dies noch nicht genug, doch das könnte sich ändern.

Wie der Wandel zu schaffen ist

Der Grund, warum sich Dinge verändern, hat mit der Tatsache zu tun, dass es Menschen gibt, die ständig daran arbeiten. Sie arbeiten innerhalb ihrer Gemeinschaften, an ihren Arbeitsplätzen oder anderswo. Damit schaffen sie die Basis für Bewegungen, die mittels ihres Aktivismus letztendlich Veränderungen herbeiführen.

Auf diese Weise nahm so ziemlich alles, was im Laufe der Geschichte geschehen ist, seinen Anfang. Egal, ob dies das Ende der Sklaverei oder demokratische Revolten betraf. In den meisten Geschichtsbüchern wird uns das auch so vermittelt. Doch in diesen Büchern gibt es immer gewisse Führer, die hervorgehoben werden, wie etwa George Washington oder Martin Luther King. Ich will nicht behaupten, dass derartige Persönlichkeiten nicht wichtig gewesen sind. Natürlich spielte King in der Geschichte eine wichtige Rolle. Doch die Bürgerrechtsbewegung war weitaus mehr als eine Person.

Der Name Martin Luther King steht in den Geschichtsbüchern, weil viele Menschen, deren Namen nie erwähnt oder vergessen wurden, die Voraussetzungen für den Wandel geschaffen hatten. Jene Menschen, die in den Südstaaten teils gefoltert oder getötet wurden, waren das Fundament der Bürgerrechtsbewegung.

Erst wenn es Aktivisten gibt, Menschen, die eine soziale und politische Veränderung herbeiführen wollen und sich dafür einsetzen, können Menschen wie ich in Erscheinung treten. Wir können prominent werden, weil jemand anderes die Arbeit macht und die Grundsteine legt. Meine Arbeit richtet sich nicht in erster Linie an Intellektuelle oder Politiker, sondern an jene, die man als das einfache Volk bezeichnet.

Das, was ich von diesen Menschen erwarte, erfüllen sie bereits, indem sie versuchen, die Welt zu verstehen und so handeln, wie sie es als richtig empfinden. Nur so kann der Wandel zu einer besseren Welt gelingen.

Ich versuche lediglich, eine Art der intellektuellen Selbstverteidigung näherzubringen. Ich meine damit gewiss kein akademisches Studium an der Universität. Dort wird so etwas nämlich nicht gelehrt. Es geht mir vielmehr um die Entwicklung unabhängigen Denkens, und das ist gar nicht so einfach, wenn man alleine ist.

Unser vorherrschendes System ist nämlich besonders gut darin, die Menschen voneinander zu isolieren. Jeder ist allein, man ist wie ein Hamster im Rad. Diese Umstände erschweren es, eigene Ideen zu entwickeln und kreativ zu sein.

Man kann die Welt nicht alleine ändern. Jene, die diesen Weg beschreiten, tun das, indem sie sich organisieren und zusammenarbeiten. Die intellektuelle Selbstverteidigung, die ich meine, findet stets in einem sozialpolitischen Kontext statt, der für positive Veränderungen absolut notwendig ist.

Der Mythos der freien Presse

Pressefreiheit meint die Freiheit der Reichen und Mächtigen, ihre Meinung verbreiten zu lassen.

Ich schreibe unter anderem deshalb über die Medien, weil ich mich für das intellektuelle Klima insgesamt interessiere und der zugänglichste Teil hiervon die Medien sind. Sie erscheinen jeden Tag. Man kann sie systematisch unter die Lupe nehmen. Man kann die gestrige Ausgabe mit der heutigen vergleichen. Man kann an vielen Beispielen sehen, was hochgepusht wird und was nicht, und man kann sehen, wie die Medien strukturiert sind.

Meiner Ansicht nach unterscheiden sich die Medien nicht groß von der Wissenschaft oder von Zeitschriften mit intellektuellen Meinungsartikeln. Es gibt ein paar zusätzliche Gesichtspunkte zu beachten – aber davon abgesehen sind sie nicht grundsätzlich anders. Diese Sphären stehen in enger Verbindung miteinander. Darum wechseln die Leute auch ziemlich leicht zwischen diesen Bereichen hin und her.

Bei der Untersuchung der Medien stellt man – genau wie bei jeder anderen Institution, die man verstehen will – zunächst Fragen zu ihrer inneren Struktur. Man muss herausfinden, wie sie in der Gesellschaft verankert sind: In welcher Beziehung stehen sie zu anderen Systemen von Macht und Autorität? Und schließlich gibt es, wenn man Glück hat, Akten und Aufzeichnungen führender Leute im Mediensystem, aus denen man erfahren kann, welche Ziele sie verfolgen. Das ist wichtig, da wir es mit einem ideologischen System zu tun haben. Ich meine natürlich nicht die üblichen Public-Relations-Veröffentlichungen, sondern das, was diese Leute sich gegenseitig über ihre Absichten mitteilen. Und was das betrifft, gibt es eine Menge interessantes Material.

Dies sind drei Hauptinformationsquellen zum Wesen der Medien. Man muss sie so analysieren, wie ein Naturwissenschaftler vielleicht ein komplexeres Molekül untersucht: Man betrachtet die Struktur und stellt dann auf dieser Grundlage eine These dazu auf, wie wohl das entsprechende Medienprodukt aussehen wird. Dann untersucht man das Medienerzeugnis, also einen Artikel oder eine Sendung, und schaut, wie gut es zur These passt. Nahezu jede Medienanalyse geht so vor: Man versucht sorgfältig zu analysieren, um was für ein Medienprodukt es sich handelt, und geht der Frage nach, ob es den naheliegenden Annahmen über Art und Struktur der Medien entspricht.

Was findet man dabei nun heraus? Zunächst einmal, dass es unterschiedliche Sparten in den Medien gibt, die Unterschiedliches leisten. Sie dienen beispielsweise der Unterhaltung, wie Hollywood, Seifenopern und dergleichen, aber auch die meisten Zeitungen hierzulande, ja, die überwältigende Mehrheit von ihnen. Sie steuern das Massenpublikum.

Eine andere Sparte in den Medien sind die Elitemedien, die bisweilen auch als Leitmedien bezeichnet werden, weil sie mit enormen Ressourcen ausgestattet sind. Sie stecken den Rahmen ab, innerhalb dessen sich alle anderen Medien bewegen. Die New York Times zum Beispiel und CBS. Ihr Publikum sind meistens privilegierte Leute. Die Leser der New York Times sind vermögende Leute oder Menschen, die Teil dessen sind, was manchmal als politische Klasse bezeichnet wird. Sie sind im politischen System aktiv und im Grunde eine Art Manager. Es kann sich dabei um Führungskräfte der Politik, um Wirtschaftsbosse wie beispielsweise Manager von Unternehmen, um Führungskräfte im Wissenschaftsbetrieb wie etwa Universitätsprofessoren oder um andere Journalisten handeln, die dabei mitmischen, das Denken und die Weltsicht der Menschen zu lenken.

Die Elitemedien stecken den Rahmen ab, innerhalb dessen sich andere Medien bewegen. Die Nachrichtenagentur AP zum Beispiel, die einen steten Strom an Nachrichten produziert, kommt am Nachmittag mit einer Meldung heraus, einem Format, das tagtäglich veröffentlicht wird, und verkündet: »An die Redaktion: Die morgige Ausgabe der New York Times wird folgende Storys auf der Titelseite bringen.« Wenn man nun Redakteur einer Zeitung in Dayton, Ohio, ist und nicht die nötigen Mittel hat, um selbst herauszufinden, was es an Nachrichten gibt, oder wenn man sich ohnehin nicht damit befassen will, dann kann man sich daran orientieren. Hier bekommt man also die Berichte für die Viertelseite serviert, die anderen Themen vorbehalten ist als den Lokalnachrichten oder dem Vermischten.

Das sind die Storys, die man hier einstellt, weil die New York Times uns sagt, dass das die Themen sind, die uns morgen zu interessieren haben. Als kleiner Zeitungsmacher in Dayton, Ohio, wäre man praktisch dazu gezwungen, so zu verfahren, weil einem schlicht die Ressourcen dazu fehlen, etwas großartig Anderes auf die Beine zu stellen.

Wer sich von der vorgegebenen Linie entfernt und Geschichten produziert, die die große Presse nicht mag, dem wird das ziemlich schnell vor Augen geführt. Was bei den San Jose Mercury News passiert ist, ist nur ein besonders dramatisches Beispiel hierfür. Es gibt eine Menge von Machtmechanismen, durch die jemand, der aus der Reihe tanzt, wieder auf Linie gebracht werden kann. Wenn man versucht, das Regelwerk des Systems zu sprengen, wird man sich nicht lange darin halten können. All das funktioniert recht gut, und es ist nicht schwer zu erkennen, dass sich darin lediglich ganz offenkundige Machtverhältnisse äußern.

Die Massenmedien im eigentlichen Sinn haben im Wesentlichen die Funktion, die Leute von Wichtigerem fernzuhalten. Sollen die Leute sich mit etwas anderem beschäftigen, Hauptsache, sie stören uns nicht – wobei »wir« die Leute sind, die das Heft in der Hand halten. Wenn sie sich zum Beispiel für den Profisport interessieren, ist das ganz in Ordnung. Wenn jedermann Sport oder Sexskandale oder die Prominenten und ihre Probleme unglaublich wichtig findet, ist das okay. Es ist egal, wofür die Leute sich interessieren, solange es nichts Wichtiges ist. Die wichtigen Angelegenheiten bleiben den großen Tieren vorbehalten: »Wir« kümmern uns darum.

Was also sind die Elitemedien, diejenigen, die den Ton an- und die Agenda vorgeben? Bei den bereits genannten New York Times und CBS handelt es sich zunächst einmal um riesige, sehr profitable Unternehmen. Außerdem sind die meisten von ihnen entweder mit noch weit größeren Konzernen wie General Electric oder Westinghouse oder dergleichen verbunden oder befinden sich direkt in deren Eigentum. Sie stehen also ganz an der Spitze der Machtstruktur der Privatwirtschaft, einer extrem tyrannischen Struktur. Diese Unternehmen sind strukturell gesehen nichts weiter als Tyranneien, hierarchische Gebilde, die von der Spitze aus kontrolliert werden. Wer sich damit nicht abfinden kann, fliegt raus.

Die großen Medien sind Bestandteil dieses Systems. Und wie sieht ihr institutioneller Rahmen aus? Im Grunde genauso. Ihre Kooperationspartner sind andere große Machtzentren – die Regierung, andere Unternehmen oder Universitäten. Weil es sich bei den Medien um eine Art ideologisches System handelt, arbeiten sie eng mit den Universitäten zusammen. Angenommen, Sie sind Journalist und schreiben beispielsweise über Südostasien oder Afrika, dann müssen Sie natürlich bei den großen Unis anklopfen, um einen Experten zu finden, der Ihnen sagt, was Sie schreiben sollen. Oder aber Sie gehen zu einer der Stiftungen wie dem Brookings Institute oder dem American Enterprise Institute, und die diktieren Ihnen, was Sie sagen sollen. Diese Institutionen sind den Medien sehr ähnlich.

Die Universitäten beispielsweise sind keine unabhängigen Institutionen. Es mag sein, dass um sie herum unabhängige Leute schwirren, aber das trifft auch auf die Medien und gewöhnlich auch auf Unternehmen, ja selbst auf faschistische Staaten zu. Die Institution der Universität selbst aber führt ein parasitäres Dasein. Sie ist auf die Unterstützung von außen angewiesen. Und die Universitäten sind praktisch umgeben von Einnahmequellen, zum Beispiel von reichen Mäzenen, großen Unternehmen, die Stipendien vergeben, und der Regierung, die so eng verwoben ist mit der Macht der Unternehmen, dass man sie davon kaum unterscheiden kann. Wer sich der internen Struktur der Universitäten nicht anpasst, sie nicht in dem für eine reibungsfreie Arbeit innerhalb des Systems notwendigen Maß akzeptiert und internalisiert, wird im Verlauf von Erziehung und Ausbildung mehr und mehr aus dem System hinausgedrängt – ein Prozess, der letztlich schon im Kindergarten beginnt und dann ununterbrochen weitergeht.

Es gibt alle möglichen Arten von Filtermechanismen, um Leute loszuwerden, die lästig sind und unabhängig denken. Jeder, der studiert hat, weiß, dass das Bildungssystem darauf ausgerichtet ist, Konformität und Gehorsam zu belohnen. Wer sich dem verweigert, ist ein Querulant. Das Bildungssystem ist also eine Art Filtervorrichtung, die nur diejenigen durchlässt, die die Glaubensgrundsätze und die sie umgebende Machtstruktur in der Gesellschaft wirklich und wahrhaftig verinnerlicht haben. Die Elite-Institutionen wie zum Beispiel Harvard und Princeton sowie die kleinen exklusiven Universitäten sind darauf ausgerichtet, ihre Studenten zu sozialisieren. Wer also die Harvard-Universität besucht, durchläuft dort vor allem ein Verhaltenstraining. Man wird darauf getrimmt, sich wie ein Mitglied der Oberschicht zu verhalten, das Richtige zu denken und so weiter.

Sie haben vielleicht George Orwells Farm der Tiere gelesen. Er hat es Mitte der vierziger Jahre geschrieben, eine Satire auf die Sowjetunion, einen totalitären Staat. Es war ein Riesenerfolg. Alle Welt war begeistert. Offenbar hatte er auch eine Einleitung zur Farm der Tiere verfasst, die nicht veröffentlicht wurde. Erst dreißig Jahre später gelangte sie ans Licht der Öffentlichkeit. Jemand hatte sie in seinem Nachlass entdeckt. Diese Einleitung handelte von der Zensur literarischer Werke in England. Orwell schrieb, dass sein Buch sich offensichtlich über die Sowjetunion und ihre totalitären Strukturen lustig mache. Aber er sagte auch, dass es in England gar nicht so viel anders zugehe. Wir haben hier zwar keinen KGB am Hals, aber letzten Endes läuft es bei uns auf so ziemlich das Gleiche hinaus: Menschen mit eigenen Vorstellungen oder Gedanken, die als falsch erachtet werden, werden verdrängt.

In nur zwei Sätzen lässt sich Orwell über die institutionelle Struktur der Medien aus. Er fragt: Weshalb kommt es zu einer solchen Zensur? Das liegt zum einen daran, dass die Presse vermögenden Leuten gehört, die wollen, dass nur gewisse Themen das Publikum erreichen. Und zum anderen, so Orwell, daran, dass jeder, der das Elite-Bildungssystem durchläuft, der die »richtigen« Schulen besucht, lernt, dass es gewisse Dinge gibt, die man nicht auszusprechen, und gewisse Gedanken, die man nicht zu denken hat. Das ist die Rolle, die Elite-Institutionen bei der Sozialisierung spielen. Wer sich nicht anpasst, fliegt zumeist raus. Diese zwei Sätze sagen im Grunde alles.

Wenn man Medienkritik übt und sagt, »Seht mal, Anthony Lewis oder irgendein anderer belegt dies und jenes«, dann werden sie sehr zornig. Sie sagen dann völlig zu Recht: »Niemand schreibt mir vor, was ich zu schreiben habe. Ich schreibe alles, was ich will. Dieses ganze Gerede über den Druck und die Beschränkungen, die angeblich herrschen, sind Unsinn. Niemand setzte mich je unter Druck.« Und das ist völlig richtig – nur, dass es hier um etwas ganz anderes geht, nämlich um die Tatsache, dass sie ihre Position gar nicht innehätten, wenn sie nicht vorher schon unter Beweis gestellt hätten, dass niemand ihnen sagen muss, was sie schreiben sollen. Es ist längst klar, dass sie das genau wissen. Wenn sie sich als angehende Reporter für die verkehrte Art von Geschichten interessiert hätten, hätten sie es nie zu Positionen gebracht, in denen sie sagen können, was sie wollen. Das Gleiche gilt weitgehend für die Universitätsdozenten in den stärker ideologisch gefärbten Fächern. Auch sie wurden durch das System sozialisiert.

Man muss sich also als Erstes die Struktur des gesamten Systems ansehen. Was erwartet man angesichts dieser Struktur als Resultat? Das ist eigentlich recht offensichtlich. Nehmen wir zum Beispiel die New York Times – ein Unternehmen, das ein Produkt verkauft. Das Produkt sind die Leser. Ein solches Unternehmen verdient sein Geld nicht mit dem Verkauf von Zeitungen, es stellt seine Zeitung ja sogar kostenlos im Netz zur Verfügung. Es verliert sogar Geld durch den Verkauf von Zeitungen. Nein, die Leser sind das Produkt. Und zwar Leser, die genauso privilegiert sind wie die Zeitungsmacher, also die Entscheidungsträger ganz oben in der Gesellschaft. Sie müssen ein Produkt auf den Markt bringen, und der Markt sind natürlich die Werbekunden der Zeitung, sprich andere Unternehmen. Ob beim Fernsehen oder bei Zeitungen – sie verkaufen ein Publikum. Unternehmen verkaufen anderen Unternehmen Zuschauer oder Leser. Und im Fall der Elitemedien handelt es sich dabei um Großunternehmen.

Was für eine Art Medienprodukt ist unter diesen Voraussetzungen wohl zu erwarten? Was könnte wohl die Nullhypothese sein? Welchen Schluss könnte man ziehen, ohne weitere Annahmen zugrunde zu legen? Es ist naheliegend, dass das Medienprodukt – also das, was in einer Zeitung oder einer Sendung erscheint und was nicht, und aus welchem Blickwinkel es dargestellt wird – die Interessen der Verkäufer und der Käufer sowie der umgebenden Machtsysteme widerspiegelt. Wäre das nicht der Fall, müsste man von einer Art Wunder sprechen.

Und hier beginnt nun die harte Arbeit. Verhält es sich wirklich so, wie vorausgesagt? Das lässt sich leicht feststellen, denn es gibt massenhaft Material zu dieser naheliegenden These. Ja, sie ist bereits den rigorosesten Tests unterzogen worden, die man sich denken kann, und hat sie allesamt in bemerkenswerter Weise bestanden. Man stößt in den Sozialwissenschaften fast nie auf Resultate, die eine bestimmte Vermutung derart stark unterstützen, aber das ist auch nicht sehr überraschend, da alles andere angesichts der in diesem Fall wirksamen Kräfte einem Wunder gleichkäme.

Und dann entdeckt man, dass dieses ganze Thema vollkommen tabu ist. Beim Journalistikstudium oder beim Studium der Kommunikationswissenschaften oder der Politikwissenschaften auf der Kennedy School of Government oder in Stanford wird einem eine derartige Fragestellung kaum begegnen. Das heißt also, selbst die für Laien auf der Hand liegende These wie auch das Beweismaterial, das diese These stützt, dürfen nicht diskutiert werden. Und auch das ist vorhersehbar angesichts der institutionellen Struktur – weshalb sollten die Strippenzieher sich auch selbst enttarnen? Weshalb sollten sie zulassen, dass ihre Ziele einer kritischen Analyse unterzogen werden? Dafür gibt es keinen Grund und deshalb erlauben sie es auch nicht. Gleichwohl kann man auch diesbezüglich nicht von absichtlicher Zensur sprechen. Es ist schlicht so, dass man gar nicht zu maßgeblichen Positionen vordringt, sei es von links – oder was man als links bezeichnet – oder rechts. In leitende Funktionen kommt man nur mit entsprechender Sozialisierung und entsprechendem Training. Wer das Falsche denkt, ist von vornherein von gewissen Machtpositionen ausgeschlossen. Eine zweite Prognose besagt also, dass die ersten Annahmen gar nicht erst diskutiert werden dürfen.

Schließlich müssen wir uns noch das doktrinäre Rüstzeug ansehen, mit dem die für das Funktionieren dieses Systems Verantwortlichen operieren. Haben die Leute an der Spitze des Informationssystems, inklusive der Medien, der Werbebranche, der Politikwissenschaften und so weiter, eine Vorstellung davon, wie das System funktioniert, wenn sie zu ihresgleichen sprechen – also nicht, wenn sie eine Rede vor Universitätsabsolventen halten oder Ähnliches? Denn dabei wird einfach schönes Wortgeklingel produziert. Aber was sagen die Leute, wenn sie unter sich sind?

Hier geht es vor allem um drei Säulen des Systems. Erstens um die PR-Branche, also die wichtigste Propagandabranche der Wirtschaft. Was sagen die PR-Leute? Und was sagen zweitens die sogenannten Intellektuellen im öffentlichen Raum, die großen Denker, Leute, die Zeitungskommentare schreiben, die beeindruckende Bücher über das Wesen der Demokratie und dergleichen veröffentlichen? Und drittens muss man einen Blick auf den Universitätsbetrieb werfen, insbesondere auf die Politikwissenschaften, die sich seit siebzig oder achtzig Jahren mit Kommunikation und Information als einer Teildisziplin beschäftigen.

Die führenden Leute in diesen drei Bereichen sagen alle, ich zitiere sinngemäß: Die Masse der Bevölkerung besteht aus »ahnungslosen und lästigen Außenseitern«. Die müssen wir aus der öffentlichen Arena heraushalten, weil sie zu dumm sind und uns nur Schwierigkeiten machten, wenn sie sich beteiligten. Ihre Aufgabe ist es, zuzusehen und nicht am politischen Geschehen teilzunehmen. Sie dürfen ab und an zur Wahl gehen und ihre Stimme für einen von uns klugen Menschen abgeben. Aber dann sollen sie gefälligst nach Hause gehen und sich mit etwas anderem beschäftigen, Fußball gucken oder so. Jedenfalls sollen die »ahnungslosen und lästigen Außenseiter« sich mit ihrer Rolle als Zuschauer begnügen und nicht etwa mitmachen.

Die im System Mitwirkenden sind dagegen sogenannte »verantwortungsvolle Menschen«, und selbstverständlich ist der jeweilige Autor immer einer von ihnen. Die Frage, warum er denn nun ein »verantwortungsbewusster Mensch« ist, ein anderer dagegen im Gefängnis sitzt, wird nie gestellt. Die Antwort liegt auf der Hand: Weil er gehorsam ist und sich unterordnet, während der andere Typ im Gefängnis vielleicht einen unabhängigeren Geist hat. Aber so etwas fragt man natürlich gar nicht erst.

Also haben wir einerseits die qualifizierte Schicht derer, die dazu berufen sind, das Heft in der Hand zu halten, und dann noch den Rest, der draußen bleiben soll. Und wir sollten uns bloß nicht dem demokratischen Dogma unterwerfen, dass »die Menschen ihre eigenen Interessen am besten beurteilen können«. Das können sie nämlich nicht. Sie sind damit völlig überfordert und deshalb müssen wir das in ihrem eigenen Interesse für sie übernehmen.

Es verhält sich eigentlich ziemlich ähnlich wie beim Leninismus: »Wir« erledigen Dinge für »dich« und tun das im Interesse aller. Das ist vermutlich auch einer der Gründe dafür, dass es im Laufe der Geschichte einigen Leuten so leicht fiel, von einem enthusiastischen Stalinisten zum leidenschaftlichen Anhänger des Machtanspruchs der USA zu werden. Die Menschen wechseln sehr rasch von einer Position zur anderen, und ich habe den Verdacht, das liegt daran, dass es sich im Grunde um denselben Standpunkt handelt. Es erfordert keine besonders große Umstellung, sondern man ändert nur seine Einschätzung darüber, wo die Macht liegt. Mal denkt man, sie sei auf dieser Seite, mal denkt man, sie sei auf der anderen – und vertritt dann den entsprechenden Standpunkt.

Wie hat sich das alles so entwickelt? Das ist eine interessante Geschichte. Sie nimmt zum großen Teil ihren Ausgang im Ersten Weltkrieg, einem wichtigen Wendepunkt. Er hat die Stellung der USA in der Welt beträchtlich verändert. Im 18. Jahrhundert waren die Vereinigten Staaten bereits die reichste Region der Welt. Bis zum frühen 20. Jahrhundert erreichten nicht einmal die Oberschichten Großbritanniens den gleichen Standard in Bezug auf Lebensqualität, Gesundheit und Lebenserwartung, ganz zu schweigen vom Rest der Welt. Die USA waren außerordentlich reich und Ende des 19. Jahrhunderts die bei weitem stärkste Wirtschaftsmacht der Welt. Aber die Vereinigten Staaten waren kein großer Spieler auf der Weltbühne. Ihre Macht erstreckte sich bis zu den Karibischen Inseln und Teilen des Pazifiks, aber nicht viel weiter.

Der Erste Weltkrieg brachte eine Veränderung dieser Beziehungen. Und im Zweiten Weltkrieg änderten sie sich noch mehr. Nach 1945 wurden die USA praktisch zum Herrscher über die gesamte Welt. Aber schon nach dem Ersten Weltkrieg waren sie weitaus mächtiger als zuvor und verwandelten sich aus einem Schuldner- in ein Gläubigerland. An Großbritannien kamen sie noch nicht heran, aber damals begannen sie, weltweit eine wichtige Rolle zu spielen.

Aber das war nicht die einzige Veränderung. Im Ersten Weltkrieg kann man erstmals von einer sorgfältig organisierten Staatspropaganda sprechen. Die Briten richteten ein Informationsministerium ein. Das war für sie eine Notwendigkeit, denn sie wollten die USA in den Krieg hineinziehen, um nicht in massive Schwierigkeiten zu geraten. Das Informationsministerium war vor allem darauf ausgerichtet, Propaganda zu verbreiten, inklusive gewaltige Lügenmärchen über Gräueltaten der »Hunnen«. Man hatte dabei vor allem amerikanische Intellektuelle im Blick in der realistischen Annahme, dass die am leichtesten zu täuschen seien und derlei am ehesten für bare Münze nehmen würden. Ihnen war zugleich die Aufgabe zugedacht, die Propaganda über die ihnen in Amerika zur Verfügung stehenden Kanäle weiterzuverbreiten.

Also richtete man die Propaganda vor allem auf amerikanische Intellektuelle aus – und diese Strategie ging auf. Die Dokumente des britischen Informationsministeriums – viele davon sind inzwischen veröffentlicht – zeigen, dass es das Ziel war, wie sie es formulierten, das Denken der gesamten Welt, vor allem aber der Vereinigten Staaten zu kontrollieren. Weniger wichtig war hingegen, was die Menschen etwa in Indien dachten. Das Ministerium war extrem erfolgreich darin, das »Who is Who« der amerikanischen Intellektuellen dazu zu bringen, die Lügengeschichten der britischen Propaganda zu glauben. Darauf waren die Briten sehr stolz und das auch zu Recht, denn immerhin konnten sie so ihre Niederlage verhindern: Ohne diese massive Propaganda und den Kriegseintritt der USA hätten sie den Krieg verloren.

In den USA gab es ein Gegenstück zum britischen Informationsministerium. Woodrow Wilson wurde 1916 aufgrund eines Antikriegs-Parteiprogramms zum Präsidenten gewählt. Die Vereinigten Staaten waren damals ein sehr pazifistisches Land. Der Pazifismus hatte lange Tradition. Die Menschen wollten keine Kriege in anderen Ländern führen. Das Land war sehr gegen den Ersten Weltkrieg eingestellt, und Wilson war in der Tat für seine Antikriegshaltung gewählt worden. »Frieden ohne Sieg«, so lautete sein Slogan. Doch er hatte von Anfang an vor, in den Krieg einzutreten. Daher stellte sich die Frage: Wie bringt man die pazifistische Bevölkerung dazu, sich in deutschfeindliche Fanatiker zu verwandeln, die die Deutschen am liebsten allesamt umbringen wollen? Dazu braucht man Propaganda. Also schuf man die erste und einzige große Staatspropagandaagentur in der US-amerikanischen Geschichte. Sie nannte sich – ein hübscher Orwell’scher Titel –»Komitee für Öffentlichkeitsinformation« oder, nach dem Mann, der sie leitete, auch Creel-Kommission. Diese Kommission hatte die Aufgabe, die Bevölkerung mit Propaganda in chauvinistische Hysterie zu versetzen.

Und das funktionierte prächtig. Innerhalb weniger Monate herrschte in den USA eine regelrechte Kriegshysterie, und das Land konnte in den Krieg ziehen. Viele Menschen waren beeindruckt von dieser erfolgreichen Propaganda. Einer davon war – mit weitreichenden Folgen für die Zukunft – Hitler. In Mein Kampf schlussfolgert er nicht zu Unrecht, dass Deutschland im Ersten Weltkrieg eine Niederlage erlitt, weil es die Propagandaschlacht verloren hatte. Die Deutschen hatten keinerlei Chance gegen die britische und amerikanische Propaganda, die sie vollkommen erschlug. Hitler schwor, dass Deutschland »das nächste Mal« mit einem eigenen Propagandasystem gewappnet sein würde. Und so geschah es dann auch im Zweiten Weltkrieg.

Noch weitreichendere Folgen für uns heute hatte die Tatsache, dass die US-amerikanische Wirtschaftswelt ebenfalls sehr beeindruckt von den Propaganda-Anstrengungen war. Die Businessleute hatten damals nämlich ein Problem: Das Land wurde zumindest formal zunehmend demokratischer. Deutlich mehr Menschen durften wählen, das Land wurde reicher, die demokratische Teilhabe wuchs und es gab viele neue Einwanderer. Was war angesichts dieser Entwicklungen zu tun? Es wurde zunehmend schwierig für sie, das Land weiterhin wie einen Privatclub zu betreiben. Man musste also die Kontrolle über die Köpfe der Menschen gewinnen. PR-Spezialisten hatte es zwar zuvor schon gegeben, aber die PR-Industrie, wie wir sie heute kennen, gab es noch nicht. Unternehmen wie Rockefeller stellten vielleicht Leute ein, um das Image der Firma aufzupolieren, aber die riesenhafte moderne PR-Industrie in ihren gigantischen heutigen Dimensionen wurde erst damals in den USA erfunden und war ein direktes Resultat des Ersten Weltkriegs. Ihre führenden Köpfe waren Leute der Creel-Kommission. Der wichtigste von ihnen war Edward Bernays.

Der Begriff »Propaganda« hatte damals übrigens noch nicht den negativen Klang wie heute. Erst im Zweiten Weltkrieg wurde der Begriff zum Tabu, weil er mit Deutschland in Verbindung gebracht wurde. Doch zuvor bedeutete er einfach so etwas wie »Information«. 1928 veröffentlichte Bernays ein Buch mit dem Titel Propaganda. Gleich zu Beginn desselben führt er aus, dass er sich die Lehren aus dem Ersten Weltkrieg zunutze mache. Die systematische Propaganda unter anderem der Kommission, der er angehörte, zeige, dass es möglich sei, »die öffentliche Meinung genauso herumzukommandieren wie die Armee ihre Soldaten«. Diese neuen Techniken der Reglementierung des Geistes sollten, wie er schrieb, von intelligenten Minderheiten genutzt werden, um dafür zu sorgen, dass der Pöbel nicht auf falsche Gedanken kommt. Mittels der neuen Techniken der Gedankenkontrolle sei dies jetzt ohne Weiteres möglich.

Bei dem Buch handelt es sich um die Bibel der PR-Industrie, und Bernays ist für diese eine Art Prophet. Er war ein echter Liberaler vom Schlage Roosevelts und Kennedys. Er orchestrierte auch die PR-Anstrengungen hinter dem von den Amerikanern unterstützten Staatsstreich gegen die demokratische Regierung von Guatemala. Sein größter Coup aber, der ihm in den späten zwanziger Jahren zu Ruhm verhalf, war es, Frauen das Rauchen schmackhaft zu machen. Damals rauchten Frauen nicht, und er organisierte mit den bekannten Methoden einen massiven Werbefeldzug für die Marke Chesterfield: Er zeigte Models und Filmstars mit Zigarette im Mund.

Dafür wurde er über den grünen Klee gelobt und stieg zur Führungsfigur der Branche auf.
Ein anderes Mitglied der Creel-Kommission war Walter Lippmann, der über ein halbes Jahrhundert der angesehenste amerikanische Journalist im seriösen Journalismus war. Er schrieb in den zwanziger Jahren auch sogenannte »progressive Aufsätze« über die Demokratie – jedenfalls galten sie damals als progressiv. Er wandte ganz explizit die Lehren aus dem Buch von Bernays an und sagte, dass es in der Demokratie eine neue Kunst gebe, die er »die Herstellung von Konsens« nennt. Edward S. Herman und ich haben diesen Begriff für den Titel unseres Buches übernommen.

Durch dieses »manufacturing consent« kann man zum Beispiel die Tatsache neutralisieren, dass viele Menschen ein formales Wahlrecht genießen. Die politischen Führer vermögen dem jede Bedeutung zu nehmen, da sie ja in der Lage sind, Konsens zu fabrizieren und so die Wahlmöglichkeiten und Einstellungen der Menschen derart zu beschränken, dass sie letztlich immer nur gehorsam tun werden, was man ihnen sagt, obwohl sie formal – zum Beispiel eben über die Wahlen – selbst am System teilhaben. So sieht laut Lippmann eine echte Demokratie aus, die funktioniert, wie es sich gehört. Das ist die Lehre, die er aus den bisherigen Erfahrungen mit Propaganda zieht.

Auch die Sozial- und die Politikwissenschaften stützen sich auf diese Erfahrungen. Der Gründer des kommunikationstheoretischen Zweiges der Politikwissenschaften ist Harold Lasswell. Sein wichtigstes Werk ist eine Studie über Propaganda.10 Lasswell sagt ganz offen genau die Dinge, die ich vorhin zitiert habe, wie zum Beispiel, dass man sich nicht auf demokratische Dogmen versteifen dürfe. Postulate wie diese entstammen der akademischen Politikwissenschaft, wie sie von Lasswell und anderen konzipiert wurde. Auch in dieser Hinsicht wurden also die Lehren aus den Erfahrungen der Kriegszeit gezogen; und zwar nicht nur in der politischen Wissenschaft, sondern auch von den politischen Parteien, besonders der konservativen Partei in England. Dokumente aus ihrer Anfangszeit machen deutlich, dass auch sie die Errungenschaften des britischen Informationsministeriums verstanden. Sie erkannten, dass die Demokratie in Großbritannien zunehmend Einzug hielt, das Land also kein Privatclub mehr sein würde. Und sie schlussfolgerten, dass die Politik sich zur Kriegskunst wandeln und dabei alle Propagandamechanismen zur Anwendung bringen müsse, die schon im Ersten Weltkrieg das Denken der Menschen so effektiv kontrolliert hatten.

Das ist die ideologische Seite unseres Sujets, und sie stimmt mit der institutionellen Struktur überein. Sie bestätigt unsere Vorhersagen darüber, wie das Ganze wohl funktioniert. Aber diese Schlussfolgerungen dürfen ebenfalls nicht diskutiert werden. All diese Erkenntnisse gehören zwar inzwischen zur Standardliteratur, sind jedoch Insidern vorbehalten. Im College stehen die klassischen Werke über die Kunst der Gedankenkontrolle nicht auf dem Lehrplan. Genauso wenig, wie man liest, was James Madison bei der konstituierenden Versammlung sagte: Das Hauptziel des neuen Systems sei es, »die Minderheit der Vermögenden vor der Mehrheit zu schützen«, und es müsse daher so ausgestaltet sein, dass eben das erreicht werde. Hier geht es um die Grundlagen des konstitutionellen Systems, aber niemand setzt sich damit wirklich auseinander. Und in der Forschung findet man darüber nur dann etwas, wenn man sehr gründlich danach sucht.

Das ist im Großen und Ganzen das Bild, das ich von der institutionellen Struktur unseres »freien« Mediensystems, von den dahinterstehenden Doktrinen und seinem Endprodukt habe. Ein weiterer Teil des Systems richtet sich an die »unwissenden, lästigen« Außenseiter. Dabei geht es hauptsächlich darum, auf die eine oder andere Art von den wirklich wichtigen Themen abzulenken. Daher lässt sich leicht vorhersagen, was das wahrscheinliche Ergebnis ist.

Solidarität unmöglich machen

Wie die Eliten uns gegeneinander ausspielen. Exklusivabdruck aus „Requiem für den amerikanischen Traum“.

Die Folgen sieht man in der derzeitigen Politik, beispielsweise im Angriff auf das Rentensystem. Es ist viel von dessen Krise die Rede, aber diese Krise existiert gar nicht. Das Rentensystem steht ziemlich gut da – so gut wie eh und je. Es ist ein sehr effektives Programm und verursacht so gut wie keine Verwaltungskosten.

Sollte es in ein paar Jahrzehnten tatsächlich in eine Krise geraten, dürfte es nicht schwierig sein, sie zu bewältigen. Aber die politische Debatte hat sich völlig darauf eingeschossen, weil die Herrschenden die Rentenversicherung nicht wollen – sie haben sie immer verabscheut, denn sie kommt der Allgemeinheit zugute. Tatsächlich hat der Hass auf sie jedoch einen anderen Grund.

Die Rentenversicherung beruht auf einem bestimmten Prinzip, nämlich dem der Solidarität, also der gegenseitigen Fürsorge aller. Rentenversicherung bedeutet: »Ich zahle Lohnsteuer, damit die Witwe am anderen Ende der Stadt etwas bekommt, von dem sie leben kann« (2). Der Großteil der Bevölkerung könnte ohne diese allgemeine Haltung nicht überleben.

Die Superreichen hingegen brauchen das nicht, deshalb gehen sie organisiert dagegen vor. Man kann das soziale Sicherungssystem zerstören, indem man ihm die finanziellen Mittel entzieht. Wie macht man ein System kaputt? Als Erstes dreht man den Geldhahn zu. Damit kann es seine Aufgabe nicht mehr erfüllen. Die Leute werden wütend und wollen schließlich etwas anderes. Das ist die Standardmethode, ein System zu privatisieren.

Der Angriff auf die öffentliche Bildung

Ein Beispiel ist der Angriff auf öffentliche Schulen. Auch sie beruhen auf dem Prinzip der Solidarität. Ich selbst habe keine Kinder mehr im Schulalter. Meine Kinder sind inzwischen erwachsen, aber das Solidaritätsprinzip sagt mir: »Ich zahle gern Steuern, damit die Kinder in meiner Nachbarschaft zur Schule gehen können.« Das ist einfach eine normale menschliche Regung. Aber die muss den Leuten ausgetrieben werden. »Ich habe keine Kinder, die zur Schule gehen. Warum soll ich dafür Steuern bezahlen? Privatisiert die Schulen«, und so weiter. Das öffentliche Bildungssystem – vom Kindergarten bis zur Hochschule – steht schwer unter Beschuss. Dabei ist es ein Kleinod der amerikanischen Gesellschaft.

Kehren wir noch einmal zum Goldenen Zeitalter zurück, zu der großen Zeit des Wirtschaftswachstums in den 1950er- und 1960er-Jahren. Der damalige wirtschaftliche Erfolg beruhte zu einem großen Teil auf der kostenlosen öffentlichen Bildung. Eine der Folgen des 2. Weltkriegs in den USA war die G.I. Bill of Rights, ein Bundesgesetz, das Kriegsheimkehrern – vergessen wir nicht, dass sie einen großen Teil der Bevölkerung stellten – ein Studium ermöglichte (3). Sonst hätten sie es sich nicht leisten können. Ich bin 1945 aufs College gegangen – ich war nicht im Krieg, dafür war ich zu jung –, und damals war das Studium praktisch kostenlos. Und obwohl meine Universität, die University of Pennsylvania, eine Ivy League School ist, mithin eine der angesehensten Hochschulen, betrugen die Studiengebühren nur hundert Dollar, und es war leicht, ein Stipendium zu bekommen.

Dabei muss ich eines erwähnen: Die Leute, die in jener Zeit eine Hochschule besuchten, waren ausnahmslos Weiße. Die G.I. Bill of Rights und viele andere Sozialprogramme waren an rassistischen Prinzipien ausgerichtet, die tief in unserer Geschichte verwurzelt und heute keinesfalls überwunden sind. Aber sieht man davon einmal ab, lagen die USA bei der Entwicklung öffentlicher Bildung für die Massen auf allen Ebenen weit in Führung.

Inzwischen finanzieren sich die staatlichen Hochschulen in über der Hälfte der Bundesstaaten durch Studiengebühren statt durch Gelder aus öffentlicher Hand. Das ist eine einschneidende Veränderung und eine schreckliche Bürde für die Studenten. Denn wer nicht aus einer sehr wohlhabenden Familien stammt, verlässt das College mit einem Riesenberg Schulden. Damit sitzt er in einer Falle. Nehmen wir an, jemand möchte Anwalt für Bürgerinitiativen werden, dann muss er erst einmal in einer Kanzlei für Unternehmensrecht arbeiten, um diese Schulden zu bezahlen. Hat er dort einmal Wurzeln geschlagen, kommt er davon nicht mehr los. Das ist in allen Bereichen so.

In den 1950er-Jahren war unsere Gesellschaft viel ärmer als heute, und dennoch ermöglichte sie mühelos eine weitgehend kostenlose höhere Bildung für alle. Unsere heutige, viel reichere Gesellschaft behauptet, sie verfüge nicht über die nötigen Mittel dafür. Das ist der Generalangriff auf Prinzipien, die nicht nur human sind, sondern auch die Grundlage des Wohlstands und der Gesundheit dieser Gesellschaft bilden.

Privatisierung

Und das ist überall zu beobachten. Nehmen wir nur einmal die Vorschläge für die »Reform« von Medicare, der Gesundheitsversorgung für ältere und behinderte Bürger – sie zielen im Kern auf nichts anderes als die Zerschlagung und Privatisierung dieses Systems. Die Reformen sind sorgfältig durchdacht, denn erst einmal werden Menschen über fünfundfünfzig davon ausgenommen, also ein erheblicher Teil der wahlberechtigten Bevölkerung. Wenn man das durch den Kongress bringen will, zieht man am besten die Wähler auf seine Seite. Mit anderen Worten, man hofft darauf, dass die ­Älteren so gemein sind, ihre Kinder und Enkel im Regen stehen zu lassen, um für sich selbst noch eine anständige medizinische Versorgung zu sichern. Das ist das Prinzip.

Und selbstverständlich werden ihre Kinder, und später natürlich auch ihre Enkel, diese harten Einschnitte zu spüren bekommen. Man will Medicare so auslaufen lassen, dass das entscheidende Segment der Wähler dabei mitzieht. Wenn die entsprechenden Gesetze erst einmal verabschiedet sind, bleibt der Rest – mit ihren Kindern und Kindeskindern – auf den Billionen Dollar sitzen, die ihre medizinische Versorgung kostet.

Unser Land hat als einziges in der entwickelten Welt ein Gesundheitssystem, das zu einem überwiegenden Teil über praktisch unregulierte private Versicherungsgesellschaften läuft, und das ist äußerst ineffizient und sehr kostspielig. Ein aufgeblähter Verwaltungsapparat und ein undurchsichtiges Abrechnungssystem – Dinge, die in einem vernünftigen Gesundheitssystem nicht vorkommen. Und ich spreche hier nicht über eine Utopie – beinahe alle anderen Industriegesellschaften haben ein – sowohl von der Versorgung als auch von den Kosten her betrachtet – effizienteres System als die Vereinigten Staaten. Das ist ein Skandal, aber immer noch weniger skandalös als die Tatsache, dass Millionen Menschen überhaupt keine Krankenversicherung haben und sich also in einer noch viel prekäreren Situation befinden.

Ich möchte hinzufügen, dass hinter alledem nicht nur die Versicherungsgesellschaften und die Finanzinstitute stecken, sondern auch die Pharmakonzerne. Die Vereinigten Staaten sind meines Wissens das einzige Land auf der Welt, in dem es der Regierung per Gesetz untersagt ist, über Preise für Medikamente zu verhandeln. Das Pentagon kann über den Preis für Bleistifte verhandeln, die Regierung aber nicht über die Medikamentenpreise für Medicare und Medicaid. Allerdings gibt es eine Ausnahme, und das ist das Kriegsveteranenministerium, das für die medizinische Versorgung ehemaliger Kriegsteilnehmer zuständig ist. Es kann mit der Pharmaindustrie verhandeln und zahlt daher deutlich geringere Preise, Preise auf Weltmarktniveau. Aber Gesetze verhindern, dass auch andere von diesen niedrigeren Preisen profitieren, was natürlich ein krasser Verstoß gegen die Prinzipien der freien Marktwirtschaft ist. Man redet von freier Marktwirtschaft, aber die tatsächliche Politik sieht anders aus.

Das Kriegsveteranenministerium arbeitet viel effektiver, die Kosten für Medikamente und die Gemeinkosten sind niedriger, die medizinische Versorgung ist insgesamt besser. Das amerikanische Medicare-System ist an sich ebenfalls ziemlich effizient – die Verwaltungskosten liegen weit unter denen der Privatversicherungen. Und ich möchte daran erinnern, dass es sich bei beiden um staatliche Gesundheitsprogramme ­handelt. Wenn die Kosten für Medicare jetzt in astronomische Höhen schießen, dann deshalb, weil das System gezwungenermaßen mit privaten, unregulierten Versicherungsgesellschaften arbeiten muss. Wie man solche Probleme löst, ist bekannt, es gibt genügend Vorbilder. Aber man darf diese Unternehmen nicht angreifen, weil sie für die Wirtschaft zu bedeutsam sind. Es ist interessant zu sehen, was passiert, wenn der seltene Fall eintritt und das Thema doch auf den Tisch kommt. In der New York Times etwa heißt es dann meist »politisch nicht machbar« oder »es fehlt an politischer Unterstützung«, wo doch die Mehrheit der Bevölkerung schon lange der Ansicht ist, hier müsste etwas getan werden.

Zu Beginn von Obamas Gesundheitsreform, die unter dem Namen Affordable Care Act (Gesetz für eine erschwingliche Gesundheitsversicherung) bekannt wurde, gab es, wie man sich vielleicht noch erinnert, auch Diskussionen über die Einführung einer rein staatlich organisierten Gesundheitsversorgung. Zwei Drittel der Bevölkerung sprachen sich damals ­dafür aus. Aber die Idee wurde verworfen – keine weiteren Debatten. Noch früher, in den späten Reagan-Jahren, fanden 70 Prozent der Bevölkerung, ein staatliches Gesundheitswesen sollte ein in der Verfassung garantiertes Recht sein. Und etwa 40 Prozent glaubten sogar, dies sei bereits so. Aber das ist eben keine politische Unterstützung – politische Unterstützung, das sind Goldman Sachs, JPMorgan Chase und so weiter. Hätten wir ein Gesundheitssystem wie andere Länder, würden wir in diesem Bereich kein Defizit machen, sondern wahrscheinlich einen Überschuss.

Den Staat abschaffen

Die Debatte über die gegenwärtigen ökonomischen Probleme in den USA – und übrigens auch in Europa – ist verblüffend. Das größte Problem der Menschen ist nicht etwa die Staatsverschuldung, sondern die Arbeitslosigkeit. Sie wirkt sich verheerend auf eine Gesellschaft aus. Ich meine, sie hat schreckliche Folgen für die Betroffenen und ihre Familien, aber auch für die Wirtschaft. Und es ist völlig klar, warum: Menschliche Arbeitskraft, die zur wirtschaftlichen Entwicklung eingesetzt werden könnte, bleibt ungenutzt – sie wird verschwendet.

Das klingt unmenschlich – schließlich ist das menschliche Elend das Schlimmste. Doch von einem strikt ökonomischen Gesichtspunkt aus ist das etwa so, als würde man Fabriken brach liegen lassen. Wer nach Europa, Japan oder selbst China reist, dem fällt bei seiner Rückkehr sofort auf, dass sich die USA im Verfall befinden, und er hat oft das Gefühl, in ein Land der sogenannten Dritten Welt zurückzukehren. Die Infrastruktur ist marode, das Gesundheitssystem ist völlig zerrüttet, das Bildungssystem liegt in Trümmern, nichts funktioniert, und all das in einem Land, das über unglaubliche Mittel verfügt. Es bedarf schon einer äußerst effektiven Propaganda, damit Menschen angesichts einer solchen Realität passiv bleiben. Das ist die gegenwärtige Situation – wir haben eine enorme Zahl von Menschen, die unbedingt arbeiten wollen und gut ausgebildet sind, und viele Dinge, die in Angriff genommen werden müssen. Es mangelt an vielem in diesem Land.

Finanzinstitute mögen keine Staatsverschuldung, und sie wollen auch möglichst wenig Staat. Leute wie der sehr einflussreiche Grover Norquist, Präsident der bedeutenden Lobbyorganisation Americans for Tax Reform, treiben diese Abneigung auf die Spitze. Er zwingt allen Kongressabgeordneten der Republikanischen Partei das Gelöbnis auf, niemals die Steuern zu erhöhen und den Einfluss des Staates zu verringern – und sie unterschreiben es tatsächlich fast alle. Er will nach seinem eigenen Bekenntnis den Staat im Grunde abschaffen. Aus Sicht der Herrschenden ist das absolut verständlich. In einer funktionierenden Demokratie handelt die Regierung im Interesse und im Auftrag der Bevölkerung. Genau das bedeutet Demokratie. Die Herrschenden hingegen hätten natürlich gerne die uneingeschränkte Macht, ohne dass ihnen das Volk dazwischenfunkt. Deshalb sehen sie es gerne, wenn die Macht des Staates schwindet – allerdings unter zwei Vorbehalten. Sie wollen gewährleistet sehen, dass der Staat die Steuerzahler heranzieht, um ihnen im Notfall aus der Patsche zu helfen und sie noch reicher zu machen. Und sie wollen ein starkes Militär, das die Welt unter Kontrolle hält.

Auf diese Aufgaben wollen sie den Staat reduzieren. Keine Rede davon, dass er die medizinische Versorgung älterer Menschen oder die Existenz einer behinderten Witwe garantierten sollte. Das interessiert sie nicht, es verträgt sich nicht mit ihrer elenden Maxime, deshalb konzentrieren sie sich auf die Staatsverschuldung. Für die Bevölkerung hat die Arbeitslosigkeit weit größere Bedeutung. Aber die öffentliche Debatte kreist weiterhin nur um die Staatsverschuldung, sieht man von Ausnahmen wie Paul Krugman ab.

Die Diskussion wird überwiegend von den Herrschenden bestimmt: »Schaut auf die Staatsverschuldung, vergesst alles andere.« Das Verblüffende dabei: Von den Ursachen ist nicht die Rede. Und die liegen geradezu auf der Hand. Ein Grund sind die außerordentlich hohen Militärausgaben der USA, die etwa denen der gesamten übrigen Welt entsprechen. Mit unserer Sicherheit hat das natürlich nichts zu tun (aber das ist eine andere Geschichte) – nur mit der Sicherheit der Herrschenden, die die Macht über die Welt ausüben und nur ihre eigenen Interessen im Auge haben.

Die Rückkehr zur Solidarität

Wie können wir die höhere Bildung erschwinglicher machen? Ganz einfach – wir brauchen es nur zu tun.

Man muss sich nur ein wenig in der Welt umschauen, dann findet man einfache Lösungen. Finnland hat in beinahe jeder Hinsicht das höchste Bildungsniveau – wie viel zahlt man dort für ein Hochschulstudium? Nichts. Es ist kostenlos. Oder nehmen Sie Deutschland, ein weiteres reiches Land mit einem ziemlich erfolgreichen Bildungssystem – wie viel zahlt man dort? Im Grunde nichts. Oder werfen wir einen Blick auf ein armes Land in unserer unmittelbaren Nachbarschaft – gerade Mexiko hat ein erstaunlich gutes System höherer Bildung, ich war beeindruckt von dem, was ich dort gesehen habe. Die Löhne sind sehr niedrig, weil es ein sehr armes Land ist, aber ein Studium kostet nichts.

Es gibt keinen wirtschaftlichen Grund, warum Bildung nicht jedem kostenlos zur Verfügung stehen könnte – dahinter stecken soziale und politische Gründe, also soziale und politische Entscheidungen. Die Wirtschaft würde höchstwahrscheinlich besser dastehen, wenn mehr Menschen tatsächlich die Gelegenheit hätten, sich zu entwickeln und durch eine höhere Bildung einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten.

Die Unabhängigkeit des Journalismus

Eine wahrhaft unabhängige Presse weist eine sich der Macht und Autorität unterordnende Rolle zurück.

Von Mark Twain stammt das bekannte Bonmot, dass „wir der Güte Gottes (...) jene drei unsagbar wertvollen Errungenschaften verdanken: Redefreiheit, Gewissensfreiheit und die Klugheit, uns weder der ersteren noch der letzteren jemals zu bedienen.“

In seiner unveröffentlichten Einleitung zur Farm der Tiere, das sich “der literarischen Zensur” im freien England widmet, fügte George Orwell einen Grund für diese Klugheit an: Es gebe, schrieb er, „eine allgemeine stillschweigende Übereinkunft, dass ‚es nicht angeht‘, diese bestimmte Tatsache zu erwähnen.“ Die stillschweigende Übereinkunft stellt eine „verschleierte Zensur“ auf der Grundlage „einer reinen Lehre, eines Corpus von Ansichten“ dar, „von denen man annimmt, dass alle vernünftigen Menschen sie fraglos akzeptieren“, und „jeder, der die vorherrschende Lehrmeinung infrage stellt, wird merken, dass er mit erstaunlicher Effektivität zum Schweigen gebracht wird“, ganz ohne „ein behördliches Verbot“.

Wir sind ständig Zeuge, wie man diese Klugheit in freien Gesellschaften walten lässt. Nehmen wir beispielsweise die Invasion in den Irak durch die USA und Großbritannien, eine Aggression ohne glaubwürdigen Vorwand, wie sie im Buche steht, das „schwerste internationale Verbrechen“, wie es im Urteil des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals definiert wurde.

Es ist erlaubt zu sagen, dass es ein “dummer Krieg” war, ein „strategischer Patzer“, ja sogar „der größte strategische Fehler in der jüngsten Geschichte der amerikanischen Außenpolitik“, wie Präsident Obama es ausdrückte, wofür ihn das liberale Lager in den höchsten Tönen lobte. Aber „es ginge nicht an“ zu sagen, was es wirklich war: Das Verbrechen des Jahrhunderts – wenngleich man nicht so zurückhaltend wäre, hätte sich ein offizieller Feind ein deutlich geringeres Vergehen zuschulden kommen lassen.

Die vorherrschende Lehrmeinung tut sich nicht leicht damit, Figuren wie den General/Präsidenten Ulysses S. Grant zu integrieren, der der Meinung war, dass es nie zuvor „einen niederträchtigeren Krieg als den der USA gegen Mexiko“ gegeben habe, bei dem sie sich das einverleibt hatten, was heute der amerikanische Südwesten und Kalifornien ist und der seine Scham darüber bekundete, dass er nicht „das moralische Rückgrat zurückzutreten“ besessen habe, statt sich an diesem Verbrechen zu beteiligen.

Die Unterordnung unter die vorherrschende Lehrmeinung hat Konsequenzen. Die gar nicht mal so stillschweigende Botschaft lautet, dass wir nur kluge Kriege führen sollten, die keine Fehler darstellen, Kriege, die ihre Ziele erreichen – also nach vorherrschender Meinung erklärtermaßen gerechte und richtige Kriege, selbst wenn sie in Wirklichkeit „böse Kriege“, Schwerverbrechen sind.

Es gibt zu viele Anschauungsbeispiele, um sie hier alle zu nennen. In einigen Fällen, wie dem des Jahrhundertverbrechens, ist der Umgang damit in angesehenen Kreisen praktisch ausnahmslos wie beschrieben.

Ein anderer bekannter Aspekt der Unterordnung unter die vorherrschende Lehrmeinung ist die beiläufige Aneignung der gängigen Dämonisierung offizieller Feinde.

Um ein beinahe willkürliches Beispiel aus der Ausgabe der New York Times herauszugreifen, die eben zufällig vor mir liegt – da warnt ein hoch kompetenter Wirtschaftsjournalist vor dem Populismus des offiziellen Dämons Hugo Chavez, der, nachdem er in den späten 90er Jahren einmal gewählt war, “damit begann, jede demokratische Institution zu bekämpfen, die ihm im Weg stand.“

Wenden wir uns einmal der Realität zu: Es war die US-Regierung, die (vorsichtig formuliert) mit enthusiastischer Rückendeckung der New York Times den Militärcoup voll unterstützte, durch den die Chavez-Regierung gestürzt wurde – ehe er kurz darauf durch einen Volksaufstand wieder rückgängig gemacht wurde.

Was nun Chavez angeht, so gewann er, was immer man von ihm halten mag, wiederholt Wahlen, die von internationalen Beobachtern als frei und fair bestätigt wurden. Unter den Beobachtern war auch die Carter Foundation, deren Gründer Ex-Präsident Jimmy Carter sagte: „Von den 92 Wahlen, die wir beobachtet haben, würde ich das Wahlverfahren in Venezuela als das beste der Welt bezeichnen.“

Und Venezuela schnitt unter Chavez in internationalen Umfragen zum öffentlichen Rückhalt der Regierung und zum Zustand der Demokratie regelmäßig sehr gut ab (so das in Chile ansässige unabhängige Meinungsforschungsinstitut Latinobarómetro).

Es gab zweifellos demokratische Defizite während der Chavez-Jahre, wie etwa die Unterdrückung des RCTV Senders, die eine breite Missbilligung auslöste. Ich stimmte darin ein und war auch der Meinung, dass so etwas in unserer freien Gesellschaft ein Ding der Unmöglichkeit sei. Hätte ein prominenter Fernsehsender in den USA einen Militärcoup unterstützt, so wie das bei RCTV der Fall war, dann würde er nicht ein paar Jahre später unterdrückt werden, er würde nämlich gar nicht mehr existieren: Die Verantwortlichen säßen im Knast, so sie denn noch am Leben wären. Doch die reine Lehre wischt bloße Tatsachen mit leichter Hand beiseite.

Die Nicht-Bereitstellung angemessener Informationen ist ebenfalls folgenschwer. Vielleicht sollten die Amerikaner wissen, dass vom führenden US-Umfrageinstitut erhobene Umfragen ergaben, dass die USA zehn Jahre nach dem Verbrechen des Jahrhunderts in den Augen der Welt als größte Gefahr für den Weltfrieden dastehen; gewiss nicht der Iran, der aber diesen Preis in den US-amerikanischen Kommentaren gewinnt.

Vielleicht hätte die Presse ja ihre Pflicht erfüllen und die öffentliche Aufmerksamkeit auf diese Tatsache lenken können, statt sie ihr zu verbergen, zusammen mit einigen Überlegungen dazu, was das nun bedeutet, welche Lehren darin für die Politik liegen. Wieder einmal hat die Verletzung von Dienstpflichten Konsequenzen.

Beispiele wie diese, von denen es massenhaft gibt, sind schwerwiegend genug, doch es gibt andere, die noch viel folgenreicher sind. Zum Beispiel der Wahlkampf 2016 im mächtigsten Land der Weltgeschichte. Die Berichterstattung hatte gigantische Ausmaße – und war äußerst aufschlussreich.

Probleme wurden von den Kandidaten fast vollständig vermieden und kamen in den Kommentaren praktisch gar nicht vor, in Übereinstimmung mit dem journalistischen Grundsatz, dass „Objektivität“ bedeutet, getreulich zu berichten, was die Mächtigen tun und sagen, und nicht, was sie ignorieren. Diesem Grundsatz bleibt man treu, selbst wenn das Schicksal der Menschheit auf dem Spiel steht, wie es tatsächlich der Fall ist: sowohl die wachsende Gefahr eines Atomkrieges als auch die ernste Gefahr einer Umweltkatastrophe sind Fakten.

Dieses Versäumnis erreichte am 8. November, einem wahrhaft historischen Tag, einen dramatischen Höhepunkt. An diesem Tag fuhr Donald Trump zwei Siege ein. Der weniger wichtige erhielt außerordentlich große Medienaufmerksamkeit: sein Wahlsieg, mit fast drei Millionen weniger Wählerstimmen als seine Gegnerin dank rückschrittlicher Besonderheiten des US-Wahlsystems.

Über den deutlich wichtigeren Sieg ging man praktisch stillschweigend hinweg: Trumps Sieg in Marrakesch, Marokko, wo sich rund 200 Nationen trafen, um das Pariser Klimaabkommen des vorigen Jahres mit etwas ernstem Inhalt zu füllen. Am 8. November kamen die Verhandlungen zum Stillstand. Der Rest der Konferenz war vor allem dem Versuch gewidmet, etwas Hoffnung zu retten, nachdem die USA sich nicht nur aus der ganzen Unternehmung zurückzogen, sondern sich sogar zum Ziel gesetzt haben, es durch eine deutliche Erhöhung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe, den Abbau von Regulierungen und die Ablehnung der Zusicherung, Entwicklungsländer bei der Umstellung auf erneuerbare Energien zu unterstützen, zu sabotieren.

Bei Trumps wichtigstem Sieg standen ja nur die Zukunftsperspektiven für jegliche uns bekannte Form menschlichen Lebens auf dem Spiel. Entsprechend gab es praktisch keine Berichterstattung, man hielt am Prinzip der „Objektivität“ fest, wie es die Gepflogenheiten und Glaubenslehren der Macht festlegen.

Eine wahrhaft unabhängige Presse weist eine sich der Macht und Autorität unterordnende Rolle zurück. Sie schlägt die Lehrmeinung in den Wind, stellt infrage, was „vernünftige Menschen fraglos akzeptieren“, zerreißt den Schleier stillschweigender Zensur, stellt der breiten Öffentlichkeit die Informationen und die Bandbreite der Meinungen und Vorstellungen zur Verfügung, die eine Voraussetzung für eine sinnvolle Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben sind, und darüber hinaus bietet sie eine Plattform, damit Menschen in einen Dialog und eine Diskussion über die Probleme treten können, die sie betreffen. Dadurch wird sie ihrer Funktion als Grundlage einer wahrhaft freien und demokratischen Gesellschaft gerecht.