Links.

Das Selbst „hat kein Wesen, sondern ist eine Abfolge von Werden, ein weiterführendes Projekt der Selbstgestaltung ohne klares Ende oder Ziel („telos“). Aus dieser Perspektive sollte Autonomie nicht als Status gesehen werden, den jemand erreicht, sondern vielmehr als Reihe agonistischer [= „kämpferischer“] Praktiken, hervorgebracht im Kontext von Zwängen und Begrenzungen, sowohl äußeren, als auch inneren“: Ungehorsam bedeutet demnach heute nicht nur bestimmte Gesetze zu übertreten sondern verlangt andere Lebensformen und Selbstwahrnehmungen.
Saul Newman

 

Graswurzelrevolution (Zeitschrift und Verlag)
http://www.graswurzel.net/

 

Direkte Aktion - anarchosyndikalistische Zeitung

 

Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen
https://fda-ifa.org/


 

FAU (Frei Arbeiter:innen Union – Anarchosyndikalistische Gewerkschaftsföderation)
https://fau.org/
die verschiedenen Ortsgruppen haben meist einen eigenen Webauftritt

 

Alles Verändern, ein anarchistischer aufruf / …

https://www.crimethinc.com/tce/deutsch

 

War Resisters' International

 

Postanarchismus

www.postanarchismus.net/

No Power For No One! Postanarchismus setzt sich mit poststrukturalistischen und postmodernen Theorien aus anarchistischer Perspektive auseinander.

 

espero

 

www.projektwerkstatt.de - die Enzyklopädie politischer Theorie...

Herzlich willkommen auf der wilden www.projektwerkstatt.de, einer schier unendlichen Quelle von Aktionstipps und -berichten, politischen Analysen und Debatten.

 


STERNECK.NET - Kultur und Veränderung - Culture and ...

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STERNECK.NET Cybertribe-Archiv Utopia

Anarchistische Bibliothek

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Paradox-A - Anarchistische Theorie & Perspektiven


medico international - Gesundheit, Soziales, Menschenrechte

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Eine andere Welt braucht eine andere Hilfe. medico international kämpft gemeinsam mit Partnern für gesellschaftliche Veränderung.

Elf Jahre Rojava - Revolution der Hoffnung

linksnet.de

 

Gai Dao

 

 

Untergrund-Blättle | Online Magazin

 
www.untergrund-blättle.ch

Artikel, Reportagen und Analysen aus dem politischen und kulturellen Untergrund. Rezensionen, Essays und linke ...

Gai Dao

 

Die Völkerrechtler im bürgerlichen Lager streiten gerade darüber, ob die Bundesrepublik mit den Panzerlieferungen de jure "Kriegspartei" geworden ist. Dabei hat die Bundesaußenministerin und deutsche Chefdiplomatin Annalena Baerbock (GRÜNE) mit ihrer Aussage am Mittwoch vor dem EU-Rat eine Kriegserklärung abgegeben, die Klarheit über längst stattfindende Vorgänge geschaffen hat: „We are fighting a war against Russia.“ Auf deutsch: „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland.“ Nun rollen deutsche Panzer auf eigene Kosten in ein blutiges Kriegsgebiet. Die Ukraine wird weiter verwüstet und wirtschaftlich wie politisch in absolute Abhängigkeit zur US-geführten NATO gebracht, was die Rede von Selbstbestimmung mal wieder Lügen straft. Im selben Augenblick fordert der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski nun auch noch Kampfjets, Langstreckenraketen, noch mehr Geld. Nicht lange und er wird endgültig sein wahnsinniges Unterfangen verwirklichen, NATO-Truppen und damit auch deutsche Soldaten an die Front gegen Russland zu führen. Die Kriegshetze insbesondere der GRÜNEN fruchtet, die Rüstungsindustrie jubelt mit Rekordprofiten, die bürgerlichen Journalisten arbeiten ununterbrochen daran, Berichterstattung mit Kriegspropaganda zu ersetzen, was zuletzt die Debatte um Panzerlieferungen erschreckend handgreiflich gezeigt hat, und wer sich gegen den Krieg ausspricht, gerät in Verruf, weil man realistisch ist und einen unverzüglichen Verhandlungsfrieden fordert. Das ist krank. Ich bin davon überzeugt, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland, die Arbeitenden, Werktätigen und Armen, diesen Krieg und die nukleare Gefahr nicht wollen, erst recht nicht seine Verschärfung.

Mesut Bayraktar

Eine Zusammenstellung von Ereignissen in der Ukraine, die von unseren Medien völlig ignoriert werden
Die übersetzte Zusammenstellung der Geschehnisse und Dokumentationen stammt von Veroníka Naidenova. Sie beleuchtet widersprüchliche Propaganda von 2014 bis 2022.
Es ist einfacher, Menschen an ihren Taten zu erkennen als an den Lügen, die sie erzählen.
(Veroníka Naidenova
Jahrgang 1988, ist unter anderem deutsch-russischer Übersetzer und Journalistin. Sie wurde auf der Krim geboren und lebt seit 2001 in Deutschland.)
Die ukrainische Armee bombardiert seit acht Jahren Städte in VRD (Volksrepublik Donezk ) und VRL (Volksrepublik Luhansk ) und tötet dabei die Zivilbevölkerung.
Im Zeitraum 2014–2021 tötete das ukrainische Militär mehr als 150 Kinder in VRD (Volksrepublik Donezk ) und VRL und verletzte weitere.
Im „Gewerkschaftshaus“ wurden russischsprachige Menschen gezielt verbrannt (Odessa, 05.02.2014). Es gibt keine Untersuchung der Gräueltat.
Ukrainische Militäreinheiten und Freiwillige foltern, entführen und vergewaltigen auf dem Territorium von VRD und VRL.
In der Ukraine werden sie wegen der russischen Sprache geschlagen.
Entlassung wegen der russischen Sprache, Verweigerung des Arbeitsplatzes.
Die ukrainischen Behörden legitimieren die Verfolgung.
Die ukrainischen Behörden betrachten die Bewohner von VRD und VRL als „Abschaum“.
In der Ukraine gibt es offiziell faschistische Organisationen.
Der Nationalsozialismus in der Ukraine wird auf staatlicher Ebene unterstützt.
Die Ukraine war auf einen militärischen Angriff auf Russland vorbereitet, einschließlich der Möglichkeit eines Atomschlags.
Die Ukraine hatte die Fähigkeit und den Wunsch, eigene Atomwaffen zu bauen und diese gegen Russland einzusetzen.
Ausländische Länder pumpen Waffen in die Ukraine, auch für Offensivoperationen, nicht für die Landesverteidigung. Seit 2016 werden tödliche Waffen in die Ukraine geliefert.
Die Ukrainer werden dazu manipuliert, Russland zu hassen. Der Westen braucht sie für politische, wirtschaftliche, kulturelle und militärische (NATO) Vorstöße an unseren Grenzen und schwächt den Staat.
Ukrainische Politiker schüren offiziell Hass auf Russland und treiben die Ukrainer in den Krieg. Sie versuchen, die Weltgemeinschaft in den Konflikt einzubeziehen.
Ukrainische Journalisten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens hetzen die Ukrainer aggressiv gegen die Russen.
Die Ukraine führt mit direkter Unterstützung und Finanzierung der USA einen aktiven Informationskrieg gegen Donbass und Russland. Ab Dezember 2019 wird in der Ukraine ein Netzwerk von Information Psychological Operations Centers (IPOSOs) aufgebaut.
Westliche Politiker entwickeln gezielt Nazi-Bewegungen in der Ukraine, um Hass gegen die Russen zu schüren und eine direkte militärische Bedrohung zu schaffen. Während der Westen Russland verurteilt, ignoriert er nicht nur den Faschismus in der Ukraine, sondern unterstützt ihn sogar finanziell, um den Hass gegen die Russen zu schüren.
Ausländische Politiker und das Militär nehmen offen Kontakt zu ukrainischen Nazis auf und unterstützen sie mit Waffen und Ausbildung: „Mirotvorets“.
Der Westen finanziert NGOs in der Ukraine offen, um den Hass auf die Russen zu schüren.
Der Nationalsozialismus in der Ukraine löst bei westlich gesinnten Menschen Angst aus.
Im Gegensatz zu den ukrainischen Chauvinisten arbeitet die russische Armee derzeit an militärischen Widerstandsobjekten zum Schutz der Zivilbevölkerung.
Der Vormarsch der russischen Truppen verläuft im Gegensatz zum Vorgehen der Luftwaffe in der VRD und VRL friedlich. Es gibt keine wirklichen Berichte über negative Aktionen der russischen Streitkräfte. Das ukrainische Militär kapituliert massenhaft, da es die Nazi-Ambitionen der Führung nicht teilt.
In der ukrainischen Gesellschaft besteht kein Konsens darüber, wer für die aktuelle Situation verantwortlich ist
Im Internet werden gezielt Fakes über das Vorgehen des russischen Militärs verbreitet.
Die ukrainische Elite flieht aus dem Land.
Stepan Bandera wurde von den polnischen Behörden wegen der Morde zu lebenslanger Haft verurteilt und konnte bislang nicht rehabilitiert werden (d. h. er gilt als Krimineller).
Während der deutschen Besatzung terrorisierten Stepan Bandera und seine Anhänger, die mit Nazi-Deutschland kollaborierten, die Bevölkerung. Vor allem Polen und Juden wurden getötet.
Nach dem Krieg lebte Stepan Bandera in München und arbeitete für britische Geheimdienste.
Für die Polen ist Stepan Bandera ein Symbol der Unterdrückung und Zerstörung ihres Volkes, was den Westen jedoch nicht daran hindert, die Sympathie der ukrainischen Behörden für ihn nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Die ukrainischen Behörden und Wolodymyr Selenskyj verherrlichen persönlich die Nazi-Bandera. Sie errichten ihm Denkmäler. Sie veranstalten Paraden zu seinen Ehren, bei denen die Teilnehmer zur Tötung von Russen aufrufen.

 

Regierung hat Rechtsextreme nicht unter Kontrolle.

Der neue ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zeigt kein Interesse, rechtsextreme Angriffe auf Roma und zivilgesellschaftliche Akteure stärker zu verfolgen als sein Vorgänger. Es herrscht ein Klima der Straflosigkeit, das Übergriffe befördert.

Von Johannes Rüger, Kiew

Dem Sieg bei der Präsidentenwahl folgte im Juli der Erfolg im Parlament: Mit absoluter Mehrheit sitzen Abgeordnete der Partei des neuen ukrainischen Staatsoberhaupts Wolodymyr Selenskyj nun in der Volksvertretung in Kiew. Die Repräsentanten der Partei Diener des Volkes könnten dafür sorgen, dass die Schlagkraft des einstigen Fernsehkomikers steigt – und bisherige Profiteure des Klimas von Straflosigkeit um ihre Pfründe fürchten müssen. Auch bezüglich der Menschenrechte steht ­einiges auf dem Prüfstand, schließlich liegen rechtlicher Anspruch und Verfassungswirklichkeit weit auseinander.

Selenskyj steht vor großen Aufgaben, denn die Lage in der Ukraine ist hinsichtlich der Menschenrechte alles andere als gut. Neben dem andauernden Krieg im Osten des Landes und der angespannten Lage auf der von Russland besetzen Halbinsel Krim sind es vor allem die unzureichenden Reformen, die das Land nicht vorankommen lassen.

Eugene Krapyvin ist Anwalt und Experte für das Justiz- und Polizeiwesen. Er sieht den Stand der Reformen kritisch: "Egal, ob es um die Meinungsfreiheit geht oder die strafrechtliche Verfolgung von Angriffen auf Akteure der Zivilgesellschaft – die Reformen sind nicht ausreichend. Vieles ist auf den Weg gebracht worden, aber es gibt noch keine systematischen Veränderungen, die vor allem im Bereich der Exekutive nötig wären."

Genug Grund zur Sorge

Bereits im Oktober 2018 hatte Amnesty International Bun­deskanzlerin Angela Merkel aufgefordert, bei ihrem Besuch in Kiew die unzureichende Menschenrechtslage anzusprechen. Grund zur Sorge gaben schon damals Angriffe auf Aktivistinnen und Angehörige schutzbedürftiger Gruppen. Daran hat sich wenig geändert. Das Klima der Straflosigkeit, das solche Angriffe befördert, besteht unverändert.

Dies ist umso tragischer, wenn man bedenkt, dass die Regierung des im April nach fünf Jahren abgewählten Präsidenten ­Petro Poroschenko mit ehrgeizigen Plänen gestartet war. 2015 hatte er angekündigt, einen nationalen Aktionsplan für die Menschenrechte umzusetzen. Getan hat sich bisher aber nur wenig.

"Es ist ein allgemeines Problem in der Ukraine, dass Gesetze nicht umgesetzt werden", sagt Boris Zakharov vom ukrainischen Helsinki-Zentrum für Menschenrechte. Auch er bemängelt das Versagen staatlicher Stellen. "Es gibt regelmäßig Menschenrechtsverletzungen. Die Zahl der Hassverbrechen, die von rechtsextremen Gruppen verübt werden, ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen."

Die Regierung ist offenbar nicht stark genug, um sich rechtsextremen Gruppen entgegenzustellen. Das liegt vor allem da­ran, dass solche Gruppen 2014 bewaffnet wurden, um gegen die Separatisten im Osten des Landes zu kämpfen. Nun hat die Regierung sie nicht mehr vollständig unter Kontrolle.

Zakharovs Aussagen werden durch offizielle Berichte gestützt. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) in der Ukraine konstatiert Straflosigkeit in Hunderten Fällen allein zwischen ­Januar 2018 und Februar 2019. Oftmals kamen die Täter aus dem rechtsextremen Spektrum. Aufgrund der Vielzahl von Angriffen demonstrierten im September 2018 Vertreter von 70 zivilgesellschaftlichen Organisationen gegen die anhaltende Straflosigkeit. Doch trotz der Schaffung einer parlamentarischen Untersuchungskommission verlaufen die Ermittlungen in vielen ­Fällen weiter schleppend.

Neben Aktivisten sind vor allem Roma wie auch Schwule, Lesben, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechliche (LGBTI) Opfer von Gewalt. Im Jahr 2018 verübten rechtsextreme Gruppen wie S14 oder die Miliz Azov National Druzhina in mehreren Städten Angriffe auf Romasiedlungen. Im April 2019 attackierten maskierte Mitglieder von S14 eine Romasiedlung, warfen Steine und attackierten Frauen und Kinder mit Tränengas.

Im Juni zerstörten Mitglieder der Azov National Druzhina die Unterkünfte von Roma mit Äxten und Hämmern. Die Aktion war zuvor im Internet angekündigt worden und wurde von Azov National Druzhina live bei Facebook gestreamt. Ein Sprecher der Kiewer Polizei erklärte später, man habe keine Strafermittlungen eingeleitet.

Für Mitglieder der LGBTI-Community ist die Situation nicht besser. Zwar konnte im Juni 2018 die Pride-Parade in Kiew unter Polizeischutz stattfinden. Eine Vielzahl anderer Veranstaltungen zu LGBTI-Themen wurde von der Polizei jedoch nicht ausreichend geschützt; nach Störungen von Rechtsextremisten muss­ten sie abgebrochen werden.

Fehlende Untersuchungen

Hinzu kommt, dass Angriffe von der Polizei nicht oder nur unzureichend verfolgt werden. Die Ermittlungen verlaufen oft sehr langsam, Zeugen werden nicht befragt und Aussagen nicht oder fehlerhaft aufgenommen. Dies führt dazu, dass Opfer von Übergriffen diese nicht bei der Polizei anzeigen. Sie zweifeln daran, dass es zu unabhängigen und gründlichen Untersuchungen kommen wird.

Ein Grund für die unzureichende Arbeit der Polizei ist, dass es in der Ukraine keinen gesetzlichen Schutz vor Hassverbrechen gibt. Die Polizei wertet Angriffe gegen Roma oder LGBTI meist als Hooliganismus, der mit verhältnismäßig geringen Strafen geahndet wird. "Hassverbrechen sind in unserer Gesetzgebung kein Straftatbestand. Daher gibt es auch keine zuverlässigen Statistiken darüber, wie viele Hassverbrechen in der Ukraine verübt werden, und keinen rechtlichen Schutz für gefährdete Personen", sagt der Rechtsanwalt Krapyvin.

Nach Einschätzung des UNHCR wird die Durchsetzung von Menschenrechten in der Ukraine nicht möglich sein, solange das Problem der Straflosigkeit nicht angegangen wird. Die zentrale Herausforderung für die Ukraine und den neuen Präsidenten Selenskyj besteht darin, eine konsequente Durchsetzung von Menschenrechten zu gewährleisten und die Straflosigkeit zu beenden. Ob diese Aufgaben für Selenskyj Priorität haben, darf allerdings bezweifelt werden. Im Wahlkampf erwähnte er das Thema Menschenrechte praktisch nicht, ein Treffen mit ­Vertretern der Zivilgesellschaft, das fünf Tage vor der Präsidentschaftswahl stattfinden sollte, ließ er platzen.

Letztlich hängen Fortschritte davon ab, ob es Selenskyj gelingt, die nötige Autorität aufzubauen, um die angestoßenen ­Reformen, auch im Bereich Menschenrechte, durchzusetzen – gegen den Widerstand unwilliger Akteure in Politik und Verwaltung. Mit der Auflösung des Parlaments im Mai und der Ankündigung von Neuwahlen für Juli hat er einen ersten Schritt in ­diese Richtung getan.

 

https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/ukraine-regierung-hat-rechtsextreme-nicht-unter-kontrolle

Morgens lese ich, dass der Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) und seine Komplizen aus der Ampel-Regierung vor einer globalen Nahrungsmittelknappheit als Folge des Kriegs in der Ukraine warnen. Gleichzeitig wird Kriegsgerät in Kriegsgebiete geliefert und von der Außenministerin Baerbock (Grüne) "Kriegsmüdigkeit" in westlichen Gesellschaften beklagt, weil - entgegen den Interessen der herrschenden Klassen - große Teile der Bevölkerungen im Grunde genommen keinen Bock auf Krieg haben. Nicht nur das, die Abstimmung für das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zur Aufrüstung der Bundeswehr wird demnächst stattfinden. Zum einen suggeriert es, eine hochgerüstete Bundeswehr könnte den Konflikt in der Ukraine beenden, zum anderen hat nicht einmal eine gesellschaftliche Debatte - nicht zu verwechseln mit der Propaganda bürgerlicher Medien! - darüber stattgefunden, obwohl 100 Milliarden Sondervermögen zugunsten der Herrschenden, namentlich für das Rüstungs- und Großkapital, 100 Milliarden Euro Sonderschulden für die Beherrschten und weitere für künftige Generationen bedeuten. Wir sollten auch nicht vergessen: Es handelt sich um eine Verfassungsänderung, die eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag benötigt und Anfang der Woche per Kuhhandel zwischen Regierung und CDU arrangiert wurde; eine Militarisierung von Gesellschaft, Wirtschaft und Verfassung, mit anderen Worten: Nur mit einer Zweidrittelmehrheit können die 100 Milliarden für Rüstung und Krieg auf Grundlage des Grundgesetzes heute und für die Zukunft wieder rückgängig gemacht werden. Obendrauf fordern angesichts von 7,9 % Inflation Habeck und die Henker des deutschen Imperialismus von den Werktätigen und der arbeitende Klasse, den eigenen Lebensmittelverbrauch zu reduzieren, um der Wirtschaftskrise entgegenzutreten. Solche Forderungen, verhüllt in ausbeutungspolitischer Diplomatie, sind Ausdruck von blankem Klassenhass gegen Arme und Arbeitende. Es gibt viele Gründe für den Widerstand gegen eine Politik, die Frieden sagt und Krieg treibt, überhaupt seit dem 24. Februar die Masken fallen gelassen hat und dabei geschickt ein permanentes Quidproquo zwischen Krieg und Frieden vollzieht, im Zweifel rassistische Feindbilder konstruiert und nährt, bis auch in den letzten Köpfen der Krieg in der Ukraine zu einem Krieg zwischen Gut und Böse wird. Lügen! Ich möchte eigentlich nur eines loswerden: Schließt euch in den kommenden Tagen und Wochen in eurem Viertel, auf euren Straßen, in euren Stadtteilen, am Arbeitsplatz, in Schulen, in Universitäten den friedensliebenden, antimilitaristischen und antiimperialistischen Kräften, Protesten, Demonstrationen, Appellen an, verbündet euch, klärt auf, unmittelbar in eurer Umgebung und darüber hinaus, und stellt euch gegen einen Krieg, bei dem die ukrainische Bevölkerung, die russische, die deutsche und viele mehr - wir! - auf ganzer Linie schon jetzt verlieren und in Zukunft nur verlieren können. Tretet ein für den Frieden.

Mesut Bayraktar

Das private US-Militärunternehmen Blackwater, ist mit dem Asow-Bataillon im Donbass aktiv

von Manlio Dinucci – https://cooptv.wordpress.com

Das Telefonat zwischen Präsident Biden und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj sei „nicht gut gelaufen“, titelt CNN: Während „Biden davor warnte, dass eine russische Invasion im Februar praktisch sicher ist, wenn der gefrorene Boden Panzern die Durchfahrt ermöglicht“, sagte Selenskyj. und er bat Biden, seinen Ton abzumildern, und argumentierte, dass die russische Bedrohung immer noch zweideutig sei“. Während der ukrainische Präsident selbst eine vorsichtigere Haltung einnimmt, sammeln sich die ukrainischen Streitkräfte im Donbass in der Nähe des von der russischen Bevölkerung bewohnten Gebiets von Donezk und Lugansk.

Laut Berichten der OSZE-Sonderbeobachtermission in der Ukraine, die von unserem Mainstream verschwiegen werden, die nur über den russischen Einsatz spricht, sind hier Einheiten der ukrainischen Armee und der Nationalgarde in der Stärke von etwa 150.000 Mann stationiert. Sie werden von US-NATO-Militärberatern und -ausbildern bewaffnet und ausgebildet und somit effektiv kommandiert.

Laut dem US Congressional Research Service stellten die USA der Ukraine von 1991 bis 2014 ungefähr 4 Milliarden Dollar an Militärhilfe zur Verfügung, die nach 2014 um über 2,5 Milliarden Dollar aufgestockt wurden, plus über eine Milliarde aus dem NATO-Treuhandfonds, an dem auch Italien beteiligt ist. Das ist nur ein Teil der Militärinvestitionen der Nato-Großmächte in der Ukraine. So schloss Großbritannien beispielsweise verschiedene Militärabkommen mit Kiew und investierte unter anderem 1,7 Milliarden britsche Pfund in die Stärkung der ukrainischen Marinekapazitäten: Dieses Programm sieht die Bewaffnung ukrainischer Schiffe mit britischen Raketen, die gemeinsame Produktion von 8 schnellen Raketenwerfern, der Bau von Marinestützpunkten am Schwarzen Meer und auch am Asowschen Meer zwischen der Ukraine, der Krim und Russland. In diesem Rahmen werden die ukrainischen Militärausgaben,

Zusätzlich zu den US-NATO-Militärinvestitionen in der Ukraine gibt es den 10-Milliarden-Dollar-Plan, der von Erik Prince, Gründer des privaten US-Militärunternehmens Blackwater, jetzt umbenannt in Academy, umgesetzt wird. Blackwater stellt Söldner für die CIA, das Pentagon und das Außenministerium auf, für verdeckte Operationen (einschließlich Folter und Attentaten), und verdient dabei Milliarden von Dollar. Der Plan von Erik Prince, der durch eine Untersuchung des Time Magazine aufgedeckt wurde, besteht darin, eine Privatarmee in der Ukraine durch eine Partnerschaft zwischen der Firma Lancaster 6, mit der Erik Prince Söldner im Nahen Osten und Afrika gestellt hat, und dem wichtigsten ukrainischen Geheimdienst zu schaffen, der von der CIA. Es ist natürlich nicht bekannt, was genau die Aufgaben der vom Gründer von Blackwater in der Ukraine geschaffenen Privatarmee sein würden, sicherlich mit Finanzierung durch die CIA.

Vor diesem Hintergrund ist es besonders alarmierend, dass der russische Verteidigungsminister Schoigu anprangerte, dass es in der Region Donezk, private US-Militärunternehmen gibt, die eine Provokation unter Verwendung unbekannter Chemikalien vorbereiten“. Es könnte der Funke sein, der die Detonation eines Krieges im Herzen Europas auslöst: ein chemischer Angriff auf ukrainische Zivilisten im Donbass, der sofort den Russen von Donezk und Lugansk zugeschrieben wird, die von den bereits stationierten ukrainischen Streitkräften angegriffen werden Region, um Russland zu zwingen, zu ihrer Verteidigung militärisch einzugreifen.

An vorderster Front, und bereit, die Russen im Donbass abzuschlachten, steht das Asow-Bataillon, das zu einem Spezialeinheitsregiment befördert wurde, das von den USA und der NATO ausgebildet und bewaffnet wurde und sich durch seine Wildheit bei Angriffen auf die russische Bevölkerung der Ukraine auszeichnet. Das Asow-Batalion, das Neonazis aus ganz Europa unter seiner Flagge rekrutiert, die von der SS Division „Das Reich“ abstammt, wird von ihrem Gründer Andrey Biletsky kommandiert, der zum Oberst befördert wurde. Das Asow-Batalion ist nicht nur eine Militäreinheit, sondern eine ideologische und politische Bewegung, deren charismatischer Anführer Biletsky vor allem für die Jugendorganisation ist, die mit seinem Buch „Die Worte des weißen Führers“ zum Russenhass erzogen wird.

Manlio Dinucci, preisgekrönter Autor, geopolitischer Analyst und Geograph, Pisa, Italien.

Dieser Artikel wurde ursprünglich auf Italienisch auf Il Manifesto veröffentlicht.

 

https://linkezeitung.de/2022/02/02/das-private-us-militaerunternehmen-blackwater-ist-mit-dem-asow-bataillon-im-donbass-aktiv/

Netzfund!

Netzfund !!!
Die Ukraine-Lüge
Ist es nicht herrlich, wie sich Politiker, NGOs, Think Tanks, Stiftungen, Medien und Konzerne um die Ukraine sorgen und diese - hauptsächlich mit militärischem Gerät - versorgen!
Ist es nicht bewundernswert, wie sie das Banner von Demokratie, Freiheit und Pluralismus hochhalten und gemeinsam gegen den russischen Aggressor vorgehen!
Ein näherer Blick auf das Ganze zeichnet jedoch leider ein völlig anderes Bild, welches ich im folgenden schildern möchte, addressiert an den verlogenen Dreckhaufen, der die Welt mit Terror und Gewalt überzieht, für die meisten Entwicklungen und Verwerfungen verantwortlich ist und der sich selbst als Wertegemeinschaft sieht.
Nein, die Menschen in der Ukraine bedeuten euch nichts. Ihr habt rein wirtschaftliche und geopolitische Interessen. Und weil ihr doch immer so sehr auf Fakten schwört, hier mal ein paar davon zu eurer feinen Politik der letzten Jahrzehnte. Der Leser möge sich anschließend selbst die Frage stellen, wie sehr es dem Wertewesten wirklich um das Leben von Menschen gehen mag. Also:
Bevor ich zu den kriegerischen Verbrechen komme, möchte ich noch anmerken, dass alleine eure neoliberale Wirtschaft täglich vielen tausenden Menschen das Leben kostet. Ganze Länder werden durch eure Schuldenpolitik in Abhängigkeit gehalten. Ihre Einwohner erfahren größtes Leid durch unfairen Wettbewerb, Zinszahlungen, Spekulationen, Landraub, Freihandel, Ausbeutung durch Konzerne, Strafzölle, Aufhebung von Schutzzöllen, Aktionen durch Geheimdienste und Economic Hitmen und vieles mehr. Dass alle paar Sekunden ein Kind an den Folgen von Unterernährung stirbt, hat euch nie wirklich interessiert.
Bleiben wir mal kurz bei den Kindern. In manchen Ländern, die ihr überfallen habt, etwa in Vietnam, dem Irak, in Syrien oder in Ex-Jugoslawien werden noch in vielen Generationen Kinder tot oder schwer behindert zur Welt kommen, oder im Laufe der Kindheit an Krebs erkranken. Grund dafür sind zum Beispiel die Ausbringung von Entlaubungsmitteln wie Agent Orange oder die Anwendung von Uran-Munition. Ihr habt Millionen Kinder auf dem Gewissen. Manchmal geschieht das auch ganz bequem, etwa durch Sanktionen wie im Irak der 90er Jahre, als in kurzer Zeit 500.000 Kinder starben.
Wie oft habt ihr Minderheiten, Regierungen und Staaten Schutz und Unterstützung in Aussicht gestellt und wie oft habt ihr diese dann fallen lassen wie eine heiße Kartoffel, wenn ihr sie nicht mehr gebraucht habt! Staatsoberhäupter wie Mossadegh, Allende oder Sankara, die zum Wohle ihrer eigenen Bevölkerungen eurer Spiel nicht länger mitspielen wollten, habt ihr ermordet oder weggeputscht und deren Länder ins Chaos gestürzt. Ihr habt in Ruanda beim Völkermord an den Tutsi einfach weggeschaut. In den USA leben geschätzte 50 Millionen Menschen in großer Armut. Viele legen ihre Toten auf die Straße, weil ein Begräbnis nicht leistbar ist. Und ihr habt den Nerv, zu sagen, die Menschen in der Ukraine bedeuteten euch was!
Auch beim Thema Annektion solltet ihr ganz still sein. So waren es zum Beispiel nicht die Russen, die die Bewohner von Diego Garcia aus militärischen Interessen einfach zwangsumgesiedelt haben. Aber wegen dem internationalen Druck und den Klagen seitens der Chagossianer habt ihr immerhin eingeräumt, dass diese auf ihre Insel eventuell mal zurück kommen können, aber erst, wenn keine Notwendigkeit mehr zur militärischen Nutzung besteht. Wie großzügig von euch!
Mit Hilfe von dreisten Lügen habt ihr einen Krieg nach dem anderen begonnen, Folter angewandt und grausamste Massaker verübt. Für die Verbrechen von My Lai oder Abu Ghuraib gab und gibt es bis heute weder Sanktionen noch angemessene Entschädigungen, geschweige denn Entschuldigungen. Gleiches gilt für den Abschuss der Zivilmaschine Iran-Air 655 und den Beschuss der Asch Schifa-Arzneimittelfabrik-Fabrik im Sudan, der augenscheinlich zehntausende Menschenleben forderte.
Burkina Faso, Syrien, Libyen, Vietnam, Iran, Irak, Jugoslawien, Guatemala, Haiti, Chile, Sudan, Südafrika, Afghanistan, Kolumbien, Libanon, Nicaragua, Venezuela,... Die Liste der Staaten, die vom westlichen Terror heimgesucht wurden und nach wie vor werden ist lang.
Mit Hilfe von unbemannten Drohnen werden, unterstützt durch deutsche Logistik, rund um den Globus Menschen auf feige Art und Weise ermordet. Journalisten wie Julian Assange, die über diese Verbrechen berichten, werden weggesperrt und in europäischen Gefängnissen gefoltert.
Ich habe nur einen winzigen Teil der Verbrechen der westlichen Demokratien aufgezählt und diese aufgrund der gewollten Kürze und Kompaktheit des Beitrages auch nur sehr oberflächlich behandelt. Ich habe jedoch ausschließlich Fakten genannt, die ich jederzeit auch gerne belege. Nun ist es am Leser, zu entscheiden, wie glaubwürdig die Fürsorge des Westens für die ukrainische Zivilbevölkerung ist. Aus meiner Sicht jedenfalls ist diese Fürsorge reine Lüge und reine Heuchelei.
Thomas V Weiß

 

Bellizismus in anarchistischen Kreisen Die Kriegsfrage: Nationalistisch oder internationalistisch betrachtet Politik In den Diskussionen über den Krieg zwischen Russland und der Ukraine wird in der Regel von einer nationalistischen Sichtweise ausgegangen. Die Russen führen Krieg gegen die Ukraine.

Während des Russisch-Ukrainischen Krieges wurde erstmals auf einem lübeckischen Bus eine Werbung der Bundeswehr platziert, Mai 2023. Foto: 1970gemini (CC-BY-SA 4.0 cropped)

 

Die Russen führen Krieg gegen die Ukraine. Eine sprachliche Ungenauigkeit zugestanden: In Wahrheit ist es doch so, dass hier wie überhaupt in allen Kriegen, Staatsmänner für ihre geopolitischen Interessen Krieg für ein Mittel halten. Die Bevölkerung wird dann zwangsweise dazu verpflichtet diesen Krieg zu führen und zwar gegen die Bevölkerung eines anderen Landes, also die des Kriegsgegners. Für einen Sozialisten, für einen Anarchisten, für die Arbeiterklasse gibt es und kann es niemals einen zu teilenden, zu akzeptierenden Grund für einen Krieg geben.

Das ist mit Kritik am Nationalismus in der Kriegsfrage gemeint. "Die Arbeiterklasse kennt kein Vaterland"(1), sagt Marx zutreffend .Hingegen ist sie internationalistisch und nicht nationalistisch orientiert. Der Arbeiterbewegung vor dem 1. Weltkrieg war klar, wir wollen und werden nicht auf unsere Schwestern und Brüder schiessen. "Noch 1912, zwei Jahre vor Ausbruch des Krieges, der Internationale Sozialistenkongress in Basel erklärt hatte: „Die Proletarier halten es für ein Verbrechen, zugunsten des kapitalistischen Gewinns, dynastischen Wetteifers und des Aufblühens diplomatischer Verträge aufeinander zu schiessen.“(1) Karl Liebknecht spricht auf der Friedenskundgebung der SPD im Treptower Park, 1911(2)

Das Nationalgebilde Ukraine

Die Ukraine ist ein ebensolches Herrschaftssystem wie das angreifende Russland und die antretenden Nato-Staaten. Wenn das stimmt, gibt es dort eine politische und ökonomische Herrschaft, die die normale Bevölkerung für sich antreten lässt.

In der Ukraine: Ein Oligarchen Kapitalismus russischer Prägung. Die Löhne sind gewaltig runtergeschraubt worden. Die gewerkschaftlichen Rechte sind erheblich eingeschränkt worden.

Die russische und die ungarische Sprache ist verboten worden.

Männer zwischen 18 und 60 dürfen sich nicht ausserhalb des Landes begeben.

150 000 junge Männer versuchen, am Militärdienst vorbeizukommen.

Es gibt eine ukrainische Friedensbewegung, die nicht unerheblichen Repressionen ausgesetzt ist.

Bekennende Faschisten wie der ehemalige Botschafter in Deutschland Andrij Melnyk geniessen hohes Ansehen. Melnyk ist nun stellvertretender Aussenminister der Ukraine. Kommunistische Parteien hingegen sind verboten.

Was will ich damit sagen. Der Krieg Nato (de facto)-Russland Ukraine ist einer des Führungspersonals der jeweiligen Länder. Die Bevölkerung der verschiedenen genannten Länder hat diesen Gegensatz nicht. Woher auch? Sie möchten in Frieden leben - mit Haus, Familie oder auch nicht, ein paar Kumpels und genügend Bier. Und das ist in allen Ländern gleich. Aus dieser Interessenslage gibt es keinen Übergang zum Krieg.

Wer hat mehr Gemeinsamkeiten, der russische Arbeiter mit dem ukrainischen Arbeiter oder der russische Arbeiter mit dem russischen Präsident und ebenso der ukrainische Arbeiter: hat er mehr Gemeinsamkeiten mit seinem Präsidenten oder mit dem russischen Arbeiter

Arbeiter schiessen nicht auf Arbeiter

In der Arbeiterbewegung vor dem 1. Weltkrieg wurde einmal die Parole verbreitet: Arbeiter schiessen nicht auf Arbeiter.

Die Herrschenden sind sehr daran interessiert ihre Herrschaftsinteressen, die sie kriegerisch verfolgen oder verfolgen wollen, in ein nationalistisches Gemeinschaftsprojekt zu übersetzen. Vor allem erfolgt das praktisch - und zwar durch Zwang.

Die Flankierung mit dem Anrufen eines Nationalgefühls darf nicht fehlen. Eigentlich leicht zu durchschauen. Angeblich haben Arbeiter und die einfache Bevölkerung die gleichen Interessen wie ihre Regierung. Zudem werden sie auf Ihresgleichen, auf Untertanen eines anderen Herrschaftssystems gehetzt. Der Kaiser und die Eliten Deutschlands sind nicht auf den Schlachtfeldern Verduns umgekommen Das waren die kleinen Leute, die sich auch noch wechselseitig über den Haufen geschossen und gepiekst haben.

Wer dem Einberufungsbefehl nicht folgt, wird verhaftet. Es ist kein Staat bekannt, der das Kriegführen von einer Volksabstimmung abhängig gemacht hätte.

Dass nicht direkt in das aktuelle Kriegsgeschehen involvierte Deutschland betreibt schon einmal national orientierte Feindbildpflege. Die scheinbar harmlosesten Beispiele sind manchmal die eingängisten - wie hier: Der Schüleraustauch mit Russland ist eingefroren worden und Sportveranstaltungen auch nicht nur internationale Wettkämpfe, sondern gemeinsame Trainingsveranstaltungen mit blinden Sportlern ebenfalls. Warum eigentlich?

Mit der nicht schwer zu beantwortenden Frage haben wir schon herausbekommen, wie Herrschaft ihren Zweck Krieg dreist gelogen, die Bürger dazu gezwungen als Gemeinschaftsprojekt ausgibt.

Bellizismus in anarchistischen Kreisen

Erstaunlich für mich ist und war es zu erfahren, wie unerbittlich beachtliche Anteile der anarchistischen Bewegung und z.T. auch der Antifa für einen Krieg bis zum Endkampf gegen Putin eintreten. Ich beziehe mich dabei auf Erfahrungen, die ich leider auf dem Weltkongress der Anarchisten im Juli 2023 in St. Imier/CH machen musste.(3)

Dabei ist die Überzeugung so gross, dass gar nicht mehr argumentiert wird, sondern nur noch denunziert wird: Jeder, der in irgendeiner Form gegen die grosse Schlacht argumentiert, gehört zur AFD, sei Verschwörungstheoretiker, Schwurbler und so weiter. Das Ganze wird mit hohem moralischen Druck präsentiert, so dass eine Diskussion nicht mehr stattfinden kann. Vielmehr steht eine einzige Beschimpfungskanonade jedweder anderen Position im Mittelpunkt. Was geht in einen solchen Standpunkt unreflektiert eigentlich ein?
  • Putin sei der Bösewicht im Staatenwesen schlechthin und würde nicht gestoppt die ganze Welt überrollen.
  • Die Nato taucht nun auf als Rettungsverein für unterdrückte Völker Der Krieg muss einfach geführt werden, am besten gleich, sonst muckt Putin noch mehr auf. Das An-die- Wand-malen eines atomaren 3. Weltkrieges als Folge eines zu offensiven Auftretens sei ein Abwiegelargument, nur um Putin rauszuretten, um sich selbst wiederum vor der grossen unvermeidbaren Schlacht zu drücken.
  • Bezeichnend für die unerbittliche Härte ist auch, dass eine Verhandlungslösung, wie sie ja beispielsweise von China, Brasilien und Südafrika ins Spiel gebracht wird, völlig am zu erreichenden Ziel - nämlich der Vernichtung Putins vorbeigehe.
Welche zentralen theoretischen Vorstellungen sind einem solch extrem harten bellizistischen Weltbild vorausgesetzt.
  • Putin ist ein durchgeknallter Dämon, der die ganze Welt unter seine Herrschaft bringen will uns schliesslich auch die Menschheit unterdrücken will.
  • Die Nato das Kriegsbündnis schlechthin, dass eine Unzahl schrecklicher Kriege nach dem 2. Weltkrieg geführt hat, ist nun zum Retter avanciert.
  • Alles schreckliche, alle historischen Hinweise auf das Umpflügen der Welt durch die Nato werden
  • Und jenseits von Krieg, die Ausbeutung der Menschen durch das westlich-kapitalistische Modell auf dem Globus betreffend: In welchem Land beschert diesem System nicht Armut, Elend und Verzweiflung?

Hurra Patriotismus vor dem 1. Weltkrieg - ein heimliches, unreflektiertes Vorbild?

Vor dem 1. Weltkrieg hat es bekanntlich eine Art Aufbruchsstimmung insbesondere bei der Jugend gegeben, die sich einem Krieg regelrecht herbeigesehnt hat. Auch der noch junge Thomas Mann: Schriftsteller Thomas Mann : "Krieg! Es war Reinigung, Befreiung, was wir empfanden"(4)

Und so scheint es mir hier auch. Allerdings trat bei grossen Teilen der kriegsbegeisterten Jugendlichen auf dem Schlachtfeld bald Ernüchterung ein. Die hatten sich Krieg eher als so eine Art Erneuerungs- und Aufbruchsfestival vorgestellt. Hier war man kaum angekommen schon tot oder schwerverwundet. Nicht wenige sind daran übergeschnappt. Nicht umsonst hat Wilhelm der II. Auch prognostiziert und gefordert: "Blut muss fliessen, viel Blut."(5) Sein Blut hat der damit nicht gemeint.(6)

Die ganze grosse Schlacht, möglicherweise sogar ein atomar geführter 3. Weltkrieg wird hier begeistert begrüsst und gefordert.

Wer sich dem theoretisch bereits entzieht, gehört entlarvt, ist Feind , der sich bei uns eingenistet hat. Auch wenn das jetzt noch klein und machtlos daherkommt, sind das Bürgerkriegsphantasien, vor denen ich hier ausdrücklich warnen möchte.

Einerseits scheinen wir hier auf der Ebene und dem Niveau von Pfadfinderfantasien angelangt zu sein. Krieg wird nicht als Krieg mit all seinem Elend begriffen, sondern ein merkwürdig ideell besetztes Beglückungsprogramm.

Andererseits tritt hier in schlechter deutscher Verantwortungstradition das Aufräumen auf dem Globus als deutsche Pflichtaufgabe. Hitler hat das als 2. Weltkrieg durchgeführt, die Grünen haben die nie wieder Krieg Bewegung in doch wieder Krieg, aber diesmal aus Verantwortung überführt. Diese unerschütterlichen deutschen Verantwortungstradition wird nun offenbar von Randgruppen propagiert und der aggressive Regierungskurs flankiert, eher noch überboten. Das Unwidersprechliche generiert sich aus dem Einmarsch russischer Truppen. Eine Frage nach dem "Warum" ,keineswegs im verteidigenden Sinne, sondern im erklärenden. Das ist eine apodiktische Setzung, die sich keineswegs aus der Sache ergibt.

Irgendwie hat es Putin geschafft, den Rang eines einzigartigen, absoluten, unvergleichbaren, nie mehr einzuholenden Bösewichts der Weltgeschichte einzunehmen.

Unumstösslich steht ja fest: Diese Entschlossenheit rührte wesentlich von der Überzeugung her, dass Deutschland deshalb in den Krieg ziehe, weil es von aggressiven äusseren Feinden dazu genötigt werde. Diese Ansicht war über alle Klassen hinweg verbreitet - ein unglaublicher Täuschungs- und Propaganda-Erfolg der Führungsspitze in Berlin, die doch hinter den Kulissen alles tat, um den Krieg heraufzubeschwören. (7)

Fenster Internationalismus

"Für einen jungen Menschen heute ist es nahezu unmöglich, sich vorzustellen, dass einst Dutzende Millionen von Menschen die Hoffnung hegten, sich gemeinsam von der Unterdrückung zu befreien. Der Internationalismus war die Säule, auf der diese Hoffnung ruhte und die von den Kanonen zerschossen wurde." (11)

Hoffnung ist etwas Zukunft gewandtes und zugleich auf Erfüllung und Glück orientiert, dass es anders und besser werde. Hoffnung will aus sich heraus nicht scheitern, nicht im Elend, Chaos und Krieg versinken.

Mehr als Hoffnung bleibt wohl im Moment nicht. Aber Hoffnung, dass der nationale Bellizismus dem Internationalismus weicht.

Auf einer Internetseite, in der für Kinder versucht wird zu erklären, was Krieg ist, heisst es: "Kommt es zum Krieg, gibt es immer viele Verletzte und Tote. Die Menschen leiden unter den Folgen eines Krieges, oft auch dann noch, wenn der Krieg schon lange vorbei ist." (10)

Merkwürdig und bedrückend zugleich, dass dieser unbestreitbare Sachverhalt kaum und zu wenig Anlass gibt, sich das Krieg führen seiner Herrschaft nicht gefallen zu lassen und sich nicht verheizen zu lassen. Nicht zu vergessen auch, nicht auf Brüder und Schwestern in dem angeblichen Feindesland zu schiessen, die ja selbst ihrerseits Untertanen eines nicht bekömmlichen Herrschaftssystems sind.

Dieser Internationalismus war die grosse Hoffnung der Arbeiterbewegung vor dem 1. Weltkrieg und wurde bekanntlich von der SPD zu Grabe getragen.

Aber nur ein winziger Teil der Arbeiter trat dem patriotischen Taumel offen entgegen - wie einige junge Brandenburger mit ihren satirischen Flugblatt-Versen zeigten:

"Ihr ungezählten Millionen / Aus Schacht und Feld, aus Stadt und Land, / Ihr seid nun Futter für Kanonen, / Die schuf des Proletariers Hand! / Jetzt schiesst man auf den Bruder gern, / Weil es der Wunsch der hohen Herrn! / Vernichtung vieler Menschenleben, / Das ist das Ziel, das wir erstreben./ Das nennt man jetzt den heil'gen Krieg, / Mit uns das Volk, mit uns der Sieg!"(8)

Daran wäre anzuknüpfen.

Friedensaktivist Oleg Bodrov (Russland) und Yurii Sheiliazhenko (Ukraine)

Zum Schluss möchte ich noch Yurli Sheliazenko von der ukrainischen pazifistischen Friedensbewegung zu Wort kommen lassen und folgend Oleg Bodrov von der russisch pazifistischen Friedensbewegung:

"Das Ziel Sieg durch Vernichtung eines Feindes ist eine gefährliche Täuschung, die immer zur Selbstzerstörung führt" (Shelazhenko)

"Die Zivilgesellschaften der in den Krieg verwickelten Länder müssen sich gegen den Krieg und die Politiker wenden, die ihn unterstützen" (Bodrov)

Yurii Sheliazhenko: Unsere Aufgabe ist es, für die Beendigung des Blutvergiessens einzutreten und für faire und umfassende Friedensprozesse, die auf Versöhnung abzielen. Das Ziel Sieg durch Vernichtung eines Feindes ist eine gefährliche Täuschung, die immer zur Selbstzerstörung führt. Wenn es von Regierungen mit Nukleararsenal verfolgt wird, droht die Vernichtung der Menschheit. Frieden schaffen heisst, über die Gefahren von Militarismus und Krieg aufzuklären, praktisches Wissen über gewaltfreie Lebensweise und friedliche Konfliktlösung zu lernen, sichere Räume für den Dialog zu öffnen und Opfern von Militarismus und Krieg zu helfen.eAus der Invasion ist ein blutiger Stellungs-krieg entstanden, Hunderttausende Soldat*innen und Zivilist*innen wurden schwer verletzt oder getötet.

Yurii Sheliazhenko: Wir brauchen einen Waffenstillstand und Friedensgespräche. Dazu kann es nach einem Wiedererwachen von Gewissen und gesundem Menschenverstand oder nach Erschöpfung der Kriegführenden kommen. Allerdings heizt auf beiden Seiten die Unterstützung durch Grossmächte und durch geoökonomische Lager die Kriegslust an. Durch unbegrenzte Waffenlieferungen und reichliche Ressourcen an Kanonenfutter droht der Krieg zur europäischen Version des israelisch-palästinensischen Konflikts zu werden. Eine schnelle Erschöpfung der Kriegführenden ist nicht zu erwarten. Ein Er-wachen des Gewissens und des gesunden Menschenverstands ist unsere einzige Option. Wir brauchen grosse strukturelle Veränderungen, um den giftigen Militarismus aus Wirtschaft und Politik zu verbannen

Oleg Bodrov: Die Zivilgesellschaften der in den Krieg verwickelten Länder müssen sich gegen den Krieg und gegen die Politiker wenden, die ihn unterstützen. Sie müssen Nein zum Krieg sagen. Anfang Juni wird Wien Gastgeber eines Friedensgipfels sein, des „International People’s Summit for Peace in Ukraine“. Es wird nicht nur Diskussionen geben, sondern auch direkte Aktionen von Vertretern der Zivilgesellschaft aus der Ukraine, aus Russland, aus NATO-Staaten und aus Afrika. Wenn sich die Politiker nicht einigen können, müssen dies die Bürger des Planeten Erde tun.Russlands Einmarsch hat das Völkerrecht gebrochen. Dennoch treten Sie für einen Waffenstillstand ein?

Oleg Bodrov: Der Krieg in der Ukraine ist für mich, als würde meine rechte Hand die Linke angreifen, um sie zu brechen. Meine Frau ist halb Ukrainerin. In der Ukraine leben meine Ökologen-Freunde. Wir haben gemeinsam die erneuerbaren Energien vorangebracht und uns gegen die gefährliche Atomkraft gewandt. Kommilitonen und Freunde aus der Ukraine haben mit mir zusammen im Kaukasus hohe Gipfel erklettert. Wir vertrauten uns gegenseitig unsere Leben an, denn uns hielt das gleiche Kletter-seil. Auch wir in Europa sind durch das gleiche Sicherungsseil verbunden. Wir werden sterben, wenn es reisst.

Oleg Bodrov (71) ist Physiker, Ökologe und Mitglied des Internationalen Friedensbüros. Als Vorsitzender des Öffentlichen Rates des Südufers des Finnischen Meerbusens in St. Petersburg setzt er sich für Umweltschutz und Förderung des Friedens ein.

Yurii Sheliazhenko (42) ist Exekutivsekretär der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung und Vorstands-mitglied des Europäischen Büros für Kriegsdienstverweigerung. Als Universitätsdozent lehrt er in Kiew (9)

Klaus Hecker

Quellen:

1. https://taz.de/Essay-Proletarischer-Internationalismus/!5033344/

2. https://www.sueddeutsche.de/politik/geschichte-diese-folgen-hatte-der-erste-weltkrieg-1.4198466

3.https://www.nzz.ch/schweiz/anarchy-2023-das-uhrmacherdorf-saint-imier-wird-zur-anarchisten-hochburg-ld.1748205

4. https://ww1.habsburger.net/de/kapitel/krieg-es-war-reinigung-befreiung-was-wir-empfanden-und-eine-ungeheure-hoffnung

5. https://www.sueddeutsche.de/politik/die-bizarrsten-zitate-von-kaiser-wilhelm-ii-blut-muss-fliessen-viel-blut-1.470594

6. https://www.sueddeutsche.de/politik/geschichte-diese-folgen-hatte-der-erste-weltkrieg-1.4198466

7. https://taz.de/Essay-Proletarischer-Internationalismus/!5033344/

8. https://www.spiegel.de/geschichte/spd-im-ersten-weltkrieg-wie-es-zur-kriegskredite-zustimmung-kam-a-976886.html

9. Für Waffenstillstand und Friedensgespräche, in: Naturfreundin, 02/2023,

10. https://www.hanisauland.de/wissen/lexikon/grosses-lexikon/k/krieg.html

11. https://taz.de/Essay-Proletarischer-Internationalismus/!5033344/

 

„Nordstream 1-Sprengung: Es war eine Mini-Nuke!“

Juli 2, 2023
"...die Sprengung erfolgte unter Einsatz einer thermonuklearen (Fusion) Mini-Bombe mit größtmöglichem Schockwellenstoß auf das russische Kaliningrad.
Ebenso wie der Investigativjournalist und Pulizer-Preisträger Seymour Hersch vermutet Dr. Braun hinter dem Anschlag die USA. Bei den Behörden, Politikern, Journalisten und Wissenschaftlern, die er seit Dezember 2022 von dem Ergebnis seiner Analysen in Kenntnis gesetzt hat, herrscht vor allem eines: Schweigen im Walde..."
"Die USA, merkt Dr. Braun an, sei übrigens das einzige Land der Welt, dass sich der internationalen Ächtung eines atomaren Erstschlags nicht angeschlossen habe."
youtube.com
Nord Stream Pipelines mit thermonuklearer Bombe gesprengt? Dr. Hans Benjamin Braun
Wurde die Nord Stream Pipeline mit einer Mini-Wasserstoffbombe gesprengt? Eine Bombe mit etwa einem 15tel der Sprengkraft der Hiroshima Bombe? Einer Bombe, d...
 

 

Die Vierte Gewalt betreut die Heimatfront Staatswohl vor Aufklärung Gesellschaft Seit Beginn des russischen Kriegs in der Ukraine arbeiten die deutschen Mainstream-Medien unermüdlich daran, die nötige moralische Unterstützung für die Regierungs-Linie zu erzeugen – mit Erfolg.

Ohne es bislang mit grossen und praktisch störenden Protesten zu tun zu bekommen, liefert Deutschland immer mehr und immer schwerere Waffen direkt in ein Kriegsgebiet und rüstet seine Bundeswehr mit viel Geld zur drittstärksten Armee der Welt auf.

Kritische Nachfragen gelten allenfalls dem Zaudern des Kanzlers bei den „notwendigen“ Waffenlieferungen in die Ukraine und der Frage, ob die Hundert Milliarden für die „Zeitenwende“ nicht viel zu knapp gerechnet sind. Pazifismus und die früher üblichen Bedenken gegen Aufrüstung und eine offen militante Aussenpolitik sind in der deutschen Öffentlichkeit mittlerweile völlig out.

Auch die durchaus harten finanziellen Folgen, die massiv steigende Preise als Folge der deutschen Sanktions- und Verschuldungspolitik für abhängig Beschäftigte hierzulande bedeuten, werden von der Bevölkerung geschluckt. Die Gewerkschaften handeln zurzeit eine Reallohnsenkung nach der anderen aus.

Die Medien haben massgeblich zu dieser Haltung der deutschen Bevölkerung beigetragen. Werfen wir einen prüfenden Blick auf ihre Leistungen im letzten Jahr.

Verwandlung von Gründen in Schuldfragen

Der vielleicht wichtigste Schritt in der Herstellung eines nationalen Konsens war die Durchsetzung des Narrativs von der Alleinschuld Russlands. Nun ist das nicht ganz so einfach in einem Konflikt zwischen zwei oder sogar mehreren beteiligter Parteien; wenn Kinder im Sandkasten streiten, ist sofort jedem klar: „Zum Streiten gehören immer zwei!“

Die Medienprofis der deutschen Öffentlichkeit konnten sich für ihre Deutung allerdings erstens auf die anti-kommunistischen beziehungsweise heute anti-russischen Reflexe (J. Schillo Telepolis, 24.2.2023) zumindest der westdeutschen Bevölkerung verlassen, die sie nur wach kitzeln mussten. Zweitens verwandelten sie die Frage nach den Gründen für den Krieg in der Ukraine (R. Dillmann Overton, 24.3.2023) in die nach den Schuldigen – auch das ist den meisten Zeitgenossen (leider) eine alltägliche Gewohnheit.

Und darauf hatten sie dann auch eine klare Antwort parat: Es wurde derjenige für „verantwortlich“ erklärt, der den ersten Schuss in diesem Krieg abgegeben hatte. Und er sollte nun auch für alles verantwortlich sein – auch für das, was die westlichen Staaten ihm entgegensetzten. Um es konkret zu machen: Die heftig gestiegenen Energiepreise und die zweistellige Inflation sind dieser Logik nach nicht Resultat der Sanktionen, die die deutsche Regierung gegen Russland in Gang gesetzt hat und auch nicht einer Staatsverschuldung, mit der der laufende Krieg und die Aufrüstung der Bundeswehr zur drittgrössten Armee der Welt ohne grosses Federlesen finanziert werden. Verantwortlich dafür ist alleine „Putin“.

Moralisierende Sprachregelungen

Unsere Journalist*innen weisen gerne darauf hin, wie schwer es die russischen Kolleg*innen haben, denen die Verwendung bestimmter Worte vorgeschrieben wird, zum Beispiel ist die Bezeichnung „Krieg“ in Russland verboten und zieht strafrechtliche Konsequenzen nach sich. Umso bemerkenswerter ist angesichts dessen die freiwillige Uniformität der hiesigen Mainstream-Medien: Der russische Präsident Putin gilt als Aggressor. Er habe aus heiterem Himmel und ohne ersichtliche Gründe (mehr dazu später) einen „brutalen völkerrechtswidrigen Krieg“ begonnen – wobei der Vorwurf vom „brutalen völkerrechtswidrigen Krieg“ über Monate hinweg täglich wiederholt wurde, damit er sich auch wirklich in allen Köpfen festsetzte.

Eine Erläuterung dessen, was ein völkerrechtswidriger Krieg ist, hielten die deutschen Medien mithin für überflüssig. Dass es sich dabei um Kriege ohne UN-Mandat handelt (nur nebenbei gesagt: an Kriegen mit Mandat ist demnach gar nichts auszusetzen!) und dass dementsprechend die westlichen Kriege der letzten dreissig Jahre in Jugoslawien, Afghanistan und dem Irak allesamt völkerrechtswidrig waren, fiel vornehm unter den Tisch. Gleiches gilt für die Tatsache, dass „Brutalität“ ein allgemeines Kennzeichen des Kriegführens ist und die westlichen Kriege natürlich nicht minder „brutal“ waren (für den Afghanistan- und den Irak-Krieg nennt das Bundeswehr-Journal bereits 2015 1,3 Millionen Tote).

In Moskau sitzt in der Darstellung fast aller deutschen Nachrichten übrigens gar keine Regierung, sondern ein „Regime“; Vladimir Putin firmiert nicht als Präsident, sondern als „Machthaber“, im Bildzeitungs-Jargon: als „Kreml-Tyrann“, obwohl er gewählt wurde – auch wenn hiesige Journalisten an dieser Wahl eine Menge auszusetzen haben mögen. Umgekehrt gibt es Staaten, die nicht einmal ansatzweise Wahlen zulassen, ohne als Regime tituliert zu werden, Saudi-Arabien etwa oder Katar. In wiederum anderen Staaten gibt es demokratisch gewählte Regierungen, die der Westen nicht will und gegen die er deshalb einen Putsch fördert und diplomatisch anerkennt (Beispiele aus jüngerer Zeit: Ägypten 2013, die Ukraine 2014 und – nicht erfolgreich – in Venezuela 2018).

Der Begriff Regime soll ausdrücken, dass die so bezeichneten Regierungen aus Sicht der jeweiligen Journalist*innen oder Publikationen nicht zur Herrschaft legitimiert sind. Eine Begründung für diese Einschätzung wird dabei nicht immer mitgeteilt. Zumindest mitgedacht ist allerdings die Aussage, dass die Regierenden in „Regimes“ nicht von ihrer Bevölkerung gewollt sind, dass diese daher vermutlich mit Unterdrückung, Repression, diktatorischen oder autoritären Massnahmen herrschen. Sie seien also, trotz eventuell formell demokratischer Wahlen, nach Auffassung der hiesigen Medien letztlich undemokratisch. In diesem Wording steckt eigentlich so etwas wie ein halber Aufruf zur Revolution, zum Umsturz – allerdings nicht, weil man so viel Mitleid mit der dort ausgebeuteten Arbeiterklasse oder den unterdrückten Massen hat, sondern weil diese Staaten der hiesigen Politik irgendwie in die Quere kommen.

Dass der russische Präsident Putin sein Vorgehen als „militärische Spezialoperation“ bezeichnete, wurde von den deutschen Medien sofort als ideologischer und zynischer Versuch der Vertuschung enttarnt. Dies steht im Gegensatz zu den eigenen Sprachregelungen von der „humanitären Intervention“ in Jugoslawien und dem Afghanistan-„Einsatz“, die ohne Zögern von deutschen Journalist*innen mitgetragen wurden (bis 2010 der deutsche Verteidigungsminister Guttenberg begann, von Krieg zu sprechen). Im Fall des russischen Kriegs wusste jede*r Journalist*in sofort, dass eine solche Wortschöpfung eine unfassbare Verharmlosung des Sachverhalts darstellt, ausgegeben, um das Volk zu beruhigen – was in der Tat die verharmlosende Seite am Ausdruck „militärische Spezialoperation“ ist – und um vor der Welt moralisch besser dazustehen.

Dämonisierung des Gegners

Die diplomatische Ansage, die der russische Präsident seinen westlichen Kontrahenten damit gemacht hat – nämlich die, dass Russland nur begrenzte Kriegsziele verfolgt – wollten die Medienprofis hierzulande allerdings nicht herauslesen. Stattdessen lancierten sie die Vorstellung, dass der „Massenmörder Putin“, wie ihn die Bildzeitung im März 2022 bezeichnete, sich gerade anschicke, ganz Europa zu erobern, wenn man ihn nicht stoppen könne. Putin wurde als der „Wahnsinnige im Kreml“ vorgestellt, der demnächst auch „über uns“ (dabei soll man natürlich an harmlose Bürger in ihren Vorgärtchen denken und nicht etwa an Staaten, die sich in ihrer geopolitischen Konkurrenz an den Kragen gehen) herfallen werde und „jegliche menschliche Grenzen“ (Annalena Baerbock, BZ 9.3.2022) überschreite. So wurde Panik vor einem unberechenbaren Feind geschürt. Gleichzeitig sollte sich das Publikum nicht davon beirren lassen, dass Reportagen über den Dilettantismus der russischen Armee, die maroden Sowjet-Panzer Marke Uralt und fehlende Munition liefen. Die standen nämlich dafür, dass der Westen zweifellos siegen würde…

Das Russland-Bild der demokratischen freien Medien in Deutschland ist seit Kriegsbeginn also wieder sehr schlicht – um es vornehm auszudrücken. Wie der Journalist Johannes Schillo schreibt: Der alte Feind ist auch der neue (Telepolis, 29.3.2022 Entsprechend kriegen „die Russen“ die erneuerte Feindschaft zu spüren. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen darf gesagt werden, dass sie im „kulturellen Sinn“ „keine Europäer“ seien, „auch wenn sie europäisch aussehen“ (so die Politologin Florence Gaub bei Markus Lanz im März 2022). Im Spiegel räsonierte Juno Vai (Spiegel, 29.6.2022) über die Gewaltaffinität der Russen, die „in wohliger Trägheit Verantwortung abgeben“ und so „zum Objekt, zur Verschiebemasse, zum Kanonenfutter“ würden – offenbar im Unterschied zu den zwangsrekrutierten ukrainischen Männern.

Das sind rassistische Aussagen, weil sie politisch-gesellschaftliche Tatbestände naturalisieren beziehungsweise kulturalisieren und damit als unveräusserliche Eigenschaften der Menschen ausgeben. „Die Russen“ werden so aus dem Kollektiv der Europäer*innen ausgegrenzt – fast möchte man ihnen wünschen, dass sie gar nicht dazugehören wollten. Zu guter Letzt wird an ihnen noch entdeckt, dass sie besonders zur Unterordnung neigen würden, angeblich im Unterschied zu anderen Völkern. Letzteres „entdeckt“ eine deutsche Journalistin natürlich nur, weil sie es eigentlich gut fände, wenn die russischen Untertanen den Krieg ihres Staats nicht so brav mitmachen würden wie es die ukrainische, amerikanische oder deutsche Bevölkerung tut, sondern stattdessen ihren Chef zum Teufel jagten. Dass es der Russen-Community in Deutschland nicht sonderlich gut geht, seit der öffentliche Diskurs so aussieht, sei nur am Rande erwähnt.

Das von der Bundeszentrale für Politische Bildung herausgegebene Magazin „Fluter“, das sich mit der Ukraine beschäftigt, thematisiert unter der Überschrift „Was ist hier passiert?“ die „Verbrechen, die von den russischen Truppen begangen werden“ (Heft 86, März 23). Nichts findet sich hingegen zu den selbstverständlich gleichzeitig stattfindenden ukrainischen Kriegsverbrechen, nichts über das, was die Asow-Brigade und ähnliche Truppen von 2014 an im Donbass angerichtet haben (dokumentiert etwa in dem Film „Leben und Sterben im Donbass“). Nach den eigenen Kriterien der bpb ist das ein massiver Verstoss gegen das „Überwältigungsverbot“ bzw. das Gebot einer kontroversen Darstellung. Denn was in der Politik kontrovers verhandelt wird, muss in der politischen Bildung auch kontrovers dargestellt werden. So verhetzt man die Jugendlichen gegen Russland und die Russen…

De-Kontextualisierung

Natürlich wusste man in den deutschen Redaktionen trotzdem, dass die Behauptung einer alleinigen Verantwortlichkeit Putins für den Konflikt nicht stimmt. Schliesslich hatte man ja selbst die Nachrichten der letzten Jahre und Jahrzehnte geliefert. Aber jetzt, in der Berichterstattung über den laufenden Krieg, war man nicht bereit, den Zusammenhang herzustellen zwischen all den Fakten, die in den eigenen Archiven schlummern: Das Versprechen an Gorbatschow zu Beginn der 90er Jahre, die Nato „not an inch“ nach Osten auszudehnen und die folgende Nato-Osterweiterung um 14 Länder und 1000 km; der von den USA finanzierte Euro-Maidan-Protest zum Putsch gegen die gewählte ukrainische Regierung (2013) und den Reaktionen darauf mit Gründung der Volksrepubliken und dem Referendum auf der Krim, weil Russland um die Sicherheit seiner Schwarzmeer-Flotte fürchtete (2014); der Kampf der Ukraine gegen die separatistischen Republiken mit 14.000 Toten; die stetige Aufrüstung des Landes durch die westlichen Staaten – welche Angela Merkel als den eigentlichen Zweck von „Minsk II“ eingestanden hat; die Ankündigung Selenskyjs, dass sein Land in die Nato eintreten und eventuell wieder über Atomraketen verfügen wolle; die Zurückweisung aller russischen Beschwerden und Sicherheitsbedenken durch die Mitglieder der Nato usw. usf.

Gleichgültig, wie man die einzelnen Punkte bewertet, wird jedenfalls klar, dass einige essentielle Dinge zwischen Russland und der Nato umstritten sind, und das seit Jahrzehnten. Eine solche Zusammenfassung des Stands der Auseinandersetzung hatte in der medialen Darstellung des Ukraine-Kriegs aber vom ersten Tag an keinen Platz. Und zwar nicht, weil in der Aufregung keine Zeit mehr war, nun auch noch eine komplizierte Vorgeschichte miteinzubeziehen. Wäre das so gewesen, hätte man ja geradezu dankbar sein müssen, für diejenigen (wenigen) Stimmen, die diese Vorgeschichte ergänzen wollten. Tatsächlich war das Gegenteil der Fall: Alle, die es gewagt haben, in dieser Zeit an die oben genannten Fakten auch nur zu erinnern, sahen sich harten Angriffen ausgesetzt, von denen „Putin-Versteher“ noch eine der harmlosen Varianten war.

Der Hinweis auf die existierenden Konflikte und die Vorgeschichte inklusive der russischen Beschwerden gegenüber der Nato wurde als Relativierung der feststehenden und ständig laut verkündeten Alleinschuld Putins aufgefasst. So etwas durfte im Land der Meinungs- und Pressefreiheit nicht sein, wer gegen das »Nato-Narrativ« verstiess, bekam das zu spüren: Diejenigen, die diese Linie nicht widerspruchslos mitmachen, wurden nach allen Regeln der demokratischen Kunst öffentlich bedrängt, vom Verfassungsschutz und den neu geschaffenen Stellen für „Desinformation“ beobachtet, finanziell und in ihren Wirkmöglichkeiten geschädigt – und zwar ganz ohne gerichtliche Entscheidungen und ohne nennenswerte Protesten in der „lebendigen Zivilgesellschaft“.

Was berichtet wird, was nicht

Hinzu trat eine ausgesprochen selektive Berichterstattung. Für deutsche Redaktionen sind nämlich keineswegs alle brutalen Kriege auf dem Erdball gleich wichtig. Auch wenn gerne mit einem humanistischen Entsetzen über die „zivilen Opfer“ gesprochen wird – ein Entsetzen, das sich allerdings niemals auf junge Männer in Uniform bezieht – ist festzuhalten: Es gibt global noch weitere Kriege von grosser Brutalität und mit horrenden Opfern unter der Zivilbevölkerung, die auf ein relativ geringes Medien-Interesse stossen, darunter etwa der seit 2015 laufende Jemen-Krieg, bei dem bislang nach offiziellen Zahlen 500.000 Menschen getötet wurden und den das UN-Flüchtlingshilfswerk als „die grösste humanitäre Katastrophe weltweit“ bezeichnet. Im Unterschied zum Ukraine-Krieg scheint sich über diese Opfer in Deutschland weniger „Fassungslosigkeit“ einzustellen – vielleicht, weil dieser Krieg von Saudi-Arabien mit deutschen Waffen geführt wird und sich gegen iranischen Einfluss in der Region richtet?

Und auch Kriegsverbrechen gibt es natürlich vor allem da, wo man sie sehen will. Im Ukraine-Krieg finden sie deshalb auf russischer Seite stat. Im Fall von „Butscha“ wurde ein solches Verbrechen zufällig genau zu dem Zeitpunkt festgestellt, als sich die ukrainische Seite bereit zeigte für Friedensverhandlungen mit Russland, was zu diesem Zeitpunkt im Westen, insbesondere in Grossbritannien, nicht erwünscht war. Während russische Medien (so sie noch zu uns durchdringen; die deutsche Ausgabe von Russia Today etwa wurde de facto verboten) ebenso wie Human Rights Watch oder Amnesty International Meldungen über die ukrainische Kriegsführung bringen, die ebenfalls auf Kriegsverbrechen hinweisen, hat die deutsche Presse in dieser Frage nichts zu melden.

Dabei gehören Brutalität und Grausamkeiten zum Kriegführen naturgemäss auf allen Seiten notwendig dazu und die ukrainischen Nazi-Bataillone haben ihre Absicht, das „russische Böse“ in ihrem Land auszulöschen, längst offen ausgesprochen. Aber Nazis in der Ukraine (jedenfalls in nennenswerter Zahl oder mit Einfluss in Regierung oder Armee) wollten die deutschen Medien sowieso nicht mehr bemerken, seit der Krieg läuft.

Im Unterschied zur innenpolitischen Situation im „autoritären Russland“ interessierte die Lage in Hinblick auf die Nazis in der Ukraine die Medien ebensowenig wie der repressive Umgang mit der Opposition. Weder wurde – im Unterschied zum Fall Assad in Syrien – gegen die Volksrepubliken der Vorwurf erhoben, dass ein Präsident „das eigene Volk bombardiert“ (so geschehen in Donezk und Lugansk). Noch informierten deutsche Nachrichten darüber, dass die Bezeichnung der militärischen Aktionen Kiews gegenüber den Volksrepubliken als „innerukrainischer Konflikt“ oder „Bürgerkrieg“ zum Straftatbestand erhoben wurde und die Ukraine unliebsame Oppositionelle per Interpol in ganz Europa verfolgen lässt, etwa den Videoblogger Anatolij Scharij in Spanien (R. Lauterbach Junge Welt, 21.5.2022).

Präsident Selenskyj, der „Diener des Volks“, dessen Wahl der Oligarch Kolomoiskyj organisiert hat – was der Süddeutschen Zeitung 2019 noch ein paar kritische Bemerkungen wert war – gilt den deutschen Medien seit Kriegsbeginn als strahlender Held im Military Look und selbstverständlich lupenreiner Demokrat. Berichte darüber, dass Selenskyj Mitte Mai 2022 elf Oppositionsparteien und ihre Zeitungen verboten hat (die Kommunistische Partei der Ukraine hatte dieses Schicksal bereits 2015 ereilt) und die Bevölkerung per Einheitssender gegen alles Russische aufhetzen lässt, suchte man in den Mainstream-Medien vergebens. Ebenso fehlen Informationen darüber, dass auch nur die theoretische Erörterung eines Waffenstillstands als „Infragestellung der territorialen Integrität der Ukraine“ gilt, auf die nach dem bei Kriegsbeginn neugefassten Artikel 110 des Strafgesetzbuchs drei Jahre Haft und Konfiskation des Vermögens als Mindeststrafe stehen – insofern kein Wunder, dass keine politische Partei oder Gruppierung offen für einen Waffenstillstand eintritt. (R. Lauterbach Junge Welt 15.5.2023).

Bemerkenswert ist auch, dass Vorfälle wie die Sprengung der Nordstream-Pipelines, die ansonsten als staatsterroristische Akte grosse Aufmerksamkeit auf sich ziehen würden, ziemlich unter den Teppich gekehrt wurden. Nach einigen Tagen mit abstrusen Meldungen wie der, dass Russland seine eigenen Pipelines in die Luft gesprengt habe, gaben sich die deutschen Journalist*innen weitgehend damit zufrieden, dass die Ermittlungen laufen und das „Staatswohl eine weitere Auskunft unmöglich macht“ (Staatssekretärin Baumann und Staatssekretär Graichen auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei, Oktober 2022). Der Hinweis auf einen (staats-)terroristischen Akt rechtfertigt normalerweise öffentliche Empörung und praktische Vergeltungsmassnahmen. Das ist in diesem Fall, wo höchstwahrscheinlich deutsche Verbündete am Werk waren, offenbar nicht so. Und dass Staatswohl vor Aufklärung geht, wurde von der freien Presse in Deutschland ohne weitere Beschwerden akzeptiert.

Währenddessen lieferte der us-amerikanische Investigativjournalist und Gewinner des Pulitzer Preises Seymour Hersh fundierte Informationen darüber, dass der US-Geheimdienst CIA die Sprengung gemeinsam mit norwegischen Einsatzkräften vorbereitet und die US-Regierung dann die Ausführung angeordnet habe. Ob dies nun wahr ist oder nicht: Bemerkenswert ist auf alle Fälle, dass weder die öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen noch die Bildzeitung es für nötig gehalten haben, ihr deutsches Publikum über die Enthüllungen auch nur zu informieren. Die Tagesschau und das Heute Journal brachten die Nachricht lediglich in ihren Online-Auftritten – und das gleich unter den Überschriften „Faktencheck“ beziehungsweise „Verschwörungstheorie sollte vermieden werden“. (Der „Faktencheck“ des ARD-Journalisten bestand übrigens darin, die Dementi von CIA und US-Regierung zu zitieren. Wenn die Angeklagten die Sache abstreiten, gilt das also im ARD-Faktencheck als »Fakt«– jedenfalls, wenn es um die USA geht.)

Die Standpunkte auswärtiger Regierungen und Konfliktparteien zu dokumentieren, etwa Putins Reden zum Ukraine-Krieg, aber auch die der indischen oder der südafrikanischen Regierung zu ihrer Ablehnung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland – hält die deutsche Presse weitgehend für überflüssig. Dabei wäre die Zeichnung eines vollständigen Bildes von einer um Aufklärung und sachliche Beurteilung bemühten Presse unbedingt zu erwarten – zumal angesichts der Bedeutung dieses spezifischen Kriegs. Aber offenbar ist eine Berichterstattung, welche auch die gegnerische Partei mit ihren Überlegungen und Beschwerden zu Wort kommen lässt und den Leser*innen und Zuschauer*innen damit eine umfassende, kontroverse und globale Urteilsbildung erlaubt, nicht gewollt.

Emotionalisierung

Dafür hat die Kriegsberichterstattung mit dem Ukraine-Krieg im deutschen Journalismus ein Mass an Emotionalisierung hervorgebracht, das den Opfern westlicher Kriege in den letzten dreissig Jahren nicht zuteil wurde. Seit dem ersten Tag bemühen sich die Medien Abend für Abend, dem Publikum die Brutalität dieses Krieges anhand drastischer Bilder und menschlicher Schicksale eindringlich nahezubringen: Bombardierte Häuser in ukrainischen Städten, Menschen, die in U-Bahn-Schächten Schutz suchen, Interviews mit Ukrainer*innen, die russische Angriffe verfluchen und nach westlichen Waffen verlangen. „Angesichts dieser Bilder“ – so soll man sich denken und so wird es ab und an auch explizit ausgesprochen – ist jedes weitere Räsonieren über die Ursachen des Krieges und die Interessen der Konfliktparteien überflüssig. Hier geht es nur noch um eines: Hilfe für diese armen Menschen – und die besteht fraglos in immer mehr Waffen. Genau das sagen die betroffenen Ukrainer*innen, ob Soldaten oder Zivilist*innen, ja selbst in die Kameras.

Dass nur hundert Kilometer südöstlich ebenso Häuser bombardiert, Menschen getötet und ins Elend gestürzt werden, dieses Mal eben von der ukrainischen Armee, zählt nicht für eine Berichterstattung, die sich selbst als ausgewogen bezeichnet. Ebensowenig kommt vor, dass mit Sicherheit auch eine Menge Menschen in der Ukraine die Lage anders sehen.

»Unsere« Frontreporter konnten in diesem Krieg übrigens zum ersten Mal seit Weltkrieg Nr. 2 ihren Gefühlen freien Lauf lassen, ohne auf irgendeine friedensbewegte Political Correctness Rücksicht zu nehmen: Die militärischen Leistungen der ukrainische Soldaten wurden überschwänglich gelobt und die »unseres« 1A-deutschen Kriegsmaterials mit viel Stolz als buchstäblich umwerfend präsentiert.

Fazit

Als Fazit lässt sich feststellen: Würde man die Leistung der deutschen Medien im Ukraine-Krieg an Zielen wie Informationsweitergabe und nüchterne Aufklärung messen, wäre die Bilanz düster. Das erlaubt einen Rückschluss: Journalist*innen in Deutschland sehen ihre Aufgabe mehrheitlich offensichtlich darin, eine Parteinahme für die Nato-Linie und die unbedingte Verurteilung Russlands zu erzeugen. Das wiederum sollte man als Lehrstück über die Funktion der Medien in der Demokratie auffassen. Mit ihrer parteilichen und moralisierenden Berichterstattung tun Journalist*innen alles dafür, eine loyale Heimatfront herzustellen.

Faktizität, Rationalität, Kontroversität und Logik werden von den Medienschaffenden in Kriegszeiten geopfert für die „gute Sache“. Mögen sie in Friedenszeiten die Regierung kritisch am Massstab von Erfolg und Anstand bei der Ausübung ihrer Ämter beobachten, sind sie im Krieg ganz um die ideologische Unterstützung „ihrer“ Nation bemüht. Und genau darin sind sie die „Vierte Gewalt“. Die Frage im Anschluss müsste nun übrigens heissen: Warum wird ihnen das eigentlich alles geglaubt…?

 

 

https://www.untergrund-blättle.ch/gesellschaft/medien/staatswohl-vor-aufklaerung-7714.html

Von (Arne Grahm).

schnelle (so dahinhingerotzte) presseschau
"Warum die Ukraine niemals Mitglied der Nato werden darf (und wohl auch nicht wird): Die Ukraine wird auf absehbare Zeit nicht Teil des Nordatlantikpaktes werden. Und auch nach der absehbaren Zeit wohl nicht. Und das ist gut so. Denn die diffusen Forderungen nach einem Nato- und übrigens auch EU-Beitritt der Ukraine sind unreflektiert und basieren weitgehend auf Befindlichkeiten. Es ist eine politisch getriebene Debatte, in der die Ukraine im Vordergrund und Washington im Hintergrund den Ton angeben. Das ist in Vilnius wieder deutlich geworden. Gleichzeitig verstrickt sich die Nato unter Führung der USA immer tiefer in den Konflikt. Sie eskaliert, statt einen Beitrag zur Beendigung des Krieges zu leisten, der über eine sture "Wir werden die Russen schon besiegen"-Attitüde hinausgeht. Denn, um ehrlich zu sein, Militärexperten in Brüssel sehen wenig Grund für diese Hoffnung." (1)
- nun ja, man muss nur die 'richtigen militarerexperten' befragen und dann gibt es auch seit 15 monaten regelmaessig wiederkehrende tolle ankündigungen, die viel besser klingen:
"Ex-Militär rechnet mit baldigem Putsch gegen Putin" (2)
- diese kreml- und militaerexperten sind schon ein lustiges voeklkchen! deren inflationäre vorhersagen der totalen niederlage russlands, übertreffen inzwischen laengst die fehlerquote der 'Zeugen Jehovahs' zum weltuntergang...

kleiner kriegerischer exkurs zu einer anderen front:
"Wiesbaden erlaubt „Oben ohne“ im Schwimmbad für alle: Jetzt ist es amtlich: Von Freitag an dürfen auch Frauen in den städtischen Badeanstalten von Wiesbaden ohne Oberteil schwimmen. (...) „Ich freue mich, dass die Stadtverordnetenversammlung der Empfehlung der Betriebskommission von Mattiaqua gefolgt ist. Die aktualisierten Vorgaben stellen die Gleichberechtigung aller Menschen sicher. Jede Person kann ab sofort selbst entscheiden, ob sie städtische Schwimmbäder mit freiem oder bedeckten Oberkörper nutzen möchte“, sagte Bürgermeisterin und Gleichstellungsdezernentin Christiane Hinninger (Die Grünen)" (3)
- nur um hier nicht missverstanden zu werden: ich finde das toll und richtig, aber gibt es bezueglich dieser realtiv neuen und erstmals in berlin erlassenen regelung, schon erfahrungen aus dem columbiabad? frage fuer eine freundin...

nun zur heimischen wohnzimmerfront:
"Im Krieg sterben keine Männer - es fallen bloß Soldaten
Entmenschlichung Weit über 100.000 Soldaten sind im Ukrainekrieg bisher gefallen - die Trauer darüber aber findet keinen Platz. Was machen diese Zahlen mit uns? Gehen sie in die Magenkuhle, spüren wir Tränen aufsteigen? Sehen wir die zerrüttete Familie vor uns, die ihren Ehemann, ihren Bruder, ihren Freund verloren hat?" (4)
- einen scheiss machen diese zahlen mit uns, denn die ukrainer - so wird immer wieder erklaert, wollen (vielleicht mit ausnahme jener knapp 8 millionen, die ihr land verlassen haben) alle lieber sterben, als ueber frieden zu verhandeln und jeder tote russe ist doch ein guter russe, oder? spaetestens seit covid ist es naemlich voellig legitim, gewisse freiheiten voellig straflos mit menschenleben (masseinheit in k) gegenzurechnen. selbst wenn der UN-generalsekretaer, staatspräsidenten oder kriegsveteranen aus vietnam, kambodscha. irak oder sogar den usa, nun die lieferung von ueberwiegend kinder und die eigene bevoelkerung tötenden streubomben, anprangert; es findet sich immer jemand, der dafuer auf dem heimischen sofa sogar noch eine moralische rechtfertigung aus dem hut zaubert und diese mit eiferndem pathos und mit latentem vorwurf zwischen den zeilen, ungefragt 'zur diskussion' stellt...

nun zur wirtschaftspolitischen heimatfront:
"Alles supi oder was? Hinter dem Hickhack um Heizungsgesetz, Kindergrundsicherung oder Elterngeld steht oft die sehr reale Tatsache, dass unvereinbare Grundansätze für staatliches Handeln einander gegenüberstehen: radikale Marktliberalität gegen die Idee vom steuernden Staat. Das ist der unaufhebbare Grundwiderspruch der Ampelkoalition – jedenfalls solange die Grünen wenigstens im Prinzip bei ihrer Auffassung von politischem Handeln bleiben. Wenn aber ein grünes Kernanliegen wie die Kindergrundsicherung von der ebenso grünen Ministerin plötzlich um fünf Milliarden billiger gerechnet wird als ursprünglich gefordert; und wenn der wichtigste Grüne seine eigenen Ansprüche rhetorisch unter die Kuratel der systematischen Staatsverarmung stellt - dann muss man sich über Streit in dieser Koalition bald keine Sorgen mehr machen. Sondern über ihre erschreckende Einigkeit." (5)
- ist denn noch niemandem aufgefallen, dass die neuen trends bezueglich der einsparungen beim elterngeld, der abschaffung des Ehegattensplittings und zur kuerzlich geforderte streichung der witwenrente etc. - alle mit dem habitus einer angeblich 'besseren fairness und gerechtigkeit' daherkommen, obwohl sie unterm strich alle ersatzlos den lebensstandard reduzieren? dasselbe gilt natuerlich auch fuer die verteilung der mehrkosten fuer energie (subvention fuer die industrie bei gleichzeitiger erhöhung fuer die inflationsgeplagte mehrheit). es geht immer um Einsicht, alternativlose Notwendigkeiten und höhere moral. genau das meinte ich, als ich kurz nach der wahl die gruenen als 'marktradikale neoliberale mit erhobenen zeigefinger' bezeichnete. nur narren koennen dabei noch optimistisch bleiben, denn habecks gestrige und voellig losgelöste selbstbewertung lautet:
„Also eine 1 bei der A-Note, keine 1 bei der B-Note.“ (6)
- we are fucking doomed!

abschliessend zum 'feind im inneren':
"Radfahrer fährt Fußgänger in der Kantstraße an. Ein Radfahrer will geklingelt haben, doch der Fußgänger soll nicht reagiert haben. Es kommt zum Unfall." (7)
- mehr als klingeln geht nun wirklich nicht! wir autofahrer kennen das: kurz hupen und wenn dann der weg nicht freigemacht wird - einfach weiterfahren!

mahlzeit.

(1) https://www.telepolis.de/.../Warum-die-Ukraine-niemals...

(2) https://www.fr.de/.../kreml-prigoschin-russland-wladimir...

(3) https://www.faz.net/.../wiesbaden-erlaubt-oben-ohne-im...

(4) https://www.freitag.de/.../ungleichheit-im-ukraine-krieg...

(5) https://www.freitag.de/.../seid-nett-zueinander-wie-die...

(6) https://www.tagesspiegel.de/.../habeck-zieht...

(7) https://www.berliner-zeitung.de/.../unfall-in-berlin...

"Kollaboration" – Kiew führt Säuberungen im Gebiet Charkow durch

Menschen, die in von den russischen Truppen kontrollierten Teilen des Gebietes Charkow weiter ihrer Arbeit nachgingen, sieht Kiew als Kollaborateure an. Nach dem Abzug der russischen Armee terrorisieren nun ukrainische Geheimdienstler und Sicherheitsbeamte die eigene Bevölkerung.

Von Elisaweta Koroljowa

Mindestens 500 Einwohner des Gebietes Charkow wurden von den ukrainischen Behörden wegen möglicher Verbindungen zu Russland festgenommen oder inhaftiert. Dies teilten Menschenrechtsaktivisten gegenüber RT mit. Der Grund für den Vorwurf der Kollaboration sei die Tatsache, dass die Menschen in der Zeit, als die russischen Truppen Teile des Gebietes Charkow kontrollierten, weiterhin in ihren Berufen arbeiteten. So inhaftierte der ukrainische Geheimdienst SBU beispielsweise Lehrer, weil sie ukrainische Kinder auf Russisch unterrichteten.

Die Bürgerrechtler aus dem Gebiet Charkow haben die russische Ombudsfrau für Menschenrechte, Tatjana Moskalkowa, aufgefordert, die betroffenen Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes und der Militär- und Zivilverwaltung der Region als Teilnehmer an der militärischen Sonderoperation anzuerkennen. Mit diesem Status kann Russland sie wie Kriegsgefangene tauschen und aus den ukrainischen Gefängnissen holen.

Die Vereinigung zur Unterstützung und Förderung der Integration von Opfern des Kiewer Regimes, "Unser Charkow", hat einen entsprechenden Appell an das Büro des Menschenrechtsbeauftragten der Russischen Föderation gerichtet. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Mitarbeiter der prorussischen Militär- und Zivilverwaltung im Gebiet Charkow zwar keine Soldaten waren, aber "unter den Bedingungen der militärischen Sonderoperation" arbeiteten. In dem Appell heißt es unter anderem:

"Zum Zeitpunkt der Gründung der regionalen Militär- und Zivilverwaltung [des Gebietes Charkow] bestand die Hauptpersonalreserve aus aktiven prorussischen Bürgern der Ukraine, Russlands und der Donbass-Republiken, die von den ersten Tagen an bereit waren, das Leben mitzugestalten und die Rechte der Bewohner der befreiten Gebiete der Region Charkow zu schützen."

Tausende potenzielle Gefangene

Juri Schewtschenko, der ehemalige Leiter der territorialen Militär- und Zivilverwaltung in Balakleja und Mitbegründer der Vereinigung "Unser Charkow", berichtete, dass unter den Ukrainern, die von Kiew des Verrats und der Kollaboration beschuldigt werden, auch Staatsbedienstete sind, die unter russischer Kontrolle weiterhin ihrer Arbeit nachgegangen sind. Er erklärte gegenüber RT:

"Die Säuberungsaktionen in der Region Charkow gehen weiter: Jeden Tag erhalten wir Berichte über die Eröffnung von Strafverfahren gegen eine oder mehrere Personen. Es hat auch bereits mehrere Verurteilungen gegeben: von fünf bis acht Jahren Gefängnis. Für den Vorwurf der Verbindungen zu Russland reicht es aus, dass eine Person einfach in ihrem Job als Staatsbediensteter weiterarbeitete – als Arzt, Lehrer, Kulturarbeiter oder Angestellter des Wohnungs- und Versorgungssektors."

Laut Schewtschenko waren allein in der territorialen Verwaltung von Balakleja mehr als 1.000 Menschen als Staatsbedienstete tätig. Zählt man weitere Angestellte hinzu, die während der russischen Kontrolle aus dem russischen Haushalt bezahlt wurden, das heißt in den Augen Kiews mit Russland kooperierten, so beläuft sich ihre Zahl auf über 5.000.

In den befreiten Gebieten gab es beispielsweise mehr als 4.500 Strafverfolgungsbeamte und Eisenbahner und mindestens 2.700 Arbeiter im Energie- und Versorgungssektor, so Schewtschenko. Er fügte hinzu:

"Unseren Daten zufolge sind mehr als 500 Angestellte der Militär- und Zivilverwaltung und mehr als 1.000 Beschäftigte des öffentlichen Sektors nach Russland gegangen. Der Rest der Menschen ist dort [im Gebiet Charkow] geblieben. Mindestens 500 Menschen in der Region Charkow wurden festgenommen, verhaftet oder wegen Verbindungen zu Russland verurteilt. All diese Menschen werden von Kiew gefangen gehalten. Sie dürfen nicht ausgetauscht werden, da sie keine Kriegsgefangenen sind und es äußerst schwierig ist, Zivilisten auszutauschen."

Seiner Meinung nach würde die Vergabe des Status eines Teilnehmers der militärischen Sonderoperation für Mitarbeiter der Militär- und Zivilverwaltung sowie für Mitarbeiter anderer Bereiche, die Geld aus dem Staatsbudgets Russlands erhalten haben, dabei helfen, Menschen, die Russland unterstützen und bereits unter Repressionen durch die ukrainischen Behörden gelitten haben, aus den Untersuchungsgefängnissen und Strafkolonien der Ukraine zu befreien.

"Nun giltst du als Kollaborateurin"

Wie RT herausfand, richteten sich die Säuberungsaktionen Kiews im Gebiet Charkow aber nicht nur gegen die Leiter von Institutionen, die Geld aus dem Staatsbudgets Russlands erhielten, und diejenigen, die das russische Militär offen unterstützten, sondern auch gegen einfache Einwohner, die unter der russischen Kontrolle weiterhin in ihren Städten arbeiteten und lebten.

RT sprach unter anderem mit einer Zivilistin aus Kupjansk, deren Ehemann immer noch in Untersuchungshaft sitzt. Die Frau selbst versteckte sich mehrere Monate lang vor dem SBU und konnte schließlich nach Russland ausreisen.

Marina K. gelang es nicht, vor der Ankunft der ukrainischen Truppen nach Russland auszureisen. Unter russischer Kontrolle arbeitete die Frau im städtischen Krankenhaus als Krankenschwester und kümmerte sich auch um verwundete russische Soldaten. Ihr Mann diente bei der Polizei und bewachte die örtliche Dienststelle.

An dem Tag, als Kupjansk von der ukrainischen Armee besetzt wurde, wollten sie und ihr Mann in Richtung Russland fliehen. Doch während Marina ihre alten Eltern auf der anderen Seite des Flusses Oskol noch einmal besuchte, sprengten die ukrainischen Truppen die Brücken in die Luft.

Marina berichtete, dass ab Anfang Oktober SBU-Beamte aus Charkow nach Kupjansk kamen und begannen, Angestellte des öffentlichen Sektors wegen ihrer "Zusammenarbeit mit Russland" zu verhaften. Sie schilderte die Ereignisse:

"Sie kamen zu unserem Haus, als es schon fast dunkel war – wir aßen bei Kerzenlicht zu Abend, denn zu dieser Zeit gab es in der Stadt kein Licht. Sechs Männer mit Maschinengewehren kamen herein, mein Mann und ich wurden in die Knie gezwungen, unser siebenjähriges Kind wurde in ein anderes Zimmer gebracht. Sofort begannen sie, unsere Sachen zu durchsuchen, die Schränke zu durchwühlen und alles auf den Kopf zu stellen. Sie fragten mich: 'Hast du mit Russland zusammengearbeitet, wurdest du bezahlt?' Ich sagte: 'Ja, das wurde ich.' Sie sagten zu mir: 'Es wäre besser gewesen, wenn du das Geld nicht genommen hättest. Nun giltst du als Kollaborateurin.' Aber da ich medizinisches Personal bin, konnten sie mich gemäß der Genfer Konvention nicht mitnehmen."

 

Analyse

Als die Ukrainer innerhalb der Sowjetunion die Geschicke des Landes lenkten

Ihr Mann hingegen wurde vom SBU abgeführt und drei Tage lang in einer Isolierzelle festgehalten. Später erzählte er seiner Frau, dass er gefoltert und befragt wurde, wo sich der Bürgermeister der Stadt von der Militär- und Zivilverwaltung aufhalte, der zuvor in leitenden Positionen bei der Polizei gearbeitet hatte. Doch der Mann wusste nichts davon.

"Mein Mann wurde schwer zusammengeschlagen – er schaffte es nur noch mit Mühe nach Hause", erinnerte sich Marina.

Die Familie lebte bis zum Jahreswechsel in ständiger Anspannung und Angst. Im Januar kam der SBU erneut, und diesmal nahmen sie Marinas Mann endgültig mit.

"Zu diesem Zeitpunkt hatten sie bereits Listen (der Angestellten), und außerdem begannen einige Einheimische, sich gegenseitig zu verraten. Viele Menschen wurden abgeführt: Ich persönlich kenne fünf Personen, die vom SBU verhaftet wurden. Alle hatten naiverweise gehofft, sie kämen ungeschoren davon, aber das war nicht der Fall. Die ganze Zeit liefen ukrainische Soldaten in der Stadt herum und drangen in Häuser und Wohnungen ein – ich habe das selbst gesehen, als ich meine Eltern besuchte."

Nach der Verhaftung ihres Mannes beschlagnahmten die SBU-Beamten Marinas Pass, ihr Telefon und persönliche Gegenstände. Mehrfach seien Militärangehörige in ihr Haus gekommen und hätten überprüft, ob sie zu Hause ist oder nicht. Dann wurde ihr klar, dass sie und ihr Kind das Haus verlassen mussten.

"Ich hatte Videos auf meinem Handy: Ich habe gefilmt, wie Häuser in der Stadt zerstört wurden und dass die Soldaten Tote auf der Straße zurückließen. Ich weiß nicht, warum ich das getan habe. Ich hatte Hass, eine Art Wut. Ich bin nicht gegen die Ukraine, ich bin gegen dieses ukrainische Regime. Ehrlich gesagt: Als die Russen kamen, war ich nicht glücklich, aber ich hatte auch keinen Hass auf sie. Die russischen Soldaten kamen ruhig in die Stadt herein. Sie töteten niemanden, belästigten niemanden, terrorisierten niemanden. Sie zwangen niemanden zu irgendetwas. Alles war ruhig und gelassen. Allmählich gab es Arbeit, Geschäfte wurden eröffnet, wir bekamen Strom und Telefon und das Leben begann sich zu verbessern. Und dann, im September, kamen die ukrainischen Truppen: Sie sperrten alles ab und begannen, uns zu schikanieren", erzählt Marina.

 

Analyse

Westen zieht eine Aufteilung der Ukraine in Erwägung

Im Winter reiste Marina mit ihrem Kind nach Charkow und dann weiter nach Polen. Von dort aus konnte die Frau nach Russland reisen. Sie hat sich nun in einer der russischen Regionen niedergelassen, obwohl sie dort keine Verwandten oder Bekannten hat – geholfen wurde ihr von Freiwilligen und Mitarbeitern der Militär- und Zivilverwaltung von Charkow.

Marinas älterer Sohn konnte Kupjansk ebenfalls verlassen, aber da er erwachsen ist, darf er aus der Ukraine nicht ausreisen. Ihr zufolge versteckt sich ihr Sohn jetzt, um nicht in die ukrainische Armee eingezogen zu werden, und arbeitet inoffiziell, weil es unmöglich ist, ohne Militärausweis irgendwo einen Job zu finden.

Mehrmals konnte Marina sogar ihren Mann anrufen, der jetzt in Untersuchungshaft sitzt. Die ukrainischen Behörden haben ihn wegen seiner Arbeit bei der Polizeiwache des Hochverrats beschuldigt; ihm drohen bis zu 15 Jahre Gefängnis.

"Ich hoffe sehr, dass mein Mann ausgetauscht wird und nach Russland, zu uns, kommen kann. Ich weiß, dass er bereits auf der Austauschliste steht, aber es ist noch unklar, wann der Austausch stattfinden wird", sagte Marina.

Zehn Jahre Haft für Unterricht auf Russisch

Die ukrainischen Behörden führen in der Region Charkow nach wie vor Säuberungsaktionen gegen Zivilisten durch – die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine veröffentlicht regelmäßig Berichte über Verhaftungen.

Im Januar dieses Jahres wurde beispielsweise der 45-jährige Leiter des Stromversorgungsunternehmens Charkowoblenergo im Bezirk Balakleja festgenommen. Er wird der Kollaboration verdächtigt, weil er "den Betrieb von Stromverteilungsnetzen auf dem besetzten Gebiet des Bezirks organisiert" hat.

Ähnliche Vorwürfe erhob Kiew in diesem Frühjahr gegen einen 31-jährigen Lehrer aus dem Dorf Jurtschenkowo im Bezirk Tschugujewski, der zugleich Direktor der örtlichen Schule war. In den ukrainischen Ermittlungen wurde er nach Artikel 111-1 des ukrainischen Strafgesetzbuches (Kollaboration) angeklagt, weil er sich bereit erklärt hatte, die Schule zu leiten und die Kinder auf Russisch und nach russischen Bildungsstandards zu unterrichten. Darüber hinaus half er den Lehrern, vor Beginn des Schuljahres an Auffrischungskursen in Belgorod teilzunehmen.

Im Bezirk Kupjansk wurde Anklage gegen den 48-jährigen Wladimir Knysch erhoben, der 20 Jahre lang als Direktor des Krugljakowski-Lyzeums tätig war. Laut den Kiewer Behörden habe er ebenfalls sein Heimatland verraten, als er Kinder auf Russisch unterrichtete und seine Kollegen zur Verbesserung ihrer Qualifikationen nach Kursk schickte. Nach Artikel 111-1 Teil 3 des ukrainischen Strafgesetzbuches drohen ihm bis zu drei Jahre Strafkolonie und der Entzug der Lehrbefugnis für 10 bis 15 Jahre.

Juri Schewtschenko versprach, dass er und seine Kollegen sich dafür einsetzen werden, dass nicht nur die Mitarbeiter der Militär- und Zivilverwaltung von Charkow, sondern auch diejenigen, die in der Region im öffentlichen Sektor gearbeitet haben, den Status von Teilnehmern der militärischen Sonderoperation erhalten können. Diese Personen hätten dann die Möglichkeit, durch einen Austausch freigelassen zu werden.

Übersetzt aus dem Russischen.

Elisaweta Koroljowa ist eine Redakteurin und Analystin der russischen Redaktion von RT.

Mehr zum Thema"Lästige Russlandfixierung" – ZEIT rechnet mit deutschem Geschichtsbild ab

Source test.rtde.website

 

https://telegra.ph/Kollaboration--Kiew-f%C3%BChrt-S%C3%A4uberungen-im-Gebiet-Charkow-durch-06-05

Regeln des Krieges: Humanitäres Völkerrecht
"Zudem sind auch Angriffe gegen die Zivilbevölkerung als Repressalie verboten."
Im März 2022 unterzeichnete Selenski ein Gesetz, welches jeglichen Kontakt mit den Besatzern unter Strafe stellt, es reicht Essenrationen von den Besatzern anzunehmen.
Welche Atmosphäre herrscht damit in der Bevölkerung nachdem die Besatzer abgezogen sind ?
Was ist in Butcha passiert ? Könnte man damit nicht die von allen Seiten vorgebrachten Zweifel (Ungereimtheiten) an der offiziellen Version noch einmal überdenken?
(z.B. Opfer hatten weiße Armbinden, hatten Essenrationen der Besatzer bei sich ...)
Bucha war ein Wendepunkt, der die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine tatsächlich zum Erliegen brachte.
„Die Aktion fand im Rahmen der Jagd nach Kollaborateuren statt, die den Russen dabei helfen, die Besetzung zu ‚legalisieren‘“, rechtfertigt das Widerstandszentrum den Angriff. Kollaboration sei „schlecht für die Gesundheit“.
"Partisanen sprechen Warnungen aus
In den besetzten Gebieten tauchen derweil Plakate auf, die den russischen Besatzern und deren Sympathisanten drohen. „Verräter können sich nicht verstecken“, soll laut „El Mundo“ eine der Botschaften lauten. Zudem seien in Cherson blutverschmierte und in russische Uniformen gekleidete Schaufensterpuppen aufgestellt worden. Auf Plakaten sei zu lesen gewesen: „Moskau ist 500 Kilometer entfernt, aber unsere Armee ist nur zehn Kilometer entfernt.“
"Sie kenne „jeden mit Gesicht und Namen“."
"Dass sich die Mordpläne der ukrainischen Partisanen nicht nur auf kollaborierende Politiker beschränkt, zeigt der Angriff auf den Blogger Valery Kuleshov.
„Das Ziel ist es, den Besetzern zu zeigen, dass sie nicht zu Hause sind, dass sie sich nicht einleben und dass sie nicht bequem schlafen können“, erklärt einer der Partisanen im Interview mit der „New York Times“. Dabei ist die Definition von Kollaborateuren, die in das Visier der Partisanen gerät, sehr weit. So gehören etwa Polizisten und Verwaltungsbeamte, die für die Besatzer arbeiten, zu möglichen Zielobjekten."
Aber auch Lehrkräfte, die im kommenden Schuljahr den russischen Lehrplan unterrichten, zählen für die Partisanen dazu."
"Partisanen markieren Ziele und sabotieren Nachschubrouten"

 

https://www.tagesspiegel.de/politik/so-operiert-der-ukrainische-widerstand-in-russisch-besetzten-gebieten-8592655.html

Umsturz, Annexion der Krim, Bürgerkrieg, Stabilisierung. - Zerrissen zwischen Ost und West. Kurzer historischer Überblick über den Weg in den Ukraine-Krieg vor dem Hintergrund der Weltkrise des Kapitals.


Zu Beginn des Krieges um die Ukraine, als der Schock über den Grössenwahn des Kremls sich gerade erst voll entfaltete, verstörte Wladimir Putin die geschichtslose westliche Öffentlichkeit mit bizarren öffentlichen Geschichtsvorträgen, in denen er Lenin und die Bolschewiki anklagte, Russland im Verlauf der Revolution furchtbares Unrecht angetan zu haben, da sie die Ukraine in ihrer derzeitigen Form faktisch erst aus historischen Territorien Russlands geformt hätten.1 Putin wirkte hierbei wie ein Relikt des aggressiven, expansiven Nationalismus des 19., 20. Jahrhunderts, der seine Gebietsansprüche immer auch mit selektiven Geschichtsinterpretationen begründete. Doch dieser scheinbare Anachronismus, der auch beim neo-osmanischen Imperialismus Erdogans zutage tritt, täuscht über dessen gegenwärtige Funktion hinweg.

Die reaktionäre putinische Geschichtsideologie, die letztlich die Ukraine als ein synthetisches Kommunisten-Konstrukt ansieht und ihr implizit die Existenzberechtigung abspricht, bildet im 21. Jahrhundert nur ein komplementäres ideologisches Moment der stummen Geschichtslosigkeit im erodierenden neoliberalen Mainstream. Das Leben in der ewigen Jetztzeit, die durch die Kulturindustrie in den Zentren des Weltsystems prolongiert wird, sodass der Erinnerungshorizont der erodierenden Mittelklasse, die sich noch Ideologie leisten kann, nur bis zum letzten Spektakel reicht, verschafft gerade dann solchen Narrativen die notwendigen öffentlichen Freiräume, wenn Kriege oder Krisen den entsprechenden ideologischen Bedarf schaffen. Aufbauend auf dieser Geschichtslosigkeit, die durch das massenmediale Dauerbombardement entsteht, kann Geschichte instrumentalisiert werden – das gilt für Moskau wie für den Westen.

Und es ist gerade die im Kriegsverlauf zunehmend in Ost und West (wo inzwischen linksliberale Zeitungen wie die taz rechten Geschichtsrevisionismus betreiben)2 propagierte Geschichtsideologie, die die Notwendigkeit einer Darstellung der historischen Genese des Ukraine-Konflikts evident macht. Generell können komplexe soziale Vorgänge nur aus ihrer geschichtlichen Entwicklung heraus vollauf verstanden werden. Auch die kapitalistische Welt, die sich in ihrer verdinglichten Selbstwahrnehmung als eine „natürliche“ und ewig bestehende versteht, ist in all ihren Widersprüchen im permanenten Wandel begriffen, und sie kann nur aus diesem Wandel heraus verstanden werden.

Das gilt auch für den Nationalismus – und da liegt das Körnchen Wahrheit in den putinischen Auslassungen -, der selbstverständlich nicht „natürlich“ ist, sondern ein Produkt der kapitalistischen Nationalstaatsbildung des 19. und 20. Jahrhunderts darstellt. Und selbst das Nationalbewusstsein ist Wandlungen ausgesetzt: Die Idee dessen, was „deutsch“ sein soll, ist in der Exportweltmeisterrepublik verschieden von dem, was die Nazis propagierten, oder von den Ideen, die in der Paulskirchenversammlung diskutiert wurden. Die Ironie an den antiukrainischen Schimpfkanonaden Putins zu Kriegsbeginn, bei denen die Ukraine zu einem Produkt der Bolschewiki verkommt, besteht dabei darin, dass es sich hierbei um eine klassische Projektion handelt, da Putin und der Kreml selber massgeblich zu der Ausformung dessen beitrugen, was nach dem Kollaps der Sowjetunion in einer bunten Mischung aus Stalin- und Zarenkult als neues russisches Nationalbewusstsein geformt wurde.3

Genau dasselbe gilt für das ukrainische Nationalbewusstsein – es sind identitäre Produkte des Zusammenbruchs der Sowjetunion und der chaotischen Systemtransformation im postsowjetischen Raum. Deswegen steht ja in Kiew wie in Moskau die Traditionspflege so hoch im Kurs, da die „Erfindung von Traditionen“ (Hobsbawn),4 welche die Staatsbildungsprozesse seit dem 19. Jahrhundert begleitet, in beiden postsowjetischen Staaten noch nicht abgeschlossen ist. Da die Russische Föderation wie auch die Ukraine aus dem Kollaps der Sowjetunion hervorgingen, scheint es somit sinnvoll, die Genese des gegenwärtigen Krieges vor diesem historischen Zeithorizont zu beleuchten. Zudem muss die sozioökonomische Entwicklung der Ukraine, müssen die innen- und geopolitischen Strukturen, die sich in diesem „Grenzland“ in den vergangenen drei Jahrzehnten herausbildeten, in den Kontext der Widerspruchsentwicklung des spätkapitalistischen Weltsystems gestellt werden. Erst dann werden die Umbrüche, Krisen und die Labilität der Ukraine voll verständlich – gerade als Teilmomente des globalen Krisenprozesses.
Kollaps des sowjetischen Staatskapitalismus als Moment der Weltkrise des Kapitals
Die Krise des kapitalistischen Weltsystems kann nur als ein historischer, jahrzehntelanger Entwicklungsgang begriffen werden, der sich seit dem Auslaufen des fordistischen Nachkriegsbooms in den späten 70er-Jahren schubweise entfaltet und von der Periphere in die Zentren voranschreitet. Perioden des „latenten“ Krisengangs, die durch einen global anschwellenden Schuldenberg und aufsteigende Spekulationsblasen gekennzeichnet sind, kulminieren in manifesten Krisenschüben, in denen diese Blasen platzen, Währungs- oder Schuldenkrisen ausbrechen und Depressionen ganze Volkswirtschaften verwüsten. Die Schuldenkrise der „Dritten Welt“ in den 80ern, der Kollaps des Ostblocks in den 90ern, das Aufkommen „Gescheiterter Staaten“ in der Peripherie und die neoliberale Finanzialisierung des Kapitalismus in den Zentren samt der seit den 80ern global schneller als die Weltwirtschaftsleistung steigenden Verschuldung – diese Krisentendenzen müssen demnach als Momente der zunehmenden Widerspruchsentfaltung des Kapitals begriffen werden.

Was für ein Widerspruch ist es nun konkret, der seit der historischen Durchsetzung des Kapitals „prozessiert“, im Rahmen der historischen Expansionsbewegung des kapitalistischen Weltsystems? Das Kapital ist bei seinem uferlosen Verwertungskreislauf bemüht, sich seiner eigenen Substanz zu entledigen. Die Lohnarbeit, verwertet im Reproduktionsprozess des Kapitals, bildet dessen Substanz. Im Endeffekt ist das Kapital ein realabstrakter Verwertungsprozess, bei dem, durch alle Formwandel von Ware und Geld hindurch (von Marx auf die Formel G-W-G‘, Geld, Ware, mehr Geld, gebracht) immer grössere Mengen abstrakter, „toter“ Lohnarbeit akkumuliert werden. Die Instabilität, die Krisenanfälligkeit – aber auch die zerstörerische Dynamik – des kapitalistischen Systems resultiert aus der marktvermittelten Tendenz des Kapitals, den Einsatz von Lohnarbeit im Produktionsprozess zu minimieren. Was für den einzelnen Kapitalisten, der eine neue arbeitssparende Produktionstechnik einführt, zuerst in Extraprofiten resultiert, lässt nach der gesamtwirtschaftlichen Durchsetzung dieser „Innovation“ die Gesamtmasse der Lohnarbeit in dem betroffenen Wirtschaftszweig abschmelzen. Somit tendiert das System dazu, die Wertmasse in bestehenden Produktionszweigen abzuschmelzen, sowie ein ökonomisch überflüssiges „Menschenmaterial“ hervorzubringen.

Dabei bilden Wirtschafts- und Klimakrise nur zwei Seiten ein und desselben Krisenprozesses. Ökologisch lässt der Wachstumszwang des Kapitals den Rohstoff- und Energiehunger der globalen Verwertungsmaschine des Kapitals immer weiter ansteigen – gerade aufgrund deren steigender Produktivität, da dabei das Quantum verdinglichter Arbeit pro Wareneinheit, und somit deren Wert, abnimmt.5

Dieser „prozessierende Widerspruch“ (Marx), bei dem das Kapital konkurrenzvermittelt sich der Lohnarbeit als seiner Substanz entledigt, also buchstäblich seine „Entsubstantialisierung“ betreibt, ist nur in einer Expansionsbewegung, bei Erschliessung neuer Märkte, Wachstumsfelder, etc., aufrechtzuerhalten. Das Kapital muss expandieren – oder es zerbricht an sich selbst. Neben der quantitativen Expansion, bei der neue Märkte und Absatzfelder im In- und Ausland erschlossen werden, war es vor allem die qualitative, technologische Expansion, die es dem Kapital ermöglichte, vor seinem inneren Widerspruch über rund drei Jahrhunderte zu „fliehen“. Der technische Fortschritt, der durch konkurrenzvermittelte „Innovationen“ zum Abschmelzen der Masse verausgabter Arbeitskraft in etablierten Industriezweigen führt, liess ja auch neue Industriezweige entstehen, die wiederum Märkte und Felder für die massenhafte Verwertung von Arbeitskraft eröffneten.

Die bürgerliche Volkswirtschaftslehre bezeichnet diesen in seiner inneren Widersprüchlichkeit unverstandenen historischen Prozess zunehmender Widerspruchsentfaltung als „industriellen Strukturwandel“: Alte Industrien, die eine Zeit lang als Leitsektoren dienten, verschwinden, um neuen, moderneren Wirtschaftszweigen Platz zu machen. Historisch betrachtet waren es die Textilbranche, die Schwerindustrie, die Chemie, die Elektrobranche, zuletzt der fordistische Fahrzeugbau, die als solche „Leitsektoren“ dienten, die massenhaft Lohnarbeit verwerteten – wobei das ideologische Dogma der Volkswirtschaftslehre hierbei von der impliziten Annahme ausgeht, dass letztendlich, allen Friktionen zum Trotz, die neuen Sektoren immer genügend neue „Arbeitsplätze“ schaffen würden, um den Wegfall der Lohnarbeit in den alten Industrien zu kompensieren.

Dies genau funktioniert aber schon seit etlichen Dekaden nicht mehr. Wollte mensch die Ursache der gegenwärtigen Systemkrise möglichst allgemeinverständlich in einem Satz auf den Punkt bringen, so könnte er in etwa folgendermassen formuliert werden: Die Krise ist Folge des Scheiterns des industriellen Strukturwandels seit den 80er Jahren des 20. Jahrhundert. Die Rationalisierungsschübe der mikroelektronischen Revolution führen schon damals dazu, dass erstmals die neuen IT-Industrien nicht mehr genügend neue Arbeitsplätze und Verwertungsmöglichkeiten schaffen können, um die Masse der abschmelzenden Arbeitskraft in den alten Industrien zu kompensieren. Es gibt seit den 80ern, seit dem Auslaufen des langen Nachkriegsbooms, keinen industriellen Leitsektor mehr, in dem massenhaft Lohnarbeit verwertet würde. Die in den 80ern einsetzende Finanzialisierung des Kapitalismus bildete dabei eine Systemreaktion auf diese Krise der Warenproduktion, bei der die Produktivkräfte gewissermassen die kapitalistischen Produktionsverhältnisse sprengen.

Im Rahmen der globalen Finanzialisierung des Kapitalismus, bei der die Finanzbranche – vor allem in den USA – zum dominanten Volkswirtschaftssektor aufstieg, schien somit die Finanzsphäre die Funktion eines Leitsektors, eines „Motors“ der Ökonomie zu übernehmen. Dass dies über längere Zeiträume nicht funktionieren kann, da in der Finanzsphäre keine Verwertung von wertbildender Lohnarbeit abläuft, machten die zunehmenden Finanzmarktbeben klar, die das Weltfinanzsystem seit den 90er Jahren erschüttern. Nach einer Reihe von regionalen Finanzkrisen in den 90ern, wie der Asienkrise und der Russlandpleite, etablierte sich ab der zweiten Hälfte der 90er Jahre eine regelrechte globale Finanzblasenökonomie. An Umfang zunehmende Spekulationsblasen, die beim Platzen immer grössere Finanzmarktbeben hervorrufen, lösen einander ab: Von der im Jahr 2000 platzenden Dot-Com-Spekulation mit Hightech-Aktien, über die Immobilienhausse von 2007/08, bis zur gigantischen Liquiditätsblase, die durch die expansive Geldpolitik der Notenbanken in Reaktion auf die Finanzmarktbeben nach dem Platzen der Immobilienblasen aufgepumpt worden ist – wobei die Politik zur Getriebenen dieser Dynamik wurde und mit immer extremeren Mitteln die Folgen der geplatzten Blasen auffangen musste, indem sie neuen Spekulationsdynamiken den Boden bereitete (Nullzinsphasen, Gelddruckerei).

Dabei spiegeln sich diese Krisenschübe des spätkapitalistischen Weltsystems nicht nur in der Wirtschaftsgeschichte der Ukraine wieder; schon das Siechtum und die Implosion des real existierenden Sozialismus, der im Folgenden als ein staatskapitalistisches Regime nachholender Industrialisierung skizziert werden soll, sind eng verknüpft mit den Krisen der Marktwirtschaft, zu der es laut offizieller Ideologie in Opposition stand. Den Anfang vom Ende der staatskapitalistischen Entwicklungsdiktaturen Osteuropas, deren Führungen oftmals ab den späten 60ern eine zunehmende Integration in den Weltmarkt forcierten, markiert ausgerechnet die tief greifende Krise des kapitalistischen Weltsystems in den 70er-Jahren, die unter dem Begriff Stagflation Eingang in die Geschichtsschreibung gefunden hat. Der fordistische Nachkriegsboom lief aus, was zum Anstieg der Arbeitslosigkeit und zur konjunkturellen Vollbremsung in vielen kapitalistischen Kernländern führte, während die damalige keynesianische Krisenpolitik durch niedrige Zinsen und immer neue Konjunkturprogramme die Inflation hochtrieb.

Die „sozialistische“ Nomenklatura in Ländern wie Polen, Ungarn oder Jugoslawien war aufgrund von ökonomischen Stagnationstendenzen aber schon in den 60ern zunehmend bestrebt, die nachholende Modernisierung ihrer Volkswirtschaften vermittels ausufernder Kreditaufnahme im Westen zu realisieren. Die Tilgung der milliardenschweren Westkredite sollte durch den Verkauf der Waren auf dem Weltmarkt realisiert werden, die in diesen kreditfinanzierten, modernen Wirtschaftszweigen gefertigt wurden. Und genau dieselbe Strategie haben damals auch viele der gerade erst unabhängig gewordenen Entwicklungsländer im globalen Süden verfolgt. Eine Zeit lang schien die Rechnung aufzugehen, wie die durchaus beeindruckenden Wirtschaftsdaten der frühen 70er Jahre etwa in Polen belegen. Diese zunehmende Integration in den Weltmarkt wurde aber den staatskapitalistischen Entwicklungsdiktaturen mit Ausbruch der besagte Krisenphase der Stagflation in den Siebzigern zum Verhängnis (eine kapitalistische Überproduktionskrise hatte die in einer Mangelwirtschaft sozialisierte Nomenklatura schlicht nicht auf dem Schirm).

Die klassische Schuldenfalle, der auch die meisten Modernisierungsversuche im Trikont erlagen, schnappte zu: Während die osteuropäischen Exportprodukte aufgrund der systemischen Überproduktionskrise kaum noch Absatz auf dem Weltmarkt fanden, sorgte die von den USA Ende der 70er eingeleitete Zinswende – mittels derer die ausufernde Inflation bekämpft werden sollte – für explodierende Kosten bei der Bedienung der aufgenommenen Kredite. Überdies sahen sich die osteuropäischen staatskapitalistischen Volkswirtschaften nicht mehr in der Lage, die seit den frühen 80ern in den Zentren des kapitalistischen Weltsystems einsetzende dritte industrielle Revolution der Informationstechnologie und Mikroelektronik zu vollführen, die zu einer ungeheuren Produktivitätssteigerung der gesamten Warenproduktion führte und die – ohnehin vermittelst Kreditaufnahme aus dem Westen importierten – spätfordistischen Fertigungskapazitäten im Osteuropa rasend schnell veralten und entwerten liess. Die osteuropäischen Entwicklungsdiktaturen waren schlicht nicht mehr fähig, die gigantische Kapitalmasse zu akkumulieren, die zum ungeheuer kapitalintensiven Aufbau einer IT-Industrie notwendig ist.

Die Stagnationstendenzen im „Ostblock“, die in den 80ern unübersehbar waren, verweisen auf ein tief liegendes, systemisches Defizit dieser Ostblockwirtschaften – wie auch auf das gemeinsame systemische Fundament des Ostens wie Westens, auf deren gemeinsame Basis, die in der Warenproduktion besteht – und die im Osten erst nach der Revolution zum Beginn des 20. Jahrhunderts aus dem Boden gestampft und in Staatsregie betrieben wurde.

Das zentralistische System der staatlichen Planung und Leitung der Wirtschaft, das die enormen – und auch massenmörderischen – Industrialisierungsschübe der Sowjetunion in den dreissiger Jahren des 20. Jahrhunderts erst ermöglichte, zeigte sich der zunehmenden Ausdifferenzierung der staatskapitalistischen Volkswirtschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht mehr gewachsen. Der Staat trat im gesamten Ostblock nicht als ideeller, sondern als reeller Gesamtkapitalist auf, der gesamtwirtschaftlich den Prozess der Kapitalakkumulation zu initiieren, zu koordinieren und zu optimieren trachtete. Die von einer zentralen Planungsbehörde gesamtwirtschaftlich koordinierte Warenproduktion verlor aber mit deren zunehmender Komplexität sukzessive an Effektivität.

Während ein extensives Wirtschaftswachstum, also der Aufbau neuer Fertigungskapazitäten, mittels einer zentralen staatlichen Koordination mitsamt brutalster Arbeitskräftemobilisierung rasch umgesetzt werden konnte (womit der Stalinismus letztendlich die Gräuel der „ursprünglichen Akkumulation“, wie sie in England innerhalb von mehr als hundert Jahren ablief, auf rund eine Dekade konzentrierte), blieben die Bemühungen um ein intensives Wachstum – das aus Modernisierungsschüben bestehender Produktionskapazitäten resultiert – in den Volkswirtschaften des real existierenden Sozialismus in Ansätzen stecken. Viele der Reformbemühungen in einzelnen staatssozialistischen Ländern (wie in Polen 1956, in der Tschechoslowakei 1968 oder in der DDR mit dem NÖSPL) resultierten grade aus der impliziten Einsicht der dortigen Nomenklatura in diese stagnativen Tendenzen einer zentralistischen Wirtschaftsstruktur, die im Rahmen einer nachholenden Modernisierung eines de facto vorindustriellen Landes – der frühen Sowjetunion – entstand. Und diese zentralistische Staatsplanung und Leitung, die den rasanten Industrialisierungsschub der 30er ermöglichte, erwies sich als ungeeignet, weitere Modernisierungsschübe ausgeprägter fordistischer Gesellschaftsformationen zu befördern.

Der Krisentheoretiker Robert Kurz sieht in der Aufhebung der Binnenkonkurrenz innerhalb der staatskapitalistischen Entwicklungsdiktaturen die wichtigste Voraussetzung dafür, dass der Versuch einer nachholenden Modernisierung in der Sowjetunion überhaupt initiiert werden konnte:

„Die logische Paradoxie eines warenproduzierenden Systems ohne Konkurrenz hatte ihren Grund in der historischen Paradoxie, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine neue, selbstständige Nationalökonomie nur noch dadurch entwickelt werden konnte, dass das etatistische Moment verabsolutiert wurde. Die Konkurrenz musste sistiert werden aus Gründen der Konkurrenz; um in der äusseren Konkurrenz gegen die relativ höher entwickelten Länder des Westens bestehen zu können, um von diesem nicht aufgesaugt oder zu schwach entwickelten Randzonen degradiert zu werden, musste die innere Konkurrenz durch staatliche Kommandos in stalinschem Sinne ausgeschaltet bleiben.“6

Durch diese historisch bedingte Konstellation einer permanenten ökonomischen Unterlegenheit gegenüber den avancierten kapitalistischen Zentren erstarrten die unablässig um ein „Aufholen“ gegenüber dem Westen ringenden staatskapitalistischen Gesellschaftsformationen des Ostblocks zu permanenten Kriegsökonomien, die sich als gänzlich ungeeignet erwiesen, auch organisationstechnisch den Anforderungen der sich schon in den späten 70ern immer deutlicher abzeichnenden Dritten Industriellen Revolution zu entsprechen.

Bis zum Ausbruch der globalen Krise der Stagflation und der Zinswende in den USA konnten die üppigen Westkredite diese prinzipielle Modernisierungsunfähigkeit des Staatskapitalismus osteuropäischer Prägung – insbesondere in Polen und Jugoslawien, aber auch in Ungarn oder Rumänien – kompensieren. Nach dem Scheitern dieser importierten Modernisierung war auch der real existierende „Staatssozialismus“ gescheitert, da ein ökonomischer und technologischer Aufholprozess zu den Zentren des kapitalistischen Weltsystems nicht mehr möglich war – ab den 80ern vergrössert sich die wirtschaftliche und vor allem technologische Dominanz des Westens gegenüber dem Osten zusehends, der letztendlich auch beim Rüstungswettlauf immer mehr ins (technologische) Hintertreffen gerät.

Übrigens: Die westliche Öffentlichkeit mag die prinzipielle Gleichsetzung von Ostblock und Westen als verschiedene, durch die Ungleichzeitigkeit der kapitalistischen Modernisierung bedingte Formen des warenproduzierenden Systems befremdlich finden, doch für die derzeitigen Funktionseliten in China oder Russland ist es selbstverständlich, einen Stalin oder Mao als Modernisierer weiterhin zu schätzen. Stalin etwa steht gerade deshalb wieder hoch im Kurs in Russland, weil er mittels seiner brutalen Industrialisierungsstrategie die Grundlagen des derzeitigen russischen Kapitalismus gelegt hat. Dasselbe gilt für Mao in China.
Von der Nomenklatura zur Oligarchie
Die Kapitulation des real existierenden Staatssozialismus – bei dem es sich ohnehin im Kern um einen Versuch nachholender Modernisierung im Rahmen einer staatskapitalistischen Entwicklungsdiktatur handelte – nahm in den ehemaligen mittelosteuropäischen Satellitenstaaten der Sowjetunion andere Verlaufsformen an als in Russland und der Ukraine. Während zwischen Leningrad und Wladiwostok zumeist Teile der Nomenklatura sich im Rahmen einer wilden Privatisierungswelle die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel sicherten und hierdurch von einer staatskapitalistischen Funktionärselite zur kapitalistischen Bourgeoisie oder Oligarchie mutierten, fand in den Ländern Mittelosteuropas der grosse Ausverkauf der wirtschaftlichen Kapazitäten an westliches Kapital statt, der zumeist aufgrund der hohen Schuldenlast dieser in Transformation begriffenen Staaten vom Westen erzwungen werden konnte.

Die Wesensverwandtschaft zwischen dem untergegangenen Staatskapitalismus sowjetischer Prägung und dem aufkommenden Mafia-Kapitalismus wird gerade an den Funktionseliten, der sich in den 90er-Jahren ausformenden Oligarchie, deutlich. Die Herausbildung dieses instabilen, von permanenten Revier- und Verteilungskämpfe geprägten oligarchischen Systems der Ukraine war die Folge der Implosion der Sowjetunion und des real existierenden Sozialismus osteuropäischer Prägung. Die Mehrheit der ersten Generation von Oligarchen entstammte somit der staatssozialistischen Nomenklatura, der Schicht von Funktionsträgern im Staats-, Partei- und Wirtschaftsapparat, die im Zuge der desaströsen Systemtransformation in brutalen und mitunter recht blutigen Machtkämpfen eine wilde Privatisierung des Staatsvermögens ausfocht. Die Symbolfigur dieser chaotischen Transformationsperiode stellt der erste ukrainische Präsident Leonid Kutchma dar, während dessen Präsidentschaft (1994 bis 2005) das oligarchische System der Ukraine seine Ausformung erhielt.

Die Klasse der sowjetischen Funktionsträger in der Staatswirtschaft und in den Machtministerien hatte die besten Ausgangsbedingungen, um sich das ehemalige Staatseigentum anzueignen, da sie über Beziehungen und fachliche Kompetenz verfügte. Die Warenproduktion im Rahmen des Staatsplans, die Profite auf Staatsebene erwirtschaften sollte, wurde im Zuge der Privatisierung schlicht auf profitorientierte betriebswirtschaftliche Warenproduktion umgestellt – sofern die Produktionsstandorte die Transformation überhaupt überstanden. Der Staat, der zuvor die Wirtschaft zentral zu steuern bemüht war, wurde hingegen zum Objekt der Interessen dieser neuen Oligarchenklasse. Charakteristisch ist hierbei die Unfähigkeit des ukrainischen Staates, seiner Funktion als „ideeller Gesamtkapitalist“ (Engels) – der auch mal Kapitalfraktionen in ihre Schranken weisen könnte, wenn ihr Treiben die Stabilität des Gesamtsystems gefährdet – nachzukommen. Niemals haben die staatlichen Strukturen in der Ukraine jene Eigenständigkeit erlangen können, die den Staat tatsächlich als Machtfaktor agieren lassen könnte. Stattdessen verkam der Staat zur „Beute“ von oligarchischen Seilschaften und Klans. Diejenigen Oligarchen, die den Staatsapparat kontrollierten, setzten ihn zur Durchsetzung ihrer Interessen ein, etwa um missliebige Konkurrenten auszuschalten.

Der ukrainische Staatsapparat geht zwar gegen einzelne Oligarchen oder Geschäftsmänner vor, 2021/21 stand etwa der ehemalige Präsident und „Schokoladenkönig“ Poroschenko7 auf der Abschussliste,8 doch sind diese Ermittlungen durch die Wirtschaftsinteressen konkurrierender Oligarchen geprägt, die es vermocht haben, die Kontrolle über die staatlichen Organe zu erlangen, indem sie bei Wahlen ihren Parteien zum Durchbruch verhalfen. Wahlen entscheiden in der Ukraine darüber, welche Oligarchenfraktion den Staat nutzen kann, um ihre Wirtschaftsinteressen durchzusetzen. Da alle Oligarchen in einer rechtlichen Grauzone operieren, streng genommen korrupt sein müssen, um erfolgreich zu sein, kann jeder von ihnen angeklagt werden, sobald sich die Konkurrenz der entsprechenden staatlichen Machtmittel bemächtigt. Folglich müssen alle Oligarchen in politische Partien investieren. An den Schalthebeln der Staatsmacht sitzen somit jene „Geschäftsleute“, die ihre Leute dort platzieren konnten – und folglich gerade nicht angeklagt werden. Hinter dem ukrainischen Präsidenten Selensky steht etwa der Oligarch Kolomoisky,9 weshalb der Antikorruptionskampf, den Selensky im Wahlkampf versprach, sich gegen die Konkurrenten Kolomoisky, gegen Poroschenko und den „reichsten Mann der Ukraine“, gegen Rinat Achmedov richtet.10

Die Machtmittel des Staates wurden somit routinemässig für „ausserstaatliche“, vom Interesse der jeweils den Staatsapparat okkupierenden Oligarchenfraktion diktierte Zwecke instrumentalisiert. Die meisten Posten und Pöstchen im Staatssektor, die infolge der vielen Krisen und der oftmals schlechten Wirtschaftslage zu den seltenen krisenfesten Einnahmequellen zählen, wurden so zwischen Seilschaften und Rackets verteilt, die diese „Beute“ möglichst gut verwerten wollten. Die Ukraine zählt folglich laut Transparency International zu den korruptesten Staaten der Welt, – auf gleicher Höhe mit Ländern wie den Philippinen oder eben Russland. Der ukrainische Staat verfügte seit der Systemtransformation niemals über ein hinreichendes „ökonomisches Fundament“, das nur durch Steuereinnahmen aus ausreichend breit dimensionierter Kapitalverwertung in der Warenproduktion zu gewinnen wäre. Er ist praktisch ein „Selbstbedienungsladen“ für jene Rackets, die sich die Kontrolle über dessen Machtmittel sichern können.

An der sich gegenwärtig entfaltenden ukrainischen Tragödie werden auch die beiden wichtigsten Unterschiede zwischen diesem Oligarchenregime und dem autoritären „postoligarchischen“ System Russlands erkennbar. Im Verlauf heftiger Auseinandersetzungen in der Frühzeit der Regentschaft Putins wurde die Macht der russischen Oligarchie vom Staatsapparat gebrochen, die zuvor in dem wilden Privatisierungsprozess – genauso wie in der Ukraine – nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion weite Teile der Wirtschaft unter ihre Kontrolle bringen konnte. Das Symbol für diesen Sieg des Staates über eine räuberische Oligarchenkaste, die wie auch in der Ukraine grösstenteils aus der ehemaligen sowjetischen Nomenklatura hervorging, stellt der ehemalige Milliardär Michail Chodorkowski dar, der etliche Jahre in russischen Straflagern verbringen musste. Seit der Abrechnung Putins mit dem ehemaligen Yukos-Inhaber, der den Kremlchef offen herausforderte, hat es kein Oligarch mehr gewagt, ernsthaft in Opposition zum Kreml zu treten.

Der russische Staat kann getrost als der zentrale Machtfaktor des Landes bezeichnet werden. Zudem ging der Kreml daran, die Staatskontrolle über die strategischen Sektoren der russischen Wirtschaft – und hier insbesondere den Rohstoffsektor – zu übernehmen. In Russland fand somit im Rahmen der massgeblich von Putin geformten machtpolitischen Strategie des „Energieimperiums“ – die eine möglichst lückenlose Kontrolle der gesamten Energieproduktion und -distribution, vom sibirischen Öl- und Gasfeld bis zur europäischen Tankstelle, durch den Kreml anstrebt – eine Renationalisierung weiter Teile des russischen Energiesektors statt. Die sozioökonomische Stabilisierung der Russischen Föderation unter Putin resultiert aus der Ausrichtung des Landes auf Rohstoffexporte, deren Einnahmen nun nicht mehr von einer räuberischen Oligarchenkaste aus dem Land geschafft werden. Der Rohstoffsektor stellt neben der Rüstungsindustrie den einzigen Wirtschaftszweig Russlands dar, der international konkurrenzfähig ist, während die restliche, unter riesigen Investitionsdefiziten leidende Warenproduktion sich nie von dem Zusammenbruch des Staatssozialismus erholt hat.

Ein Grossteil der russischen Warenproduktion weist somit ähnlich archaische Strukturen und einen ähnlich gigantischen Modernisierungsbedarf auf wie die Oligarchenkonglomerate in der Ostukraine, doch verfügt der Kreml mit den unter Staatskontrolle befindlichen enormen Ressourcen und Energieträgern über Exportgüter, die zur Stabilisierung der russischen Volkswirtschaft beitragen und so noch wirtschaftliche und politische Souveränität ermöglichen. Alle Versuche der „Modernisierung“ der völlig veralteten Industriebasis unter Putin sind bislang hingegen gescheitert. Als ein „Erfolgsmodell“ kann also Russland mitnichten angesehen werden.

Auch Russland gilt als einer der korruptesten Staaten der Welt, wobei hier der Staat nicht zum Objekt der Machtkämpfe wurde, sondern zu deren Subjekt: Der Sieg Putins über die räuberische Transformationsoligarchie schuf eine aus den Machtministerien und dem Sicherheitsapparat hervorgegangene Staatsoligarchie, deren Reichtum und Macht gerade aus der Kontrolle von Staatsbetrieben erwachsen.11 Geschäftlicher Erfolg hängt somit – auch in der Privatwirtschaft – wie einstmals zur Zarenzeit von guten Kontakten zum Kreml und einer sicheren Stellung innerhalb der Seilschaften ab. Der Staat ist hier nicht nur das politische, sondern auch das wirtschaftliche Machtzentrum, in dem Fraktionen und Seilschaften aus den russischen „Machtministerien“ (die berüchtigten Silowniki) um Pfründe und Kontrolle der Staatsbetriebe kämpfen. Auch hier ist der Staat ein „Selbstbedienungsladen“, er wird zur Beute der „Staatsoligarchie“, die ihre Seilschaften in den entsprechenden Pöstchen, Stellungen „unterbringt“, die vor allem der ökonomischen Absicherung der Funktionsträger dienen. Wie sehr die daraus entspringende Korruption den autoritären russischen Staatsapparat von innen zerfrisst, legte gerade die blamable Vorstellung der russischen Armee in den ersten Kriegsmonaten offen, da offensichtlich auch der Militärapparat vornehmlich als eine staatlichen Versorgungs-/Alimentierungsstruktur fungierte.
Wirtschaftsentwicklung: Transformation, Defizitkonjunktur und IWF-Programm
Die Systemtransformation, die diesen postsowjetischen Mafia-Kapitalismus der 90er hervorbrachte, verlief in nahezu allen Staaten des ehemaligen Ostblocks chaotisch und desaströs, doch nirgends waren die Erschütterungen des gesamten gesellschaftlichen Gefüges tiefer als in der Ukraine. Selbst die Katastrophe der russischen Transformation, die bis zum heutigen Tag Putin in Russland als einen autoritären Ordnungsfaktor erscheinen lässt, bleibt hinter dem ökonomischen Kollaps der Ukraine zurück. Die kurze Wirtschaftsgeschichte der unabhängigen Ukraine besteht faktisch in einer – von Stagnationsphasen und schuldenfinanzierter Blasenbildung unterbrochenen – Aneinanderreihung von Krisenschüben. Laut der Internationalen Arbeitsorganisation ILO betrug die reelle Arbeitslosenquote in der Ukraine am Ende der katastrophalen 90er rund 23 Prozent,12 wobei die Transformation mit einer generellen Abnahme der Zahl der Beschäftigungsverhältnisse um 33 Prozent einherging. Der Durchschnittslohn lag nur noch bei 40 US-Dollar, der gesetzliche Mindestlohn von 41 Prozent des Durchschnittslohns reichte laut ILO nicht aus, um selbst „die grundlegenden Bedürfnisse des Lebensunterhalts“ zu befriedigen. Die in Transformationsgesellschaften übliche Entwertung der sowjetischen Ersparnisse erfolgte in der Ukraine 1993, sodass die meisten Lohnabhängigen, die kein Eigentum an Grund und Boden hatten, weitgehend enteignet in die Transformation eintraten.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion setzten ein gewaltiger Wirtschaftseinbruch und eine massive, räuberische Pauperisierungswelle ein, die, wie gesagt, sogar die sozioökonomischen Erschütterungen in Russland übertraf. Nahezu die gesamten 90er-Jahre über befand sich die Ukraine in einer Rezession mit zuweilen zweistelligen Kontraktionsraten (1992 bis 1996). Dieser Kollaps der postsowjetischen Ukraine lässt sich an einer Zahl besonders krass illustrieren: im Jahr 1998 betrug die Wirtschaftsleistung der Ukraine nur noch 40,9 Prozent des Wertes von 1990.13 Damit können die sozialen und ökonomischen Folgen der Systemtransformation, aus der die Ukraine wie Russland erst als Staatsgebilde hervorgehen, durchaus mit den Folgen eines Krieges verglichen werden. Im ukrainischen Katastrophenjahr 1994 sank etwa das BIP um 22,4 Prozent. Generell verliefen die konjunkturellen Wachstumsphasen, mit der Ausnahme der ersten Jahre des 21. Jahrhunderts, kürzer und schwächer als in postsowjetischen Ländern mit grossen Energieträger- oder Rohstoffvorkommen, während die Rezessionen zwischen Lwiw und Donbass tiefer ausfielen als etwa in Russland oder Belarus. Eine zweistellige Kontraktion des ukrainischen BIP vollzog sich etwa 2009 und 2015/2016.

Der grosse Unterschied zwischen der Ukraine und den mittelosteuropäischen Transformationsländern, die ab 2004 Teil der östlichen Peripherie der EU wurden, besteht darin, dass die Letzteren nach der Katastrophe der Transformation zumindest eine periphere Reindustrialisierung erfuhren: Im Rahmen der Globalisierung haben viele westliche Konzerne die hohen Unterschiede beim Lohnniveau ausgenutzt und arbeitsintensive Fertigungsschritte nicht nur gen China, sonder auch nach Mittelosteuropa ausgelagert. Diese Zurichtung etlicher postsozialistischer Staaten zu verlängerten Werkbänken westlicher, vornehmlich deutscher Konzerne – beispielsweise Slowakei, Polen, Ungarn – fand in der Ukraine nicht statt, sie kann nur in Ansätzen in den Jahren zwischen 2014 und Kriegsausbruch konstatiert werden.14

Die 90er-Jahre produzierten somit eine „verlorene Generation“ in dem osteuropäischen Land, erst ab dem Beginn des 21. Jahrhunderts setzte ein Wirtschaftswachstum ein, das durch die globalen Schuldenblasen, den Immobilienboom in den USA und Westeuropa und die daraus resultierenden Defizitkonjunkturen befeuert wurde – sowie eine auch in der Ukraine selbst aufgeblähte Schuldenblase. Global war diese Hochzeit des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus durch die 2000 geplatzte Dot-Com-Blase, sowie die sich daran anschliessende transatlantische Immobilienblase geprägt (bis 2007), die durch die damit einhergehende spekulative Bautätigkeit einen massiven Nachfrageschub generierte, der auch die Nachfrage nach ukrainischem Stahl oder Weizen ansteigen liess. In dieser kurzen Periode, in der vor allem westeuropäische Finanzinstitute landesweit eine lockere Kreditvergabepraxis pflegten, konnte die Illusion einer funktionierenden ukrainischen Volkswirtschaft gedeihen. Die grosse Spekulationsblase auf den Immobilienmärkten der USA und West- und Südeuropas fand somit einen schwachen Abglanz in der Ukraine. Die steigende Kreditflut hob alle Boote, sodass der ukrainische Durchschnittslohn 2008 schon umgerechnet 180 Euro betrug. Mit dem Krisenausbruch 2008 brach auch die ukrainische Schulden- und Defizitkonjunktur zusammen, um 2009 die besagte, tiefe Rezession von 15 Prozent nach sich zu ziehen.

Der kurze kreditfinanzierte Boom in der Ukraine lässt sich an der Entwicklung der Schulden der Privathaushalte gut nachvollziehen.15 Diese stiegen von weniger als fünf Prozent des BIP im Jahr 2004 auf den Spitzenwert von 30 Prozent 2009, um in de Folgejahren wieder langsam zu sinken: 2014 waren es nur noch 15 Prozent des BIP. Befeuert wurde diese kurze Bonanza durch westliche Banken, die sich nach dem Platzen der Kreditblase – ähnlich dem grösseren Finanzbeben in Westeuropa und den USA – in finanzieller Schieflage wiederfanden. Die österreichische Raiffeisen International (RI) etwa, 2005 als eine Holding der Raiffeisen Zentralbank (RZB) mit Fokus Mittelosteuropa gegründet, musste 2009 wieder in die RZB eingegliedert werden.16 Die zuvor als osteuropäische „Finanzmarktpioniere“ gefeierten österreichischen Banker haben mittels ihrer ukrainischen Tochter Kredite in Höhe von umgerechnet 5,4 Milliarden Euro vergeben, die 2009 zu rund 20 Prozent ausfallgefährdet waren. Der Gewinn der RI ging 2009 um 78 Prozent auf nur noch 212 Millionen Euro zurück, während im gleichen Zeitraum die Vorsorge für faule Kredite auf 1,7 Milliarden Euro verdoppelt werden musste. Im kleineren Ausmass waren auch deutsche und französische Geldhäuser in der Ukraine tätig, wobei die Ukraine Teil der vom westlichen Finanzkapital finanzierten Defizitkonjunktur in der Region war. Insgesamt haben westeuropäische Banken bis Ende 2008 Darlehen im Wert von umgerechnet 1150 Milliarden Euro zwischen Baltikum und Schwarzmeer vergeben. Neben den Österreichern waren es Geldhäuser aus Italien, Frankreich, Belgien, Deutschland und Schweden, die rund 84 Prozent der Verschuldung in dieser Region durch grosszügige Kreditvergabe generierten.

Zudem taumelte der ukrainische Staat nach dem Platzen dieser Schuldenblase am Rande des Staatsbankrotts. Mit Ausnahme einer kurzen Phase um die Jahrhundertwende wies die Ukraine fast durchgehend ein Leistungsbilanzdefizit auf,17 ähnlich den südeuropäischen „Schuldenstaaten“ zwischen Euroeinführung und Ausbruch der Eurokrise,18 was letztendlich unweigerlich zur zunehmenden Verschuldung im Ausland führt – und in entsprechenden Schuldenkrisen und Abhängigkeiten mündet. Das Staatsdefizit überschreite die „Grenzen des Tragbaren“, klagten Regierungsvertreter Ende November 2009 vor dem Parlament in Kiew, da die Verschuldung des Landes innerhalb eines Jahres von 95 Milliarden auf gegenwärtig 225 Milliarden Hrywnja (rund 28 Milliarden US-Dollar) geklettert sei. Dabei bildete das Staatsdefizit nicht mal den grössten Teil der Auslandsschulden, die die Ukraine in den Jahren der globalen Defizitkonjunktur in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts aufgenommen hat. Insgesamt standen 2009 die Konsumenten, Unternehmen und öffentlichen Haushalte der Ukraine mit rund 100 Milliarden US-Dollar in der Kreide.

Ein hartnäckiges Leistungsbilanzdefizit, immer wieder drohende Staatspleiten und geplatzte Schuldenblasen – die Charakteristika des Krisenprozesses in allen Volkswirtschaften, die in der zunehmenden Krisenkonkurrenz unter die Räder gerieten (etwa im Süden der Eurozone), riefen den Internationalen Währungsfonds (IWF) auf den Plan, der mit der üblichen neoliberalen Rosskur aus Krisenkrediten und Austerität in dem osteuropäischen Land aktiv wurde. Der IWF und Kiew weisen folglich eine lange, von Spannungen und Brüchen gekennzeichnete Geschichte auf, die in die 90er-Jahre zurückreicht, aber erst mit dem Platzen der globalen Defizitkonjunktur 2008 sich intensivierte – und die zur Eskalation der politischen Krise in der Ukraine 2014 beitrug. Nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise musste die Ukraine im Oktober 2008 auf Kredite des IWF im Umfang von 16,4 Milliarden US-Dollar zurückzugreifen, um die Eskalation der besagten Schuldenkrise abzuwenden. Das Programm wurde nach einem Jahr und der Auszahlung von 10 Milliarden Dollar wieder eingefroren, weil sich Kiew weigerte, die Bedingungen des IWF zu erfüllen, die auf Subventions- und Sozialkürzungen hinausliefen.

Im Juli 2010 einigten sich beide Seiten abermals auf einen Stand-by-Kredit von 15,15 Milliarden Dollar,19 der mit massiven Preissteigerungen bei Erdgas einhergehen sollte. Ende 2013 erklärte aber der Währungsfonds, dass die Austeritätsauflagen durch Kiew – damals bereits von der prorussischen Regierung unter Präsident Janukowitsch (2010-2014) geführt – nur teilweise erfüllt worden seien, was die Implementierung des Kreditprogramms unmöglich mache.20 Kiew entschloss sich daraufhin, unter Verweis auf die Austeritätsvorgaben des IWF die Verhandlungen mit der EU über ein Assoziierungsabkommen auszusetzen,21 was die westlich geförderten Euromaidan-Proteste auslöste, die zum Regierungssturz, russischer Militärintervention und zum Bürgerkrieg führten.

Die folgenden Deals zwischen dem Fonds und Kiew wurden schon von prowestlichen Regierungen verhandelt. Kurz nach dem Regierungssturz, im März 2014, erhielt Kiew IWF-Zusagen von 14 bis 18 Milliarden Dollar, um die prowestlichen Kräfte im Kampf gegen Moskau und ostukrainische Abspaltungsbestrebungen zu stabilisieren.22 Es folgten weitere Vereinbarungen 2015, 2017 und 2020 – jeweils in Verbindung mit Sparprogrammen, Sozialkürzungen oder politischen Auflagen. Mitunter wurden vom IWF die Höhe der Kredite von den Kriegszielen Kiews im Bürgerkrieg abhängig gemacht. Im Mai 2014, kurz nachdem das rechte Pogrom an prorussischen Demonstranten in Odessa den ukrainischen Bürgerkrieg in die heisse Phase eskalieren liess, warnte der Währungsfonds die prowestliche Regierung in Kiew, dass ein „Verlust“ des Donbass sich negativ auf die Höhe der westlichen Kredite auswirken würde.23
Ukraine zwischen Ost und West
Die hier kurz erwähnten Auseinandersetzungen mit dem Währungsfonds bildeten dabei nur ein Moment der zunehmenden Krisenhaftigkeit der Ukraine, die das Land anfällig machte für äussere Interventionen und Souveränitätsverluste. Und war es gerade diese jahrelang schwelende Finanzkrise, in der sich der oben skizzierte kapitalistische Krisenprozess spiegelt – und die Kiew erst zum Objekt eines geopolitischen Machtkampfs zwischen Russland und dem Westen werden liess. Weitere Zahlen können diese ökonomische Sackgasse illustrieren: Die Ukraine wies allein 2013 – kurz vor Intervention und Bürgerkrieg – ein enormes Leistungsbilanzdefizit von mehr als acht Prozent des Bruttosozialprodukts (BIP) auf, das Haushaltsdefizit belief sich auf rund 6,5 Prozent des BIP. Letztendlich importierte die Ukraine jahrelang mehr Güter, als sie exportieren konnte – ähnlich den südeuropäischen Euro-Krisenländern, wie Griechenland.24 Das enorme Handelsdefizit, das im dritten Quartal 2013 mit einem Minus von 7,3 Milliarden Dollar einen neuen historischen Höchstwert erreichte, ist auf zwei Faktoren zurückzuführen: Zum einen sind die notwendigen Energieimporte aus Russland, zum anderen die oben erläuterten, nie überwundenen Folgen des Zusammenbruchs der staatssozialistischen Wirtschaftsstruktur, die einen massiven Deindustrialisierungsschub ausgelöst haben. Die Ukraine hat sich nie davon erholt.

Diese ökonomische Krisenanfälligkeit, die eine permanente Instabilität des oligarchischen Politüberbaus der Ukraine nach sich zog, machte dieses neue Grenzland zwischen Ost und West zu einem bevorzugten Interventionsobjekt bei den zunehmenden geopolitischen Auseinandersetzungen zwischen dem Westen und Russland in Eurasien. Die erste grosse Intervention des Westens erfolgte mit der Orangen Revolution im November 2004, als Wahlfälschungsvorwürfe gegen den prorussischen Präsidentschaftskandidaten Janukowitsch, der den ersten ukrainischen Präsidenten Kutschma beerben sollte, zu unblutigen wochenlangen Protesten führten, die seinen westfreundlichen Konkurrenten Juschtschenko ins Präsidentenamt hievten. Dieser Protestmarathon, der eine Reihe von Farbenrevolutionen im postsowjetischen Raum nach sich zog, wurde von westlichen Nichtregierungsorganisationen unterstützt, wie der Open Society Foundation, der Konrad-Adenauer-Stiftung, oder dem Freedom House der US-Regierung.

Juschtschenko leitete einerseits die Integration der Ukraine in die EU ein, die in einem Assoziierungsabkommen münden sollte. Andrerseits forcierte er mit seinem nationalistischen innenpolitischen Kurs einen Kulturkampf gegen die russische Sprache, der eine Ukrainisierung des Staats- und Bildungswesens nach sich ziehe sollte. Geschichtspolitisch liess er den westukrainischen Faschismus rehabilitieren, indem Faschisten und Nazi-Kollaborateure zu „Helden der Ukraine“ erklärt wurden.

Eine weitere, politische verheerende Folge der „Farbenrevolutionen“ bleibt im Westen bins zum heutigen tag unterbelichtet: Diese westliche Intervention in der Ukraine zog auch einen autoritären Fallout im gesamten postsowjetischen Raum nach sich. Historisch betrachtet, setzte die grosse autoritäre Formierung in Belarus, Kasachstan und Russland im vollen Umfang erst nach der Orangen Revolution 2004 in der Ukraine ein, nachdem westliche Denkfabriken und NGOs die relativen Freiräume dort ausnutzen konnten, um die prowestliche, aber auch nationalistische Präsidentschaft Juschtschenkos durchzusetzen.

Die zweite grosse Intervention in der Ukraine erfolgte, gewissermassen in Reaktion auf die Orange Revolution, im Winter 2005/06 durch Russland – in Gestalt eines wochenlangen „Gasstreits“ zwischen beiden Ländern, der die Gasversorgung der EU im Winter beeinträchtige und der Wirtschaft der Ukraine, insbesondere der energiehungrigen Schwerindustrie im Osten des Landes, die hohe ökonomische Verflechtung beider ehemaliger Sowjetrepubliken vor Augen führte. Russland konnte sich bei seinen Forderungen nach einer Anhebung des Gaspreises auf Weltmarktniveau (damals forderte Gasprom 230 Dollar pro 1000 Kubikmeter) durchsetzen, musste aber der Lieferung billigeren turkmenischen Erdgases durch das russische Pipelinenetz zustimmen. Dennoch stellte diese Vereinbarung eine ökonomische Mehrbelastung für Kiew dar, die zu einer raschen Verschlechterung der Leistungsbilanz und der Haushaltslage beitrug – zumal Streitigkeiten über Energiepreise zwischen Kiew und Moskau immer wieder neu aufflammten.

Auch die russische Intervention, die Energiepreise als Machthebel nutzte, war gewissermassen erfolgreich: 2010 erlitt Juschtschenko aufgrund seines nationalistischen Kurses, der schlechten Wirtschaftslage und der energiepolitischen Turbulenzen mit fünf Prozent eine katastrophale Wahlniederlage, während sich der russlandfreundliche Janukowitsch – ein Mann der ostukrainischen Oligarchie – gegen Julia Timoschenko durchsetzen konnte. In den folgenden drei Jahren folgte eine graduelle Annäherung an Moskau, die mit einer Zunahme der Spannungen mit dem IWF und dem Westen einherging – bis zum offenen Ausbruch des blutigen Machtkampfes im Winter 2013.

Doch auch Janukowitsch war, wie viele Funktionsträger in der Peripherie des kriselnden Weltsystems, mit derselben ökonomischen Sackgasse konfrontiert: Das enorme ukrainische Doppeldefizit konnte nur noch durch ausländische Finanzierung aufrechterhalten werden, weswegen sich Kiew zwischen den Finanzspritzen aus Ost oder West – und der Einbindung in die korrespondierenden Einflusssphären – entscheiden musste. Kiew musste sich zwischen dem Austeritätsregime des IWF und der billigen fossilen Energie Moskaus entscheiden, wobei beide Optionen mit Souveränitätsverlusten einhergingen (IWF-Auflagen oder Einbindung in Russische Einflusssphäre). Und Janukowitsch, der seine politische Heimat in der Ostukraine hatte, entschied sich für den Osten. Letztendlich war die Ukraine des Jahres 2013 aufgrund fehlender Energielagerstätten und archaischer Industriestrukturen kaum ökonomisch überlebensfähig. Es fehlte ein volkswirtschaftliches „Geschäftsmodell“, das entweder eine breite Verwertung von Arbeitskraft in der Warenproduktion gewährleistet, um soziale Infrastruktur samt Staatsapparat zu finanzieren, oder zumindest hinreichende Deviseneinnahmen im Rahmen von Rohstoffexporten ermöglicht. Zeitversetzt fand sich Kiews somit in einer ähnlichen Lage wie Athen, die Ukraine war gewissermassen das Griechenland des Ostens.25

Denn letztendlich hat sich die Ukraine, wie die meisten postsowjetischen oder postsozialistischen Staaten ohne grosse Rohstoffvorkommen, als ökonomisch kaum überlebensfähig erwiesen. Das industrielle Zentrum im Osten des Landes ist von einer kaum konkurrenzfähigen, maroden und veralteten Schwerindustrie geprägt, während der Westen weitgehend deindustrialisiert wurde. Eine Folge des Kollapses der Staatssozialismus war auch die wirtschaftliche Ost-West-Spaltung der Ukraine. Die westlichen und „proeuropäischen“ Regionen des Landes stellen bis zum AUsbruch des Bürgerkrieges dessen innere Peripherie dar, die sich vom Zusammenbruch der Sowjetunion niemals auch nur annähernd erholt hat. Der nationalistische Westen war durch Deindustrialisierung, Verelendung, infrastrukturellen Zerfall und hohe Arbeitslosigkeit geprägt. Ohne Übertreibung kann hier von einer Region wirtschaftlich „verbrannter Erde“, von einem ökonomischen Zusammenbruchsgebiet gesprochen werden. Diese innere Zerrissenheit zwischen der russisch geprägten, durch eine veraltete Schwerindustrie gekennzeichneten Ostukraine und der nationalistischen Westukraine, in der weitgehend Ukrainisch gesprochen wird, bildete die zentrale sozioökonomische Bruchlinie des Landes. Der Osten hatte ein materielles Interesse an der Integration mit Russland, der Westen konnte hingegen bei einer Westintegration auf die Öffnung des EU-Arbeitsmarktes und westliche Investitionen spekulieren.

Ein ähnliches Schicksal wie die Ukraine hat im Übrigen vor wenigen Jahren das autoritär regierte Belarus erfahren,26 das aufgrund eskalierender wirtschaftlicher Krisentendenzen sich auf eine stärkere Integration mit Russland einlassen musste, um einer vom Westen unterstützten „Revolution“ zuvorzukommen. Während Kiew sich nach 2014 gen Westen orientierte, wählte der belarussische Staatschef Lukaschenko die Integration in die Russische Föderation. Für diese postsowjetischen Staaten endet somit aufgrund ihrer kaum vorhandenen ökonomischen Basis, in der Kapitalakkumulation im gesamtgesellschaftlich hinreichendem Ausmass vonstattengehen würde, die kurze Ära der vollen nationalen Souveränität, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion einsetzte (Belarus lebte jahrelang beispielsweise davon, subventioniertes russisches Erdöl in seinen Raffinerien zu verarbeiten und zu Weltmarktpreise zu verkaufen – bis Russland anfing, die Preise hochzutreiben). Der unabhängige Nationalstaat wird somit – und dies ist ja keine genuin osteuropäische Tendenz – zu einem historischen Auslaufmodell, das in regionalen Wirtschaftsbündnissen aufgeht. Einzig postsowjetische Länder mit grossen Rohstoffvorkommen, wie etwa Turkmenistan, können sich ihre nationale Souveränität mittels massiver Rohstoffexporte noch erkaufen. Sobald keine ausreichenden Rohstoffvorkommen zum Export vorhanden sind, setzen im postsowjetischen Raum eben jene sozioökonomischen Krisenprozesse ein, die Belarus und der Ukraine ihre politische Instabilität verschafften.

Somit spiegelt sich in dieser postsowjetischen Misere nur der eingangs skizzierte globale Krisenprozess des spätkapitalistischen Weltsystems, das aufgrund eines fehlenden Akkumulationsregimes, das massenhaft Lohnarbeit verwerten würde, nicht nur in der Semiperipherie, sondern auch in den Zentren nur noch auf Pump läuft – diese haben aber noch ihre ökonomischen Grossräume samt dem Euro und Dollar, die bis vor Kurzem eine Verschuldung über die Geldpresse ermöglichten. Mit ihrer Intervention in der Ukraine 2013/14 stellten EU und USA sicher, dass dem postsowjetischen Raum kein ähnliches Kriseninstrument zur Verfügung stehen wird. Das „Great Game“ um Eurasien gleicht somit faktisch einem Krisenimperialismus, einem Kampf gegen den krisenbedingten sozioökonomischen Abstieg, wobei die Zentren bemüht sind, ihre dominante Stellung auf Kosten der Peripherie zu halten. Es ist eine Art Kampf auf der Titanic. Deswegen nehmen die geopolitischen Auseinandersetzungen oft die Form von innenpolitischen Unruhen, Aufständen, etc. an, die erst durch die krisenhafte Destabilisierung der betreffenden Gesellschaften ermöglicht werden.

Russland und der Westen nutzten diese Instabilität in ihrem Bemühen, die Ukraine in die jeweiligen Bündnissysteme einzugliedern. Für den Kreml spielte die Ukraine eine zentrale Rolle als Teil einer Eurasischen Union, eines eigenständigen ökonomischen Grossblocks zwischen der EU und China, der auch resistenter gegenüber Krisenerschütterungen wäre. Washington und insbesondere Brüssel/Berlin ging es somit bei der blutigen Intervention 2013 vor allem darum, die Formung eines eurasischen Konkurrenzbündnisses zur EU zu verhindern (Washington wollte überdies eine strategische Annäherung zwischen EU und Moskau verhindern, was auch die innerwestlichen Auseinandersetzungen 2013/14 erklärt).27 Die vom Kreml forcierte „Eurasische Union“ sollte etliche Volkswirtschaften des postsowjetischen Raums in einem nach dem Vorbild der EU und Nato strukturierten transnationalen Bündnissystem zusammenschliessen. Neben Kasachstan und Belarus sollte diese Union insbesondere die Ukraine umfassen. Hierdurch würde den Europäern, die sich längst angewöhnt haben, den Osten als ihren Hinterhof zu betrachten, ein ernsthaftes Gegengewicht erwachsen, wie die Wiener Zeitung im Frühjahr 2013 anmerkte:28

„Die „Eurasische Union“ wäre der russische Wirtschaftsblock zwischen dem „Westen“ und China. Und mächtiger als die EU, denn Russlands Militär würde wohl eine gemeinsame Sicherheitspolitik anführen. Dieser Arm fehlt der Europäischen Union völlig. Mit einer voll ausgebildeten Eurasischen Union wäre die EU – auf Basis der jetzigen Warenströme – bei etlichen Rohstoff- und Energiesparten von Moskau abhängig. … Auf Basis all dieser Informationen versuchte die EU, die Ukraine mit einem Assoziierungsabkommen auf ihre Seite zu ziehen. Leider sagte Brüssel davon kein Wort.“

Zur Erinnerung: 2013, das war mitten in der Eurokrise. Das war die Ära, in der der damalige deutsche Finanzminister Schäuble die Eurozone mittels rabiater Austeritätsprogramme in einen preussischen Kasernenhof verwandelte, um die Dominanz Berlins in „seiner“ Währungsunion zu zementieren.29 Den drangsalierten Staaten der südlichen Peripherie der Eurozone, etwa dem von Schäuble in die Depression getriebenen Griechenland, sollten auch strategische Alternativen zur deutschen EU genommen werden. Deswegen waren sowohl Berlin wie auch Washington daran interessiert, die „Eurasische Union“ Moskaus mittels einer Intervention in Kiew zu verhindern.

Ohne das sozioökonomische Potenzial der Ukraine blieb dieses russische „Prestigeprojekt“ nicht realisierbar, der Kreml kann sich auch künftig nicht auf Augenhöhe mit der EU bewegen. Neben diesem zentralen strategischen Motiv spielen auch militärische und wirtschaftliche Überlegungen bei der Intervention des Westens eine Rolle. Die Ukraine verfügt über ausgezeichnete landwirtschaftliche Nutzflächen, zudem kann der Westen des Landes aufgrund des niedrigen Lohnniveaus zu einer „verlängerten Werkbank“ westlicher Konzerne umgebaut werden. Ein Beitritt der Ukraine zur NATO käme schliesslich einer schweren militärischen Niederlage Russlands gleich, das nun einen „Pufferstaat“ zum westlichen Militärbündnis verlieren würde.

Für Russland stellt die Auseinandersetzung um die Ukraine somit eine letzte Chance dar, auch zukünftig den Status einer imperialen Grossmacht innezuhalten. Ohne die Ukraine sei Russland „kein eurasisches Reich mehr“, bemerkte etwa der US-Geopolitiker Zbigniew Brzezinski in seinem geopolitischen Klassiker „The Grand Chessboard“. Der „Verlust“ der Ukraine käme für den Kreml somit einem geopolitischen Super-GAU gleich, der die machtpolitischen Ambitionen Putins zunichtemachen würde. Der imperiale russische Traum ist nun ausgeträumt, stattdessen muss Russland um seinen Status als Grossmacht kämpfen, da der Westen sich anschickt, seinen Einfluss dort dauerhaft zu etablieren, wo bislang nur deutsche Panzerverbände kurzfristig vorstossen konnten.

Der geopolitische und militärische Kampf um die Ukraine muss aber auch als Teil des globalen Hegemonialkampfes zwischen den USA und China begriffen werden, die gerade aufgrund der ökonomischen wie ökologischen Krise des gesamten kapitalistischen Weltsystems zunehmend in die Konfrontation getrieben werden. Der Westen vs. Eurasien – auf diesen Nenner lässt sich der gegenwärtige globale Hegemonialkampf bringen, wobei die imperialistischen Lager bemüht sind, die Grenzen ihrer Einflussgebiete zu erweitern. Die absteigenden USA sehen China samt einer eurasischen Allianz als die zentrale Bedrohung ihrer erodierenden Hegemonie an. Den USA geht es bei der Intervention in Kiew folglich darum, das eigene, über den Atlantik wie Pazifik möglichst weit hinausgreifende Bündnissystem zu festigen. Wo wird die Ukraine – oder das, was von dem Land übrig bleiben wird – seinen Platz finden? In einer eurasischen Allianz mit Russland und China, oder in dem Bündnissystem des Westens?

Die Ukraine ist somit buchstäblich zum Schlachtfeld eines imperialistischen Krieges geworden, wobei die Frontverläufe auch innerhalb des Westens in Bewegung sind. Die USA etwa bemühen sich durch eine Eskalationsstrategie in der Ukraine, die deutsch dominierte EU, die seit der Trump-Ära verstärkt als eigenständiger Akteur agieren will, wieder fest in ihrer Einflusssphäre zu verankern. Gerade im Gefolge des prowestlichen Umsturzes in Kiew wurde ja Anfang 2014 deutlich, dass Berlin als eigenständiger geopolitischer Akteur tätig ist und sich keinesfalls von Washington seine Politik vorschreiben lässt. Westliche Übereinstimmung herrschte 2013/14 noch beim Bemühen, die Ukraine aus der geplanten russischen Wirtschaftsunion herauszulösen. Deutschland baute damals, vermittels der Konrad Adenauer Stiftung, die Klitschko-Partei UDAR auf,30 die auf einen Machtwechsel per Neuwahl setzte und während der Kämpfe um den Maidan schnell mit radikaleren, US-gesponserten Kräften in Konflikt geriet. Das berühmte „Fuck the EU“ der US-Diplomatin Victoria Nuland,31 veröffentlicht als Mitschnitt eines Telefongesprächs auf dem Höhepunkt der Krise, gibt gerade diese innerwestlichen Differenzen wieder, die auch die gegenwärtige deutsche Zurückhaltung bei Waffenlieferungen an die Ukraine erklären – während Berlin die Gelegenheit des russischen Angriffskrieges nutzt und ein gigantisches Rüstungsprogramm auflegt, um seiner ökonomischen Dominanz in der Eurozone eine militärische Komponente hinzuzufügen.

Ost oder West? Die wechselnde geopolitische Ausrichtung der Ukraine, die sich während dieses jahrelangen neo-imperialen „Great Game“ zwischen Eurasien und Ozeanien vollzog, spiegelt sich buchstäblich in ihrer Handelsbilanz wieder.32 Die enge ökonomische Verflechtung zwischen den postsowjetischen Staaten Russland und Ukraine wich unter dem prowestlichen Präsidenten Juschtschenko (2005-2010, damals noch von Poroschenko finanziert) einem höheren Anteil der EU an dem Handelsvolumen des osteuropäischen Landes, während in der Regierungszeit Janukowitschs (2010-2014) wiederum der Handel mit Russland wichtiger wurde. Erst nach dem Umsturz 2013/14 und der Annexion der Krim durch Russland fand eine dauerhafte ökonomische Abkopplung zwischen beiden postsowjetischen Ländern statt.

Ein weiterer Faktor, der zum nachhaltigen Abdriften der Ukraine aus dem ökonomischen Orbit Russlands führte, bildete die von Polen angeführte, sukzessive Öffnung des europäischen Arbeitsmarkts für ukrainische Lohnabhängige, von der vor allem der deindustrialisierte Westen des Landes profitierte. Allein 2017 reisten rund 580 000 Ukrainer auf Arbeitssuche nach Polen ein – zu mehr als zwei Dritteln aus dem verarmten Westen des Landes.33 Insgesamt dürften in der EU nach dem Wegfall von Arbeitsbeschränkungen und Visaregeln inzwischen Millionen Ukrainer arbeiten.

Das klassische Auswanderungsland Polen, das seit dem EU-Beitritt des Landes mehr als zwei Millionen Lohnabhängige auf Arbeitssuche gen Westeuropa verliessen, bildete somit auch die Avantgarde einer offenen Einwanderungspolitik, die aber strikt auf Arbeitsmigration aus dem postsowjetischen Raum beschränkt blieb (während Polen zugleich die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem globalen Süden und Syrien blockierte).34 Die grosszügige Vergabe von Arbeitsvisa an ukrainische Migranten durch Polen war aber nicht nur ökonomisch, sondern auch geopolitisch motiviert. Hierdurch wurde die Abkopplung der Ukraine aus dem geopolitischen und auch ökonomischen Orbit der Russischen Föderation beschleunigt. Durch die weitgehende Kappung der traditionellen ökonomischen Verflechtungen zwischen Russland und der Ukraine nach dem prowestlichen Regierungsumsturz, die ja zu Sowjetzeiten in Dekaden ausgebildet worden waren, wurde die ukrainische Wirtschaftsmisere verschärft. Die rasch anschwellende Arbeitsmigration gen Westen wirkte dem als eine Art soziales Ventil entgegen.

Der nationalistische und sozioökonomisch im Gefolge der Transformation verwüstete Westen der Ukraine, dessen faschistische Gruppierungen führend an dem Umsturz in Kiew beteiligt waren, erhielt so eine wirtschaftliche Lebensader. Die Rücküberweisungen der Arbeitsmigranten dürften in der Westukraine inzwischen einen ähnlich grossen sozioökonomischen Stellenwert einnehmen, wie es in Polen kurz nach dem EU-Beitritt 2004 der Fall war. Während der Osten der Ukraine im Bürgerkrieg versank, konnte im Westen des Landes eine gewisse sozioökonomische Stabilisierung erreicht werden.
Umsturz, Annexion der Krim, Bürgerkrieg, Stabilisierung
Es wird von westlichen Beobachtern gerne argumentiert, dass die organisierten rechtsextremen Gruppierungen und Milizen nur einen kleinen Teil der Teilnehmer bei den Protesten 2013/14 stellten, doch waren diese militanten, gut trainieren und organisierten Gruppierungen entscheidend für den gewaltförmigen Regierungssturz und das Ende de Präsidentschaft Janukowitschs. Ohne diese rechtsextreme Speerspitze, die rund zehn Prozent der Protestteilnehmer ausmachte, wäre der durch militante, letztendlich bewaffnete Kämpfe errungene Sturz der prorussischen Kräfte 2013 unmöglich gewesen, wie es ukrainische Neo-Nazis Anfang 2022, am Vorabend des russischen Überfalls auf die Ukraine bei einer Veranstaltung in Kiew ausführten.35

Die gemässigten Kräfte innerhalb der Opposition sind im Januar 2014 somit zu Getriebenen einer von Extremisten angeheizten Dynamik geworden, die klar die Führung auf den Strassen übernommen hatten und Kompromisslösungen mit Janukowitsch sabotierten. Damals konnte diese rechte Dominanz bei den Protesten sehr gut am Beispiel des deutschen Politexports Vitali Klitschko begutachtet werden. Seine Versuche, die von den Rechtsextremen forcierte Eskalation der Gewalt am 19. Januar 2014 zu verhindern, brachten dem Boxweltmeister eine von Buhrufen begleitete Attacke mit einem Feuerlöscher ein. Ausgepfiffen wurde Klitschko auch nach seinem ersten Gespräch mit Janukwoitsch, nachdem er mühsam „rechte Schlägertrupps an den Barrikaden in der Gruschewski-Strasse zu einer kurzen Waffenruhe“ überreden konnte, wie selbst Spiegel-Online damals berichtete.36 Es waren gerade diese rechtsextremen „Scharfmacher“, die auf der Strasse die Führung übernommen hatten. Vermittels ihrer militanten und gut vernetzten Anhängerschaft konnten sie jederzeit Konfrontationen mit den Polizeikräften initiieren, um so alle Bemühungen zu einer Entspannung der Lage zu torpedieren. Gemässigte Politiker waren damals zu Getriebenen geworden, die dem Gang der Eskalation folgen mussten.

Dominant waren damals dezidiert faschistische Kräfte wie die Partei Swoboda (Freiheit) des Scharfmachers Oleg Tjagnibok, der seine hauptsächlich aus der Westukraine stammende Anhängerschaft zu immer neuen Angriffen aufwiegelte. Rund 12 Prozent konnten diese Rechtsextremisten bei den Wahlen 2012 erringen. Daneben spielten bei den Auseinandersetzungen auf der Strasse sich neu formierende, militant-neofaschistische Netzwerke eine herausragende Rolle. Neonazis, insbesondere aus der Hooligan- und Fussballszene, sammeln sich etwa in dem militanten Nazinetzwerk „Rechter Sektor“ (Prawy Sektor), dessen straff organisierte Einheiten bei den Strassenkämpfen in erster Reihe agieren. Laut BBC haben eben die Aktivisten des Nazinetzwerks Prawyj Sektor die „Speerspitze“ der militanten Angriffe gegen Polizeieinheiten gebildet.37

In sozialen Netzwerken riefen Aktivisten des Prawyj Sektor damals sogar offen zu Spenden von „Zwillen, Baseballschlägern, Stahlkugeln, Laserpointern, Benzinflaschen, Ketten und Pyrotechnika auf“, berichtete der US-Sender Radio Free Europe (RFE/RL). Am 22. Januar 2014 kündigte Andrei Tarasenko, der Koordinator dieses Neonazinetzwerkes, im Fall einer Räumung des Demonstrationscamps einen „Guerillakrieg“ und einen „Bürgerkrieg“ in der gesamten Ukraine an.38 Die sich seit 2013 herausbildende rechte Hegemonie in der Ukraine, die massive Rechtsverschiebung des öffentlichen Diskurses, wird allein an dem Umstand deutlich, dass die linksliberale US-Zeitschrift „The Nation“39 2014 noch über Parolen in Kiew berichtete, die der ukrainische Nationalismus in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hätte. Progressive Aktivisten müssten innerhalb der Oppositionsbewegung „an zwei Fronten“ kämpfen, klagte eine Aktivistin gegenüber The Nation. Es sei ein Kampf gegen ein autoritäres Regime und gegen den extremen Nationalismus, der auf dem Maidan anerkannt sei und für legitim erachtet werde. Sprüche wie „Ruhm der Nation! Tod den Feinden!“, oder „Ukraine über Alles“ seien auf dem Maidan des Jahres 2013 plötzlich populär. Diese Parolen sind aber inzwischen Mainstream.

Dasselbe gilt für das Geschichtsbild der extremen Rechten der Ukraine, die nach 2013 erfolgreich die Nazi-Kollaborateure und ukrainischen Faschisten, die sich fanatisch am deutschen Holocaust und Massenmord im Osten beteiligten, zu Volkshelden stilisieren konnte. Die bitterste Ironie an der deutschen Unterstützung des Euromaidans 2913/14, als der damalige Aussenminister Steinmeier sich auch mal mit einem Rechtsextremisten wie Swoboda-Chef Tjagnibok zu Unterredungen traf,40 stellt sicherlich der Umstand dar, dass viele ukrainische Neonazis tatsächlich eine wirklich hohe Meinung von Deutschland haben. Die Deutschlandliebe der ukrainischen Rechtsextremisten verleitet diese etwa dazu, in SS-Uniformen41 auf Demonstrationen und Kundgebungen42 aufzulaufen. Am 1. Januar 2014 etwa marschierten rund 15.000 Rechtsextreme bei einem gespenstischen Fackelzug durch Kiew,43 um des Nazikollaborateurs Stephan Bandera (so etwas wie der Rudolf Hess des ukrainischen Faschismus) zu gedenken. Etliche Demonstranten taten dies in Uniformen der von den Nazis in der Westukraine nach dem Überfall auf die Sowjetunion aufgestellten SS-Division Galizien (ähnliche Aufmärsche finden inzwischen alljährlich in Kiew statt).

Banderas Kampfverbände der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) – deren Parolen 2013/14 wieder massenhaft auf dem Maidan erschallten – wurden schon vor dem Überfall auf die Sowjetunion von der Wehrmacht aufgebaut und in die Angriffsplanungen eingebunden. Diese ukrainischen Kollaborateure haben im Kriegsverlauf an unzähligen Massakern teilgenommen, denen Hunderttausende Juden, Polen, Andersdenkende und politische Gegner zum Opfer fielen. Ermuntert von den deutschen Besatzern organisierten diese ukrainisch-faschistischen Kräfte mitunter eigenständig die Vernichtungsaktionen, wie etwa bei dem bestialischen Pogrom in Lviv, bei dem wenige Tage nach Kriegsausbruch die jüdische Bevölkerung der Stadt zusammengetrieben, entkleidet, gefoltert und ermordet wurde. Ukrainische Lagerpersonal war auch oft für die Drecksarbeit in dem deutschen KZ-System im Osten verantwortlich.

Diese ausführlich dokumentierte und in der seriösen Geschichtswissenschaft unumstrittene massenmörderische Praxis des ukrainischen Faschismus hält die heutigen Rechtsextremisten nicht davon ab, Stephan Bandera, die OUN oder die SS-Division Galizien als Helden zu verehren. Rechtsextreme Politiker waren etwa bei Beerdigungen von Naziveteranen gern gesehene Gäste. Hier wurden die Kommandos zum Abschuss der Ehrensalve durch die als SS-Männer verkleideten Nazis noch auf Deutsch gegeben. Dieses dezidiert nationalsozialistische Geschichtsbild, das Swoboda und weitere Naziverbände am 1. Januar 2014 auf die Strassen Kiews trugen, illustriert nicht nur die sozioökonomische, sondern auch kulturelle Spaltung der Ukraine in einem russischsprachigen Osten und einen ukrainischsprachigen Westen. Die Akteure und Organisationen der faschistischen ukrainischen Kriegskollaboration mit Nazideutschland, die im Westen verehrt werden, gelten im Osten und Süden der Ukraine als eine Bande von Nazi-Verbrechern und Verrätern.

Diese Spaltung kam auch in der offiziellen staatlichen Geschichtspolitik zum Ausdruck. Während im Westen die ukrainische SS-Division „Galizien“ rehabilitiert wurde und dem Nazikollaborateur Bandera immer neue Denkmäler errichtet werden, liess der 2014 gestürzte Präsident Janukowitsch, dessen Wählerschaft sich aus der Ostukraine rekrutierte, diesem den Titel „Held der Ukraine“ aberkennen, der Bandera von seinem Amtsvorgänger Juschtschenko verliehen worden ist. Die rechtsextreme Geschichtsideologie, Bandera und die OUN zu „Volkshelden“ zu stilisieren, ist erst nach dem Umsturz 2013 im Gefolge der im ukrainischen Geschichtsdiskurs aufkommenden rechten Hegemonie landesweit popularisiert worden (Die OUN befand sich kurzfristig in folgenloser Opposition zur deutschen Okkupation, nachdem Bandera nach der eigenmächtigen Ausrufung der Unabhängigkeit der Ukraine unter Arrest gestellt worden war, er lebte nach dem Krieg in München),44

Diese geschichtspolitische Hegemonie der extremen Rechten nach 2013 bildete einen weiteren innerukrainischen Sprengsatz, da die Idee, Nazi-Kollaborateure zu nationalen Ikonen aufzubauen, im Osten und im Süden der Ukraine inakzeptabel ist. Deswegen finden auch Symbole der Sowjetunion in diesem Krieg so häufig Verwendung. Sie sind nicht Ausdruck einer politischen Ausrichtung, sondern einer russophilen Identität. Für den auf Osteuropa spezialisierten Extremismusexperten Andreas Umland stellten der ukrainische Rechtsextremismus mit den offensiv propagierten Symbolen und Ideen der „Organisation Ukrainischer Nationalisten“ sogar eine „implizit separatistische“ Bewegung dar,45 da dieses Geschichtsbild die Formierung eines gesamtukrainischen Geschichtsbewusstseins unterminiere. Die Verehrung der Organisationen und Führer des ukrainischen Kriegsnationalismus würde im Süden oder Osten – trotz ebenfalls vorhandener xenophober und rassistischer Ressentiments – als „unangemessen und sogar beleidigend“ angesehen, so Umland Ende 2013 in Vorahnung des kommenden Bürgerkrieges.

Die breite Ablehnung des ukrainischen Faschismus im Osten und Süden der Ukraine, wo der Sieg der Sowjetunion gegen Nazideutschland weiterhin einen zentralen Bestandteil der regionalen, russophilen Identität bildet, konnte leicht von Russland bei seiner Intervention instrumentalisiert werden, da der „Grosse Vaterländische Krieg“ auch – neben reaktionärem Zarismus und blankem Imperialismus – in den eingangs erwähnten Bemühungen des Kremls zur Ausbildung einer neuen nationalen Identität in Russland eine zentrale Rolle spielte. Zum Ausbruch des Bürgerkrieges hat ja nicht nur der Wersten beigetragen, der bei dem imperialistischen „Great Game“ um die Ukraine nicht davor zurückschreckte, auf Nazi-Milizen zurückzugreifen, sondern auch Russland, das als eine klassische imperialistische Macht agierte – indem es in Reaktion auf den Umsturz in Kiew im März 2014 die Krim besetzte und annektierte.

Diese klassisch imperialistische Annexion – auch wenn sie von der Bevölkerung der Krim mehrheitlich begrüsst wurde – stellte nicht nur einen klaren Bruch des Völkerrechts dar, sie leitete auch Wasser auf die Mühlen des ukrainischen Rechtsextremismus, der sich in seinem fanatischen Russlandhass bestätigt sah. Die mit dem Euromaidan initiierte Eskalationsspirale drehte sich weiter, die extreme Rechte der Ukraine schritt in Reaktion auf die russische Annexion der Krim zur Tat – und sie tat es in ihrer massenmörderischen Tradition am 2. Mai 2014 in Odessa.46 In der russophilen Hafenstadt am Schwarzen Meer hatten sich in den Wochen zuvor prorussische Aktivisten zu einer Art Gegen-Euromaidan versammelt, um gegen den Sturz der Regierung Janukowitsch, den rechtsextremen ukrainischen Geschichtsrevisionismus und die Westanbindung der Ukraine bei einem Dauerprotest zu demonstrieren. Die aus der Westukraine zusammengekarrten Rechtsextremisten haben diesen Protest am 2. Mai in einem pogromartigen Gewaltexzess zerschlagen, wobei dutzende Demonstranten getötet wurden. Es ist somit offensichtlich, dass die extreme ukrainische Rechte nicht nur bei dem Umsturz der demokratisch gewählten prorussischen Regierung eine führende Rolle spielte, sondern auch bei der folgenden militärischen Eskalation, die in den Bürgerkrieg führte.

Dieses faschistische Pogrom von Odessa – das in den westlichen Medien bezeichnenderweise gerne als „Tragödie“ oder „Brandkatastrophe“ verharmlost wird – bildete nämlich das Fanal für den offenen Bürgerkrieg in der Ukraine. Im Donbass, in Charkow und in Lugansk gab es anfänglich, im Gegensatz zur Krim, keine staatlich koordinierte russische Intervention. Die separatistische Bewegung entstand spontan, und sie wurde sporadisch von Russen, mitunter Offizieren aus dem russischen Staatsapparat, unterstützt. Erst als ukrainische Milizen und Militäreinheiten im Laufe Bürgerkrieges die ostukrainischen Separatisten immer weiter zurückdrängen, die prorussischen Kräfte am Rande der Niederlage standen, intervenierte das russische Militär im Sommer 2014, um die Front vor Donezk zu stabilisieren und den Bürgerkrieg in einen „eingefrorenen“, von sporadischen Kämpfen unterbrochenen Konflikt zu überführen. Dieser „eingefrorene“ Frontverlauf hatte bis 2022 – immer wieder unterbrochen von kurzen Kampfhandlungen – Bestand. Übrigens: Es ist eine übliche Strategie des Kremls, solche ungelösten Konflikte – etwa in Transnistrien oder in Südossetien – in Stasis zu halten, da sie bei Gelegenheit wieder eskaliert werden können, sofern es dem imperialen russischen Kalkül zupasskommt.

Der Bürgerkrieg, der faktisch von aussen, in Gestalt von westlicher Intervention und russischer Annexion, in das sozial und ökonomisch ohnehin zerrüttete Land getragen wurde, ging mit massenhaften Menschenrechtsverletzungen einher. Folter wurde nicht nur von den prorussischen Separatisten praktiziert, wie deutsche Medien gerne berichteten,47 sondern gerade auch von den ukrainischen Kräften, wobei die Grenzen zwischen Staatsgewalt und rechtsextremer Miliz fliessend waren, wie Zeugenaussagen belegen.48 Die Zivilbevölkerung in der Ostukraine, die nach 2013 in Kiew aufgrund der aufkommenden rechten Hegemonie zunehmend als rückständig und minderwertig wahrgenommen wurde,49 fand sich eingekeilt zwischen den Fronten eines Bürgerkrieges wieder, wie in so vielen anderen „Entstaatlichungskriegen“ (Robert Kurz) in der Peripherie oder Semiperipherie des Weltsystems. Amnesty International hat beide Konfliktparteien beschuldigt, massenhaft auf Folterpraktiken zurückzugreifen,50 die UN gehen von 7900 bis 8700 Fällen aus, für die zu ungefähr gleichen Anteilen Separatisten und Regierungskräfte verantwortlich sind. Bei dem Krieg sind rund 14 000 Menschen getötet worden.51 Auf ukrainischer Seite sollen vor allem die Nazi-Milizen und der ukrainische Geheimdienst auf Folterpraktiken zurückgegriffen haben, mitunter haben ukrainische Staatsangehörige prorussischen Aktivisten schlicht gedroht, sie an rechtsextreme Gruppierungen wie den „Rechten Sektor“ auszuliefern.

Es wäre sicherlich verfehlt, die Ukraine des 21. Jahrhunderts als blosses Objekt eines äusseren, imperialen Machtkampfes zu sehen. Die ukrainische Oligarchie hatte vor 2013 jahrelang zwischen Ost und West laviert, gerade unter Ausnutzung der imperialistischen Spannungen zwischen Ost und West, um Souveränitätsverluste zu verzögern, doch musste sich Janukowitsch angesichts der geschilderten Wirtschafts- und Schuldenkrise 2013 für die Einbindung in das westliche oder das russische Bündnissystem entscheiden, um im Gegenzug für die partielle Aufgabe staatlicher Souveränität durch Kredite, ermässigte Energiepreise, Marktzugang, usw. vor dem Staatsbankrott bewahrt zu werden.

Die Ukraine war somit spätestens 2014 eindeutig Schauplatz eines neo-imperialistischen Machtkampfes zwischen dem Westen und Russland geworden, was nicht ohne Folgen auf die oligarchische Struktur des schwachen ukrainischen Staatsapparates bleiben konnte. Die schleichende „Verwilderung“ des ukrainischen Staates, der ein Machtmittel und eine Versorgungsinstanz konkurrierender oligarchischer Seilschaften war, beschleunigte sich mit dem Ausbruch des Bürgerkrieges und der militärischen Intervention. Die in weiten Teilen der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems bestehende Krisentendenz zur Entstaatlichung, zum Kollaps von Staatsapparaten, zeichnete sich in der Ukraine seit 2013/14 deutlich ab. Mitunter bilden die Einnahmen aus Schmiergeldern oder willkürliche „Gebühren“ und Schutzgelder den Grossteil der Einnahmen von Staatsbediensteten. Wie gesagt: Auch diese Instabilität des in endlosen Oligarchenkämpfen zerrütteten Staates gehört zu den Voraussetzungen, die die äussere Intervention in der Ukraine erst möglich machten. Die Ukraine könnte sich somit – spätestens im Fortgang des 2022 ausgebrochenen Krieges – zu einem „Failed State“ entwickeln, in dem verschiedene Oligarchengruppen und -truppen ihre Machtkämpfe austragen.

Dieser Umstand erklärt auch, wieso die formellen Strukturen des ukrainischen Sicherheitsapparats 2014 vielerorts so schnell der rechtsextremen Milizbildung Platz machten: Viele Polizisten und Offiziere waren darauf konzentriert, in den von ihnen „eroberten“ Pöstchen möglichst effektiv Geld zu scheffeln – der Krisenausbruch, die Notwendigkeit einer militärischen Auseinandersetzung mit Milizen, hat diese „Staatsdiener“ schlicht überfordert (Ähnliches kann aus der Performance der russischen Armee am Kriegsbeginn 2022 geschlussfolgert werden).

Anfangs durchlief das oligarchische System der Ukraine eine krisen- und kriegsbedingte „militärische“ Transformation, die in Ansätzen bis zum heutigen Tag besteht. Generell galten in der heissen Phase des Konflikts 2014 die ukrainischen Oligarchen als die wichtigsten Förderer des grassierenden Milizwesens und der daraus resultierenden Militarisierung der Innenpolitik in der Ukraine. Es reichte nicht mehr, sich Parteien und Politiker zu kaufen. Jeder Oligarch, der etwas auf sich hielt, finanzierte auch eine Miliz.

Prominentestes Beispiel hierfür ist der ostukrainische Oligarch Rinat Achmetow, der reichste Mann der Ukraine, dessen Industriekonglomerat im Donbass angesiedelt war. Achmetow stellte sich gegen die Separatisten und unterstützte die Zentralregierung. Rund 300.000 Lohnabhängige arbeiteten in Achmetows Industriekonglomerat. Noch Mitte 2014 versuchte Achmetow vergeblich, „seine“ Arbeiterschaft für den Kampf gegen die ostukrainischen Separatisten bei Kundgebungen und Aufmärschen zu mobilisieren. Nun muss der einstige „König des Donbass“ im Exil in Kiew residieren. Achmetow finanzierte daraufhin genauso eine Miliz wie die umtriebige Julia Timoschenko.

Neben Achmetow und dem 2014 zum Präsidenten gewählten „Schokoladenkönig“ Petro Poroschenko, der praktischerweise auch einen Medienkonzern mitsamt TV- und Radiosendern sein Eigen nennt, spielte der Oligarch Igor Kolomoisky eine zentrale Rolle bei dem Kampf Kiews gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen in der Ostukraine. Kolomoisky wurde schon im März 2014 vom ukrainischen Übergangspräsidenten Olexandr Turtschynow zum Gouverneur des ostukrainischen Oblast Dnipropetrowsk ernannt, um sogleich mit dem Aufbau des „Bataillon Dnipr“ – seiner privat finanzierten Miliz – die militärische Absicherung dieser Industrieregion zu forcieren. „Gehälter zwischen 1.000 Dollar für Soldaten bis zu 5.000 Dollar für einen Kommandeur machen den Dienst attraktiv“, erklärte ein Verwaltungsangestellter gegenüber ukrainischen Medien. Angesichts krisenbedingter Verelendung und Arbeitslosigkeit, die auch in der Ukraine eine Generation ökonomisch überflüssiger Lohnabhängiger entstehen liess, waren solche Angebote für viele junge Männer sehr attraktiv. Kolomoisky hat, wie bereits erwähnt, auch den ukrainischen Präsidenten Selensky aufgebaut, der seine Karriere in einem der Fernsehsender des Oligarchen begann.

Die prowestliche „Revolution“ des Euro-Maidan, die angeblich mit der Korruption und Oligarchenherrschaft brechen wollte, hatte somit im Endeffekt bloss zu deren Brutalisierung und Militarisierung geführt, in deren Gefolge die ukrainische Staatlichkeit in Auflösung überzugehen drohte. Während Oligarchen langsam Charakteristika von Warlords annahmen, nahm die Milizaktivität im Osten ein Eigenleben an. Die Vielzahl rechtsextremer und nationalistischer ukrainischer Gruppen, die ab Frühjahr 2014 im Donbass und Lugansk oftmals auf eigenen Faust kämpften, erschwerte ein koordiniertes Vorgehen gegen die Separatisten – zumal die Moral und Kampfkraft der ukrainischen Streitkräfte damals sehr niedrig war. Was tun? Die Lösung Kiews bestand darin, diese rechtsextremen Kämpfer, im Fall des Nazi-Bataillons Asow sogar ganze Verbände in die ukrainischen Streitkräfte zu integrieren. Diese rechtsextremen Formationen sind somit bis zum heutigen Tag teilweise in ihrer Organisationsstruktur intakt geblieben, wobei sie mitunter schlicht formell in den ukrainischen Militärapparat eingegliedert worden sind. Ähnliches gilt für den Polizeiapparat: Die „Nationale Miliz“, die aus organisierten Nazis aufgestellt wurde, dient als Hilfstruppe der Polizeikräfte.52 Und die Oligarchen der Ukraine finanzieren weiterhin direkt diese „Streitkräfte“ – Achmetow etwa gilt als einer der grössten Spender der ukrainischen Armee.

Der sich im Verlauf des Bürgerkrieges abweichende Staatszerfall der Ukraine wurde somit durch die Integration dieser grösstenteils rechtsextremen Zerfallsprodukte in den Staat formell übertüncht. Mit dem Abflauen der Kämpfe im Osten und der formellen Einbindung vieler Nazi-Formationen in den ukrainischen Staatsapparat (Die Nazis des Asow-Bataillons erhielten mit dem sogenannten Kosaken-Haus eine repräsentative Immobilie im Herzen Kiews),53 schien in der Ukraine ab etwa 2016 trotz des eingefrorenen Konflikts im Osten eine gewisse Normalisierung einzukehren. Rechtsextreme Milizen trugen nun zumindest ukrainische Uniformen und waren formell dem Staat unterstellt. Die Hinwendung zur EU eröffnete vielen Lohnabhängigen den europäischen Arbeitsmarkt, was, die gesagt, zur sozialen Stabilisierung des Landes beitrug, solange die globale Defizitkonjunktur, die durch die Gelddruckerei der Notenbanken in der EU und den USA aufrecht erhalten wurde,54 nicht kollabierte.

Zudem ging die EU nach 2014 tatsächlich dazu über, die Ukraine ökonomisch in ihre Einflusssphäre zu integrieren, was mit der Auslagerung arbeitsintensiver Fertigungsschritte in das osteuropäische Billiglohnland einherging. Die deutsche Autoindustrie hat damit begonnen, die Ukraine – ähnlich Polen und Ungarn nach 2004 – zu einer „verlängerten Werkbank“ zu transformieren.55 Zudem konnte das Land als ein neuer westlicher Frontstaat im imperialen „Hinterhof“ Russlands auf die obig erwähnte, zuverlässige Alimentierung durch den IWF zählen.56 Folglich haben die Parteien der rechtsextremen Bewegung, die sich um 2013,/14 im Aufschwung wähnten, in dieser Phase der prekären, von der westlichen Defizitkonjunktur abhängigen Stabilisierung der Ukraine einen politischen Bedeutungsverlust erfahren – während aber zugleich rechte Ideologie insbesondere in der Geschichtspolitik hegemonial wurde. Im Gewissen sinne wurden rechtsextreme Partien „überflüssig“, nachdem weite Teile ihrer Ideologie zur Staatsräson mutierten und in vielen Diskursen eine rechte Hegemonie etabliert werden konnte.
Am Vorabend des Krieges
Russland lief somit die Zeit davon, da die West-Einbindung der Ukraine, desjenigen Landes, das von Moskau als wichtigster Bestandteil der postsowjetischen Einflusssphäre betrachtet wird, irreversibel zu werden drohte. Die russische Annexion der Krim samt dem folgenden Bürgerkrieg im Osten hatte eine weitere Folge für die ukrainische Innenpolitik: die Balance zwischen nationalen und russophilen Kräften in der Ukraine ist nicht mehr gegeben. Die politische Zweiteilung der Ukraine in einen prorussischen Osten und einen nationalistischen Westen, die sich seit den 1990er-Jahren in den entsprechenden Machtwechseln zwischen ostukrainischen (Viktor Janukowitch) und prowestlichen Oligarchenklans (Viktor Juschtschenko) manifestierte, ist somit einseitig zugunsten des westukrainischen Nationalismus aufgelöst worden. Dies ist ein rotes Tuch für den Kreml, der gerade durch seine imperiale Annexion der Krim zu dieser innerukrainischen Frontverschiebung selbst beigetragen hatte. Diese durch das imperialistische Kalkül Putins zerstörte, innerukrainische Balance wurde von den nationalistischen Kräften zur Marginalisierung und letztlich zum Illegalisieren des gesamten russophilen Politspektrums der Ukraine genutzt.

Die Zweiteilung der politischen Landschaft der Ukraine in ost- und national orientierte Kräfte ist schon vor Kriegsausbruch im Februar 2022 einseitig zugunsten des Nationalismus aufgekündigt worden. Moskau sah sich folglich seiner nichtmilitärischen Einflussmöglichkeiten in der Ukraine beraubt, nachdem der prorussische ukrainische Oppositionsführer Wiktor Medwedtschuk, ein enger Vertrauter Putins, 2021 wegen „Hochverrats“ verhaftet und drei russischsprachige Fernsehsender verboten wurden. Aktivisten der grössten, prorussischen Oppositionspartei wurden im Osten des Landes von ukrainischen Nazis angegriffen, eine normale politische Betätigung war ihnen kaum noch möglich.57

Die autoritären, nationalistischen Bestrebungen in der Ukraine unter Präsident Selensky wurden im Westen bezeichnenderweise kaum wahrgenommen, während in Moskau sich das Gefühl breitmachte, dass die Ukraine der russischen Einflusssphäre endgültig entgleiten werde: ökonomisch, durch die Einbindung in die EU, politisch, durch die Repression gegen prorussische Kräfte. Die Auseinandersetzungen um den Nato-Beitritt der Ukraine bildeten sozusagen das finale Moment des Abdriftens der Ukraine, die von Moskau als zentraler Bestandteil der russischen Einflusssphäre im postsowjetischen Raum betrachtet wurde.

Der Westen war nicht mehr gewillt, die russische Einflusssphäre im postsowjetischen Raum zu tolerieren, während EU und Nato sich anschickten, ihren Einfluss dort dauerhaft zu etablieren, wo bislang nur deutsche Panzerverbände kurzfristig vorstossen konnten. Genau diese klassische „Einflusszone“, wie sie etwa auch die USA in der westlichen Hemisphäre, oder die BRD in Mittelost- und Südosteuropa beansprucht,58 wollte der Westen Moskau nicht mehr zugestehen. Für Berlin oder Washington war Moskau keine gleichberechtigte Grossmacht mehr. Bei den monatelangen Verhandlungen im Vorfeld des Krieges wollten weder Washington noch Berlin eine künftige Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato ausschliessen. Sie signalisierten Kiew deutlich ihre Aufnahmebereitschaft in die Nato – doch zugleich schloss der Westen eine direkte militärische Intervention in dem sich deutlich abzeichnenden Konflikt aus. Moskau und Kiew wurde somit der Expansionswille der Nato im postsowjetischen Raum signalisiert, ohne dass Beistandsgarantien für Kiew im Fall eines daraus resultierende Konflikts gegeben wurden.

In dieser Hinsicht kann eindeutig eine Mitschuld des Westens an dem Krieg konstatiert werden. Ob es sich hierbei um eine Fehlkalkulation handelte, oder ob der Konflikt bewusst provoziert wurde, um Russland in der Ukraine „weissbluten“ zu lassen, wie die blitzschnelle und massive Militärhilfe nahelegt, bleibt vorerst Spekulation. Russland führt somit eindeutig einen imperialistischen Angriffskrieg in der Ukraine, doch kann dieser durchaus als ein „provozierter“ Angriffskrieg bezeichnet werden, da der Westen keine ernsthaften Schritte unternahm, um die russischen Forderungen nach Neutralitätsverpflichtungen der Ukraine zu erfüllen.59 Hätte Putin trotz solcher Neutralitätsversprechen die Ukraine angegriffen? Wir werden es nie erfahren.

Zugleich erwies sich die Einbindung rechtsextremer Kräfte in den ukrainischen Staatsapparat60 und deren Einsatz im Bürgerkrieg als ein zweischneidiges Schwert, da sie zwar die mit Abstand schlagkräftigsten Kampfformationen stellten und auch weiterhin stellen, aber zugleich ein hohes Mass an Autonomie beibehielten. Die anomischen Kräfte, die der Krisenschub von 2013/14 freisetzte, wirken trotz ihrer Einbindung im Staatsapparat weiter, sodass dieser auf entscheidenden Politikfeldern kaum noch eine klare Politik formulieren kann. In den ukrainischen Kasernen marschierten schon vor Kriegsausbruch in Militäruniformen gekleidete Nazis, die die verhassten „Moskauer“ mit Messern aufzuschlitzen versprachen und die den Nazi-Kollaborateur Bandera als ihren „Vater“ besangen.61 Diese aus der rechtsextremen Milizbewegung hervorgegangenen Kräfte,62 die auch an dem Pogrom von Odessa 2014 federführend beteiligt waren, haben durchaus Einfluss und Handlungsautonomie im Sicherheitsapparat. Schon 2019 warnte etwa Amnesty International unter Verweis auf die zunehmenden faschistischen Übergriffe im Land, dass die ukrainische Regierung die rechtsextremen Kräfte, die weit in den morschen ukrainischen Staatsapparat einsickern konnten,63 nicht mehr unter Kontrolle habe.64

Dasselbe gilt auch für die Aussenpolitik gegenüber Russland, die von den Nazimilizen der Ukraine sabotiert wurde – die extreme Rechte der Ukraine ist kompromissunfähig, wenn es um Friedensverhandlungen mit Moskau geht. Selensky ist im Wahlkampf mit dem Versprechen angetreten, die Korruption zu bekämpfen und einen Friedensprozess einzuleiten. Und der Präsident hat es tatsächlich versucht, bei einem Frontbesuch in der Ostukraine im Oktober 2019 die vor Ort stationierten Milizen dazu zu bewegen, am vereinbarten Deeskalatiosnprozess teilzunehmen.65 Der Frontbesuch des Präsidenten endete in einem verbalen Schlagabtausch mit den „Veteranen“ an der Front, es folgte ein rechter Shitstorm in den sozialen Medien, vehemente Kritik politischer Gegner, massive Todesdrohungen gegen Selensky – und die Kapitulation des Präsidenten vor den rechten Milizen im Osten. Selensky wiederholte daraufhin die Integrationsbemühungen aus der Bürgerkriegszeit gegenüber der extremen Rechten.66 Den Höhepunkt dieser Umarmungstaktik bildete sicherlich die Verleihung des höchsten ukrainischen Ordens „Held der Ukraine“ an einen Neo-Nazi des „Rechten Sektor“ (Diese Naziorganisation wurde im Kriegsverlauf übrigens, ähnlich dem Asow-Regiment, offiziell in die ukrainischen Streitkräfte integriert).67

Diese Blockadehaltung der militärisch schlagkräftigen ukrainischen Rechten, die auch künftige Verhandlungen erschweren dürfte, koinzidierte mit dem besagten geopolitischen Konfrontationskurs im postsowjetischen Raum, der durch die zunehmenden sozioökonomischen Krisenprozesse befeuert wurde. Evident ist dies ja bei der Entscheidung des Kremls zum Angriffskrieg, die ja einer klassischen Flucht vor inneren Verwerfungen in den Krieg gleichkommt. Es ist offensichtlich, dass die Einflusssphäre des Kremls im postsowjetischen Raum, der den Planungen des Kreml zufolge zu einem dritten geopolitischen Machtzentrum zwischen der EU und China ausgebaut werden sollte, von einem raschen Erosionsprozess erfasst wurde: Im Kaukasus während des Krieges um Bergkarabach (Herbst 2020), beim Aufstand in Belarus (Sommer 2020)68 und zuletzt bei den blutigen Unruhen Kasachstan (Anfang 2022) scheint das spezifische postsowjetische Herrschaftsgefüge, dessen prominentester Vertreter Wladimir Putin ist, immer deutlichere Risse aufzuzeigen. Der imperiale Anspruch des Kremls kollidierte somit immer stärker mit einer Realität, in der sich Moskau in der geopolitischen Defensive befindet. Das Abdriften der Ukraine in den Orbit des Westens bildete für den Kreml gewissermassen den letzten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Dasselbe gilt aber auch für den Westen, der die für die extreme Rechte offenen Streitkräfte der Ukraine zwischen 2014 und 2022 systematisch trainierte und aufbaute.69 Wie erwähnt, war dieser nicht mehr bereit, die russischen Einflusssphären im postsowjetischen Raum zu akzeptieren. Diese expansive Haltung, die West und Ost auf Konfrontationskurs im ukrainischen Grenzland brachte, ist ebenfalls durch krisenbedingt zunehmende Widersprüche motiviert. Die BRD spekulierte auf die periphere Anbindung der Ukraine an die EU, als „verlängerte Werkbank“ und als Produzent von Wasserstoff,70 für die USA aber ist der Krieg in der Ukraine ein Schlachtfeld des obig kurz skizzierten Kampfes gegen Eurasien. Washington kämpft faktisch um die Beibehaltung der Hegemonie, konkret um die Stellung des US-Dollar als Weltleitwährung, der es bis vor Kurzem der US-Regierung ermöglichte, gigantische Haushaltsdefizite und Schulden durch die Gelddruckerei der Fed zu akkumulieren, ohne in Inflation zu versinken, wie es etwa in der Türkei der Fall ist. Die Inflation, die schon vor dem Krieg an Fahrt aufnahm, deutet gerade darauf hin, dass dies nicht mehr möglich ist,71 was Washington ebenfalls dazu verleitet, immer grössere geopolitische und militärische Risiken einzugehen – bis hin zur Konfrontation mit der Atommacht Russland in der Ukraine.

Die ukrainische extreme Rechte – deren Kampfverbände im gegenwärtigen Krieg mit Abstand am schlagkräftigsten sind – ist sich jedenfalls dessen bewusst, dass sie nur deswegen vom Westen mit Waffen überschüttet wird, weil sie derzeit dessen Interessen dient. In der üblichen Taliban-Logik, wie sie in gesellschaftlichen Zerfallsprozessen um sich greift, hoffen deren Führungsfiguren schlicht darauf, dass sie im Kriegsverlauf das Heft in die Hand nehmen und ihre ideologischen Fieberträume durchsetzen werden.72 Insofern könnte der Krieg in der Ukraine das formelle Ende des imperialistischen Stellvertreterkrieges überdauern.

 

Tomasz Konicz

Fussnoten:

1 https://www.nytimes.com/2022/02/21/world/europe/putin-ukraine.html

2 https://twitter.com/tkonicz/status/1523674358040129536

3 https://www.heise.de/tp/features/Sehnsucht-nach-dem-Starken-Mann-3367018.html?seite=all

4 https://www.cambridge.org/core/books/invention-of-tradition/B9973971357795DC86BE856F321C34B3

5 Näheres zur ökologischen Schranke des Kapitals: https://www.mandelbaum.at/buch.php?id=962

6 Kurz Robert, Der Kollaps der Modernisierung. Vom Zusammenbruch des Kasernensozialismus zur Krise der Weltökonomie“, Leipzig, 1994, S. 109/110

7 https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/wahl-in-der-ukraine-die-suessen-versprechen-des-schokoladenkoenigs/9942276.html

8 https://orf.at/stories/3268565/

9 https://www.sueddeutsche.de/politik/kolomoisky-praesidentschaftswahl-in-der-ukraine-selensky-1.4418172

10 https://www.osw.waw.pl/pl/publikacje/komentarze-osw/2021-12-22/zelenski-vs-achmetow-proba-sil

11 http://www.konicz.info/?p=4896

12 https://www.ilo.org/public/english/protection/ses/info/database/ukraine.htm

13 https://www.researchgate.net/figure/Ukraine-GDP-growth-1991-2013-1990-100_fig24_311666170

14 Siehe hierzu auch: Tomasz Konicz, Europas Hinterhof in der Krise, in: EXIT! 8: Krise und Kritik der Warengesellschaft, August 2011, Horlemann Verlag, 2011

15 https://www.ceicdata.com/en/indicator/ukraine/household-debt–of-nominal-gdp

16 http://www.konicz.info/?p=1089 , http://www.konicz.info/?p=1009

17 https://tradingeconomics.com/ukraine/current-account-to-gdp

18 https://tradingeconomics.com/spain/current-account

19 https://www.imf.org/en/News/Articles/2015/09/14/01/49/pr10305#P18_377

20 https://en.interfax.com.ua/news/general/183061.html

21 https://www.nytimes.com/2013/11/23/world/europe/ukraine-blames-imf-for-collapse-of-accord-with-european-union.html

22 https://www.ft.com/content/737e3bd8-b587-11e3-81cb-00144feabdc0

23 https://www.cnbc.com/2014/05/01/ukraine-gets-17bn-bailout-russian-risks-remain.html

24 https://www.heise.de/tp/features/Ukraine-am-Abgrund-3364077.html

25 https://www.heise.de/tp/features/Die-Ukraine-als-Griechenland-des-Ostens-3364295.html?seite=all

26 https://www.heise.de/tp/features/Belarus-in-der-Sackgasse-4876428.html

27 https://www.heise.de/tp/features/Ukrainisches-Great-Game-3364163.html

28 https://www.wienerzeitung.at/meinung/leitartikel/612424_Russlands-EU.html

29 https://www.heise.de/tp/features/Willkommen-in-der-Postdemokratie-3374458.html?seite=all

30 https://voxeurop.eu/de/merkel-macht-klitschko-fit-gegen-putin/

31 https://www.bbc.com/news/world-europe-26079957

32 https://de.statista.com/infografik/1944/importe-und-exporte-der-ukraine/

33 https://www.spiegel.de/politik/deutschland/zuwanderung-2017-kamen-mehr-migranten-aus-der-ukraine-als-aus-syrien-in-die-eu-a-1235150.html

34 https://laender-analysen.de/polen-analysen/250/polen-vom-auswanderungsland-zum-einwanderungsland/

35 https://www.youtube.com/watch?v=u7tFRvWcs5c

36 https://www.spiegel.de/politik/ausland/protest-in-der-ukraine-klitschkos-gefaehrlichste-runde-a-945369.html

37 https://www.bbc.com/news/world-europe-25826238

38 https://www.rferl.org/a/ukraine-kyiv-protests-guerrilla-war/25238878.html

39 https://www.thenation.com/article/archive/ukrainian-nationalism-heart-euromaidan/

40 https://www.dw.com/de/zwischen-hoffen-und-bangen-in-kiew/a-17448315

41 https://www.timesofisrael.com/ukraine-divided-over-legacy-of-nazi-fighters/

42 https://twitter.com/DaniMayakovski/status/1497682826992529412

43 https://eu.usatoday.com/story/news/world/2014/01/01/ukraine-bandera/4279897/

44 https://www.dw.com/de/stepan-bandera-ukrainischer-held-oder-nazi-kollaborateur/a-61839689

45 https://www.kyivpost.com/article/opinion/op-ed/how-spread-of-banderite-slogans-and-symbols-undermines-ukrainian-nation-building-334389.html

46 https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/2014-odessa-42-tote-buergerkreig-brand-ukraine-russland-un-europarat-ermittlungen-emrk/

47 https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/un-bericht-ueber-folter-durch-separatisten-in-der-ostukraine-16680423.html

48 https://www.osce.org/files/f/documents/e/7/233896.pdf

49 https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine/317979/analyse-die-ukrainische-literatur-zum-krieg-im-donbas/

50 https://www.amnesty.nl/actueel/ukraine-torture-and-secret-detention-on-both-sides-of-the-conflict-line

51 https://www.pbs.org/newshour/world/u-n-documents-prisoners-torture-abuse-in-ukrainian-conflict

52 https://www.theguardian.com/world/2018/mar/13/ukraine-far-right-national-militia-takes-law-into-own-hands-neo-nazi-links

53 https://www.haaretz.com/world-news/europe/2019-02-23/ty-article/.premium/inside-the-extremist-group-that-dreams-of-ruling-ukraine/0000017f-e191-d568-ad7f-f3fb4be40000

54 https://lowerclassmag.com/2021/04/13/oekonomie-im-zuckerrausch-weltfinanzsystem-in-einer-gigantischen-liquiditaetsblase/

55 https://www.blick.ch/auto/news_n_trends/wegen-ukraine-krieg-sind-produktion-und-lieferung-blockiert-darum-stuerzen-kabel-die-autobranche-in-die-krise-id17520281.html

56 https://www.gtai.de/de/trade/ukraine/wirtschaftsumfeld/iwf-genehmigt-beistandsprogramm-fuer-ukraine-260408

57 https://twitter.com/Russ_Warrior/status/1299040499937021952

58 https://www.heise.de/tp/features/Willkommen-in-der-Postdemokratie-3374458.html?seite=all

59 https://www.msnbc.com/opinion/msnbc-opinion/russia-s-ukraine-invasion-may-have-been-preventable-n1290831

60 https://www.illiberalism.org/far-right-group-made-its-home-in-ukraines-major-western-military-training-hub/

61 https://twitter.com/DaniMayakovski/status/1497695668323991554

62 https://unherd.com/2022/03/the-truth-about-ukraines-nazi-militias/

63 https://www.illiberalism.org/far-right-group-made-its-home-in-ukraines-major-western-military-training-hub/

64 https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/ukraine-regierung-hat-rechtsextreme-nicht-unter-kontrolle

65 https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/im-not-a-loser-zelensky-clashes-with-veterans-over-donbas-disengagement.html

66 https://consortiumnews.com/2022/03/04/how-zelensky-made-peace-with-neo-nazis/

67 https://twitter.com/tkonicz/status/1499066235094458381

68 https://www.heise.de/tp/features/Belarus-in-der-Sackgasse-4876428.html

69 https://www.latimes.com/opinion/story/2022-02-25/ukraine-cia-insurgents-russia-invasion

70 https://www.energate-messenger.de/news/219313/deutschland-eroeffnet-wasserstoffbuero-in-kiew

71 https://www.untergrund-blättle.ch/wirtschaft/theorie/stagflation-inflationsrate-6794.html

72 https://www.youtube.com/watch?v=DOBntnuYCMA

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